Pressemeldung
6. Dezember 2016
Unter Bethlehems Stern. 24 Prachthandschriften aus dem Mittelalter
Die Geburt Jesu hat wie kaum ein anderes Ereignis die Gefühle und die Fantasie der Menschen bewegt. Besonders deutlich sieht man das bei mittelalterlichen Handschriften, die bis heute mit ihrer großen Farbenpracht beeindrucken. Die Österreichische Nationalbibliothek hat aus ihren reichhaltigen Beständen 24 Prachthandschriften ausgewählt und präsentiert sie um die Weihnachtszeit in der Ausstellung „Unter Bethlehems Stern“.
Die kunstvollen und außergewöhnlichen Illustrationen der wertvollen Bücher erzählen im Mitteloval des Prunksaals die Weihnachtsgeschichte nach der Chronologie der Evangelien. Der Bilderreigen reicht dabei von der Verkündigung an Maria über die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenland und den Bethlehemitischen Kindermord bis zur Flucht nach Ägypten. Gemeinsam umrahmen sie die zentrale Szene – die Geburt Christi. Alle gemeinsam sind sie erstrangige Zeugen für die hohe Buchkunst und die Spiritualität des Mittelalters.
Bilderreichtum in wertvollen Stundenbüchern
Zwei von vier Evangelien beschreiben im Neuen Testament die Menschwerdung Christi, aber sowohl Lukas als auch Matthäus schildern dieses Ereignis nur in knappen Darstellungen. Schon in frühchristlicher Zeit begann man daher, diese Szenen auszuschmücken: Die Texte wurden mit erzählerischen Elementen angereichert und um farbenprächtige Illustrationen ergänzt. Dabei wurden auch Szenen und Figuren eingebaut, die in diesem Erzählzusammenhang gar nicht vorkommen, sondern dem Alten Testament oder sogenannten apokryphen Schriften entnommen wurden; berühmtestes Beispiel sind Ochs und Esel im Stall von Bethlehem. Diese neuen Bilder prägen Weihnachten bis heute.
„Unter Bethlehems Stern“ präsentiert den Prozess der bildlichen und textlichen Ausschmückung anhand von 24 Handschriften des Mittelalters und der Renaissance. Die ausgestellten Darstellungen stammen vorwiegend aus sogenannten Stundenbüchern,wovon die Österreichische Nationalbibliothek eine der weltweit größten und wertvollsten Sammlungen bestitzt. Aus kunsthistorischer Sicht zählen die in diesen speziellen Gebetbüchern enthaltenen Miniaturen zu den beeindruckendsten Bildwerken dieser Epochen. Je bedeutender und reicher der Auftraggeber war, umso opulenter fiel auch der Bilderschmuck der Handschrift aus. Haben die zentralen Bilder grundsätzlich eine theologische Bedeutung, indem etwa ein Bezug zum Alten Testament hergestellt wird, so dienen andere Illustrationen wie Drachen am Rand der Texte oder die gern verwendeten Blätter- und Blumengirlanden lediglich der Dekoartion bzw. vornehmlich der Unterhaltung. Bei vielen Bildern versuchten die Bildkünstler, die göttlichen Szenen und die Engelserscheinungen der Bibel in den Alltag der Menschen „hereinzuholen“, um sie verständlicher zu machen. Augenfällig wird diese Intention etwa in den abgebildeten Kleidern von Maria und Josef, von Hirten und Sterndeutern: Es sind oft Kleider des Mittelalters, also der Gegenwart der damaligen Künstler und Bildbetrachter.
Farbenprächtige Weihnachtsgeschichte
Die Ausstellung erzählt die Weihnachtsgeschichte anhand bemerkenswerter Buchillustrationen, beginnend mit der Verkündigung der Geburt des Herrn an Maria, gefolgt von der Szene der Heimsuchung Mariens, in der die Gottesmutter ihrer Cousine Elisabeth begegnet und sie das Glück über ihre Schwangerschaft teilen. Die nächste Station ist dann schon die Menschwerdung Jesu: Die Nachricht von seiner Geburt verbreitet sich schnell, ist es doch ein Engel, der sie zuerst den Hirten verkündet. Es folgen die Sterndeuter aus dem Osten, die von einem Stern nach Bethlehem gelockt wurden. In diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist eine Handschrift des
15. Jahrhunderts, denn selten wurde die Erscheinung des Herrn so komplex dargestellt wie in dieser Miniatur. Dieses Kunstwerk wurde um 1420/30 in Paris vom sogenannten Meister des Herzogs von Bedford ausgeführt, der als einer der bedeutendsten französischen Buchmaler dieser Epoche gilt. Der Darstellung des Herrn – also die Begebenheit, bei der Maria und Josef den Neugeborenen im Tempel nach altem Ritus durch ein Reinigungsopfer auslösen – folgt der Bethlehemitische Kindermord: In grausamen Bildern wird hier die barbarische Tötung aller Buben bis zum zweiten Lebensjahr geschildert, die König Herodes befahl, um Jesus, den prophezeiten neuen „König der Juden“, auszuschalten. Mit der abschließend dargestellten Flucht nach Ägypten entzieht sich die Heilige Familie diesem mörderischen Befehl.
„Unter Bethlehems Stern“ belegt damit sehr eindrucksvoll, wie wichtig Legenden und andere außerbiblische Texte für die Menschen des Mittelalters waren und wie sehr diese erzählerisch ausgeschmückten Berichte über die mittelalterlichen Bilder bis heute nachwirken.
Die Chronologie der Weihnachtsgeschichte
Verkündigung des Engels an Maria
Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte Dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. (Lukas 1, 30–31)
Das Evangelium des Lukas berichtet nur knapp von dem Ereignis, mit dem im christlichen Glauben die Erlösung der Menschheit ihren Anfang genommen hat. Denn mit der Verkündigung an Maria beginnt für die Kirche der Neue Bund, das Zeitalter sub gratia (unter der Gnade). Dieser Bund findet mit dem Opfertod Christi am Kreuz und der Auferstehung seine Vollendung. In der mittelalterlichen Buchmalerei steht der Moment der Begegnung des Engels mit Maria im Vordergrund. Mit erschrockenem Gestus oder ruhiger Gelassenheit wird die Nachricht des Verkünders von der Jungfrau aufgenommen. Flankierende Bilderläuterungen sind oft dem Alten Testament entnommen.
Heimsuchung Mariens
Nach einigen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. (Lukas 1, 39–40)
Die Heimsuchung Mariens, die in der Bibel auf die Verkündigung folgt, hat die Begegnung der beiden schwangeren Frauen Maria und ihrer Cousine Elisabeth zum Thema. Der erzählerische Rahmen schließt außer der Verkündigung an das greise Ehepaar Elisabeth und Zacharias vor allem auch die Jugendgeschichte ihres Sohnes Johannes des Täufers mit ein. Eine nachhaltige Wirkung war dem in diesem Zusammenhang entstandenen Lobgesang Mariens (Magnificat) und dem Lied des Zacharias (Benedictus) beschieden. In den Handschriften des Mittelalters steht neben dem zeitbedingten Interesse für kunstvoll wiedergegebene Architektur- und Landschaftskulissen immer wieder auch die emotionale Komponente der Begegnung der beiden werdenden Mütter im Vordergrund.
Christi Geburt
Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legt ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. (Lukas 2, 6–7)
Die ausführlichste und zugleich berühmteste Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium schildert den Gang Josefs mit seiner schwangeren Frau Maria nach Bethlehem, ihre Herbergssuche, die Niederkunft in einem Stall und die Anbetung des Kindes durch die Hirten. Die Buchkunst nimmt die in den zahlreichen schriftlichen Quellen festgehaltenen Episoden auf und integriert sie in erzählerisch ausgeschmückten Bildern. Darüber hinaus beinhalten die Szenen aber auch symbolhaft ausgelegte Motive wie die Darstellung des Lichtes oder Ochs und Esel, die als Sinnbild des auserwählten Volkes bzw. der Heidenwelt angesehen wurden.
Die Verkündigung an die Hirten
In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen [...]: fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude [...]: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren. (Lukas 2, 8–11)
Dass die Botschaft vom Wunder der Menschwerdung Gottes als erstes dem einfachen Hirtenvolk verkündet wird, ist von großer Bedeutung und spiegelt einen wesentlichen Grundgedanken der christlichen Lehre: Dieser Gott wird – im Gegensatz zu den antiken Göttern – als ein Gott präsentiert, der sich von irdischem Reichtum nicht blenden lässt. Er macht daher ausgerechnet jene, die nicht lesen können, aber mit dem Herzen verstehen, zu seinen ersten Zeugen, damit sie die himmlische Botschaft weiter tragen in die Welt. Die spätmittelalterlichen Stundenbücher widmen diesem Thema eigenständige Bilder, die sie mitunter zu Schäferidyllen ausbauen.
Erscheinung des Herrn (Epiphanie)
Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. (Matthäus 2, 1–2)
In den östlichen Kirchen hat die Epiphanie als das ältere Geburtsfest Christi die Geburts- und Kindheitsgeschichten der Matthäus- und Lukas-Evangelien zum Hintergrund. Im Westen verband man mit diesem Fest insbesondere die Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland. Geleitet von einer kosmischen Erscheinung, die sie im Sinne damaliger astrologischer Vorstellungen auf die Geburt eines neuen Königs beziehen, begeben sich die Magier nach Jerusalem. Von Herodes dazu veranlasst, eruieren die jüdischen Schriftgelehrten den Geburtsort; die drei Magier ziehen nach Bethlehem, finden das Kind, beten es an und bringen Gold, Weihrauch und Myrrhe.
Darstellung des Herrn
Dann kam für sie der Tag, der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen. (Lukas 2, 22)
Dem Gesetz des Alten Testaments folgend, führen Maria und Josef 40 Tage nach der Geburt ihren Sohn in den Tempel. Maria bringt als Reinigungsopfer zwei Tauben dar. Ihr Sohn, der als Erstgeborener als Eigentum Gottes gilt, muss durch ein Geldopfer ausgelöst werden. Darüber hinaus wird im Evangelium die Begegnung mit dem Propheten Simeon erzählt, der in dem Knaben den Messias erkennt. Die mittelalterlichen Buchmaler konzentrieren sich auf die Darbringung Jesu im Tempel, die in Anspielung auf den Opfertod Christi oft direkt über dem Altar vollzogen wird. Eindrucksvoll wird dies in den Stundenbüchern hervorgehoben, die der Darbringung die Kreuzigung gegenüberstellen. Auch die an diesem Festtag (Maria Lichtmess) vollzogene Kerzenweihe und die Lichterprozession wurden thematisiert.
Bethlehemitischer Kindermord
Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig, und er ließ in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten. (Matthäus 2, 16)
Die Kinder von Bethlehem und ihre Mütter, Herodes und seine Schergen – sie sind die Akteure des biblischen Dramas, in dem Unschuld und Mutterliebe der Machtgier eines antiken Gewaltherrschers zum Opfer fallen. Ausgelöst wurde der barbarische Akt durch die Täuschung der Sterndeuter. Sie sollten Herodes den genauen Aufenthaltsort des neugeborenen Königs der Juden verraten. Durch einen Traum gewarnt, begaben sie sich jedoch in ihre Heimat zurück, ohne den Herrscher noch einmal aufzusuchen. Daraufhin lässt Herodes in Bethlehem alle neugeborenen Knaben bis zum Alter von zwei Jahren ermorden. Die mittelalterlichen Buchmaler stellen das Morden mit drastischem Detailrealismus dar.
Flucht nach Ägypten
Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und flieh nach Ägypten. (Matthäus 2, 13)
Für die fliehende Heilige Familie wird bereits in den ältesten Darstellungen aus dem 5. Jahrhundert eine Bildformel verwendet, die bis heute verbindlich und prägend bleiben sollte: Maria sitzt mit dem Kind auf dem Esel, während Josef zu Fuß geht und den Esel führt. Inhaltliche Ergänzungen erfährt das Thema vor allem durch die Apokryphen (Schriften außerhalb des biblischen Kanons), die das wundersame Wirken Christi auf der Flucht beschreiben. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Kornfeldlegende (das Christuskind lässt das Korn so schnell wachsen, dass die Verfolger getäuscht werden), der Sturz der Götzen sowie die Ruhe auf der Flucht (Maria stillt das Kind, während Josef Wasser aus dem Bach schöpft).
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Mag. Thomas Zauner
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