Eine Bibliothek der Weltliteratur
Stefan Zweig wollte seine Vorstellung von Weltliteratur mit dem Projekt Bibliotheca Mundi verwirklichen. In dieser Buchreihe sollten repräsentative Werke in den Originalsprachen veröffentlicht werden. Der Insel Verlag musste die Reihe jedoch aus finanziellen Gründen bald einstellen.
Goethe prägte den Begriff der Weltliteratur, meinte aber damit nur Werke der westeuropäischen Literatur. Kanon ist ein ähnlicher Begriff und umfasst je nach Auslegung wichtige Werke einer Nation oder bedeutende Werke Europas oder der gesamten Welt – erste Sammlungen von kanonischer Literatur entstanden bereits im 17. Jahrhundert.
Vor allem ab dem späten 20. Jahrhundert mehrten sich jedoch auch kritische Stimmen – der Kanon, der z.B. in der Schule vermittelt wird, sei zu homogen, zu „weiß“ und zu männlich dominiert. Überhaupt stellen sich viele Fragen: Welche Werke sollen Teil der Weltliteratur, des Kanons sein? Nur sogenannte Klassiker oder auch neue Bücher? Werke mit großer Verbreitung oder Bücher von hoher „künstlerischer Qualität“? Und wer soll entscheiden, welche Titel kanonisch sind?
Die BesucherInnen der Sonderausstellung wurden eingeladen, Werke zu nennen, die für sie zur Weltliteratur gehören. Insgesamt wurde 1049 Mal abgestimmt. Die BesucherInnen haben dabei eine Vielzahl an AutorInnen genannt. Alle Werke, die zumindest dreimal erwähnt wurden, finden Sie hier. (Stand 04.09.2022) Darüber hinaus gibt es noch ca. 500 weitere Werke, die einmal oder zweimal erwähnt wurden. Dies verdeutlicht, wie sehr sich der „persönliche Kanon“ von Person zu Person unterscheidet. Dennoch lassen sich bestimmte Schwerpunkte feststellen.
Selbst wenn selten genannte Werke berücksichtigt werden, zeigt sich ein Fokus der BesucherInnen auf den deutschsprachigen Raum. Außerdem wurden viele Titel aus dem angloamerikanischen Raum, aus Frankreich und Russland ausgewählt. Bei der Visualisierung dieser Statistik wird deutlich, dass Nennungen von AutorInnen, die in Afrika, Südost-Asien oder Zentralasien gelebt haben bzw. leben, sehr selten sind.
Diese Karte versteht sich nur als eine Annäherung und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder wissenschaftliche Korrektheit: eine klare Zuordnung vieler AutorInnen zu einem Staat fällt oft äußerst schwer. Manche AutorInnen wurden mehreren Ländern zugewiesen, da es z.B. den Staat, in dem sie gelebt haben, nicht mehr gibt oder noch nicht gab oder sie z.B. durch Flucht oder Migration mehrere Lebensmittelpunkte und Nationalitäten hatten.
Außerdem zeigt sich ein eindeutiger Schwerpunkt auf Werke aus dem 20. Jahrhundert und eine deutlich häufigere Nennung männlicher Autoren.
Nennungen gibt es hauptsächlich von Autorinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Von Autorinnen, die vor 1800 gelebt haben, werden nur zwei genannt (Sappho und Murasaki Shikibu), von jenen, die im 19. Jahrhundert geschrieben haben, gibt es 26 Nennungen (vor allem aus dem britischen Raum, hier wurden besonders häufig Werke von Jane Austen und den Brontë-Schwestern genannt). Einige Werke lassen sich nicht eindeutig einer Autorin oder einem Autor zuordnen.