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Provenienzforschung und Restitution


Das historische Erbe der Österreichischen Nationalbibliothek ist nicht frei von Unrecht und Schuld. Das gilt in besonderem Maße für die Epoche des Nationalsozialismus. Geleitet von einem fanatischen Nationalsozialisten, Paul Heigl, beteiligte sich die Nationalbibliothek aktiv und in großem Umfang an der systematischen Beraubung vor allem jüdischer BürgerInnen, aber auch anderer Opfer des NS-Regimes. Trotz umfangreicher Restitutionen bereits in den Nachkriegsjahren verblieben wesentliche Teile dieser geraubten Sammlungen in der Bibliothek. Die ehest mögliche Restitution dieser Bestände an ihre rechtmäßigen BesitzerInnen ist für die Österreichische Nationalbibliothek daher nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch ein moralisches Anliegen. Mit dem Bundesgesetz über die Rückgabe von Kunstgegenständen 1998 (BGBl. I, 181/1998) wurde dafür die längst notwendige Basis geschaffen.

Die Österreichische Nationalbibliothek hat im Dezember 2003 nach sorgfältiger Prüfung aller relevanten Bestände ihren Provenienzbericht nach dem Kunstrückgabegesetz 1998 fertig gestellt und der Kommission für Provenienzforschung übergeben. Wesentlicher Inhalt sind Listen über unrechtmäßige Erwerbungen aus der NS-Zeit, die sich noch im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek befinden. Seither bemüht sich die Österreichische Nationalbibliothek darum, rechtmäßige BesitzerInnen bzw. ErbInnen ausfindig zu machen, um die Objekte ehest möglich zu restituieren. Seit Dezember 2003 konnten insgesamt 46.866 Objekte an ihre rechtmäßigen BesitzerInnen restituiert werden.

Etwa ein Drittel der entzogenen Objekte ist jedoch nach heutigem Forschungsstand als „erblos” zu bezeichnen. Es handelt sich dabei um Objekte – zumeist Druckschriften – die keinerlei Hinweise auf ihre ehemaligen BesitzerInnen erkennen lassen. Die im Provenienzbericht aufgelisteten 25.506 Signaturen umfassen 52.403 Einzelobjekte – Bücher, Fotos, Negative, Autografen, Handschriften, Karten und Musikalien – davon ist knapp ein Drittel, 15.958 Objekte – als erblos zu betrachten. Im Juni 2010 wurde die erste und größte Tranche erbloser Bücher (8.363 Einzelbände) gemäß den Bestimmungen des Kunstrückgabegesetzes an den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationasozialismus übergeben und in einem folgenden Rechtsakt zu einem von einem externen Sachverständigen ermittelten marktüblichen Preis wieder angekauft. Im Sinne größtmöglicher Transparenz wurde jedes dieser Bücher im Publikumskatalog mit einem Zusatz, der auf das Schicksal des betreffenden Werkes verweist, versehen.

Ein Großteil der Erbberechtigten konnte aber durch intensive Recherchen mit engagierter Unterstützung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus ermittelt werden. Die Bemühungen der Österreichischen Nationalbibliothek gelten auch weiterhin der Ausforschung von Erbberechtigten und dem Abschluss aller bislang unlösbaren Fälle.

Im Jahr 2006 wurde von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus eine » Datenbank der erblosen Rückstellungsobjekte eingerichtet. Die Online-Präsentation soll ErbInnen die Möglichkeit geben, geraubte Objekte zu identifizieren und zu beanspruchen. Die Österreichische Nationalbibliothek hat sich dieser Initiative angeschlossen und hofft damit den Anteil der erblosen Rückstellungsobjekte weiter zu Gunsten konkreter RückstellungsempfängerInnen vermindern zu können.

Neben der ehest möglichen Abwicklung der Restitutionsfälle nach dem Kunstrückgabegesetz 1998 strebt die Österreichische Nationalbibliothek heute eine größtmögliche Transparenz gegenüber ihrer NS-Vergangenheit an. Damit soll ein deutliches Signal gegenüber der oft zögerlichen und beschwichtigenden Bibliothekspolitik der ersten Nachkriegsjahre gesetzt werden. Diesem Zweck einer öffentlichkeitswirksamen, vorbehaltlosen Aufarbeitung dieser dunklen Epoche, diente die Ausstellung „Geraubte Bücher. Die Österreichische Nationalbibliothek stellt sich ihrer NS-Vergangenheit“ im Jahr 2004/05, ein 2005 abgeschlossenes Forschungsprojekt zur Geschichte der Nationalbibliothek 1938-45 (Hall, Murray G.: ... Allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ...: eine österreichische Institution in der NS-Zeit / Murray G. Hall ; Christina Köstner. - Wien [u.a.] : Böhlau, 2006. - 617 S.), sowie eine weitere Ausstellung zur enteigneten Fotosammlung von Raoul Korty im Februar 2008.

Nur durch einen vorbildlichen, sensiblen und ehrlichen Umgang mit ihrer eigenen Vergangenheit kann die Österreichische Nationalbibliothek Glaubwürdigkeit als zentrale Gedächtnisinstitution dieses Landes beanspruchen.

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