Autorin: Lydia Jammernegg
Seit 1992 leitet Ariadnes Faden durch das Feld der Frauen- und Geschlechterforschung an der Österreichischen Nationalbibliothek. Der Name ist Programm und angelehnt an die griechische Mythologie, wo Ariadne mit einem Fadenknäuel dem Theseus half aus dem Labyrinth des Minotauros wieder herauszufinden. Ein Rück- und Ausblick zum 30-jährigen Jubiläum.
Seit drei Jahrzehnten sammelt, dokumentiert und digitalisiert Ariadne frauenspezifische, geschlechtertheoretische und feministische Literatur im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek und bietet Rechercheunterstützung an. Aus dem Anliegen den aktuellen und historischen Genderbestand der Österreichischen Nationalbibliothek sichtbar und zugänglich zu machen, entwickelte sich im Laufe der Jahre ein umfangreiches frauen- und genderspezifisches Wissensportal.
Entstehungsgeschichte
Entstanden ist Ariadne im Kontext der sogenannten Zweiten Frauenbewegung und der Etablierung der Frauenforschung an den österreichischen Universitäten im Laufe der 1980er-Jahre. Universitätsbibliotheken und die Österreichische Nationalbibliothek begannen ab den 1990er-Jahren die Frauen- und Geschlechterforschung als Sammelschwerpunkt aufzugreifen. Im Zuge dessen wurde Ariadne 1992 als ‚frauenspezifische Informations- und Dokumentationsstelle‘ an der Österreichischen Nationalbibliothek eingerichtet. Zu dieser Zeit hatte die Österreichische Nationalbibliothek erstmals eine Generaldirektorin, Magda Strebl.
Vorausgegangen war eine „Durchführbarkeitsstudie zur Errichtung einer Dokumentations- und Informationsstelle für frauenspezifische Literatur“ (Vgl. Fennesz, Wille 1986). Diese untersuchte Rahmenbedingungen und Erfordernisse für eine Umsetzung. Die Studie konstatierte „… eine immer größere Nachfrage nach Forschungsliteratur und deren professioneller Aufarbeitung von Seiten der Benützer*innen an die institutionalisierten wissenschaftlichen Bibliotheken.“ (Hofmann-Weinberger / Wille 1997: 104) Die Literaturproduktion im Bereich Frauenforschung war stark im Ansteigen. Mit neuen Konzepten, feministischem Anspruch und in Anlehnung an Vorbilder wie beispielsweise den FrauenMediaTurm in Köln begann Ariadne zu Jahresbeginn 1992 ihre Arbeit mit dem Ziel, Wegweiser durch die Frauenliteratur zu sein.
Dass Ariadne der Abteilung für Benützung und Information der größten Universalbibliothek Österreichs zugeordnet ist, trägt ihrem Anspruch Rechnung, nah an den Benutzer*innen zu sein, als Schnittstelle zur Frauen- und Geschlechterforschung. Die Gründungsfrauen Christa Bittermann-Wille und Helga Hofmann-Weinberger machten Ariadne zu einem „Ort für Frauen und ihre Informationsbedürfnisse“ (Bittermann-Wille / Hofmann-Weinberger 2008: 143). Aktuell stehen Andrea Gruber und Lydia Jammernegg, die Autorin dieses Beitrags, für Kontinuität und Weiterentwicklung.1
Sammeln – Dokumentieren – Informieren
So definierten Christa Bittermann-Wille und Helga Hofmann-Weinberger ihre Arbeitsfelder schon in einem der ersten Folder von Ariadne aus dem Jahr 1994.
Für die Ariadne-Frauen „stellte sich zunächst die Aufgabe, die Literaturproduktion der Frauen- und Geschlechterforschung und ihrer Grenzgebiete intensiv zu sammeln, zu erschließen und auffindbar zu machen“ (Bittermann-Wille / Hofmann-Weinberger: 2008, 144). Ein erster Schritt war diese Literatur zu identifizieren. Feministische und Frauenliteratur erschien damals in Zeitschriften, Sammelbänden und Ausstellungskatalogen als sogenannte ‚unselbständige‘ Literatur. Diese Artikel und Aufsätze waren sozusagen ‚versteckt‘, weil sie in die Bibliothekskataloge nicht aufgenommen wurden und daher auch nicht suchbar waren. Daher entwickelten Frauenbibliotheken, -archive und -dokumentationsstellen neue methodische Zugänge, wie eine feministische Beschlagwortung. Auch Ariadne baute einen eigenen Schlagwortindex auf, um die spezifisch feministischen Inhalte damit beschreiben zu können.
Weiters brauchte es eine eigene Datenbank. „Der Einzug computerunterstützter Bibliotheksarbeit machte die Erstellung spezialisierter Datenbanken – Hauptziel einer Dokumentationsstelle – erst möglich.“ (Hofmann-Weinberger / Wille 1997: 104). Erst mit der eigenen Datenbank konnte Ariadne die ‚unselbständige‘ Literatur professionell und feministisch beschlagworten und recherchierbar machen. Daher waren von Beginn an die EDV- und die Erwerbungsabteilung wichtige hausinterne Partner*innen. Heute ist die Ariadne-Datenbank im Bibliothekskatalog der Österreichischen Nationalbibliothek QuickSearch integriert. Rund 64.000 frauen- und genderspezifische, wissenschaftliche Aufsätze sind darin als „Sonderbestand Ariadne“ recherchierbar.
Über Neuerwerbungslisten werden zweimonatlich die eigenen Abonnent*innen über neu eingetroffene Bücher informiert.
Digitalisieren
Ariadne erkannte schon frühzeitig die Bedeutsamkeit technischer Entwicklungen für die eigene Arbeit. Christa Bittermann-Wille und Helga Hofmann-Weinberger „… eigneten sich die notwendigen Datenbank- und Software-Kenntnisse an, programmierten die HTML-Seiten für die Webpage, scannten die historischen frauenspezifischen Dokumente und luden diese als eigene Sammlung von Ariadne auf einen Server der Universität Innsbruck, als es an der ÖNB noch keine Objektdigitalisierungen gab.“ (Jammernegg 2016: 214)
Dokumente zu digitalisieren und dadurch im Volltext ortsunabhängig lesbar zu machen, war nach der Datenbank ein weiterer Meilenstein. Ab den 2000er-Jahren präsentierte Ariadne Digitalisate historischer Dokumente im Web. Vor allem die Digitalisierung von Frauenzeitschriften wird seitdem konsequent weiterverfolgt.
Diese Periodika – ob „Die Arbeiterin“, „Der Bund“ oder „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ – sind ein einmaliger Bestand, der aufgrund der Ablieferungspflicht seit der Habsburgermonarchie an der Österreichischen Nationalbibliothek vorhanden ist.
„Von der einfachen Linkliste zum frauenspezifischen Wissensportal“ (Bittermann-Wille / Hofmann-Weinberger: 2008, 145) – so benannten die Ariadne-Frauen die Entwicklung der eigenen Website seit Mitte der 1990er-Jahre.
Im Laufe der Jahre gewannen neue Kommunikationsformen und -wege immer mehr an Bedeutung. Dies zeigen auch eine eigene Kategorie im Forschungsblog Frau/Gender oder die Ariadne-Frau des Monats auf Facebook und Instagram.
Geschlechtergeschichte
„Ariadne war sich schon in den ersten Jahren ihres Bestehens darüber bewusst, dass in der Nationalbibliothek historische Bestände schlummern, die auch für die Frauen- und Geschlechterforschung äußerst wertvoll sind. Dieser Schatz sollte nach und nach gehoben und dokumentarisch fruchtbar gemacht werden.“ (Bittermann-Wille / Hofmann-Weinberger: 2003, 57) Als zentrale wissenschaftliche Bibliothek der Republik Österreich blickt die Österreichische Nationalbibliothek auf eine traditionsreiche Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurück und bewahrt dementsprechend auch einzigartige Dokumente zur Geschlechtergeschichte auf. Diese sind u.a. Grundlage für die Projekte „Frauen in Bewegung“ und „Frauen wählet!“.
Mit „Frauen in Bewegung 1848–1938“ wandte sich Ariadne den historischen Frauenbewegung/en der Habsburgermonarchie und Österreichs zu.
Ariadne hat für dieses Webportal hunderte von Biografien verfasst, Dokumente und Bildmaterial gesichtet sowie Publikationen digitalisiert. Rund 640 Personen und 400 Vereine werden zum Teil erstmalig präsentiert. An die 500 Zeitschriften und Bücher sind inzwischen zu dem Thema im Online-Dokumentenarchiv, das laufend erweitert wird, lesbar.
„Der Beitrag von Ariadne zur Erforschung der historischen Frauenbewegung/en besteht in der tiefgehenden Dokumentationsarbeit, die detaillierte Informationen zu Tage fördert ….“ (Jammernegg 2016: 211) Personen wie Yella Hertzka oder Olga Misař waren vor 20 Jahren noch weitgehend unbekannt und unbeforscht. Immer wieder sind biografische Daten in „Frauen in Bewegung“ Ausgangspunkt für Forschungsprojekte und Dissertationen oder auch Quellen für Einträge in biographische Lexika oder die Gemeinsame Normdatei.
Das ursprünglich vom Wissenschaftsfond FWF finanzierte Projekt, durchgeführt in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, wird heute von Ariadne weitergeführt. Forschungsergebnisse werden kontinuierlich eingearbeitet und das Webportal wird technisch weiterentwickelt, z.B. wurde 2021 ein Tool, das Vernetzungen von Personen und Organisationen visualisiert, eingebaut.
„Frauen in Bewegung“ leistet einen ganz wesentlichen und einmaligen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der historischen Frauenbewegung/en. Dies ist umso wichtiger als es in Österreich kein umfassendes physisches Archiv gibt.
2018 erstellte Ariadne zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts in Österreich die Online-Ausstellung „Frauen wählet!2. Diese war Ausgangspunkt für weitere Kooperationen zu diesem Themenbereich u.a. mit dem Österreichischen Parlament und dem Land Niederösterreich.
Mit diesen Aufarbeitungen im Web richtet sich Ariadne an Schüler*innen und Studierende, Universitätslehrende, Multiplikator*innen und frauengeschichtlich und – politisch Interessierte.
Ausblick
Ariadne hat von Beginn an in vielerlei Hinsicht Pionierinnenarbeit geleistet. Zur Erfolgsstrategie gehörte eine besondere Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien. Ebenso wichtig waren und sind die Zusammenarbeit im Haus und die Vernetzungen in die Frauenbibliotheks- und -archivszene.
Heute fungiert Ariadne als genderspezifisches Wissensportal und virtueller Leseraum: alle Informationen sind im Netz an einem Ort abrufbar. Neue Herausforderungen entstehen laufend, z.B. durch geänderte Publikationsformen. Es gilt weiterhin, innovative Lösungen zu finden, neue Zugänge und Kooperationen zu entwickeln, technische Entwicklungen aufzugreifen und so neue Projekte auf den Weg zu bringen.
Zum 20-jährigen Ariadne-Jubiläum 2012 hielt Alice Schwarzer, die den FrauenMediaTurm in Köln initiierte, an der Österreichischen Nationalbibliothek die Festrede, in der sie betonte, wie wichtig Kontinuität und Weiterentwicklung in der frauen- und genderspezifischen Informationsvermittlung sei, damit es nicht wieder zu Brüchen und Stillstand auf diesem Gebiet komme. Dafür steht Ariadne.
Über die Autorin: Mag.a Lydia Jammernegg ist Mitarbeiterin von Ariadne, frauen/genderspezifische Informations- und Dokumentationsstelle der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Das Team wurde zeitweise von Eva Zimmermann und Daniela Köck unterstützt sowie von zahlreichen Praktikantinnen und Volontärinnen.
2 Dies ist eine erweiterte und überarbeitete Version der Online-Ausstellung zu „85 Jahre Frauenwahlrecht“, die von Sonja Edler, Lydia Jammernegg, Julia Köstenberger und Brigitte Noelle 2004 erstellt wurde.
Literatur
Fennesz, Andrea / Wille, Christa (1987): Durchführbarkeitsstudie zur Errichtung einer Dokumentations- und Informationsstelle für frauenspezifische Literatur. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung
Website
Frauen in Bewegung 1848-1938. Biografien, Vereinsprofile, Dokumente
Frauen wählet! Zur Geschichte des Frauenwahlrechts
Bildmaterial digital