Die Hocharistokratie als Wohltäterin. Das Karussell 1863 in der Winterreitschule

Forschung

31.01.2024
Bilder und Grafiken, Das besondere Objekt
Fotoalbum mit schwarz-weißen Fotos von Menschen als orientalische Damen oder Ritter verkleidet.

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Österreichs Aristokratie präsentiert vor Publikum fantasievolle Reitvorführungen im Rahmen eines sogenannten 'Carousels.' Der Erlös kommt Arbeitslosen zugute.

Autorin: Michaela Pfundner

Was ist ein Karussell? Ein Ringelspiel? Nein!

„Carrousel, ein öffentliches Ritter=spiel, welches zu Wagen selten, zu Pferde aber gemeiniglich angestellet wird. Man kleidet sich dabey nach Art der alten Ritter, und theilet sich in verschiedene Nationen.“1

Unter den vor 1863 abgehaltenen Karussellen erlangte das Damenkarussell von 1743 anlässlich der erfolgreichen Rückeroberung von Prag besondere Bekanntheit. Es wurde unter aktiver Beteiligung von Kaiserin Maria Theresia in der Winterreitschule abgehalten.  

Damenkarussell 1743 in der Winterreitschule. Fotografie nach Gemälde.

Karussell 1863

Das Karussell 1863 war eine Wohltätigkeitsveranstaltung des österreichischen Hochadels, die auf Initiative von Fürstin Eleonore Schwarzenberg ins Leben gerufen und von Nikolaus Graf Török organisiert wurde, der bereits erfolgreich das Karussell 1853 auf die Beine gestellt hatte. In fantasievoller historisierender Kleidung als österreichische Kreuzritter bzw. Sarazenen wurden in der Winterreitschule Reitvorführungen von Mitgliedern der österreichischen Hocharistokratie vor zahlendem Publikum präsentiert. 

Diese Charity-Veranstaltung fand zugunsten „der durch andauernden Arbeitsmangel bedrängten Familien von Gewerbsleuten“ statt. In erster Linie handelte es sich dabei um arbeitslos gewordene Weber, die von den Auswirkungen des amerikanischen Bürgerkriegs betroffen waren. Baumwolle gelangte nicht mehr im gewohnten Ausmaß nach Europa, daher verzeichneten die textilverarbeitenden Betriebe einen geringeren Bedarf an Arbeitskräften. Das bereits erwähnte Karussell 1853 stand unter dem Motto Ritter und Sarazenen“ und wurde „mit einem freiwilligen Beitrage für die Armen Wiens“2 zweimal veranstaltet.

Vinzenz Katzler, Karussell 1853 in der Winterreitschule. Handkolorierte Lithografie.

Andere Themen, die ebenfalls einen historischen Bezug zum Haus Habsburg hatten, wurden für das Karussell 1863 in Erwägung gezogen, aber letztlich verworfen. Daher wurde das Thema von 1853 doch wieder aufgenommen. Möglicherweise spielte der Kostenfaktor dabei eine Rolle, da die Kostüme des vorherigen Karussells wiederverwendet werden konnten.3 Trotzdem vermerkten Zeitungsberichte, dass für die luxuriösen Kleider erneut tief in die Tasche gegriffen werden musste.4

An der Generalprobe sowie an allen drei Aufführungen im März 1863 nahm das österreichische Kaiserpaar mit den beiden Kindern Gisela und Rudolf in der Hofloge teil, begleitet von zahlreichen weiteren Mitgliedern des Kaiserhauses. Zu den Besucher*innen zählten Vertreter*innen des österreichischen Hochadels, des Militärs und der Wiener Gesellschaft. Der Bankier Simon von Sina etwa erwarb für die erste Vorstellung fünf Sitzplätze für 500 Gulden.5 Die Veranstaltungen waren trotz der hohen Preise rasch ausverkauft. Auf den Galerien kam es zum Gedränge um die besten Plätze, so wurde unter anderem dem „wackeren Bürgermeister Dr. Zelinka ein schöner neuer Hut gänzlich zerdrückt“6. Bereits am Nachmittag drängten sich zahlreiche Schaulustige am Josefs- und Michaelerplatz, um zumindest einen flüchtigen Blick auf die prächtig gekleideten Teilnehmer*innen zu erhaschen. 

Sechs Ritter- und sechs Sarazenenpaare wurden aus Mitgliedern des österreichischen Hochadels gebildet. Die Erzherzoge Ludwig Viktor, Wilhelm, Albrecht und Leopold waren an ihrem Helmbusch mit Pfauenfedern leicht erkennbar. Die Ritter waren im Stil der Kreuzfahrer gekleidet, während die Sarazenen orientalische Gewänder mit weißen langen Mänteln trugen.

Vinzenz Katzler, „Carrousel in der k.k. Hofreitschule“. In: Waldheims Illustrirte Zeitung, 28.3.1863

Die knapp zweistündige abendliche Vorführung wurde von 400 Gasflammen beleuchtet und umfasste Quadrillen, Trab- und Galopptouren sowie einen Waffentanz.7 Ein eigens für diese Veranstaltung komponierter Ein- und Auszugsmarsch wurde gespielt8. Insgesamt waren 233 Personen und 170 Pferde an der Veranstaltung beteiligt, darunter Herolde, Trompeter und Lanzenträger. 

Die Zeitungen übertrafen sich in ihren Berichten über die Pracht und Farbenvielfalt der Kostüme und die ausgefeilte Choreografie dieses spektakulären Ereignisses. Besondere Aufmerksamkeit und allgemeine Bewunderung erlangten vor allem die kostbaren Kleidungsstücke und der prächtige Schmuck der zwölf hochadeligen Damen: „Da glitzert und strahlt nun Stirne, Hals und Brust und an den Handknöcheln, das ist ein Strahlenmeer von Diamanten und Perlen, das Einem da entgegenfunkelt; das ist eine Pracht in den Kleiderstoffen, daß man nicht zu viel sagt, wenn man den Werth dessen, was auf dieser Tribune zur Schau getragen wird, allein auf eine Million und darüber aufschlägt.“9

Ludwig Angerer, Fürstin Wilhelmine Auersperg.

Nach dem ersten Abend des Karussells organisierte Fürst Auersperg in seinem Palais ein Mittelalterfest für die adeligen Teilnehmer*innen. Selbst die Kleidung der Dienerschaft und das Geschirr waren „authentisch“. Es ist anzunehmen, dass Trinkgläser dieses Fests später als Requisiten bei den Fotos der Protagonist*innen im Atelier dienten.

Ludwig Angerer, Erzherzog Ludwig Viktor mit Zinnkrug als Requisite.

Einzig bei den Mahlzeiten verzichtete man auf eine mittelalterliche Inszenierung: „Das Mahl war exquisit, man servirte unter Anderem zolldicken (konservirten) Spargel, der eigens aus Berlin und Paris herbeigeschafft wurde.“10

An den drei Vorstellungen nahmen mehr als 3 000 zahlende Gäste teil, als Reingewinn wurden 33 212 Gulden „zum Besten der brodlos gewordenen Weber“ zur Verfügung gestellt, das wären nach heutiger Rechnung ca. 492 000 Euro11. Das Kaiserpaar spendete je 1 000 Gulden, die Erzherzoge und Erzherzoginnen je 300 Gulden12

„Das Carroussel ist vorüber, die Erinnerung daran wird aber noch lange in der Phantasie derer leben, die es gesehen, und in dem dankbaren Herzen derer, welchen, so sind wir überzeugt, durch diesen hochherzigen Act des Hofes und der Aristokratie eine reiche Quelle der Unterstützung zu Theil werden muss.“13

Karussell-Fotos 

Ludwig Angerer (1827–1879) war der erste österreichische Hoffotograf und der Schöpfer des einzigen gemeinsamen Familienfotos der „Allerhöchsten Kaiserfamilie“ im Jahre 1860.

Ludwig Angerer, Selbstporträt, vermutlich 1860.

In seinem Atelier, das sich auf die damals in Mode gekommene „Carte de Visite“-Fotografie spezialisierte, haben sich Kaiserin Elisabeth, Kaiser Franz Joseph sowie Mitglieder des österreichischen Adels und Persönlichkeiten aus Kunst, Politik und Gesellschaft ablichten lassen. Angerers ikonische Fotografien der Kaiserin Elisabeth trugen maßgeblich zum Mythos ihrer Schönheit bei. In den 1860er Jahren galt das Atelier von Ludwig Angerer als das vornehmste und angesagteste in Wien. Sein beruflicher Erfolg ermöglichte ihm den Bau eines herrschaftlichen Hauses in der Wiener Theresianumgasse mit einem großzügigen Glasatelier sowie einem ausgedehnten Garten für Außenaufnahmen.14

Als besonders prestigeträchtiger Auftrag erwies sich für Ludwig Angerer 1863 die Fotoserie der Teilnehmer*innen des „Caroussels“, die schon vorab in den Zeitungen avisiert wurde. „Es wird nämlich beabsichtigt, sämmtliche Teilnehmer des Caroussels in ihren Costüms photographiren zu lassen und in einem Album zu vereinigen.“15 Schon knapp einen Monat später wurden Visitkartenbilder sämtlicher teilnehmender Adeligen in ihren kostbaren Kostümen in den Kunsthandlungen angeboten. Diese umfassten Atelieraufnahmen von Einzelpersonen und Gruppen, aber auch außergewöhnliche Fotografien der Aristokrat*innen zu Pferd, aufgenommen im großzügigen Garten des Hauses Angerer.

Ludwig Angerer, Gruppenbild aristokratischer Damen.
Ludwig Angerer, Fürstin Marie Kinsky und Herzog Alexander von Württemberg zu Pferd.

Die Bilder dieses Ereignisses ordnete man in eigens dafür gefertigte Steckalben, in denen unter den einzelnen Fotos noch Platz für individuelle Beschriftung blieb. 

Die zeitgenössische Presse schwärmte in höchsten Tönen: „Diese Photographien sind die schönsten, die aus dem berühmten Atelier Angerer hervorgegangen und zeichnen sich durch Schärfe, Plastik und Reinheit der Reproduktion als durch Wärme und Schönheit des Tones aus. Sie sind eine Zierde für jedes Album und eine angenehme Erinnerung an das glänzende Carousel für Jeden, der dasselbe zu sehen Gelegenheit hatte, sowie sie Jedem, der es nicht sah, ein treues Bild der pittoresken mittelalterlichen Costume vor Augen zaubern.“16

Nachfolgende Karussell-Veranstaltungen 

Bis zum Ende der Monarchie wurden in der Winterreitschule noch zwei weitere Karusselle veranstaltet. Im Jahr 1880 fand ein Jagdkarussell in Renaissancekostümen statt, bei dem erneut das Kaiserhaus und der österreichische Hochadel beteiligt waren. Die Organisation lag wieder in den bewährten Händen von Graf Török. Die Einnahmen dieser Veranstaltung kamen Hochwassergeschädigten zugute.17 Die Fotos der Protagonist*innen, deren Kleidung vom Makart-Festzug des Jahres 1879 inspiriert war, wurden vom renommierten Fotografen Wilhelm Burger angefertigt.

Wilhelm Burger, Erzherzog Wilhelm beim Jagdkarussell 1880.

Im Jahr 1894 wurde ein Karussell veranstaltet, das thematisch in der Barockzeit angesiedelt war. Der Reinerlös diente der Errichtung eines Heimes für Lungenkranke.18 Unter den prominenten Mitwirkenden befand sich auch der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand.

Gruppenfoto anlässlich des Karussells 1894, stehend 4.v.r. Erzherzog Franz Ferdinand.

Die Teilnehmer*innen dieses Karussells wurden in ihren historischen Kostümen im Atelier Pietzner fotografiert. Zeichnungen dieser Fotos wurden über mehrere Wochen als Titelbilder des „Wiener Salonblatts“ veröffentlicht.  

Über die Autorin: Frau Mag. Michaela Pfundner ist stellvertretende Leiterin des Bildarchivs und der Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.

 

Fußnoten

1 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste. Halle und Leipzig, Band 5, 1733, Sp.1148.

2 Die Presse, 24.5.1853, S.3.

3 Mario Döberl, Ritterspiel, Geschichtspolitik und Charity. In: Krause, Pfaffenbichler (Hg.), Turnier: 100 Jahre Ritterspiele, München, Wien 2017, S.310.

4 Ostdeutsche Post 12.3.1863, S.3.

5 Ostdeutsche Post 19.3.1863, S.3.

6 Das Vaterland 18.3.1863, S.1.

7 Programm in: Neue Militärische Zeitschrift, Band 1, Sechstes Heft 1863, S.427f.

8 MS9644-4°/1 MUS MAG.

9 Mährischer Correspondent 18.3.1863, S.5.

10 Fremdenblatt 22.3.1863, S.5.

11 Historischer Währungsrechner https://www.eurologisch.at/docroot/waehrungsrechner/#/ (abgerufen 15.1.2024).

12 Tetschner Anzeiger 28.3.1863, S.4.

13 Das Vaterland 19.3.1863, S.1.

14 Zu Angerer siehe weiterführend: Michaela Pfundner, Ludwig Angerer, Court Photographer. In: Bischof, Kofler, Petschar (Hg.), Visual Histories of Austria. New Orleans 2021 (Contemporary Austrian Studies, Vol.30), S.71-89 bzw. Michaela Pfundner, Der Fotograf des Kaiserhauses. Ludwig Angerer (1827-1879), Schleinbach 2022.

15 Fremdenblatt 15.3.1863, S.4.

16 Salzburger Zeitung 27.4.1863, S.3.

17 Sport und Salon 25.4.1880, S.2.

18 Wiener Salonblatt 14.1.1894, S.4.

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