[2/ S. 243:] Die Fortführung des Projekts »Koordination der datenunterstützten Vernetzung österreichischer Literaturarchive« (vgl. Sichtungen
1/1998, S. 165-167) wurde bis 31. Januar 1998 vom Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten finanziert
und stand von Februar 1998 bis Januar 1999 unter der direkten Förderung der ÖNB. Auf der ersten Projektphase aufbauend, die
vor allem der Erhebung des Ist-Zustands der österreichischen Literaturarchive in bezug auf ihre Erschließungs- und Aufnahmepraxis
von Nachlässen und Autographen gewidmet war, wurden die Vereinheitlichung der Regelwerksorientierung und die Forcierung einer
EDV-gestützten Aufnahme als zentrale Ziele vorgenommen.
Auf der Grundlage umfangreicher, bisher im Sektor der österreichischen Nachlaß- und Autographenverwaltung geleisteter Arbeiten
wurden die österreichischen Einrichtungen, die handschriftliches Material aus dem 19. und 20. Jahrhundert verwalten, zusammengestellt.
Aus diesen derzeit über 300 verzeichneten Institutionen wurden sämtliche Literaturarchive im engeren Sinn, Literaturhäuser,
Landesarchive sowie überregionale Archive und Handschriftensammlungen wissenschaftlicher Bibliotheken für eine enge Kooperation
ausgewählt. So konnten etwa 40 Institutionen für eine Zusammenarbeit gewonnen werden. Darunter befinden sich - um nur einige
zu nennen - das Franz-Michael-Felder-Archiv der Vorarlberger Landesbibliothek (Bregenz), die Abteilung für Sondersammlungen
der Universitätsbibliothek Graz, das Franz Nabl Institut für Literaturforschung (Graz), das Forschungsinstitut Brenner-Archiv,
das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (Innsbruck), das Robert-Musil-Institut für Literaturforschung (Klagenfurt), das Adalbert-Stifter-Institut
des Landes Oberösterreich (Linz), die Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, die Handschriftensammlung
der Wiener Stadt- und Landes- [2/ S. 244:] bibliothek und die Handschriften-, Autographen- und Nachlaß-Sammlung der ÖNB (Wien).
Die Projekt-Integration dieser Einrichtungen, die sich in Status, Trägerschaft, Organisation, Kapazität, Bestand, Erwerbungsmöglichkeiten,
Erschließungsvorgaben, Computerisierung usw. massiv unterscheiden, konnte nicht anders als über eine modulare Konstruktion
erfolgen. Dabei legt jeder Kooperationspartner seinen individuellen Bedarf und seine spezifischen Kooperationsinteressen sowie
-möglichkeiten fest, die dann unter Wahrung der erforderlichen Standards berücksichtigt werden. Für die Projektdurchführung
bleibt zentral zu beachten, sowohl Insellösungen als auch unkoordinierte Mehrfacharbeiten zu vermeiden und archivalische sowie
bibliothekarische Kompetenzen auszutauschen, um diese auf einem einheitlichen Niveau permanent zu optimieren.
Zu Projektbeginn bestand österreichweit keine einheitliche Regelung der Erschließung handschriftlicher Dokumente. Neben den
Vorgaben von Christoph König (»Verwaltung und wissenschaftliche Erschließung von Nachlässen in Literaturarchiven«, 1988) und
den 1997 erschienenen »Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen« (RNA) wurde gemäß Richtlinien, die nach institutsinternem
Eigenbedarf erstellt wurden, aufgenommen. Durchgesetzt haben sich schließlich die RNA, die das internationale Format MAB2
umsetzen.
Im Rahmen des Projekts wurden die RNA an den einzelnen Institutionen vorgestellt und die Erfordernisse eines obligatorischen
Kategoriensatzes mit der bisherigen Praxis und den künftigen Möglichkeiten der jeweiligen Archive verglichen. Aufgrund der
hohen Akzeptanz der Minimalaufnahme konnte mit fast allen Kooperationspartnern vereinbart werden, daß mit der obligatorischen
Aufnahme der RNA eine verbindliche Regelung für die Handschriftenerschließung in Österreich vorliegt. Diesem unter den österreichischen
Archiven erzielten Konsens für die Kriterien einer Minimalaufnahme von Archivdaten wurde - in informeller Kooperation mit
dem Unterausschuß für Nachlaßerschließung der Deutschen Forschungsgemeinschaft - durch offizielle Empfehlung der Anwendung
der RNA in Österreich durch die neugegründete VÖB-Kommission für Nachlaßbearbeitung (vgl. den Beitrag von Volker Kaukoreit
im vorliegenden Band) entsprochen.
Mit Blick auf die Förderung einer EDV-gestützten Archivalien-Aufnahme, die für eine Vernetzung der Datenbanken offenstehen
soll, wurden professionelle Datenbanksysteme geprüft, die für Handschriftenaufnahmen zur Verfügung stehen. Die Entscheidung
fiel auf die Datenbank allegro-HANS, da sie auf der Basis der RNA-Kategorien konfiguriert ist, vom Zentralen Informatikdienst
(ZID) der ÖNB b- [2/ S. 245:] etreut werden kann, äußerst preiswert zur Verfügung steht und einen internationalen Rückhalt in der systempflegenden HANS-Anwendergemeinschaft
hat (Sitz: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg; vgl. Andreas Brandtner: Bericht über das Anwendertreffen der Datenbank
Allegro-HANS an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky am 22. und 23. Januar 1998. In: Sichtungen
1/1998, S. 189-191). Die HANS-Testphase konnte im Sommer 1998 beendet werden. Trotz kleinerer, noch zu behebender Schwächen
wird HANS im ÖLA in der Zwischenzeit im Normalbetrieb geführt. Die eingesetzte Version, deren Konfiguration exakt den RNA
angepaßt wurde, wird den interessierten Partnerinstitutionen zur Verfügung gestellt. Bislang konnten die Karl-Popper-Sammlung
der Universitätsbibliothek Klagenfurt, das Musil-Institut, das Stifter-Institut, die Stiftung Salzburger Literaturarchiv und
die Handschriften-, Autographen- und Nachlaß-Sammlung der ÖNB mit dem System versorgt werden. An den genannten Einrichtungen,
die nun als österreichische HANS-Anwender neben das Felder-Archiv, die Musiksammlung der ÖNB und das ÖLA treten, wurden Einschulungen
in das System veranstaltet. Zudem wurde im Rahmen des Ausbildungsprogramms der ÖNB »Brain-Pool« in Zusammenarbeit mit dem
ZID ein HANS-Kurs abgehalten.
Neben dieser Entscheidung für die lokale Datenbank allegro-HANS sind zwei weitere Optionen, die neuerdings für Literaturarchive
bestehen, zu beachten: Erstens hat sich aus dem Kontakt mit der Arbeitsgruppe Bibliotheksautomation (AGBA) des Bundesministeriums
für Wissenschaft und Verkehr, die die Einführung des neuen österreichischen Bibliothekenverbundsystems Aleph 500 koordiniert,
ergeben, daß die Interessen der Nachlaß- und Autographenaufnahme berücksichtigt werden könnten und damit eine Integration
der Literaturarchive in den neuen Verbund grundsätzlich möglich ist, da die wesentliche Voraussetzung einer vereinheitlichten
Erschließung im Zeichen der RNA erfüllt ist. Somit wäre ein Einstieg von Literaturarchiven in den BIBOS-Nachfolgeverbund -
bisher war nur das Brenner-Archiv beteiligt - zumindest prinzipiell möglich, wobei die zeitliche Dimension noch schwer einschätzbar
ist. Von der AGBA wurde empfohlen, das verbundkompatible System allegro-HANS als Übergangslösung einzusetzen, dessen Daten
dann ohne größere Probleme in Aleph 500 migriert werden können. Zweitens sind die Fortschritte des EU-Projekts MALVINE (Manuscripts
and Letters Via Integrated Networks in Europe), an dem die ÖNB als Fullpartner teilnimmt, zu beobachten. Das übergreifende
Ziel von MALVINE, das unter der Koordination der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz steht, liegt nämlich
darin, einen neuen und verbesserten Zugang zu den verstreuten [2/ S. 246:] Autographenbeständen der Neuzeit, die in den europäischen Archiven, Bibliotheken, Dokumentationszentren und Museen bewahrt
und katalogisiert werden, zu eröffnen. Dies erfolgt über eine Vernetzung lokal geführter Datenbanken, an der das ÖLA mit allegro-HANS
partizipiert und so den Einstieg für die österreichischen HANS-Anwender vorbereiten könnte.
Andreas Brandtner
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