Schaurige Kriminalfälle erfreuen sich heutzutage größter Beliebtheit. Die Erscheinung eines neuen fesselnden Kriminalromans oder Crime-Podcasts zieht die Massen in den Bann. Aber auch reale Verbrechen stehen des Öfteren im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Denn je grausamer oder ungewöhnlicher das Delikt ist, desto wirkungsvoller wird das Verbrechen über die Medien verbreitet.
In diesem Blogbeitrag widmen wir uns zwei außergewöhnlichen True Crime-Stories, die schon etwas in der Zeit zurückliegen. Auch wenn die dargelegten Verbrechen mehrere hundert Jahre auseinander liegen, gibt es verbindende Elemente.
Unser erster Fall ereignete sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien. Am 17. November 1909 erteilte Generalstabshauptmann Richard Mader dem Offiziersburschen den Auftrag Nahrungsmittel zu besorgen. Als der Entsandte zurückkehrte, fand er den Offizier stöhnend am Boden liegend auf. Alle Versuche Mader zu retten scheiterten vergeblich – der Offizier starb noch am selben Abend. Obwohl keine suspekten Todesumstände auffielen, wurde eine Obduktion des 30-Jährigen angeordnet. Das Ergebnis der Analyse offenbarte mit der Feststellung des Todes durch eine Vergiftung mit Zyankali ein überaus überraschendes Resultat.
Berichten zufolge erinnerte sich ein Kamerad, dass der Hauptmann von einer Pillensendung gesprochen hatte, die dem Offizier als Werbemittel zugesandt worden war. Diese Information erwies sich als entscheidendes Detail für die weitere Mordermittlung und enthüllte eine unerwartete Wendung: Einige weitere Offiziere meldeten, dass sie ebenso solch eine Sendung erhalten, deren Inhalt aber glücklicherweise nicht eingenommen hatten. Anlässlich dieser dubiosen Umstände wurde die Zusammensetzung des vermeintlichen Arzneimittels begutachtet. Die Analyse der Zusammensetzung ergab, dass die Pillen Zyankali enthielten und nicht - wie in dem der Sendung beigefügten Brief deklariert – ein potenzsteigerndes Mittel, dessen „Wirkung verblüffend“ sei. Wegen diesem leicht anrüchigen Corpus Delicti der – vermeintlich - potenzsteigernden Pille und der Involvierung eines Militäroffiziers wurde der Mordfall zur bizarren Mediensensation.
Im Zuge der weiteren Ermittlung stellten die Behörden fest, dass nur jene Offiziere die Pillensendung erhalten hatten, die im Jahr 1905 ihre Ausbildung beendet hatten und in ihrem Rang schnell aufgestiegen waren. Aus diesem Grund rückten die restlichen Absolventen des Jahrgangs in das Zentrum des Verdächtigenkreises. Unter diesen war Oberleutnant Adolf Hofrichter der Hauptverdächtige. Hofrichter wurde von seinen Vorgesetzten als „krankhaft ehrgeizig“ beschrieben und war bei mehreren Beförderungen übergangen worden. Bei der darauffolgenden Durchsuchung der Wohnung des Oberleutnants wurden Zyankali, Leerkapseln, Tinte und Versandschachteln sichergestellt. Weiterhin wurde der Brief der Giftsendung einem Vergleich mit der Handschrift Hofrichters unterzogen, wobei einige Gemeinsamkeiten identifiziert wurden, die dem Angeklagten stark zur Last fielen. Die Tinte, die zum Verfassen des Schreibens verwendet wurde, glich zudem derjenigen, die im Zuge der Wohnungsdurchsuchung beschlagnahmt wurde. Die sichergestellten Objekte und die Analyse der Handschrift waren ausreichende Indizien, um Oberleutnant Hofrichter zu verhaften und anzuklagen. Ein Mord unter Mitgliedern der k.u.k Armee entfachte erneut das mediale Interesse an diesem brisanten Kriminalfall.
Da Hofrichter von den Militärbehörden verhaftet wurde, unterstand er dem Militärstrafrecht. In einem Prozess des Militärgerichts wird die Rolle des Richters, Anklägers und Verteidigers von ein und derselben Person bekleidet. Weiterhin hatte Hofrichter kein Recht auf eine direkte anwaltliche Vertretung. Obwohl das Gerichtsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, erlangte die Presse jedoch Kenntnis über vertrauliche Informationen, welche medienwirksam verbreitet wurden.
Nach fünf Monaten Haft folgte die überraschende Kehrtwende: Hofrichter legte am 26. April 1910 ein Geständnis ab, welches er aber nach nicht einmal zwei Wochen widerrief. Nichtsdestotrotz wurde der Angeklagte zu 20 Jahren Haft – dem höchsten anwendbaren Strafmaß – verurteilt.
Trotz der erdrückenden Beweislast gegen Adolf Hofrichter gab es auch so manche entlastende Indizien. Im Rahmen der Verhöre gab der Oberleutnant an, das Zyankali und die Leerkapseln als Anti-Wurm-Mittel für seinen Hund besorgt zu haben. Hofrichters Hund wurde infolgedessen tierärztlich untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass dieser tatsächlich unter Wurmbefall litt.
Hinsichtlich des Briefes sei noch erwähnt, dass die Tinte, mit welcher die Briefe verfasst wurden, eine in Militärkreisen übliche Schreibflüssigkeit war, die fast jeder Offizier besaß. Weiterhin ist es unklar, ob der Vergleich der Handschriften auf der Basis einer wissenschaftlichen Analyse erfolgte oder eher unkonventionell durchgeführt wurde. Zudem waren die im Zuge der Wohnungsdurchsuchung sichergestellten Versandschachteln nicht ident mit jenen der Giftsendungen.
Hofrichter wurde 1918 begnadigt und vorzeitig entlassen, da die Gefängniszeit während des Ersten Weltkrieges stärker gewichtet angerechnet wurde und er einer der wenigen Gefangenen war, die die Kriegslage nicht zur Flucht genutzt hatten. Hofrichter versuchte bis an sein Lebensende seine Unschuld zu beweisen, konnte jedoch – obwohl er sich dafür auch an prominente Journalisten wie Egon Erwin Kisch wendete – nichts erwirken. Ob Adolf Hofrichter wahrhaft schuldig ist oder nicht, wird wohl ein ungeklärtes Mysterium bleiben.
Für unseren zweiten Fall begeben wir uns ins späte 16. Jahrhundert. Der Name wird Ihnen vielleicht bekannt vorkommen, denn Elisabeth Bathory, besser bekannt als die „Blutgräfin“, gilt als die grausamste Serienmörderin aller Zeiten. Elisabeth Bathory wurde 1560 in eine der ältesten und mächtigsten ungarischen Adelsfamilien geboren. Sie litt seit ihrer Kindheit an Epilepsie, was damals als Zeichen der dämonischen Besessenheit interpretiert wurde. Zudem wird in manchen Quellen erwähnt, dass sie als Kind Zeugin der Vergewaltigung und Hängung ihrer Schwester wurde und von ihren Verwandten in Satanismus und Folter unterrichtet wurde.
Die Adelige heiratete im Jahr 1575 Franz Nadasdy. Das Ehepaar zog in die Csejte vára, den Stammsitz der Familie Nadasdy. Ihren ersten Mord soll Bathory an einer Küchenmagd verübt haben, als sie diese mit ihrem Geliebten in flagranti erwischt hat. Über die nächsten Jahre erprobte die Blutgräfin verschiedene Foltermethoden – eine grausamer als die andere. Die Beteiligung von Franz Nadasdy ist umstritten. Einigen Legenden zufolge hätte Bathory gemeinsam mit ihrem Ehegatten gefoltert. Andere Überlieferungen besagen, dass dieser bei der Entdeckung der Taten seiner Frau entsetzt reagiert hätte. 1604 starb Franz Nadasdy und hinterließ Elisabeth Bathory ein immenses Vermögen.
Mit Aussicht auf eine großzügige Entlohnung lockte die Gräfin ihre zukünftigen Opfer – meist junge Mädchen – in ihre Falle. Dabei streckte sie ihre „Krallen“ bis nach Wien aus, wo die Adelige oft verweilte. Die Wiener Nachbarschaft wurde gerüchteweise öfters durch Schreie in der Nacht geweckt. Bei einem ihrer Aufenthalte in Wien lud Bathory die ungarische Sängerin Ilona Harczy für eine Privatvorstellung in ihre Wohnung ein, die jedoch abgelehnt wurde. Daraufhin ließ die verschmähte Gräfin Harczy von ihren Dienstboten entführen und folterte sie stundenlang, bis die Frau zu Tode kam.
Gegen 1609 erweiterte Bathory ihren Opferkreis um Töchter des niederen Adels. Diese Verbrechen erregten größeres Aufsehen, sodass der König von Ungarn, Matthias II., seinen Palatin Georg Thurzo mit den Ermittlungen gegen die Gräfin beauftragte. Schließlich reiste Thurzo Ende 1610 zur Burg Csejte vára, um Bathory zu verhaften. Bei der Durchsuchung der Burg soll der Palatin Tote, Verletzte und Gefangene gefunden haben. Ob – wie einigen Mythen zufolge – es sich dabei wirklich um Leichenberge handelte, ist nicht belegbar.
Schon im Jänner des folgenden Jahres begann der Prozess gegen die Adelige. Ihr wurden 80 Morde zur Last gelegt, wobei die Opferzahl womöglich deutlich höher ausfiel. Das Gerichtsverfahren dauerte bis Ende Februar 1611 an, da knapp 300 Zeugenaussagen aufgenommen wurden. Bathory selbst wurde jedoch nicht vernommen. Letztendlich wurde die als schuldig Erkannte zur Strafe lebenslang in einen Turm eingemauert, wo sie nach drei Jahren Haft im Sommer 1614 tot aufgefunden wurde.
Trotz der erdrückenden Beweislast gibt es jedoch auch in diesem Fall so manche entlastende Indizien. So wurden die im Rahmen des Prozesses vernommenen Bediensteten bei ihren Verhören der Folter unterzogen. Die geschilderten Gräueltaten der Gräfin können zudem auch als brutale, missglückte Heilpraktiken ausgelegt werden, die zur damaligen Zeit gebräuchlich waren. Weiterhin wurde retrospektiv die Rolle des Palatins Thurzo in gewissen Quellen kritisch neu bewertet. Diese besagen, dass der höchste Vertreter des Königs wegen damaliger Kriege hohe Schulden bei Elisabeth Bathory hatte und er aufgrund dessen die Verurteilung der Gräfin angestrebt habe.
Nach den Kurzdarstellungen dieser beiden Kriminalfälle folgt ein kurzes Resümee, in dem wir uns vor allem auf die verbindenden Elemente beschränken. Beide Personen wurden in der damaligen Zeit ohne jegliche Skepsis verurteilt und in den zeitgenössischen Quellen als eindeutig überführt dargestellt. Eine Recherche in den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek und eine kritische Auseinandersetzung wecken jedoch so manchen Zweifel an der tatsächlichen Faktizität.
Neben der uneindeutigen Schuldfrage verbindet die beiden Verbrechen nicht nur der Schauplatz Wien. Sowohl Bathorys als auch Hofrichters Gewalttaten haben Literat*innen dazu bewogen, die schauderhaften Ereignisse belletristisch zu verwerten. So bildet der Fall Hofrichter die Basis für den Roman „Der Leutnant und sein Richter" von Maria Fagyas. Das Leben der Blutgräfin hingegen diente nicht nur oftmals zur literarischen Vorlage, sondern wurde ebenfalls in einigen Filmen und Computerspielen verewigt. In so manch einer phantastischen Darstellung wurde Bathory zudem auch als Vampirin reinterpretiert (u.a. "Die Chronik der Unsterblichen : [6] : Die Blutgräfin“ von Wolfgang Hohlbein).
Falls Sie Interesse haben sich in diese beiden spannenden Fälle selbst einzulesen, haben wir anschließend noch die Quellen unserer Recherche angefügt. Einige dieser Quellen sind aufgrund des abgelaufenen Urheberrechts online in unserem Portal ANNO verfügbar und unkompliziert abrufbar. Einige andere Werke der Literaturliste müssen Sie vorbestellen und können diese dann bei Ihrem nächsten Besuch in der Österreichischen Nationalbibliothek einsehen - wir wünschen Ihnen eine spannende Recherche!
Zu den Autor*innen: Alice Dominique, BA und Tobias Minar, BA sind Mitarbeiter*innen der Abteilung Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement und Vortragende im Center für Informations- und Medienkompetenz der Österreichischen Nationalbibliothek.
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Das interessante Blatt, diverse Ausgaben 1909-1910
Figaro, diverse Ausgaben 1909-1910
Illustrirtes Wiener Extrablatt, diverse Ausgaben 1909-1910
Kronen Zeitung, diverse Ausgaben 1909-1910
Pressburger, R: Zeitgeschichtliche Kriminalprozesse, 1937
Wiener Bilder, diverse Ausgaben 1909-1910
Winter, M.: Der Fall Hofrichter. Aus dem Notizbuch eines Journalisten, 1910
Wolflingseder, B: Dunkle Geschichten aus dem alten Österreich, 2013
Benda, R., Seyrl,H: Mörderisches Wien. City-Guide zu den Schauplätzen des Schreckens, 1997
Hasmann, G: Verbrecherisches Wien. kriminalistische Stadtspaziergänge, 2021
Lukacs, G. & Huber, P: Gruselhäuser. ein Blick in die Abgründe von Wien, 2014
Newton, M: Die große Enzyklopädie der Serienmörder, 2016
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