Am 1. April 1964 ist die Sängerin und Komponistin Ida Aspis-Bayer verstorben.
Autor: Benedikt Lodes
Ein großer Teil des Werks von Ida Aspis-Bayer befindet sich heute in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Ida Aspis-Bayer ist eine Komponistin, die es in ihrem Hauptgenre, dem Unterhaltungslied, noch zu entdecken gilt.
Die biografischen Aspekte der folgenden Darstellung stützen sich in erster Linie auf ihren umfangreichen autobiografischen Bericht.1 Dieser wurde wohl um 1955 verfasst, in zeitlicher Nähe zur Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, auf die er lose Bezug nimmt. Als umfangreiches Selbstzeugnis wurde das Typoskript auch zur wesentlichen biografischen Grundlage im lexikalischen Bereich2, da es wertvolle und dichte Informationen zu ihrem Werdegang liefert. Seine wissenschaftliche Kontextualisierung und Überprüfung im Sinne eines Abgleichs mit anderen Quellen steht jedoch über weite Strecken nach wie vor aus.
Aspis-Bayers Lebenserinnerungen bilden den zweiten Teil eines Texts, dessen Beginn sich – schon dort verflochten mit Hinweisen auf ihre eigene Kindheit – mit dem Leben des Vaters beschäftigt. Der Übergang zu den eigenen Erinnerungen entwickelt sich aus diesem ersten Teil heraus. Sie sind vom Umfang schließlich mehr als doppelt so lang, bleiben aber im Titel gänzlich unerwähnt.
Ida Aspis-Bayer kam 1881 als jüngere von zwei Töchtern des bis heute als Schöpfer des Balletts „Die Puppenfee“ bekannten Komponisten Josef Bayer und seiner Frau, der Sängerin Therese Bayer (geb. Klein), in Wien zur Welt. Trotz des musikalisch aufgeladenen Umfelds, in dem sie aufwuchs, erhielt Ida Bayer neben dem üblichen Klavierunterricht keine professionelle musikalische Ausbildung, sondern besuchte ab ihrem 17. Lebensjahr eine Nähschule, die sie nicht interessierte. Von ihrem frühen Wunsch, einst nach dem Vorbild der Eltern zum (Musik-)Theater zu gehen, wollte der Vater nichts wissen. Und obwohl er an ihr Talent glaubte, ließ er auch eine Ausbildung zur Komponistin nicht zu: „Er wollte nicht glauben, dass auch eine Frau in diesem Fach Kunst vertreten kann.“3
Im Familienkreis und für die Kirche war Komponieren für die 16-jährige allerdings möglich. Da ihr die technischen Grundlagen fehlten, drückte Ida sich dabei in erster Linie improvisierend aus. Ihr Vater richtete einzelne Kompositionen schriftlich so ein, dass sie zur Aufführung gebracht werden konnten. Eines ihrer ersten Werke war ein im Jahr 1897 in der Piaristenkirche in Wien uraufgeführtes „Ave Maria“. Jahrzehnte später, im Jahr 1958, wird sie noch einmal zu diesem Werk zurückkehren und es erneut niederschreiben. Das Original aus ihrer Jugend ist nicht erhalten.
Erst als erwachsene Frau setzte sie sich nach einer gescheiterten – und 1907 geschiedenen4 – Ehe mit Franz Klaus mit ihrem Wunsch durch und nahm Gesangs- und Schauspielunterricht bei Filip Forstén. Bald begann eine vielversprechende Karriere als Soubrette, die sie unter anderem in kleinere Häuser in Teplitz-Schönau (Teplice), Troppau (Opava) und Abbazia (Opatija) führte.
Der Tod des Vaters 1913 bedeutete einen tiefen Einschnitt. Zudem empfand sie Wien als für sich „gesperrt“: „Statt nun an eine grosse auswärtige Bühne zu gehen und von hier aus dann den Versuch nach Wien zu wiederholen, verlor ich jede Lust, beim Theater zu bleiben. Das hätte ich nie tun dürfen, das war der grosse Fehler meines Lebens. Ich habe damit meine schöne Karriere verdorben; nach dem glänzenden Anfang verlor ich wieder alles, was ich an Boden gewonnen hatte. – – –“5 Der nahende Erste Weltkrieg sollte ihre berufliche Abkehr von der Musik vorläufig besiegeln.
Nur wenige Kompositionen sind aus der Zeit 1914 bis 1945 belegt. Im Ersten Weltkrieg versorgte Ida Bayer Schwerverletzte an der Front in verschiedenen Ländern – eine harte Aufgabe, um die sie sich, bewegt von patriotischen Gefühlen, sehr bemüht hatte. Die prägenden Kriegserinnerungen nehmen in ihrem Bericht beträchtlichen Raum ein. 1926 heiratete sie ein zweites Mal, nämlich den deutlich älteren Julius Aspis, der kaum ein Jahr später starb.6 Im April 1928 starb auch die Mutter, die Aspis-Bayer die letzten Jahre häuslich gepflegt hatte.
Da die Tantiemen aus den Werken das Vaters in diesen Jahren größere Einnahmen sicherten, hatte sie die Freiheit, Reisen zu unternehmen. Schicksalsschläge blieben jedoch nicht aus. In der NS-Zeit für eine Spionin gehalten, verbrachte sie mehrere Monate in Haft. Gegen Kriegsende wurde sie ausgebombt, was sie schwer verletzt und mittellos zurückließ.
In den Jahren danach fand Ida Aspis-Bayer den Weg zurück zur Musik. Mit der Wiederaufnahme des Komponierens verfolgte sie auch professionelle Ambitionen. Das zeigt nicht nur ihr Beitritt in die Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger 1945, sondern auch ihre aktive Suche nach Aufführungsgelegenheiten, die in einigen überlieferten Briefentwürfen dokumentiert ist. So schlug sie für Heinz Conrads ein „Hundechanson“ vor (wohl „Ja, i und mei Hund“, Mus.Hs.36263), für dessen Aufführung sie auch „einen schwarzen Pudel zur Verfügung stellen“ konnte.
Ihre Bemühungen fanden auch Resonanz: Im Radio wurden Werke von ihr übertragen7 und es kam zur Drucklegung ihrer Wiener Lieder bei mehreren Verlagen.
Ihr Genre waren vor allem unterhaltsame Lieder, ganz in der Tradition der leichteren Musik, der auch ihr Vater verpflichtet war. Mit Ausnahmen textete Ida Aspis-Bayer die Lieder selbst. Auch eine eigene Österreichische Bundeshymne findet sich unter ihren Autografen – sie bringt die gleiche nostalgische Verbundenheit mit dem vergangenen Österreich zum Ausdruck, die sich auch im „Ausklang“ ihres Lebensberichts zeigt. „Zufrieden war’n die Völker sehr, man nahm das Leben ja nicht schwer“ – ein verklärt-idyllisches Alt-Österreich wird hier besungen, dessen Rückkehr schon deswegen ausgeschlossen war, weil es so nie existiert hatte. Vor dem Hintergrund der persönlichen Erfahrungen an der Front eines Krieges, in dem sich auch die Spannungen eines an seine Grenzen gekommenen Vielvölkerstaates entluden, ist das umso bemerkenswerter.
Ihr Lebensende verbrachte Ida Aspis-Bayer mit Unterstützung einer Witwenpension. 1964 starb sie, wohnhaft in einer Wohnung, die sie von ihrer Schwester nach deren Tod übernommen hatte.
Das Werk von Ida Aspis-Bayer ist klein geblieben und umfasst in erster Linie Unterhaltungsmusik. Rund 50 Stücke, vor allem Lieder mit Klavier, sind heute bekannt, in erster Linie Wiener Lieder und Salonmusik. Etwa ein halbes Dutzend Klavier- und Kammermusikwerke sowie eine „Intrada“ und das Marschlied „Die Heimgekehrten“ für Orchester runden das Oeuvre ab.
Die Diskrepanz zwischen ihrem Potential, Komponistin zu werden, und der Verwirklichung dieses Ziels tut sich klar auf. Schon 1881 geboren, fand sie erst nach 1945 professionell zum Komponieren und konnte die in ihrer Herkunftsfamilie angelegten Möglichkeiten nicht nutzen. Schon die Schriftstellerin Liselotte Fridrik, Autorin des „Rosenlieds“ von Aspis-Bayer, weist auf diesen Zusammenhang hin. (s. Abb. 9).
Oder, wie die Biografin Eva Marx es formulierte: „Als Kind eines Komponisten und einer Sängerin wuchs Ida unter den ihre Musikalität optimal fördernden Bedingungen auf. Nur ein Faktum, das des Geschlechts dieses Kindes, stimmte in den Augen des Vaters nicht, wenn es um den auf Professionalität zielenden Ausbildungswunsch ging. Der Aktionsradius des musikalischen Talents einer Frau hatte sich auf den Familien- und Freundeskreis zu beschränken. So blieb Ida Aspis-Bayer zwangsläufig zeitlebens eine kompositorisch begabte Dilettantin.“ 8
Ihren Nachlass vermachte Ida Aspis-Bayer der Österreichischen Nationalbibliothek, die seit 1964 rund 50 Inventarnummern verwahrt. Es gibt noch keine Aufnahmen ihrer Musik – vor einem Jahr ist sie – vermutlich zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten – bei einem Konzertabend des Ensembles oper@tee im Theater an der Mauer in Waidhofen an der Thaya erklungen.9
60 Jahre nach ihrem Tod ist es an der Zeit, das Werk dieser vergessenen Komponistin wiederzuentdecken.
Über den Autor: Dr. Benedikt Lodes ist Direktor der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Bayer-Aspis, Ida: Josef Bayer. Typoskript-Durchschlag, DIN A4, 2, 69 Bl., undatiert, http://data.onb.ac.at/rec/AC14371845, im folgenden „Lebensbericht“.
2 vgl. z.B. Marx, Eva: Ida Aspis-Bayer, in: Marx, Eva/Gerlinde Haas (2001): 210 österreichische Komponistinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Biographie, Werk und Bibliographie. Ein Lexikon
3 Lebensbericht, S. 15
4 Marx, Eva: Ida Aspis-Bayer, S. 37
5 Lebensbericht, S. 37
6 Marx, Eva: Ida Aspis-Bayer, S. 38
7 siehe z. B. das Radioprogramm in Volkswille, Nr. 213, 14. September 1949, S. 4, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vow&datum=19490914&query=%22ida+aspis%22&ref=anno-search&seite=4
8 Marx, Eva: Ida Aspis-Bayer, S. 39
9 https://m.noen.at/waidhofen/gastspiel-kaum-bekannt-frauen-als-wienerlied-komponistinnen-waidhofen-an-der-thaya-357402627 (abgerufen am 25.3.2024)