28. April 2017 – 11. Februar 2018
Pressemeldung
27. April 2017
Im Rausch des Schreibens: Von Musil bis Bachmann
Unter den Treibstoffen des Schreibens sind Kaffee, Alkohol und Tabak die Klassiker: Von Robert Musil bis Ingeborg Bachmann setzten viele berühmte AutorInnen auf die stimulierende Wirkung dieser Genussmittel. Für andere wie Ernst Jandl war das Hören lauter Musik oft unverzichtbar für ihr Schreiben. Selbstversuche mit bewusstseinserweiternden Substanzen gehören ebenso zur Literaturgeschichte wie jene SchriftstellerInnen, deren literarische Fantasie von äußerster Konzentration, Askese und Selbstdisziplin abhängt …
Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek widmet sich all diesen Phänomenen in seiner» neuen Sonderausstellung „Im Rausch des Schreibens“. Wertvolle Original-Objekte von Heimito von Doderer bis Falco beleuchten eine Schreibarbeit zwischen literarischer und persönlicher Grenzerfahrung. Außergewöhnliche fotografische (Selbst-) Inszenierungen und kulturhistorische Dokumente begleiten die Texte, ebenso Hörbeispiele und Filmausschnitte. Mit insgesamt über 170 Original-Exponaten präsentiert „Im Rausch des Schreibens“Literatur zwischen Exzess und Askese.
Schreibrausch & Wortmaschine
Die erste Station der Ausstellung spürt dem (Ideal-)Zustand künstlerischer Produktivität nach: dem poetischen Rausch, dem selbstvergessenen Schreibfluss, dem „Flow“, dem blitzartigen Einfall. Dieser Zustand wird ebenso oft ersehnt und beschworen wie er bewusst herbeigeführt wird. Er zeigt sich z. B. in den expressiven Schriftbildern Gert Jonkes: Die Schrift gewinnt hier ein Eigenleben, bis auch der letzte weiße Fleck Papier mit Wörtern gefüllt ist. Beim Verfassen seines frühen Romans „Menschenkind“ wird der besessen tippende Autor Josef Winkler buchstäblich zur „Wortmaschine“: Die Buchstaben sind „geölt“ und die Hände „ans Fließband der fixierten Tasten“ gefesselt. Schon früh publizierte die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek im Internet: „Es ist fast so, als wäre der Computer für meine Arbeitsweise erfunden“, bemerkte sie einmal in einem Interview, „denn ich schreibe ja sehr schnell, aufgrund einer inneren Unruhe, die kaum duldet, daß ich beim Schreiben auch nur kurz unterbreche.“ Das Anschlagen der Tastatur geht über in den Rhythmus der Texte.
Für den Jazz-Fan Ernst Jandl ist laute Musik beim Schreiben unverzichtbar gewesen, während bei seiner Lebenspartnerin, der Dichterin Friederike Mayröcker, der unentwegte Schreibfluss im Dialog mit klassischer Musik steht. Dass Schreiben eine euphorische Erfahrung genauso sein kann wie hartes Tagwerk, das bringt Elfriede Gerstl auf den Punkt. In ihrem Gedicht „vom dichten“ beschreibt sie den kreativen Prozess folgendermaßen: „dann ists kein rausch / keine droge / fast arbeit.“
Zug um Zug
Der Zusammenhang zwischen Literatur und dem exzessiven Genuss von Nikotin und Alkohol ist evident. Er ist Thema der zweiten Station der Ausstellung, schließlich begleitet der Griff zu Zigarette und Glas das Schreiben vieler AutorInnen. Zug um Zug und Zeile um Zeile entstehen etwa bei Ernst Herbeck, Anita Pichler oder Theodor Kramer Gedichte in Zigarettenlänge, Rauchpoesie und Trinkgedichte. Diese literarischen Arbeiten kennen die Katerstimmung und den qualmenden Kopf, sie huldigen den Alltagspassionen als unverzichtbare Schreib- und Lebensgewohnheiten.
Wer nach Fotografien von Heimito von Doderer sucht, wird ihn fast immer rauchend finden – Pfeife rauchend hob ihn 1957 „Der Spiegel“ auf das Cover, Zigarette rauchend 1973 „Das Pult“. Einer, der unter seinem unmäßigen Nikotinkonsum litt, war Robert Musil. Um sein Rauchverhalten zu disziplinieren, notierte er die letzten zwei Jahre seines Lebens penibel die Uhrzeit jeder gerauchten Zigarette – daraus entstanden lange Listen, die die vergeblichen Versuche der Selbstkontrolle dokumentieren. In einem parallel zum „Zigarettenheftchen“ geführten Tagebuchheft stellt Musil einen Zusammenhang zwischen Schreiben und Rauchen her: „Man kann sich aus der Langeweile, ebenso aus nervöser Überausgeruhtheit, in die Arbeit stürzen, und zwar mit ganz unbelasteten Nerven. Die Ersatzhandlung ist das Rauchen. […] Vorschlag zur Güte: Meide das Rauchen als eine alberne Form des Müßiggangs!“ „Schwung und Rausch“ eines zielgerichteten Schreibens sind Musils – unerreichtes – Ziel.
Der Griff zur Zigarettenschachtel und zum Glas kann aber auch den Takt und die Dramaturgie eines Textes bestimmen. So in Ingeborg Bachmanns berühmtem Roman „Malina“, in dem die Ich-Erzählerin Zeitspannen in Zigaretten misst: „Wieder geraucht und wieder getrunken, die Zigaretten gezählt, die Gläser, und noch zwei Zigaretten zugelassen für heute, weil zwischen heute und Montag drei Tage sind, ohne Ivan. Sechzig Zigaretten später aber ist Ivan zurück […]“.
Substanzen & Stimulanzien
„Ganz Wien is heit auf Heroin / Ganz Wien träumt mit Mozambin / Ganz Wien, Wien, Wien / greift auch zu Kokain […] / Man sieht ganz Wien, Wien, Wien is so herrlich hin, hin, hin“. Falcos 1980 geschriebenes Lied „Ganz Wien“ handelt von der damals ausufernden Wiener Drogenszene und dem gesellschaftlichen und politischen Umgang mit ihr – zwei noch nie öffentlich ausgestellte Notizbücher Falcos mit Entwürfen zu Songtexten zeigen in der dritten Station der Ausstellung die Nähe des Pop-Musikers zur österreichischen Literatur. „Ganz Wien“ ist zugleich ein Sinnbild für Falcos rauschhaftes Leben: Alkohol und Kokain waren die Treibstoffe seines künstlerischen Schaffens.
Welche Substanzen gesellschaftlich legitimiert und akzeptiert, welche hingegen verpönt und verboten sind, hängt vom Zeitgeist, der öffentlichen Diskussion und dem Stand der Wissenschaft ab. Zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Drogen trugen auch immer wieder die Experimente und Selbstversuche von Schreibenden bei: Die Lektüre von Hermann Hesses „Steppenwolf“ etwa inspirierte Walter Benjamin zu seinen legendären Haschisch-Experimenten; ebensolche unternimmt der Protagonist in der Erzählung „Kif“ des in Wien geborenen Schweizer Autors Friedrich Glauser. In seinem Roman „St. Petri-Schnee“ (1933) beschreibt der „Haschischraucher“ Leo Perutz die Wirkung der Alkaloide, die im Getreidepilz Mutterkorn vorkommen – in synthetisierter Form werden sie Jahre später als LSD berühmt.
Am Beispiel ausgewählter Buchobjekte wirft diese Station auch einen Blick auf die internationale Literatur zum Thema: den von Elias Canetti übersetzten Roman „Alkohol“ von Upton Sinclair etwa oder den Band „Rauschgiftesser erzählen“ aus dem Jahr 1981, der so große Namen wie Charles Baudelaire, Gottfried Benn, William Burroughs, Jean Cocteau, Hans Fallada oder Aldous Huxley versammelt.
Rauschtexte: Ekstase, Trance, Entrückung
Neben dem Rausch, der auf Drogen und Genussmittel zurückgeht, werden in der Ausstellung auch Zustände des Außer-sich-Seins thematisiert, wie sie literarische Texte seit jeher auszeichnen: Das Spektrum reicht vom Gewaltrausch über den erotischen Rausch oder die (selbstzerstörerische) Ekstase bis hin zu jenen Erfahrungen der Entrückung und Entgrenzung, die gesellschaftliche Ordnungen in Frage stellen.
Robert Musils berühmter „anderer Zustand“ meint ein „wunderbares Gefühl der Entgrenzung und Grenzenlosigkeit des Äußeren wie des Inneren, das der Liebe und der Mystik gemeinsam ist“.
Schreiben, Denken und rauschhaftes Außer-sich-Sein sind in vielen Texten unmittelbar aufeinander bezogen: als philosophisches Delirium bei Robert Menasse, als irrwitzige Kunst des bloßstellenden Zitats bei Werner Kofler, als kühle Selbstbeobachtung und polemische Begriffsattacke bei Oswald Wiener. Im Wutrausch befinden sich die Figuren in Heimito von Doderers skurril-groteskem Roman „Die Merowinger“ – der von diesem Werk inspirierte „Wutmarsch“ von Johanna Doderer, der Großnichte des Dichters, ist übrigens wie andere Musik- und Tonbeispiele in der Ausstellung zu hören.
Peter Roseis „Wer war Edgar Allan?“ beschreibt ein „wahnsinniges Bewußtsein“ aus der Innenperspektive. Leitmotiv für diese vierte Station der Ausstellung ist der Titel eines Bandes mit Erzählungen von Mela Hartwig, einer der interessantesten Autorinnen der Zwischenkriegszeit: „Ekstasen“.
Exzess & Aksese: Schreib- und Selbstdisziplin
In der abschließenden Station der Ausstellung wird das Verhältnis von Exzess und Askese noch einmal dialektisch gefasst. Dass sie einander bedingen, demonstriert beispielsweise Franz Kafkas „Ein Hungerkünstler“ aus dem Jahr 1922 sehr eindrücklich: Um die Wirkung auf sein Publikum zu erhöhen, hungert sich in dieser drastischen Erzählung der Künstler zu Tode. Sein Exzess liegt im Verzicht und im Wunsch, „sich selbst zu übertreffen bis ins Unbegreifliche“. Von sprachlicher Reduktion ist Reinhard Priessnitz’ Gedicht „am offenen mehr“ gekennzeichnet: Es fordert „weniger hintern, auge, hirn“, „weniger schrift“ und „weniger worte“.
Die Frage nach dem richtigen Maß beschäftigte Adalbert Stifter zeitlebens. Der asketische Lebensstil vieler seiner Protagonisten steht in auffälligem Gegensatz zum „Wolfshunger“ des Schriftstellers: Der Biedermeier-Autor aß oft sechs Mal am Tag, wobei auf Forellen als Vorspeise auch einmal eine ganze gebratene Ente als Hauptspeise folgen konnte; während Stifters Sprache mit den Jahren immer karger wurde, nahm die Menge an Geschriebenem deutlich zu, bis 1868 mit seinem Selbstmord der Schreibprozess ein abruptes Ende fand.
Von einer exzessiv betriebenen Arbeit am Text zeugen Karl Kraus’ unzählige überlieferte Korrekturfahnen zu seinem Lebensprojekt „Die Fackel“. Diese legendäre Zeitschrift erschien von 1899 bis 1936 und umfasste am Schluss über 22.000 Seiten. Die Intensität seiner literarischen Arbeit kann man auch aus der Tatsache ablesen, dass ab 1912 praktisch alle Originalbeiträge von Kraus selbst stammten.
Eine besonders konzentrierte Schreiberfahrung zeigt sich in der Arbeit Peter Handkes: Durch jahrelanges, regelmäßiges, Kontinuität und Konzentration erforderndes Notieren in Notizheften erschließt sich dieser Autor bis heute die Welt.
Rausch und Nüchternheit, Exzess und Askese – das zeigt diese Ausstellung – stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander. Joseph Roth bringt dies in einem Brief an Stefan Zweig vom 22. September 1930 auf den Punkt: „Ich kann mich nicht im Literarischen kasteien, ohne im Körperlichen auszuschweifen.“
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Mag. Thomas Zauner
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