Vor 100 Jahren am 15. Mai 1924 verstarb der Volksmusikforscher Konrad Mautner, 2018 erwarb das Österreichische Volksliedwerk ein Konvolut aus seinem Nachlass.
Autor*innen: Erna Ströbitzer und Teresa Hellweger
Conrad David Mautner wurde am 23. Februar 1880 als Sohn einer jüdisch-großbürgerlichen Familie geboren; seine Familie besaß eines der größten Textilunternehmen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Sommerfrische verbrachten die Mautners, wie die meisten wohlhabenden Familien, am Land. Hier, in Gössl/Grundlsee (Steiermark), standen die Kinder mit den Einheimischen und deren Kultur in engem Kontakt und vor allem Konrad Mautner entwickelte eine tiefe Verbundenheit mit dem ländlichen Leben. Konrad Mautner war auf dem Land trotz seines Engagements im volkskulturellen Bereich auch mit teils subtilem, teils offenem Antisemitismus konfrontiert. Zeit seines Lebens trug der Industrielle und Volkskunde- und Volksmusikforscher diesen Konflikt in sich: der Wunsch nach einem friedlichen Leben als „Landmensch“ in Gössl auf der einen und seine städtische, großbürgerliche Herkunft auf der anderen Seite.1
Nach Konrad Mautners Tod am 15. Mai 1924 verwaltete seine Witwe Anna Mautner (1879–1961) den Nachlass, setzte seine volkskundlichen Forschungen weiter fort und produzierte in den 1930er-Jahren Trachtenstoffe für den Lebenserhalt ihrer Familie. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Familie Mautner trotz des Bekenntniswechsels zum Protestantismus aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln verfolgt. Durch die Anführung der Trachtensammlung bei der vorgeschriebenen Vermögensanmeldung für die jüdische Bevölkerung wurde der damalige Direktor des Volkskundemuseums Arthur Haberlandt auf die Sammlung aufmerksam. So wurde deren Großteil am 5. August 1938 durch die Gestapo konfisziert und gelangte ins Volkskundemuseum Wien. Im Jahr 1939 gingen weitere Gegenstände in den Bestand des Museums über.2
Um die Jahrtausendwende wurde durch einen Artikel in der „New York Times“ eine überfällige Debatte um während der NS-Zeit geraubte Objekte initiiert. Im Zuge dessen beschloss das Volkskundemuseum Wien 2014, systematische Provenienzforschung im eigenen Bestand zu betreiben.3 Während dieses Unterfangens konnten auch Bestände der Familie Mautner zugeordnet werden. 2016 verfasste die Provenienzforscherin des Volkskundemuseums, Claudia Spring, das Dossier Mautner. Ab 2018 wurde die Sammlung auf Empfehlung des Kunstrückgabebeirates vom Volkskundemuseum an die Erben restituiert.4 5
Von diesen – als Stellvertreter der Familie fungierte Stephen M. Mautner – erwarb das Österreichische Volksliedwerk am 25. Juni 2018 ein Konvolut (ÖMV/87.591 und 87.592), welches vor allem handschriftliche Lieder, aufgezeichnet von Konrad Mautner, Notizen, Korrespondenzen und Skizzen zum „Steirischen Trachtenbuch“ beinhaltete.6 Es erhielt die Signatur ÖN 18 und wurde im Rahmen des Universitätslehrgangs „Library and Information Studies“7 im Anschluss größtenteils digitalisiert – und für die Melodierecherche in der Volksmusikdatenbank der Volksliedarchive Österreichs verfügbar gemacht.8
Der Teilnachlass ergänzt und bereichert einen kleinen, bereits vorhandenen Bestand im Archiv des Österreichischen Volksliedwerkes zu Konrad Mautner, welchen Irene Egger, die Geschäftsleiterin des Österreichischen Volksliedwerkes, 2017 in ihrer Abschlussarbeit zum Postgradualen Lehrgang „Kunst- und Kulturrecht“ einer Provenienzforschung unterzog.9 Die Ergebnisse flossen in ein Dossier zu Konrad Mautner an der Österreichischen Nationalbibliothek. Es handelt sich um Korrespondenzen mit Volksmusikforschern wie Karl Kronfuß (1858–1923), Einsendungen von handschriftlichen Musik-, Lied- und Tanzaufzeichnungen an Raimund Zoder (1882–1963) und Karl Liebleitner (1858–1942) sowie Widmungsexemplare und mit Konrad Mautners Exlibris10 versehene Bücher.
Ab ca. 1907 stand Konrad Mautner mit Vertretern der Volkskunde in Kontakt und arbeitete mit etablierten Volksliedforschern wie Karl Kronfuß, Josef Pommer und Raimund Zoder zusammen. Er war ab 1911 Mitglied im Arbeitsausschuss für das deutsche Volkslied in der Steiermark, in den letzten Jahren des Ersten Weltkrieges für die Soldatenliedersammlung der Musikhistorischen Zentrale beim k. und k. Kriegsministerium abkommandiert und ab 1920 korrespondierendes Mitglied im Wiener Verein für Volkskunde.11 Ein in seiner Publikation „Alte Lieder und Weisen aus dem Steyermärkischen Salzkammergute“ spürbarer Einfluss der auf das „Echtheitskriterium“ fokussierten Volksmusikforschung jener Zeit ist sicherlich auch auf Konrad Mautners vermehrten Austausch mit Pommer und Zoder zurückzuführen.12
Obwohl aus seinen Notizen und Publikationen Belesenheit und ein akribisches Quellenverständnis spricht, sah sich Konrad Mautner nicht als Wissenschaftler, sondern als „Dilletanten“, als jemanden, der sich „mit Vorliebe“ zu einem Gegenstand hingezogen fühlt.13 Er positionierte sich als „Grundlsee-Experte“, der auch die Einflüsse der städtischen Sommergäste besorgt beobachtete und einen „(volks)kulturellen Niedergang durch technischen und sozialen Wandel” befürchtete14, und zog klar die „gemütsvolle“ bäuerlich-ländliche Kultur einer „herzlosen, kalten und kulturlosen"15 städtischen vor. Für die dargebotene Unterhaltungsmusik von Wiener Volkssängern fand er beispielsweise ungewohnt geringschätzige Worte.16
Konrad Mautner interessierten die Musik, die Mundart, der Tanz, Brauch und Tracht vor allem der Bewohner*innen des Salzkammergutes, was er in Form von Aufzeichnungen, Illustrationen, Fotografien,17 Tonaufnahmen mittels Phonographen und gegenständlichen Sammlungen dokumentierte und veröffentlichte. Dabei zeigt sich ein spielerischer Zugang und sein Sinn für Humor, Sprache und pointierte Menschenbeobachtungen. Verbundenheit und Respekt zu Konrad Mautners „zweiten Heimat“ werden u. a. im Nicht-Zurückhalten der Quellen, der Nennung nicht nur der Kulturschaffenden, sondern auch all jener Menschen, die für ihn aufzeichneten und beim Transkribieren halfen, augenscheinlich. Und Seraphine Ainhirn fügte am Schluss ihres Briefes mit Bericht über eine Phonogrammaufnahme hinzu: „Noch lustiger wäre es gewesen, wen [sic!] du bei diesen Partien auch dabeigewesen wärst.“18
Phonogrammaufnahmen von Hermann Köberl vulgo Veit für Konrad Mautner, 1917: Arbeitsrufe der Holzknechte in Gössl und Landler gespielt auf Steirischer Harmonika, Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, Ph 4265-4266
Über die Autor*innen: Frau Mag. Erna Ströbitzer und Frau Teresa Hellweger BA sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Archiv des Österreichischen Volksliedwerkes.
Abb. 1: Zitat aus: Gerlinde Haid: Mautner, Konrad. In: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 10.10.2022, abgerufen am 6.5.2024), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d904.
Abb. 2: Katalogisat/Digitalisat
Abb. 3: Vgl. Konrad Mautner: Die Ausseer Tracht. In: Zeitschrift für österreichische Volkskunde 16 (1910), S. 145-159.
1 Vgl. Gerhard Milchram: Konrad Mautner und Eugenie Goldstern. Identitätsstiftung in den Alpen oder universale Ethnologie? In: Hanno Loewy u. Gerhard Milchram (Hg.): „Hast du meine Alpen gesehen?“ Eine jüdische Beziehungsgeschichte. Hohenems 2009, S. 158f.
2 https://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Mautner_Anna_2016-10-05.pdf (10.5.2024).
3 Vgl. Kathrin Pallestrang, Magdalena Puchberger u. Maria Raid (Hg.): Gesammelt um jeden Preis! Warum Objekte durch den Nationalsozialismus ins Museum kamen und wie wir damit umgehen. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Volkskundemuseum Wien von 22. April bis 26. November 2023 (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde 108). Wien 2023, S. 53-65.
4 https://www.lexikon-provenienzforschung.org/mautner-anna-constanze (10.5.2024).
5 Kathrin Pallestrang: Die Sammlung Mautner: entzogen – restituiert – geschenkt. In: Pallestrang / Puchberger / Raid (Hg.): Gesammelt um jeden Preis, S. 126f.
6 Nino Gude u. Valentina Wölken: Feinerschließung des Teilnachlasses von Konrad Mautner (1880-1924) im Archiv des Österreichischen Volksliedwerkes. Projektarbeit. Wien 2019, S. 2. Anna Mautner veröffentlichte das zweibändige Trachtenbuch mit Viktor Geramb 1932, also 8 Jahre nach Konrad Mautners Tod.
7 https://www.onb.ac.at/sammlungen/archiv-des-oesterreichischen-volksliedwerkes/nachlaesse/konrad-mautner, https://volksliedwerk.at/konrad-mauthner-1880-1924/ (10.5.2024).
8https://onb.digital/search/411527
9 Irene Egger: Ex Libris Konrad Mautner. Provenienzforschung zu Konrad Mautner im Archiv des Österreichischen Volksliedwerkes. Wien [2017].
10https://www.exlibris.or.at/?page_id=336
11 Eva Maria Hois: Die Musikhistorische Zentrale - ein Kultur- und Zeitdokument ersten Ranges. Die Soldatenliedersammlung beim k. u. k. Kriegsministerium im Ersten Weltkrieg. Geschichte - Dokumente - Lieder (=Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums, 17). Wien 2012, S. 116.
12 Vgl. Alte Lieder und Weisen aus dem Steyermärkischen Salzkammergute. Wien 1919 (1913), Vorrede XI; Adam Konturner und Zeno Drudmair: Ein Hundert alte Lieder fürs Landvolk in 50 fliegenden Blättern. Wien o.J., [Vorwort].
13 Vortragstyposkript 9. Februar 1922, ÖN 18-(3)-1,03.
14 Magdalena Puchberger: Konrad und Anna Mautner: Volkskundliche Forschungen und Anwendungen. In: Gesammelt um jeden Preis, S. 110. Vgl. Konrad Mautner: Alte Lieder und Weisen aus dem Steyermärkischen Salzkammergute. Wien 1919 (1913), Vorrede IX.
15 ÖN 18-(3)-1,03.
16 Iris Mochar: Von Volksliedgesang, Volkssängern und Volkssängerinnen im Wien der Zwischenkriegszeit. Wandlungsprozesse in einem volkskundlichen und ideologisch motivierten Spannungsfeld. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 118 (2015), S. 3-39, hier S. 3f. Sie zitiert Mautner aus seinem Aufsatz: Steirische Tanzlieder vor 100 Jahren. In: Das deutsche Volkslied 22 (1920), S. 57.
17 Siehe z.B. Alexia Weiss: Ein anderer Blick auf Konrad Mautner. In: Wina - Das jüdische Stadtmagazin, April 2024, https://www.wina-magazin.at/ein-anderer-blick-auf-konrad-mautner/ (6.5.2024).
18 ÖN 18-(2)-3,08.
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