Autor: Tobias Dittmoser-Pfeifer
Halloween! Manche machen verkleidet als Geister, Mumien, Werwölfe oder Vampire die Gegend unsicher. Andere setzen sich hin, lesen ein Buch und greifen dabei, so wie wir, zu alten Klassikern wie Bram Stokers 1897 erschienenen Roman "Dracula".
Dass der im 15. Jahrhundert herrschende Woiwoden-Fürst Vlad III. Dracul, auch bekannt als „Der Pfähler“, als historische Vorlage für den titelgebenden Protagonisten Graf Dracula diente, ist weithin bekannt. Aber wie steht es mit dessen Gegenspieler, dem Arzt Abraham van Helsing? Gibt es auch für diese Romanfigur eine historische Vorlage? Im Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass niemand anderer als der Leibarzt von Maria Theresia, Gerard van Swieten, für Bram Stoker Pate für Draculas Widersacher stand.
Auf den ersten Blick mag man sich wundern, dass ein britischer Autor einen niederländischen Arzt, der in Österreich tätig war, als Vorlage für seinen vampirjagenden Protagonisten wählte. Es gibt aber einen guten Grund, warum gerade van Swieten für Bram Stoker Inspiration gewesen ist; hatte der Arzt und Verfechter der Aufklärung doch zu seinen Lebzeiten den Vampirismus oder zumindest den dahinter stehenden Mythos bekämpft. Dass sich der Leibarzt Maria Theresias mit diesem Thema beschäftigte, klingt im ersten Moment unglaubwürdig. Führt man sich aber den grassierenden Aberglauben jener Zeit in den südosteuropäischen Gebieten vor Augen, erklärt dies van Swietens Befassung mit dem Thema.
Bereits 1725 gelangte der erste Bericht über Vampirvorfälle bis zum Hofkriegsrat in Wien. Berichtet wird vom Kameralprovisor Frombald, der das Dorf Kisovola in Serbien besuchte, da angeblich dort der kürzlich verstorbene Peter Plogojowiz nachts sein Grab verlässt. Mehrere DorfbewohnerInnen gaben am Totenbett an, von ihm in der Nacht heimgesucht worden zu sein. Daraufhin wurde der Kameralprovisor mit Unterstützung eines Geistlichen gebeten, den Leichnam zu untersuchen. Bei der Exhumierung wurde festgestellt, dass der Körper nicht verwest war und Haare, Bart und Nägel gewachsen waren. Zusätzlich wird noch Folgendes festgehalten: „In seinem Mund hab nicht ohne Erstaunung einiges frisches Blut erblickt, welches, der gemeinen Aussag nach, er von denen, durch ihme umgebracht, gesogen“ (Hamberger 1992, S. 45).
Diese Erkenntnis des Gesandten hatte die Dorfbewohner*innen dermaßen erschüttert, dass sie dem alten Brauch folgend sofort einen Pfahl spitzten, diesen dem Verstorbenen ins Herz stießen und den Leichnam verbrannten. Der Kameralprovisor berief sich auf die große Furcht der Dorfbewohner*innen, weswegen er nicht eingriff. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch noch dessen Aussage, dass die Dorfbewohner*innen „in hoc casu gewöhnlichen Gebrauch“ (Hamberger 1992, S. 45) gehandelt haben. Das lässt darauf schließen, dass dies nicht der erste Vampirvorfall in der Region war.
Der Bericht wurde in Wien vom Hofkriegsrat aufgegriffen und weitere Untersuchungen befohlen, welche aber keine nennenswerten Erkenntnisse brachten. Dennoch schaffte es der Bericht in Zeitung:
Diesen Artikel aus dem Wienerischen Diarium, dem Vorläufer der Wiener Zeitung, nimmt der Leipziger Gelehrte Michael Ranfft zum Anlass, seine Dissertation „De masticatione mortuorum in tumulis“ zu verfassen. Diese Arbeit ist der Grundstein für die spätere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Vampirismus, gerät aber zunächst in Vergessenheit. Erst mit dem Aufkommen weiterer Vampirberichte wird die akademische Welt auf die Vorfälle im osteuropäischen Raum aufmerksam.Der nächste Vampirvorfall, der es bis in die kaiserliche Hauptstadt schaffte, kommt ebenfalls aus Serbien, diesmal aus dem Dorf Medwegya: Im Herbst 1731 mehrten sich in dem Dorf einige Todesfälle, die von den Dorfbewohner*innen auf Vampirattacken zurückgeführt wurden. Daraufhin entsandte der Kommandant den in der Nähe stationierten Contagions-Medicus Glaser, um diese Vorfälle zu untersuchen. Glaser kam zu dem Ergebnis, dass die lebendigen DorfbewohnerInnen keine nennenswerten Krankheiten aufwiesen. Daraufhin wurde er bedrängt, die Gräber der vermeintlichen Vampire zu untersuchen. Dabei gelangte der Medicus zu dem Schluss, dass der Zustand von einigen Leichen „halb suspect“ (Hemberger 1992, S.48) oder „sehr suspect“ (Hemberger 1992, S.48) sei, weshalb er in seinem Bericht den Kommandanten bat, die Leichen verbrennen zu lassen.
Der Kommandant leitete diese Bitte an das Belgrader Oberkommando weiter, dessen Verantwortlicher Prinz Carl Alexander von Württemberg zu diesem Zeitpunkt abwesend war. Dessen Vertretung wollte eine solch heikle Entscheidung nicht treffen und ließ sicherheitshalber eine zweite Untersuchung durchführen, diesmal vom Regimentsfeldscher Johann Flückinger. Dieser schildert nicht nur die Exhumierung und Untersuchung von 17 Toten, die als Vampire verdächtigt werden, sondern befasste sich auch mit dem Vampirglauben an sich. Am Ende seiner Untersuchungen genehmigte er die Verbrennung aller Leichen mit Vampirmerkmalen, die Übrigen ließ er wieder bestatten.
Spannend an diesen Berichten aus dem Jahr 1731 ist, dass der Begriff „Vampir“ deutlich öfter verwendet wurde als im zuvor erwähnten von 1725 und auch schon in eingedeutschter Form aufscheint.
Diese beiden Berichte sind es auch, die den „Vampiren“ größere Aufmerksamkeit in der Wissenschaft verschafften. Einerseits liegt das daran, dass die Berichte deutlich ausführlicher sind als der Bericht Frombalds 1725, andererseits hatte der Seuchenmedikus Glaser seinen Bericht nicht nur an seine Vorgesetzten geschickt, sondern gleichzeitig auch dem Collegium Sanitatis in Wien und seinem Vater, der ebenso Arzt war und als Multiplikator fungierte.
In den folgenden Jahren erschien eine wahre Flut an Fachartikeln, die sich dem Vampirglauben widmeten. Nicht nur Gelehrte aus Österreich, sondern auch im Rest Europas befassen sich damit. Michael Ranffts zuvor nicht beachtete Dissertation war als erste wissenschaftliche Schrift über Vampire in aller Munde und wurde neu aufgelegt. Auch mehrere Fürstenhöfe wurden auf die Vampirvorfälle aufmerksam und beauftragten ihre Gelehrten, sich mit diesem Problem zu befassen. Sogar Papst Benedict XIV. beschäftigte sich mit der Vergeblichkeit des Vampirglaubens („de vanitate vampyrorum“, In: van Swieten 1768, S. 23).
Gleichzeitig mehren sich Mitte des 18. Jahrhunderts auch die Berichte über Vampirvorfälle. Trieben vermeintliche Vampire bis dahin fast ausschließlich in serbischen Provinzen ihr Unwesen, so breiteten sich Vorfallsschilderungen in den nächsten Jahren in ganz Mittel- und Südosteuropa aus. Dabei kam es häufig zu Massenverbrennungen von Leichen, da laut Mythos jene Toten, die nach dem vermuteten Vampir begraben werden, selbst zu Vampiren werden.
Seinen Höhepunkt erreicht der Vampirhype in den 1750er Jahren. Kaiserin Maria Theresia erfuhr von einem Vampirvorfall in Hermersdorf an der heutigen tschechisch-polnischen Grenze. Auf Anraten ihres Leibarztes und Beraters Gerard van Swieten entsandt sie die renommierten Mediziner Johannes Gasser und Christian Wabst zur Untersuchung des Vorfalls. Diese autopsierten die Leichen der des Vampirismus bezichtigten Marianna Saligerin und aller nach ihr Begrabenen. Auch hier entdeckten sie zahlreiche, nicht oder nur leicht verweste Körper, die Vampiren unterstellte Symptome zeigten. Anders als ihre Vorgänger erklärten sie diese Phänomene aber nicht mit Vampirismus, sondern mit äußeren Einflussfaktoren wie Bodenbeschaffenheit und Temperatur des Bestattungsortes sowie auch Vorerkrankungen der Verstorbenen.
Gerard van Swieten nahm dieses Gutachten und andere Berichte als Grundlage für sein eigenes Werk "Abhandlung des Daseyns der Gespenster, nebst einem Anhange vom Vampyrismus". Darin bestätigt er zwar als überzeugter Christ die Existenz von Wundern und Übersinnlichem, bezeichnet aber gleichzeitig den Glauben an Wesen wie Vampire oder Geister als „Leichtglaubigkeit […] Einfalt und Unwissenheit bei jenem Volke“ (van Swieten 1768, S. a2). Eines seiner beschriebenen Beispiele ist die Exhumierung eines Leichnams in England. Dieser war vollkommen unverwest, obwohl er mehr als 80 Jahre zuvor begraben wurde. Da gleichzeitig von keinem einzigen weiteren Vampirvorfall in der Region berichtet wurde, wäre das ein sehr inaktiver Vampir gewesen, resümierte van Swieten: „Hier haben wir also einen englischen Vampyre, welcher über 80 Jahre in seinem Grabe ruhig geblieben ist, und keinen Menschen belästiget hat“ (van Swieten 1768, S. 16).
Gerard van Swietens Schlußfolgerungen über Vampire veranlassten Maria Theresia 1755 dazu, ein Gesetz zu erlassen, um die Unruhen in ihrem Reich zu befrieden und gleichzeitig die Totenschändung zu stoppen: „wenn ein solcher Fall eines Gespenstes, Hexerei, Schatzgräberei, oder eines angeblichen von Teufel Besessenen vorkommen sollte, derselbe der politischen Instanz sofort angezeiget, mithin von dieser mit Beiziehung eines vernünftigen Phisikus der Sache untersuchet, und eigesehen werden soll, ob und was für Betrug darunter verborgen, und wie sodann die Betrüger zu bestrafen wären“.
Die Verordnung sorgte gemeinsam mit van Swietens Bericht für eine Beruhigung der Lage, auch wenn noch vereinzelt Vampirberichte auftauchten. Vorläufig beendet wurde der Vampirhype des 18. Jahrhunderts mit dem Werk Georg Tallers, der sich dem Thema 1784 noch einmal widmete. In dieser Schrift bestätigt er nicht nur die früheren Erkenntnisse, sondern erklärt auch die gehäuften Todesfälle, die dem Unwesen der Vampire zugeschrieben wurden: Taller fand heraus, dass in jenen Regionen, in denen die meisten Vorfälle berichtet wurden, regelmäßig eine Abfolge von strengem Fasten und nachheriger Völlerei stattfand. Dieses Verhalten führte zu Anfälligkeiten für Krankheiten und jenen Symptomen, die von Vampiropfern vor deren Tod beklagt wurden.
Mit dieser Abhandlung war die Beschäftigung mit dem Thema Vampirismus in der Wissenschaft des 18. Jhdt. endgültig beendet und es wurden auch bald danach keine Vampirvorfälle mehr gemeldet. Im Volksglauben, speziell der südosteuropäischen Länder, lebt der Mythos jedoch bis heute weiter. Vorfälle, wie jene, die im 18. Jahrhundert das Habsburgerreich in Atem hielten, werden auch heute noch in ähnlicher Form gelegentlich in den Medien berichtet und analysiert. Seien Sie daher nicht überrascht, wenn Ihnen im Schein des Blutmonds am letzten Tag des Oktobers dunkle Gestalten entgegenwanken… Happy Halloween!
Über den Autor: Tobias Dittmoser-Pfeifer, BA, arbeitet in der Hauptabteilung Benützung und Information der Österreichischen Nationalbibliothek.
Hamberger, K: Mortuus non mordet. Dokumente zum Vampirismus 1689-1791; Turia & Kant 1992
Bohn, T: Vampirismus in Österreich und Preußen. Von der Entdeckung einer Seuche zum Narrativ der Gegenkolonisation; In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 2008, Neue Folge, Bd. 56, H. 2 (2008), S. 161-177. Abgerufen über JSTOR
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