Wege zur Unsterblichkeit. Altägyptischer Totenkult und Jenseitsglaube
Was kommt nach dem Tod? Diese Frage beschäftigt die Menschen seit Anbeginn der Zeiten. Eine besonders eindrucksvolle Antwort wurde im Alten Ägypten gegeben: Kunstvolle Masken, farbenfrohe Mumienportraits und magische Texte bezeugen in der Ausstellung im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek Jahrtausende alte und vielfältige "Wege zur Unsterblichkeit".
Im Mittelpunkt der mehr als 80 Exponate umfassenden Schau stehen die einzigartigen altägyptischen Totenbuch-Rollen der Papyrussammlung, die zum UNESCO-Weltdokumentenerbe gehört. Mit ihrer beachtlichen Länge von mehreren Metern zählen sie zu den beeindruckendsten Überlieferungen ägyptischer Jenseitsliteratur. Das ausgestellte Totenbuch des Sesostris aus dem 15. Jh. v. Chr. ist gleichzeitig das älteste Objekt aus den wertvollen Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek. Seine Zaubersprüche, Beschwörungsformeln und liturgischen Anweisungen führten damals die Verstorbenen zur letzten Prüfung vor dem Weiterleben im Jenseits – dem Totengericht. Heute gestatten sie uns einen faszinierenden Blick ins geheimnisvolle Land am Nil.
Kostbarkeiten: farbige Mumienportraits für das Reich der Toten
Die monumentalen Grabbauten der Pharaonen, die alle Zeiten überdauernden Mumien, Papyri mit detailgenauen Darstellungen des Jenseits – in kaum einer anderen Kultur scheint der Tod so präsent gewesen zu sein wie im Alten Ägypten. Doch der Tod war für die Menschen am Nil nicht das Ende. Er bildete vielmehr einen Übergang zu einem anderen Leben. Daher musste bereits im Diesseits für die Existenz im Jenseits Vorsorge getroffen werden. Die aktuelle Ausstellung im Papyrusmuseum begibt sich auf eine packende Spurensuche nach den spirituellen und praktischen Vorbereitungen für das Leben im Reich der Toten.
Eine "schöne Leich" war auch im Ägypten um 1500 v. Chr. bis in die römische Zeit Voraussetzung für ein Fortleben in Ewigkeit. Zum Bestattungsritual gehörte daher nicht nur die Erhaltung des Körpers durch die komplizierte Technik der Mumifizierung, sondern auch die kultische Ausstattung des Grabes mit Malereien oder die Schmückung des Leichnams als magischer Schutz. Beeindruckend etwa, die in der Schau präsentierten Mumienportraits mit den naturgetreuen Bildnissen der Verstorbenen, die in römischer Zeit neben bis dahin verwendete Masken aus Kartonage treten. Die mit Tempera oder Wachsmalerei angefertigten Kunstwerke wurden über dem Gesicht der Mumie angebracht und bestechen noch heute durch ihre unverwechselbare Malweise und frische Farbigkeit. Die ägyptischen Mumienportraits sind die beinahe einzigen erhaltenen Zeugnisse der antiken Portraitmalerei, was sie zu unendlich kostbaren Hinterlassenschaften dieser untergegangenen Kultur macht.
Premiere: Das Totenbuch der Nefersobek wird erstmals öffentlich gezeigt
Eine Besonderheit des ägyptischen Begräbnisrituals war die Beigabe von Jenseitsführern wie den sogenannten Totenbüchern. Sie geleiteten die Verstorbenen sicher durch die mannigfaltigen Gefahren der Unterwelt. Die Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt mehrere dieser bedeutenden Überlieferungen altägyptischen Totenkults. Mit dem Totenbuch des Sesostris aus dem 15. Jh. v. Chr. und jenem der "Taruma" aus dem 2. Jh. v. Chr. befinden sich darunter auch zwei besonders beeindruckende Jenseitstexte der antiken Welt. Sie sind in der Ausstellung ebenso zu bewundern wie Teile des Totenbuchs der Nefersobek, die erstmals öffentlich gezeigt werden.
Bei den Totenbüchern, die über einen Zeitraum von nahezu 1500 Jahren Verwendung fanden, handelt es sich zumeist um mehrere Meter lange Papyrusrollen, auf denen zahlreiche magische Sprüche und dazugehörende, teils farbenprächtige Abbildungen verzeichnet sind. Ihr altägyptischer Titel "Sprüche vom Herausgehen am Tage" unterstreicht die Hoffnung der Verstorbenen, die Starre des Todes zu überwinden und im Jenseits weiterzuleben. Jedes Exemplar war ein nach individuellen Wünschen und finanziellen Möglichkeiten der Auftraggeber angefertigtes Einzelstück – bei dem gelegentlich aber auch handwerkliche Fehler passierten. So vergaß der Kopist des Totenbuches des Rinderzählers Sesostris an zwei Stellen, den Namen des Verstorbenen anzugeben. Ein Missgeschick, das allerdings durch die nachträgliche Einfügung in einer Nebenspalte noch rechtzeitig vor dem Übertritt des Kunden ins Jenseits korrigiert wurde.
Wie gefahrvoll dieses Eintreten in das Reich des Totengottes Osiris war, davon erzählt einer der Höhepunkte der Schau, das Totenbuch der Musikantin "Taruma". Ebenso detailgenau wie kunstvoll ist dort jenes Totengericht bildlich festgehalten, bei dem die Götter über die im Leben der Verstorbenen erbrachten Leistungen urteilten. So steht "Taruma" auf dem Papyrus dem Totengott und 42 Richtern gegenüber; ihr Herz liegt in einer Waagschale, abgewogen gegen die kleine Göttin Maat, die für Wahrheit und Gerechtigkeit steht. Fällt die Prüfung negativ aus, wird das Herz der "Taruma" von einem Fabelwesen mit Krokodilskopf verschlungen. Besteht sie jedoch, so kann sie in das Jenseits eingehen.
Begräbnisse im Land am Nil: eine teure Angelegenheit
Der Tod war im alten Ägypten eine teure Angelegenheit. Die reichhaltige Schau informiert daher auch über die sozialgeschichtlichen Hintergründe des Totenkults und den erheblichen finanziellen wie administrativen Aufwand, den ein Weiterleben im Jenseits damals verursachte.
So sind aus Ägypten mehrere Tausend Mumientäfelchen bekannt, von denen sich heute 73 Stück in der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek befinden. Die Holztäfelchen waren ursprünglich an Mumien befestigt und dienten zur Identifizierung der Verstorbenen. Zumeist in Griechisch oder Demotisch beschriftet, verzeichneten sie die Namen der Toten, manchmal auch Alter, Beruf und Herkunft. Sie dienten für den Transport der Verstorbenen von der Balsamierungswerkstätte zur Begräbnisstätte oder für die Überstellung in die Heimat durch gewerbliche Spediteure per Eselskarren oder Schiff.
Die Frachtgebühr, die für eine solche Überstellung anfiel, war aber nicht der einzige Kostenfaktor bei einem Begräbnis. Auch das Leinen, das für eine Mumifizierung benötigt wurde, musste bezahlt werden, ebenso wie die Kartonagen für die Totenmasken, der Sarg, die Anfertigung der diversen Grabbeigaben oder die Trauerarbeit der Klagefrauen. Welch kostspielige Angelegenheit eine Bestattung sein konnte, überliefern ein Papyrus aus dem 2./3. Jh. n. Chr., der akribisch die Ausgaben für eine Bestattung abrechnet, wie auch eine mehr als 1000 Jahre ältere Tonscherbe. Sie berichtet von einer Graböffnung um 1159 v. Chr., bei der neben dem Sarkophag auch ein Klappstuhl aus Elfenbein, zwei Betten, Gewänder und Sandalen, Gefäße aus Granit und Alabaster, Medizin, Kamm und Rasiermesser gefunden wurden.
Wer Ausgaben und Mühen scheute, musste mit göttlichen Konsequenzen rechnen. Davon erzählt in der Ausstellung einer der ältesten erhaltenen Papyri in griechischer Sprache: Die "Klage der Artemisia" aus dem 4. Jh. v. Chr. Artemisia berichtet darin, dass der Vater dem gemeinsamen verstorbenen Kind das teure Begräbnisritual vorenthalten habe. Als Strafe bittet sie den Totengott Osiris, auch ihm das Begräbnis zu verweigern und ihm damit das Kostbarste der Ägypter zu nehmen: den Weg zur Unsterblichkeit.
Höhepunkte altägyptischen Totenkults aus 1500 Jahren:
Das Totenbuch der "Taruma"
Das Totenbuch der "Taruma" ersteckt sich über zwei Papyrusrollen und hat eine Gesamtlänge von mehr als acht Metern. Es stammt aus ptolemäischer Zeit (etwa 3./2. Jh. v. Chr.) und ist in hieratischer Schrift verfasst. Die darauf befindliche Darstellung des Totengerichts besticht durch die kunstfertige Feinheit der Ausführung.
Die Inhaberin des Totenbuchs, deren Name als "Taruma" gelesen werden kann, war Musikantin des Gottes Ptah. Am Ende der oberen Rolle stellt Spruch 110 das Leben der Verstorbenen in den Gefilden des Jenseits dar, wo sie im Ackerbau tätig ist. Die zweite Rolle beeindruckt vor allem durch die Darstellung des Totengerichts und zeigt "Taruma" bei ihrer Einführung in die Gerichtshalle durch Maat, die Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit. Dort wird das Herz der Verstorbenen gegen die Göttin gewogen. Um das Gericht von ihrer Unschuld zu überzeugen, sagt "Taruma" am oberen Bildrand ein negatives Sündenbekenntnis vor dem Totengott Osiris und 42 Totenrichtern auf. Ursprünglich lag der Idee einer letzten Prüfung in Form eines Totengerichts eine ethische Konzeption zugrunde. Da das Totenbuch bereits das positive Urteil des Gerichts darstellt, scheint durch magische Vorwegnahme im Diesseits versucht worden zu sein, das jenseitige Schicksal günstig zu beeinflussen.
Das Totenbuch des Sesostris
Beim Totenbuch des Sesostris aus dem 15. Jh. v. Chr. handelt es sich um das älteste Objekt aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek. Die bunt gestaltete Totenbuchrolle hat eine Länge von sechs Metern und zeigt den Weg der Verstorbenen durch das Jenseits der Ägypter.
Die Rolle gehörte dem Schreiber und Rinderzähler Sesostris. Sein Totenbuch, von dem der Anfang leider fehlt, enthält über 20 magische Sprüche, die in Kolumnen angeordnet und in Kursivhieroglyphen geschrieben sind. Der Fließtext ist in schwarz, Überschriften und besonders hervorzuhebende Textpassagen sind in rot gehalten. Typisch für Totenbücher aus dem Neuen Reich sind die retrograden (rückläufigen) Schriftzeichen, deren genaue Bedeutung noch nicht geklärt ist. Jeder Spruch zeigt am Beginn eine Überschrift, auf welche die formelhafte Phrase folgt, dass der Verstorbene den Text rezitieren müsse, damit er für ihn wirksam wird. Im Spruch 100 ist Sesostris auf der Barke im Gefolge des Sonnengottes Re zu sehen, gemeinsam mit Thot, dem Gott der Weisheit, der Göttin Maat und weiteren Göttern. Am Ende der Rolle sind Sesostris und seine Gattin Pa-ichu vor dem reich gedeckten Opfertisch dargestellt – im Übrigen die einzige Stelle, wo Pa-ichu erwähnt wird. Die Opfertischszene zeigt an, dass das Fortbestehen eines Menschen im Jenseits nur dann gesichert war, wenn sich auch die Nachkommen um die Versorgung des Verstorbenen kümmerten und wenn man im Diesseits für genügend Grabbeigaben gesorgt hatte.
Das Totenbuch der Nefersobek
Das Totenbuch der Nefersobek stammt aus ptolemäischer Zeit und ist in Hieratisch geschrieben. Mit seinen rund 16 Metern ist es das längste Totenbuch in den Beständen der Papyrussammlung. Da es beinahe vollständig erhalten ist, zeigt es nahezu lückenlos die verschiedenen Facetten altägyptischen Jenseitsglaubens.
Eine besonders kunstvoll gestaltete Vignette (bildliche Darstellung) zeigt den Sonnenlauf an. Die Sonne ist im Jenseitsglauben und den Unterweltsschriften von zentraler Bedeutung, da sie aufgrund des immer wiederkehrenden Tag- und Nachtzyklus symbolisch für die Wiedergeburt steht. Nach altägyptischer Vorstellung umfasste die Reise der Sonne sowohl das Dies- als auch das Jenseits. Bei Tag zog sie über den Himmel bis zum Westhorizont, in der Nacht durch die Unterwelt, das Reich des Osiris. Jeden Morgen verlässt sie das Jenseits wieder und wird im Osten neu geboren.
Mumienmaske
Die prachtvoll ausgestattete und mit viel Liebe zum Detail angefertigte Mumienmaske datiert aus ptolomäischer Zeit. Sie weist mit ihrer Vergoldung auf die göttliche Natur des Verstorbenen im Jenseits.
Solche Masken umschlossen den gesamten Kopf der Mumie und waren wichtige Bestandteile des Mumienschmucks. Das vergoldete, plastisch herausgearbeitete Gesicht der Maske wird von der klassischen dreigeteilten Strähnenperücke umrahmt. Im oberen Brustbereich befinden sich zwischen den beiden Perückensträngen farbig abgesetzte Musterreihen, die Teile des Schmuckkragens repräsentieren, um die Stirn läuft ein goldenes Inschriftenband mit erhabenen Hieroglyphen. Den Scheitel der Maske krönt ein Skarabäus mit Sonnenscheibe. Das goldene Gesichtsfeld der Maske und der Skarabäus beziehen sich auf den Sonnengott Re und drücken die Hoffnung des Verstorbenen auf Wiedergeburt aus.
Maske eines Kindes
Die um 120 n. Chr. hergestellte Maske aus Leinenkartonage vereint traditionell ägyptische Vorstellungen und römische Elemente. Aufgrund ihrer Größe handelt es sich vermutlich um die Totenmaske eines Kindes.
Die anmutige Darstellung eines Kindes ist mit farbenprächtigen Malereien versehen und spiegelt durch ihre verschiedenen Gestaltungselemente die multikulturelle und vielfältige Welt des antiken Ägypten wider. So wird das kurze schwarze Haar in römischem Stil hinter den Ohren von einem Kopftuch bedeckt, während die Bemalung der beiden Strähnen auf ägyptische Traditionen Bezug nimmt: die liegenden Schakale repräsentieren den Gott Anubis, der die Verstorbenen ins Jenseits geleitet. Am Scheitel und am Hinterkopf breitet eine geflügelte Sonnenscheibe schützend ihre Schwingen um das Haupt. Als Zeichen für die stetige Erneuerung trägt sie Sorge für die Wiedergeburt.
Horussohn
Das Fragment einer Leinenkartonage mit der Darstellung eines Horussohnes besticht durch seine frische Farbigkeit und detailgenaue Ausführung. Es stammt aus ptolemäischer Zeit.
Horus war ein Himmelsgott und einer der Hauptgötter der ägyptischen Mythologie. Das Bildfeld mit dem nach rechts blickenden, mumienförmigen Gott wird durch zwei Inschriftenzeilen links und rechts umrahmt. Die rechte Inschriftenzeile identifiziert den Horussohn als Amset, während die grüne Inschriftenzeile den Horussohn Hapi nennt. Die Horussöhne, von denen es neben den beiden Genannten noch Duamutef und Kebechsenuef gibt, sind die Kinder von Horus mit der Göttin Isis. Sie sind die Schutzgötter der Kanopen, also jener Gefäße, in denen die Eingeweide der Verstorbenen separat vom Leichnam beigesetzt wurden.
Mumienportrait eines jungen Mannes
Mumienportraits sind nicht nur wegen ihrer farbigen Ausdruckskraft berühmt, sondern stellen auch wegen ihrer realistischen Darstellungen einzigartige Zeugnisse antiken Kunstschaffens dar. Sie wurden in römischer Zeit üblich und über dem Gesicht der einbalsamierten Mumie angebracht wie dieses Portrait eines jungen Mannes aus dem 2. Jh. n. Chr.
Vom Verstorbenen sollten Leib und Antlitz für ein Leben im Jenseits in bestmöglichem Zustand erhalten bleiben. Neben der Einbalsamierung dienten auch naturgetreu gestaltete Portraittafeln dazu, den Verstorbenen möglichst unversehrt ins Totenreich zu überführen. Auf diesem Fragment hat sich mehr als die Hälfte der Büste eines jungen Mannes in Frontalansicht erhalten. In Temperatechnik hat der Künstler die individuellen Züge des Verstorbenen detailliert auf Holz festgehalten: das längliche ovale Gesicht, das kurze lockige Haar, Koteletten, Oberlippenbart und ein Bärtchen in der Kinngrube. In die Augenwinkel wurden sogar blaue Äderchen gemalt, um die Plastizität der Augen zu erhöhen. Wie auf den meisten Mumienportraits trägt auch der junge Mann römische Tracht, in diesem Fall eine Tunika.