Am 8. Dezember 1881 – vor 140 Jahren – wurde Österreich mit der an der Zahl der Toten gemessenen bislang größten Brandkatastrophe der Neuzeit konfrontiert: Der Brand des Wiener „Ringtheaters“ forderte mindestens 386 Menschenleben und hat sich in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingeprägt. Viele heute selbstverständliche Schutzmaßnahmen sind auf das damalige Unglück zurückzuführen.
Autorin: Margot Werner
Das Grundstück Schottenring 7, Wien 1, stand lange unter keinem guten Stern: in der Bevölkerung brodelte das Gerücht, an besagtem Ort hätte sich im Mittelalter ein Hinrichtungsplatz, alternativ das Haus eines Scharfrichters, befunden, was historische Aufzeichnungen nicht belegen – dennoch galt dieses Gerücht als schlechtes Omen für den Bau des Ringtheaters. (Ausstellungskatalog. Alles gerettet, 1982, S. 33)
Im Zuge der Brandkatastrophe wurde das Gebäude so stark beschädigt, dass es abgetragen werden musste. Das in Folge an dieser Stelle errichtete sogenannte „Sühnhaus“, welches dem Gedenken an die Opfer gewidmet war, lag 1945 nach einem Bombenangriff ebenfalls in Schutt und Asche und musste 1951 abgerissen werden. Erst in den 1970er Jahren wurde das Grundstück erneut bebaut: mit der 1974 eingeweihten Zentrale der Landespolizeidirektion Wien, die sich noch heute an der Adresse Schottenring 7 befindet. Doch der Reihe nach…:
Neben der Hofoper und dem Hofburgtheater sollte Wien eine weitere große Bühne erhalten, die der leichten Muse gewidmet war: das Haus wurde am 17. Jänner 1874 als „Komische Oper“ eröffnet. Für Planung und Bauausfühung zeichnete der Architekt Emil von Förster verantwortlich (ein prominentes, ebenfalls von ihm entworfenes und noch heute bestehendes Gebäude ist übrigens das „Palais Dorotheum“ in Wien 1).
Sowohl hinsichtlich der Bausubstanz als auch der inhaltlichen Ausrichtung hatte das Haus einen holprigen Start: Architekt Förster ging mit dem Auftrag, ein Theater für 1.700 Personen auf dem relativ kleinen Bauplatz von 1.760 m2 zu entwerfen, an die Grenzen des Möglichen und zog das Gebäude mit sieben Stockwerken und vier Galerien in die Höhe (Juliane Mikoletzky, der Brand des Wiener Ringtheaters 1881, S. 60). Verschachtelte Gänge und Etagen sowie der fehlende Zugang von allen Seiten waren die Folge. Inhaltlich schwankte das Programm von Theater, über Operette bis hin zu Varieté und Pantomime; der erste Direktor des Hauses, Albin Swoboda, warf bereits drei Monate nach der Eröffnung, im März 1974, das Handtuch. Wechselnde Direktionen und Leerstand waren die Folge. Am 1. Juni 1881 pachtete Franz Ritter von Jauner, ein Mann mit Theatererfahrung, das 1878 zum „Ringtheater“ umbenannte Haus. Jauner war nicht nur selbst Schauspieler, er hatte sich bereits als Leiter des Carltheaters und der Hofoper einen Namen gemacht, wenn auch nicht immer durch wirtschaftlichen Erfolg. (Ausstellungskatalog. Alles gerettet, 1982, S. 14)
„Das heitere, frohsinnathmende Wien steht unter dem Banne einer unerhörten Katastrophe, und eiserne Nerven sind erforderlich, um trockenen Auges der Pflicht des Publicisten gerecht werden und über die Schrecken des Abends vom Donnerstag, berichten zu können“
schrieb die Morgen-Post, die sich am 10. Dezember 1881, eineinhalb Tage nach der Katastrophe in epischer Breite und detailreicher Schilderung der Brandleichen auf fünf Seiten dem Unglück widmete. (Morgen-Post, 10.12.1881) Auch die Wiener Abendpost, eine Beilage zur Wiener Zeitung, berichtet als erste schon am Abend des 9. Dezember auf drei Seiten vom Brand, inklusive Listen der bereits identifizierten Opfer (Wiener Abendpost, 9.12.1881).
In beiden Medien wird der Hergang des Unglücks bereits im Verhältnis zu den Ergebnissen des späteren Gerichtsverfahrens recht zutreffend geschildert: In der Abendvorstellung des 8. Dezember 1881, einem Donnerstag, gab man die deutschsprachige Uraufführung von „Hoffmanns Erzählungen“.
Gegen 18.40 Uhr wurden von den Theaterbediensteten im Bühnenraum, die in fünf Reihen gruppierten, je 48 Gaslampen mittels elektrischer Entzündung erleuchtet. Die sogenannte „Drahtcourtine“, der Vorläufer des „Eisernen Vorhangs“, war hochgezogen worden, so dass die BesucherInnen Einblick in den Bühnenraum hatten. Bei der vierten Beleuchtungs-Reihe schlug der Versuch der Entzündung fehl; es wurde daraufhin bei weiterhin offenem Gashahn ein neuer Entzündungsversuch gestartet. In der Zwischenzeit war die Lampe jedoch voll Gas gelaufen, der Zündfunke verursachte eine Verpuffungsreaktion und das Feuer erfasste sogleich die naheliegenden leicht brennbaren Dekorationselemente. Rasch griff der Brand auf den Schnürboden über, in welchem ebenfalls zahlreiche Kulissen aus Papier, Jute und Holz hingen. Löschversuche der Bediensteten schlugen fehl, da die Wasserleitung - bekannter Weise - seit einigen Tagen defekt war. In weiterer Folge wurden, wie sich im Zuge des Prozesses herausstellte, mehrere fatale Fehler begangen, die den Brand, der sich vorerst auf den Bühnenraum beschränkte, erst zu einer schrecklichen Katastrophe werden ließen: Bedienstete des Theaters flüchteten rasch nach der Entstehung des Brandes über eine Pferderampe in die Maria-Theresien-Straße und ließen diese Türe offenstehen, was durch die so entstandene Sogwirkung einen Feuersturm mit Übergreifen der Flammen in den Zuschauerraum zur Folge hatte.
Als ebenso falsch stellte sich im Nachhinein die Entscheidung heraus, die Gaslampen aus Furcht vor einer weiteren Explosion komplett abzuschalten, denn der Zuschauerbereich war damit auf einen Schlag stockdunkel. Eine Not-Öl-Beleuchtung war zwar installiert, aber – so der Vorwurf – aus Kostengründen nicht befüllt und entzündet worden. So tappten die BesucherInnen im Dunklen, eingeschlossen durch nicht funktionsfähige Nottüren, deren Türflügel nach innen zu öffnen waren. In der entstandenen Massenpanik versperrten sich die vorwärts drängenden Flüchtenden selbst den Ausgang. Dass die zwar vorhandene Brandmeldeanlage nicht funktionierte oder zumindest nicht betätigt wurde, setzte die Verkettung an Pannen fort. Die Feuerwehr wurde erst mit 15-minütiger Verspätung alarmiert, die eintreffenden Berufsfeuerwehrfilialen Josefstadt, Alsergrund, Leopoldstadt, Landstraße, Wieden, Margareten und Mariahilf hatten bei weit fortgeschrittenem Brandgeschehen keine Chance mehr das Feuer noch unter Kontrolle zu bringen oder mangels damals verfügbarer Atemschutzausrüstung weiter in das Gebäude vorzudringen. (Helmut Bouzek. Wien und seine Feuerwehr, 1991, S. 47ff.)
Als erstes traf der Leiter des Stadtpolizeiamts, Anton Landsteiner, gegen 19.00 Uhr ein und übernahm die Leitung der Polizeiaktion. Nachdem er sich selbst einen Überblick im Vestibül des Theaters verschafft hatte, in dem sich allerdings - rund 20 Minuten nach Brandausbruch - keine Menschen mehr befunden hatten, tat er angeblich den vielzitierten und heftig kritisierten Ausspruch „Alles gerettet“. (Ausstellungskatalog. Alles gerettet, 1982, S. 22.)
Gegen 22.00 Uhr stand das Haus schließlich in Vollbrand, um 1.30 Uhr wurden die Löschversuche im Theater eingestellt und nur noch die Umgebung geschützt. (Helmut Bouzek. Wien und seine Feuerwehr, 1991, S. 53.)
Augenzeugenberichte in den Tageszeitungen (z.B. Die Presse, 9. Dezember 1881) sowie in der Literatur zum Thema lassen die Tragödie nur erahnen. Das Haus war angesichts der Premiere nahezu ausverkauft; rund 1.000 Personen gelang es kurz nach Ausbruch des Brandes ins Freie zu fliehen, eingeschlossen und nahezu chancenlos waren hingegen mangels Notbeleuchtung und funktionsfähiger Notausgänge die BesucherInnen des 3. und 4. Ranges, die im verwinkelten Gebäude keinen Ausweg fanden und zum größten Teil ums Leben kamen. Die Bilanz der Tragödie lautete 386 bestätigte Tote sowie 80 Vermisste, die wohl vollständig verbrannt waren. Der hohen Opferzahl stehen rund 150 mittels Sprungtuch (das übriges erstmals 1878 eingesetzt wurde und auch international viel Aufsehen erregte) und Leitern von der Feuerwehr Gerettete gegenüber. (Helmut Bouzek. Wien und seine Feuerwehr, 1991, S. 23 u. S. 53.)
Die Bergung der Brandopfer wurde in den folgenden Tagen fortgesetzt. Die Toten wurden in den „Leichenhof“ des Allgemeinen Krankenhauses gebracht, um sie unter Mithilfe der Bevölkerung zu identifizieren:
„Die Amtshandlungen zum Zwecke der Agnoscirung derjenigen Personen, welche beim Brande des Ringtheaters verunglückt sind, werden heute Samstag den 10. December von 8 Uhr Morgens angefangen, im Leichenhofe des allgemeinen Krankenhauses fortgesetzt. Es werden daher alle jene Personen, welche über dort hinterlegte Leichen Aufschluß zu geben in der Lage sind, sowie auch jene, welche die eine oder die andere dieser Leichen bereits erkannt haben, aufgefordert, sich womöglich mit zwei Zeugen zu dem angegebenen Zwecke einzufinden und mit einem Anmeldungszettel des Domicil-Polizei-Commissariates beim Eintritte in den Leichenhof, Gitterthor in der Spitalsgasse, sich auszuweisen."
Wien, am 10. December 1881
Vom Magistrat der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien (Morgen-Post, 10. Dezember 1881)
Die Bergung der Leichen war für den Wiener Boulevard ein Spektakel. Die Toten wurden vorerst im Hof der Polizeidirektion gelagert, später in das Allgemeine Krankenhaus verbracht. Zum ersten Mal seit dem Krieg von 1866 fand übrigens die Zeitungskolportage in Wien im großem Stil statt: Dienstmänner verkauften als Zwischenhändler die Abendblätter, dies wurden von der Sicherheitswache trotz Gesetzwidrigkeit toleriert. (Morgen-Post, 10. Dezember 1881)
Die Beschreibungen der AugenzeugInnen – sowie der Medien, welche durchaus detailreich den Zustand der Brandleichen schilderten und illustrierten – sind erschütternd. Kolportiert wurde, dass sich wohl auch der ein oder andere in Sensationslust illegaler Weise einen Zutrittsschein zum Leichenhof des Allgemeinen Krankenhauses besorgt hatte. In Ermangelung von Fotografien bzw. Bewegtbildern gaben mehrere Verlage für ein paar Kreuzer kleine Broschüren mit reißerischen bis emotionalen Schilderungen des Brandereignisses heraus: „Schreckensbilder und Schauerscenen vom Brande des Ringtheaters am 8. Dezember 1881 nach Nachrichten von Augenzeugen und Geretteten“, oder „Der Brand des Ringtheaters in Wien am 8. Dezember 1881. Eine wahrheitsgetreue Schilderung der Katastrophe nach authentischen Quellen“.
Die Identifizierung der Brandleichen erfolgte übrigens erstmals unter anderem durch Vergleich der Zahnstellung, einer Technik, die später in die renommierte „Schule der Wiener Kriminalistik“ eingehen sollte. (Juliane Mikoletzky, der Brand des Wiener Ringtheaters 1881, S. 64.)
Die Toten wurden - soweit identifiziert – ihren Angehörigen zur Bestattung übergeben; die anonym bleibenden Toten hingegen im Zuge einer Trauerfeier am 12. Dezember 1881 am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Der Bestattung der Leichen ging eine Diskussion im Wiener Magistrat voraus, die schließlich dazu führte, dass nicht wie ursprünglich geplant, ein Leichenzug bis zum Zentralfriedhof führte. Man fürchtete die aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung. (Ausstellungskatalog. Alles gerettet, 1982, S. 25.)
Die Katastrophe des Ringtheaterbrandes hatte in Österreich damals die strengsten, in weiten Teilen noch heute gültige Bühnensicherheitsvorschriften Europas zur Folge.
Sehr schnell nach dem Unglück, bereits am 14. Dezember 1881, wurde während jeder Theatervorstellung ein Sicherheitsdienst durch zwei Feuerwehrmänner vor und während der Vorstellung verordnet, parallel der Personalstand der Feuerwehr erhöht und eine „Theater-Sicherheits-Kommission“ gegründet, welche im Laufe des Jahres 1882 zahlreiche Maßnahmen erarbeitete (Helmut Bouzek. Wien und seine Feuerwehr, 1991, S. 23 u. S. 81.). Allgemein bekannte, heute noch gültige Schutzmaßnahmen, sind unter anderem die Verpflichtung den Zuschauerraum durch einen „Eisernen Vorhang“ zu schützen und die Vorschrift, brandhemmende Materialien beim Kulissenbau einzusetzen. Die Katastrophe fand auch Eingang in die 1883 erneuerte Bauordnung für Wien, in welcher zudem festgelegt wurde, dass Türen in öffentlichen Gebäuden sich nach außen zu öffnen haben. (Werner Ogris, Vom Galgenberg zu Ringtheaterbrand, 1997, S. 179.)
Eine weitere Folge des Brandes war die Neuorganisation der Wiener Feuerwehr, die nun endlich 1884 aus dem Stadtbauamt ausgegliedert, in eine eigenständige Organisationsform überführt und personell sowie technisch besser ausgestattet wurde. Parallel wurde 1882 die „Wiener freiwillige Rettungsgesellschaft“ gegründet, die Vorläuferorganisation der heutigen Berufsrettung. (Helmut Bouzek. Wien und seine Feuerwehr, 1991, S. 84.)
Rechtlich führte der Ringtheaterbrand außerdem dazu, dass 1883 ein Gesetz zur Todeserklärung von Vermissten erlassen wurde, welches lange als „Ringtheatergesetz“ geläufig war. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte der Tod nicht beurkundet werden, wenn die Leiche nicht identifiziert war, was zu zahlreichen Probleme bei Verlassenschaften oder erneuten Eheschließungen geführt hatte.
Für 120 minderjährige Waisen sowie Witwen wurde ein „Hilfs-Komitee der Stadt Wien“ eingerichtet, das, umgewandelt in ein Kuratorium, bis nach dem 1. Weltkrieg wirkte. (Ausstellungskatalog. Alles gerettet, 1982, S. 24 u. S. 32.)
Das sogenannte „Sühnhaus“ welches aus den privaten Mitteln von Kaiser Franz Josef I. von Friedrich Schmidt, dem Erbauer des Rathauses, errichtet wurde (Handschreiben des Kaisers in der Wiener Zeitung vom 25. Dezember 1881) und dessen Mieteinnahmen wohltätigen Zwecken zukommen sollten, war kein Glück beschieden. Es erwirtschaftete – trotz prominenter MieterInnen, darunter Sigmund Freud - keine Erträge und wurde nach einem Bombentreffer 1945 abgerissen.
Vorauszuschicken ist, dass Theaterbrände in der damaligen Zeit keine Seltenheit waren: Einige Monate vor dem Ringtheaterbrand, am 23. März 1881, war das Opernhaus in Nizza abgebrannt, 92 Tote waren zu beklagen. Als Folge wurden auf Veranlassung des damaligen Ministerpräsidenten Graf Taaffe auch in Wien alle Theater überprüft und diverse Mängel festgestellt. Die daraus resultierenden Forderungen waren: Notausgänge sind zu beleuchten und unversperrt zu halten, Türen müssen nach außen öffnen, die sogenannte „Drahtcourtine“ sei außer bei Vorstellungen und Proben herabgelassen zu halten, Gaslampen seien zu sichern und nicht in der Nähe von entflammbaren Materialien zu positionieren sowie Anweisungen zur Ausbildung der Feuerwächter und sonstigem technischen Personal zu formulieren. (Ausstellungskatalog. Alles gerettet, 1982, S. 24 u. S. 11.) Seitens der Stadt Wien erging im August 1881 ein Auftrag an alle größeren Theater, bis 1. Oktober 1881 die festgelegten Maßnahmen umzusetzen. Wieso dies im Ringtheater offenbar nur unzureichend erfüllt worden war, ist vermutlich finanziellen Überlegungen geschuldet.
Der Prozess fand von 24. April bis 16. Mai 1882 im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichtes statt: Acht Personen nahmen auf der Anklagebank Platz, darunter als Prominente der Wiener Bürgermeister Julius Ritter von Newald und der Theaterdirektor Franz von Jauner. Vorgeworfen wurde Ersterem die Vernachlässigung der Kontrolle der gesetzlichen Brandschutz-Vorschriften. Die Anklageschrift gegen den Theaterdirektor umfasste zehn Punkte, darunter fehlende Anweisungen an die Bediensteten, die Heranziehung der Feuerwächter für andere Dienste im Umfeld des Theaters, fehlende Instruktionen zur Bedienung der Feueralarmvorrichtung, die vorschriftswidrige mangelnde Öl-Not-Beleuchtung, die Missachtung der Vorschrift wonach die Gaslampen zum Entzünden herabzulassen wären und schließlich auch, selbst nicht vor Ort gewesen zu sein, und sich auch rasch wieder vom Brandplatz entfernt zu haben. (Alexander Zeitz, Der Proceß über die Ringtheater-Katastrophe vor dem k.k. Landesgerichte, 1882, S. 9f.) Des Weiteren angeklagt waren mit Josef Nitsche (Beleuchtungsinspektor), August Breithofer (Beleuchter) und Franz Geriger (Gebäude-Inspektor) drei Bedienstete des Theaters wegen gravierender technischer Fehler und Missachtung von Dienstpflichten. Seitens der Behörden saßen Polizeirat Anton Landsteiner sowie Adolf Wilhelm und Leonhard Heer als Kommandant bzw. Requisitenmeister der städtischen Feuerwehr auf der Anklagebank. Ihnen allen wurden Versäumnisse bei der Evakuierung des Theaters vorgeworfen. (Alexander Zeitz, Der Proceß über die Ringtheater-Katastrophe vor dem k.k. Landesgerichte, 1882, S. 11.)
Der viel beachtete Prozess brachte ein hohes Maß an Behördenversagen, Schlamperei und Profitstreben zu Lasten der Sicherheit zu Tage: Schon beim Bau war an Ausgängen gespart worden und der Dachstuhl nicht, wie geplant, mit einer Eisen- sondern einer Holzkonstruktion errichtet worden, Brandschutzvorrichtungen wie die Brandalarmierung, die Löschwasserleitung und die Kurbelvorrichtig der „Drahtcourtine“ waren defekt, das hauseigene Feuerwache-Personal war nicht ausreichend eingeschult (und obendrein während des Brandes im Wirtshaus), weiters, wie so oft, Kompetenzwirrwarr zwischen den Behörden. (Juliane Mikoletzky, der Brand des Wiener Ringtheaters 1881, S. 64.)
Schuldig gesprochen wurden schließlich nur der Beleuchtungsinspektor Josef Nitsche (8 Monate Haft), Hausinspektor Franz Geringer (4 Monate Haft) und der Direktor Franz Jauner (4 Monate Haft). Der Wiener Bürgermeister wurde freigesprochen, zog aber persönliche Konsequenzen und trat im Jänner 1882 zurück. (Alexander Zeitz, Der Proceß über die Ringtheater-Katastrophe vor dem k.k. Landesgerichte, 1882, S. 513.) Franz Jauner wies bis zuletzt jede Schuld von sich, eindrücklich ist der Brief, welchen er aus der Haft an die Schauspielerin Josefine Gallmayer richtete:
„Daß man mich zum Opfer für Andere, für meine eigenen Organe und für die Behörden Preiß gibt – das ist eine Ungerechtigkeit sonder Gleichen, das ist – Justizmord!“ (Ausstellungskatalog. Alles gerettet, 1982, S. 30.)
Der Brand des Ringtheaters wirkte noch lange Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung nach: Carl Merz und Helmut Qualtinger verarbeiteten das Thema noch 1963 in einem Theaterstück („Alles gerettet“. Der Ringtheaterprozess, 1963) und prangerten Arroganz, Faulheit, Verantwortungslosigkeit an. Aus dem Vorwort:
„Dieses Stück ist die Anatomie einer Katastrophe. Es wurde geschrieben, um etwas aufzuzeigen. Der Protagonist ist die Katastrophe, und die handelnden Figuren zeigen eine Verhaltensweise, die nur möglich geworden ist, weil subalterne und mediokre Existenzen plötzlich mit dem Ungewöhnlichen konfrontiert wurden“.
Das Besondere am Stück ist, dass 40 Prozent des Textes auf wörtlichen, protokollarisch festgehaltenen Äußerungen der OriginalzeugInnen zurückgehen. Alle handelnden Personen sind tatsächlich im Prozess aufgetreten, Namen wurden nicht verfälscht. Das Theaterstück wurde als Fernsehspiel inszeniert und prominent besetzt mit Schauspielgrößen der Zeit, darunter Attila und Paul Hörbinger, Lotte Lang und Franz Stoß, am Sonntag den 16. März 1963 im Hauptabendprogramm des ORF gesendet.
An dieser Stelle sei noch ein Spoiler für unser Blogprogramm 2022 erlaubt: Fast wäre auch der Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek ein Raub der Flammen geworden. Sie erinnern sich? Der Hofburg-Brand am 27. November 1992? Auch zu diesem Thema werden wir anlässlich des 30. Wiederkehr des Unglücks, bei dem glücklicherweise keine Personen zu Tode kamen, in ziemlich genau einem Jahr wieder einen spannenden Blogbeitrag mit vielen Bildern und Quellen aus unserem Bestand posten.
Zur Autorin: Mag. Margot Werner MSc ist Leiterin der Hauptabteilung Benützung und Information.
Können wir Ihnen bei Recherchen helfen? Kontaktieren Sie unsere Bibliotheksexpert*innen:
Abt. Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement
Josefsplatz 1
1015 Wien
Persönlich: Mo.– Fr. 9.00 – 21.00 Uhr
Tel.: +43 1 534 10-444
information[at]onb.ac.at
Live-Chat: Mo.-Fr. 9.00 – 21.00 Uhr
Workshops und Seminare zur Verbesserung Ihrer Recherchekompetenz
Aufgrund von Veranstaltungen wird der Prunksaal am Donnerstag, 24. Oktober bereits um 18 Uhr, am Freitag, 1. November bereits um 16 Uhr und am Donnerstag, 14. November bereits um 18 Uhr geschlossen.
Die Lesesäle am Heldenplatz bleiben am Samstag, den 2. November, geschlossen.