Funktionen und Mitgliedschaften
Biografie
Marie Tusch ist eine der wichtigsten Vertreterinnen der Kärntner ArbeiterInnenbewegung. In den Jahren radikaler politischer Auseinandersetzungen wird sie, so Vinzenz Jobst, von den jugendlichen ArbeiterInnen „wie eine Heilige verehrt“. Sie wird als Kind unverheirateter Eltern geboren. Ihre Mutter arbeitet als Magd, ihr Vater je nach Arbeitsgelegenheit entweder als Maurer oder als Knecht. Mit sieben Jahren kommt Marie in das Kloster Maria Saal, wo sie schon als Kind zur Arbeit im Wirtschaftswesen herangezogen wird, um die Schulgebühren für die Volksschule im Kloster abzuarbeiten. Später tritt sie aus der katholischen Kirche aus.
Mit 12 Jahren wird sie Arbeiterin in der k.k. Klagenfurter Tabakfabrik in der damals über 500 Frauen und Mädchen arbeiten und die das größte Unternehmen in Kärnten ist. In der Tabakfabrik beginnt ihr gewerkschaftliches Engagement. Sie heiratet den Eisenbahner und Sozialdemokraten Anton Tusch. Marie Tusch wird Vertrauensperson im Fachverein der Tabakarbeiter und Tabakarbeiterinnen in Kärnten und erfährt als solche auch die Willkür der Fabriksleitung.
Nach dem Ersten Weltkrieg wird sie Vorsitzende des Kärntner Landesfrauenkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ) und Mitglied des Gemeindeausschusses St. Ruprecht bei Klagenfurt. Als einzige Frau aus den Bundesländern wird sie 1919 in die Nationalversammlung entsandt. Von 1920 bis 1934 - mit dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei durch die Regierung Dollfuß und dem Ende der demokratischen Ordnung - gehört Tusch durchgehend dem Nationalrat an. Obwohl sie eine begabte Rednerin gewesen sein soll, meldet sie sich selten zu Wort. Ihre politische Arbeit gilt den Kriegsversehrten des Ersten Weltkrieges und den Frauenrechten. Sie engagiert sich für die soziale Absicherung von Frauen und Müttern und setzt sich für die Straffreiheit von Abtreibungen ein. Aufgrund ihrer Arbeitserfahrungen fungiert sie als Expertin für wirtschaftliche Fragen des österreichischen Tabakmonopols. Ob Marie Tusch nach den Februarkämpfen, wie die meisten Abgeordneten der SDAPÖ, verhaftet wird, ist unklar.
Die Gemeinde Wien hat im Bereich der Seestadt Aspern im 22. Bezirk eine Straße (Maria-Tusch-Straße) nach ihr benannt.
Jobst: Marie Tusch
Hauch: Vom Frauenstandpunkt aus, 348 - 350
Lexikon
Frauen in Klagenfurt
Marie Tusch, 1868 - 1939: Tabakarbeiterin, Nationalratsabgeordnete.
"Frauen, Ihr müßt selbstbewußt werden!" Mit diesen Worten beendete Marie Tusch fast jeden ihrer Vorträge. Die Tabakarbeiterin, die politische Karriere machte, wurde als lediges Kind einer Magd 1868 als Maria Pirtsch in Klagenfurt geboren. Die Elementarschule konnte sie im Kloster Maria Saal absolvieren. Als Zwölfjährige begann sie ihre Arbeit in der k.k. Tabakfabrik in der Bahnhofstraße. Diese beschäftigte damals 639 ArbeitnehmerInnen, davon 583 Frauen. Für die ArbeiterInnen hieß es, eine 54-Stunden-Woche zu bewältigen. Der Lohn reichte kaum zum Leben, wer sich auflehnte, wurde sofort entlassen. Marie Tusch wurde Vertrauensfrau, später Betriebsrätin. sie übernahm die Leitung des Landesfrauenkomitees der SPÖ Kärnten. Als Nationalratsabgeordnete wurde sie 1919 als eine der ersten acht Frauen angelobt und sie war in allen vier Legislaturperioden der Ersten Republik vertreten. Ihr Engagement galt besonders dem Schicksal der Kriegsversehrten. Als Sozialpolitikerin trat sie für die Rechte der Frauen, für die soziale Besserstellung von Arbeiterinnen und Müttern ein. Sie war gegen die strafrechtliche Verfolgung bei Abtreibungen. Marie Tusch galt auch als Expertin in wirtschaftlichen Fragen des österreichischen Tabakmonopols. Sie verfügte über eine eindrucksvolle Wortwahl und eine geschickte Rhetorik, die stets einzelne Schicksale hinter den geschilderten Problemen sichtbar machte. Sie erwarb sich weit über die Parteigrenzen hinaus Ansehen und Anerkennung. Bildung war der wichtigste Antrieb für Marie Tusch - ihr Wissen verdankte sie der individuellen Förderung innerhalb ihrer Organisationen. Im Jahre 1939 starb sie im Alter von 71 Jahren an einer Lungenentzündung. Die Familie ihrer Adoptivtochter (Hornbogner) ehrt das Andenken an sie am Friedhof Klagenfurt St. Ruprecht.
biografiA
Tusch Marie, geb. Pirtsch; Tabakarbeiterin und Nationalrätin
Geb. Klagenfurt, Kärnten, 1. 12. 1868
Gest. Klagenfurt, Kärnten, 25. 7. 1939
Herkunft, Verwandtschaften: Mutter: Magd; Vater: Maurer oder Knecht; ein Bruder.
LebenspartnerInnen, Kinder: Verheiratet mit Anton Tusch (* 1869), Sozialdemokrat, Werksführer bei der Eisenbahn. Eine Adoptivtochter.
Ausbildungen: Kam mit 7 Jahren über Vermittlung einer Gönnerin ins Kloster Maria Saal, wo sie im Dienstleistungsbereich arbeitete und die Volksschule besuchte.
Laufbahn: 1880, mit zwölf Jahren, Arbeiterin in der k. k. Klagenfurter Tabakfabrik, Arbeit als „Übernehmerin“ und einfache Zigarettendreherin; Mitglied und Vertrauensperson im 1903 gegründeten Fachverein der Tabakarbeiter und -arbeiterinnen in Klagenfurt. Bei der Gründungsversammlung traten dem Verein 200 Arbeiterinnen aus der Tabakfabrik bei, die das größte Unternehmen Kärntens war und aus der viele sozialdemokratische Politikerinnen Kärntens kamen; 1910 Gründung der sozialdemokratischen Frauenorganisation Kärntens; Vorsitzende des Frauenlandeskomitees für Kärnten, Obfrau der Tabakarbeiterschaft, Mitglied des Gemeindeausschusses St. Ruprecht bei Klagenfurt, Mitglied der Landesparteivertretung der SDAP Kärnten; nach dem 1. Weltkrieg Vorsitzende des Kärntner Landesfrauenkomitees der SDAP, Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung SdP 4. 3. 1919–9. 11. 1920, Abgeordnete zum Nationalrat (I.-III. GP) SdP 10. 11. 1920–1. 10. 1930, Abgeordnete zum Nationalrat (IV. GP) SdP 2. 12. 1930–17. 2. 1934, Teilnahme an allen Parteitagen der Ersten Republik. Im Parlament engagierte sich M. T. vorwiegend in sozialpolitischen und frauenspezifischen Themen sowie zu Problemen ihrer Region. Sie wurde von ZeitgenossInnen als „sehr zäh“ und „kraftvoll“ geschildert, im Gegensatz zu ihrer zierlichen Gestalt.
Ausz.: Verkehrsflächenbenennung: Maria-Tusch-Straße 1220 Wien, Beschluss von 2012.
Quellen und Sekundärliteratur
Material in Archiven und Sammlungen
- Pressestimmen - In: WBR/TBA, Dokumentation, TP-053124