Tagebuch
1952
Tagebuch
vom ... Mo, 24 11 52
bis ... Mo, 22 12 52
Stellte die längste Faktura in der Geschichte dieses Büros fertig: 31 Seiten. Auch Abrechnungen
Daheim keine Arbeit mehr begonnen.
Früh eine Arbeit übers chemische Institut begonnen.
Im neuen Büro werden wir nicht nur Glaswände bekommen, sodaß man vom ersten bis zum letzten Raum hindurchsehen kann, sondern auch eine Abhöranlage, die jedes unserer Worte dem Chef hinüberträgt.
Abends eine Karte von Maria Lassnig. Für meine Art Club-Lesung wird es schon zu spät sein. Ich werde der Malerin abschreiben.
Diesen Morgen konnte ich an meiner Prosa nicht weiterschreiben.
Abends kamen die Photographien, die ich mit dem neuen Apparat aufgenommen hatte. Ich studierte ihre Fehler. In Zukunft werde ich mit kürzeren Belichtungszeiten arbeiten.
Beim Ausbruchsversuch aus den Toren einer israelitischen Ausstellung, die vorzeitig geschlossen worden war, wurde ich von einem Physiker gefangengenommen und an einen Baum gehängt.
Angenehmes Büro. Gehalterhöhung in Aussicht.
Abends wollte ich ins Flötzersteigkino, den Film "Nachts auf den Straßen" mit Knef sehen. Sie spielten aber ein anderes Stück, und ich mußte ergebnislos im Nebel nachhause laufen.
Vorabend meines Namentags wurde statt morgen heute gefeiert. Angenehmer Abend mit gutem Essen und Wein.
Buchstäblich keine Zeit, zu schreiben.
Büro: Böse Arbeiten stehen bevor.
Nachmittag zu Hakel, wo ich auch Polakovics treffen werde.
Bei Hakel. Half für deren Übersiedlung Bücher verpacken. Wie immer bei Hakel, sehr umfassender Vortrag.
Sehr spät nachhause gegangen.
Nur früh aus dem Bett gekrochen, später wieder mich niedergelegt.
Vormittag beizte ich den Boden mit "Büffel-Beize", Polakovics und Wiesflecker kamen auf kurzen Besuch. Wiesflecker spricht so anders von Brigitte Kahr als ich von ihr gedacht habe ...
Im Bett fiel ich über meine Gedichte her und warf vieles hinaus.
Gegen Abend wurde ich immer müder und verlor die Zusammenschau, die ich morgens gehabt hatte.
Morgens schlechtgelaunt ins Büro. Hatte Angst, daß es nach dem Sonntag wieder Zusammenstöße geben würde. Die Leute haben ihr gestriges Privatleben noch nicht ganz vergessen und lesen es einander an den Gesichtern ab und nehmen es einander übel.
Dünner Wasserschnee fällt. In der Wohnung friert es jetzt, und der Körper wird un- beholfen.
Arbeit
Arbeit
Schon heute Wochenendstimmung.
Diese Woche gab es viel Ärger.
Morgen ist Lesung bei Maria Lassnig. Ich habe ihr immer auf den Postkarten "Frau Maria Lassnig" geschrieben; sie schrieb auf ihrer letzten Karte "Fräulein" Maria Lassnig als Absender und unterstrich das Wort "Fräulein."
Abends 19h Art Club. Erst 20,30 waren mehrere Leute versammelt (und auch dies fast nur Art Club-Maler). Ich ließ mich von Seidl, einem sympathischen Mann, über Hegel informieren, die ersten eineinhalb Stunden. Die Lesung wollte ich absagen; Maria Lassnig, jünger als ich gedacht, in langen Schnürlsamthosen, bewog mich, trotz dem schlechten Besuch zu lesen. Ich las ein paar Stück Gedichte, intim, hinten bei den Tischen, und mit wenig Begeisterung.
Der 47-er fuhr mir vor der Nase davon: Ich ging den Weg in ziemlicher Kälte zu Fuß.
Gerne zu Bett gegangen.
Vormittags kam Kein.
Ich arbeitete nachmittags einiges aus den Rückständen auf. Draußen ist es schon vorweihnachtlich kalt. Die Unwirtlichkeit schlägt in Schönheit um.
Die Gedanken "Was habe ich mit meiner Zeit getan", dringen seltener und seltener deutlich nach außen. Nicht einmal sie auszudenken habe ich Zeit.
Früh ein bißchen mutlos. Frost.
Im Büro unmenschliche Arbeit.
Ohne Journaldienst zu haben, blieb ich bis 18,45 im Büro. Abends Wodka.
Im neuen "Öst. Tagebuch" wurde mein Gedicht "Projekt" veröffentlicht.
Frost. Versuchte, die Rückstände etwas zu lichten.
Kalte Straßenbahnfahrten. In einer Apotheke auf dem Schuhmeierplatz wurde, hinter versperrten Läden, noch von zwei Männern gearbeitet.
Viel Arbeit.
Abends kamen die erwarteten Briefmarken.
Viel Arbeit.
Etwas weniger Arbeit. Abends einen Kugelschreiber eingekauft. Ich mag die Stadt nicht.
Man könnte viel weiter kommen, wenn man Schüler Gides, Freuds, der Philosophen durch deren Bücher sein könnte. Aber ein Kernübel:- keine Zeit, oder minderwertige Zeit.
Man verschiebt vieles auf die Reife. Aber werde ich als reifer Mensch Zeit haben?
12 12 52 abendsDas Dezemberheft der "Neuen Wege" kam. Ein interessanter Artikel von Cysarz, ein seltsamer von Jirgal, und unerwartet viel Gedichte von Dienel. Ihre Anfänge sind immer ausgesprochen gut.
Auf Schienen schob sich unausweichlich eine Magirusleiter heran. Sie nahm mich auf ihre Spitze und hob mich, unendlich langsam, in unermeßliche Höhe. Dort erwartete mich Kriegsdienst. Zunächst nur das Wegrasieren von Baumkronen, dann aber Ausharren im Nahkampf. Ich durfte wählen zwischen Eierhandgranaten und Flammenwerfern, wählte die Granate, wurde aber gerade deswegen den Flammenwerfern ausgesetzt. Jemand bot mir einen Vorgeschmack, indem er mir das Gesicht bis zur Entzündung zerkratzte. Unterdessen wurden in der Schweiz alle Bahnhöfe gesperrt.
Nachmittags vom Büro ausgeruht. Zu mehr war ich nicht imstande.
Jede Frau, die halbwegs hübsch oder auch nur auffallend ist, projiziert man in dieser mädchenlosen Zeit sogleich in sein Bett.
13 12 52 abendsBriefschreibetag. (Polakovics; Jandl abends, sehr gern).
Die Bilder von den Chem. Instituten für Hakel fertiggeschrieben.
Dem Sonntag also viel abgerungen oder abgelächelt.
Träumte von einer sehr schönen geschlechtlichen Vereinigung mit einem Mädchen.
Abends nach dem Büro in der Zeitschrift "Freude an Büchern" ein Eliot Katzengedicht, ins Zuckmayerdeutsch übertragen, entdeckt. Nur das Zuckmayerdeutsch gefällt mir nicht.
Janet aus Guernsey ist ein reizendes Mädchen geworden, wie ich aus ihrer Photographie (Totalansicht) ersehe. Sie ist achtzehn Jahre geworden.
Abends Post von Frau Hofmann. Sie ist trotz der Geschichte mit dem Radiogedicht freundlich und geduldig wie immer.
Erschütternd lesen sich die Berichte aus Korea: Eine Mutter zwangen die amerikanischen Soldaten, das herausgerissene Aug ihres Kindes zu essen.
Kälte und dichter Nebel. Weihnachtsvorbereitungen im Büro. Ich hatte den ganzen Tag noch an den Abrechnungen und den Überschreibungen der EVE-Daten zu arbeiten.
"bütten Sie sich ein ..." (statt bilden oder dem wienerischen büüden. H.)
In unserer nassen Wohnung fällt das Aufstehen am Morgen schwer.
Geschenke der Firmen Filippitsch und Napoli. (30 Orangen, 46 Mandarinen; 1 Kollektion Christbaum-Schokolade, 20 große Neapolitanerschnitten.)
In der Mittagspause nahm ich mir vor, das Grab Kräftners zu erkunden, rief das Krematorium an (bis auf diese Spur war ich durch Ebner und Hirss gekommen), konnte aber ohne Angabe des Sterbemonats nichts erfragen. Versuchte, Weigel zu Hause, dann im Café Raimund zu erreichen, auch Ebner nicht gefunden. Endlich kam ich auf den Gedanken, Brigitte Kahr zu fragen. Die war aber nicht zu Haus.
Ihre Mutter: "Ja, sie ist auf der Universität bei der Promotion."
Ich: "Ach, bei der Promotion?!"
M: "Nein, nicht bei ihrer. Bei der Promotion einer Kollegin."
Ich fragte aber, ob sie selbst es zufällig wisse und mir liebenswürdigerweise sagen könne, wann Kräftner gestorben ist. Sie wußte den Monat augenblicklich, wollte des Tages wegen in den "Stimmen der Gegenwart" nachsehen, fand die aber nicht; ich begnügte mich mit dem Monat: November 1951.
"Wollen Sie über sie etwas schreiben? Und verzeihen Sie die Neugierde, arbeiten Sie noch bei den "Neuen Wegen"? Ach nein, richtig. Meine Tochter hat schon länger dort was liegen und hat bis jetzt noch keine Antwort gekriegt."
"Ich werde bei Gelegenheit Polakovics fragen; er ist noch immer dort."
"Es wär sehr lieb, wenn Sie einmal vorüberschauen ....."
Ich erfuhr dann im Krematorium die Grabnummer von Hertha Kräftner.
Abend. 3 Viecherln.
Bis jetzt, nachmittags, nichts Eintragenswertes. Heute wieder großer Frost.
Abends gutes Essen. Radio. Ein Wedekind gedicht mitten in einer Hausfrauensendung des "Kleinen Volksblattes" (Sender Rot-Weiß-Rot) verstimmte mich.
Ich legte mich zeitig zu Bett.
Kein. Wir unterhielten uns über Politik.
Ich wurde sehr zu Gedanken angeregt.
Versuchte eben wieder, an "Medea" weiterzuschreiben. Hatte auch alle neuen Versuche wieder verbrannt.
Daß ich lyrisch heute ganz versperrt bin und wie aus einem Instinkt, der mächtiger ist als alles andere, zur erzählenden Prosa neige, ist wohl darauf zurückzuführen, daß ich in dieser Zeit innen leer bin, und daß alles, was ich für interessant werte, außen liegt.
Im Frühjahr 50 habe ich äußere, wirkliche Landschaften gezeigt, aber mitbeschrieben, welche Rolle ich in ihnen gespielt habe.
Dieses Gedicht, bildhaft, hat seinen eigenen Sprachrhythmus gehabt, nicht gemessen, aber keine zerbrochene Prosa, wie jene der allermeisten "freien Rhythmiker" hier.
Im Jahr 51, mit einem Höhepunkt im Herbst, bin ich zum Lied hin gegangen. Das Lied hat alles nach innen verlegt, aus dem Bild ins Gehör und aus dem Bild-Sinn, der mannigfach ist wie das vorüberfließende Leben, in die Einfachheit des blinden seelischen Lebens.
Nun kündigt sich eine winterliche Klarheit an. Ich werde nicht-mitfühlend erzählen.
Traf Briggi. Sie hat unlängst "ihre erste Party" gegeben; nicht "überwiegend für ausländische Gäste" sondern nur für zwei Amerikaner, sonst für Österreicher.
Ihre Gesichtshaut scheint nicht gesund zu sein. Briggis Äußeres ist sehr veränderlich, nicht so sehr den Schminkeinfällen als gesundheitlichen Schwankungen unterworfen.
Abends recht müde heim.
Ein Traum in der Nacht von vorgestern auf gestern: Wir waren alte Römer und feierten ein Fest. Im Saal waren nur wir vier: Ein Mädchen, die mit drei oder vier Nesselkleidern bedeckt wurde. Die Nesselkleider sollten das Mädchen bei lebendem Leibe aufätzen. Zwei dicke Römer, die vor Freude einander boxten. Sie hatten einander längst die Zähne eingeschlagen und spuckten sie nun einander ins Gesicht. Und ich. Ich kam mir plötzlich schrecklich schlecht vor und trat hinter ein Gebüsch. Dort war die Welt ganz anders, dort lag Wald, und Tiere standen im Augenblick meines Kommens um mich im Kreis. Als ich aber einen Schritt in diese Welt machte, flohen sie und sammelten sich um Franziskus von Assisi. Ich empfand mich als seinen negativen Gegenpol und als verflucht.
Tagebuch
1952
Tagebuch
vom ... Mo, 24 11 52
bis ... Mo, 22 12 52
Stellte die längste Faktura
in der Geschichte dieses
Büros fertig: 31 Seiten.
Auch Abrechnungen
Daheim keine Arbeit
mehr begonnen.
Früh eine Arbeit übers
chemische Institut
begonnen.
Im neuen Büro werden
wir nicht nur Glas-
wände bekommen, sodaß
man vom ersten bis
zum letzten Raum hin-
durchsehen kann,
sondern auch eine
Abhöranlage, die jedes
unserer Worte dem
Chef hinüberträgt.
Abends eine Karte
von Maria Lassnig.
Für meine Art Club-
Lesung wird es schon
zu spät sein. Ich
werde der Malerin
abschreiben.
Diesen Morgen konnte ich
an meiner Prosa nicht
weiterschreiben.
Abends kamen die
Photographien, die ich
mit dem neuen
Apparat aufgenommen
hatte. Ich studierte ihre
Fehler. In Zukunft
werde ich mit
kürzeren Belichtungs-
zeiten arbeiten.
Beim Ausbruchsversuch
aus den Toren einer
israelitischen Ausstellung,
die vorzeitig geschlossen
worden war, wurde
ich von einem Physi ker
gefangengenommen und
an einen Baum gehängt.
Angenehmes Büro.
Gehalterhöhung in
Aussicht.
Abends wollte ich ins
Flötzersteigkino, den
Film "Nachts auf den
Straßen" mit Knef
sehen. Sie spielte n
aber ein anderes
Stück, und ich
mußte ergebnislos
im Nebel nachhause
laufen.
Vorabend meines
Namentags wurde
statt morgen heute
gefeiert. Angenehmer
Abend mit gutem
Essen und Wein.
Buchstäblich keine
Zeit, zu schreiben.
Büro: Böse Arbeiten
stehen bevor.
Nachmittag zu Hakel,
wo ich auch Polakovics
treffen werde.
Bei Hakel. Half
für deren Übersiedlung
Bücher verpacken.
Wie immer bei Hakel,
sehr umfassender Vortrag.
Auch, wie immer,
sSehr spät
nachhause gegangen.
Nur früh aus dem
Bett gekrochen, später
wieder mich nieder-
gelegt.
Vormittag beizte ich
den Boden mit
"Büffel-Beize",
Polakovics und Wiesflecker
kamen auf kurzen
Besuch.
Wiesflecker
spricht so anders
von Brigitte Kahr als
ich von ihr gedacht
habe ...
Im Bett fiel ich
über meine Gedichte
her und warf vieles
hinaus.
Gegen Abend wurde ich
immer müder und
verlor die Zusammen-
schau, die ich morgens
gehabt hatte.
Morgens schlechtgelaunt
ins Büro. Hatte Angst,
daß es nach dem
Sonntag wieder
Zu sammenstöße geben
würde,.
Die Leute
haben ihr gestriges
Privatleben noch nicht
ganz vergessen und
lesen es einander
an den Gesichtern
ab und nehmen
es einander übel.
Dünner Wasserschnee
fällt. In der Wohnung
friert es jetzt, und
der Körper wird un-
beholfen.
Arbeit
Arbeit
Schon heute Wochen-
endstimmung.
Diese Woche gab es
viel Ärger.
Morgen ist Lesung
bei Maria Lassnig.
Ich habe ihr
immer auf den
Postkarten "Frau
Maria Lassnig"
geschrieben; sie
schrieb auf ihrer
letzten Karte
"Fräulein"
Maria
Lassnig als Absender
und unterstrich
das Wort "Fräulein."
Abends 19h
Art Club.
Erst 20,30 waren
mehrere Leute
versammelt (und
auch dies fast nur
Art Club-Maler).
Ich ließ mich von
Seidl, einem sym-
pathischen Mann,
über
Hegel
infor-
mieren, die ersten
eineinhalb Stunden.
Die Lesung wollte
ich absagen;
Maria Lassnig,
jünger als ich
gedacht, in la nge n
Schnürlsamthosen,
bewog mich,
trotz dem schlechten
Besuch zu lesen.
Ich las ein paar
Stück Gedichte,
intim, hinten
bei den Tischen,
und mit wenig
Begeisterung.
D er 47-er fuhr
mir vor der Nase
davon: Ich ging
den Weg in
ziemlicher Kälte
zu Fuß.
Grerne zu Bett gegangen.
Vormittags kam Kein.
Ich arbeitete nach-
mittags einiges aus
den Rückständen auf.
Draußen ist es schon
vorweihnachtlich kalt.
Die Unwirtlichkeit
schlägt in Schönheit
um.
Die Gedanken "Was
habe ich mit
meiner Zeit getan",
dringen seltener und
seltener deutlich
nach außen. Nicht
einmal sie auszu-
denken habe ich Zeit.
Früh ein bißchen
mutlos. Frost.
Im Büro unmenschliche
Arbeit.
Ohne Journaldienst
zu haben, blieb ich
bis 18,45 im Büro.
Abends Wodka.
Im neuen "Öst. Tagebuch"
wurde mein Gedicht
"Projekt" veröffentlicht.
Frost. Versuchte, die
Rückstände etwas zu
lichten.
Kalte Straßenbahn-
fahrten. In einer
Drogerie
Apotheke
auf dem Schuhmeier-
platz wurde,
hinter versperrten
Läden, noch von zwei Männern gearbeitet.
Viel Arbeit.
Abends kamen die
erwarteten Briefmarken.
Viel Arbeit.
Etwas weniger Arbeit.
Abends einen Kugel-
schreiber eingekauft.
Ich mag die Stadt
nicht.
Man könnte viel weiter kommen, wenn man Schüler
Gides, Freuds, der Philosophen durch deren
Bücher sein könnte. Aber ein Kernübel: -
keine Zeit, oder minderwertige Zeit.
Man verschiebt vieles auf die Reife.
Aber werde ich als reifer Mensch
Zeit haben?
Das Dezemberheft der
"Neuen Wege" kam.
Ein interessanter Artikel
von Cysarz, ein
seltsamer von Jirgal,
und unerwartet viel
Gedichte von Dienel.
Ihre Anfänge sind
immer ausgesprochen
gut.
Auf Schienen schob
sich unausweichlich
eine Magirusleiter
heran. Sie nahm
mich auf ihre Spitze
und hob mich,
unendlich langsam,
in unermeßliche
Höhe. Dort erwartete
mich Kriegsdienst.
Zunächst nur das
Wegrasieren von
Baumkronen, dann
aber Ausharren im
Nahkampf. Ich durfte
wählen zwischen
Eierhandgranaten
und Flammenwerfern,
wählte die Granate,
wurde aber gerade
deswegen den
Flammenwerfern
ausgesetzt. Jemand
bot mir einen
Vorgeschmack, indem
er mir das Gesicht
bis zur Entzündung
zerkratzte. Unterdessen
wurden in der Schweiz
alle Bahnhöfe gesperrt.
Nachmittags vom
Büro ausgeruht.
Zu mehr war ich
nicht imstande.
Jede Frau, die halbwegs hübsch oder auch
nur auffallend ist, projiziert man
in dieser mädchenlosen Zeit sogleich
in sein Bett.
Briefschreibetag.
(Polakovics; Jandl
abends, sehr gern).
Die Bilder von den
Chem. Instituten für
Hakel fertigge-
schrieben.
Dem Sonntag also
viel abgerungen
oder abgelächelt.
Träumte von einer sehr
schönen geschlechtlichen
Vereinigung mit einem
Mädchen.
Abends nach dem Büro
in der Zeitschrift
"Freude an Büchern"
ein Eliot
Katzengedicht,
ins Zuckmayerdeutsch
übertragen, entdeckt.
Nur das Zuckmayer-
deutsch gefällt mir
nicht.
Janet aus Guernsey ist
ein reizendes Mädchen
geworden, wie ich aus
ihrer Photographie
(Totalansicht) ersehe.
Sie ist achtzehn Jahre
geworden.
Abends Post von
Frau Hofmann. Sie ist
trotz der Geschichte
mit dem Radiogedicht
freundlich und
geduldig wie immer.
Erschütternd lesen sich
die Berichte aus Korea:
Eine Mutter zwangen
die amerikanischen
Soldaten, das heraus-
gerissene Aug ihres
Kindes zu essen.
Kälte und dichter Nebel.
Weihnachtsvorbereitungen
im Büro. Ich hatte
den ganzen Tag noch
an den Abrechnungen
und den Überschreibungen der EVE-Daten
zu
arbeiten.
"bütten Sie sich ein ..."
(statt bilden oder dem
wienerischen büüden. H.)
In unserer nassen
Wohnung fällt das
Aufstehen am Morgen
schwer.
Geschenke der Firmen
Filippitsch und Napoli.
(30 Orangen, 46 Mandarinen;
1 Kollektion Christbaum-Schokolade,
20 große Neapolitanerschnitten.)
In der Mittagspause nahm
ich mir vor, das Grab
Kräftners zu erkunden,
rief das Krematorium
an (bis auf diese
Spur war ich durch
Ebner und Hirss
gekommen), konnte aber
ohne Angabe des Sterbe-
monats nichts e rfragen.
Versuchte, Weigel
zu
Hause,
dann im
Café Raimund
zu erreichen, auch
Ebner nicht gefunden.
Endlich kam ich
auf den Gedanken,
Brigitte Kahr zu
fragen. Die war aber
nicht zu Haus.
Ihre Mutter: "Ja, sie ist
auf der Universität bei
der Promotion."
Ich: "Ach, bei der Promotion?!"
M: "Nein, nicht bei ihrer.
Bei der Promotion einer
Kollegin."
Ich fragte aber, ob
sie selbst es zufällig
wisse und mir liebens-
würdigerweise sagen
könne, wann Kräftner
gestorben ist. Sie
w ußte den Monat augen-
blicklich, wollte des Tages
wegen in den "Stimmen
der Gegenwart" nachsehen,
fand die aber nicht;
ich begnügte mich mit
dem Monat: November 1951.
"Wollen Sie über sie
etwas schreiben? Und
verzeihen Sie die Neugierde,
arbeiten Sie noch bei
de n "Neuen Wegen"?
Ach nein, richtig.
Meine Tochter hat
schon länger dort was
liegen und hat bis
jetzt noch keine
Antwort gekriegt."
"Ich werde bei Gelegenheit
Polakovics fragen; er ist
noch immer dort."
"Es wär sehr lieb, wenn
Sie einmal vorüber-
schauen ....."
Ich erfuhr dann
im Krematorium die
Grabnummer von
Hertha Kräftner.
Abend. 3 Viecherln.
Bis jetzt, nachmittags,
nichts Eintragenswertes.
Heute wieder großer Frost.
Abends gutes Essen.
Radio. Ein Wedekind-
gedicht mitten in
einer Hausfrauensendung
des "Kleinen Volksblattes"
(Sender Rot-Weiß-Rot)
verstimmte mich.
Ich legte mich zeitig
zu Bett.
Kein. Wir unterhielten
uns über Politik.
Ich wurde sehr zu
Gedanken angeregt.
Versuchte eben wieder,
an "Medea" weiter-
zuschreiben. Hatte
auch alle neuen
Versuche wieder
verbrannt.
Daß ich lyrisch heute ganz
versperrt bin und
wie aus einem Instinkt,
der mächtiger ist als alles
andere, zur erzählenden
Prosa neige, ist wohl
darauf zurückzuführen,
daß ich in dieser Zeit
innen leer bin, und
daß alles, was ich
für interessant werte,
außen liegt.
Im Frühjahr 50 habe
ich äußere, wirkliche
Landschaften gezeigt,
aber mitbeschrieben,
welche Rolle ich in ihnen
gespielt habe.
Dieses Gedicht, bildhaft,
hat seinen eigenen
Sprachrhythmus gehabt,
nicht gemessen, aber
keine zerbrochene Prosa,
wie jene der allermeisten
"freien Rhythmiker"
hier.
Im Jahr 51, mit einem
Höhepunkt im Herbst,
bin ich zum
Lied
hin gegangen. Das
Lied hat alles nach
innen verlegt, aus dem
Bild ins Gehör und
aus dem Bild-Sinn, der
mannigfach ist wie das
vorüberfließende
Leben, in die Einfachheit
des blinden seelischen Lebens.
Nun kündigt sich eine
winterliche Klarheit
an. Ich werde
nicht-mitfühlend
erzählen.
Traf Briggi. Sie hat
unlängst "ihre erste
Party" gegeben;
nicht "überwiegend
für ausländische Gäste"
sondern nur für
zwei Amerikaner,
sonst für Österreicher.
Ihre Gesichtshaut scheint
nicht gesund zu sein.
Briggis Äußeres ist
sehr veränderlich,
nicht so sehr den Schmink-
einfällen als gesundheit-
lichen Schwankungen
unterworfen.
Abends recht müde
heim.
Ein Traum in der Nacht
von vorgestern auf
gestern: Wir waren alte
Römer und feierten
ein Fest. Im Saal waren
nur wir vier: Ein Mädchen,
die mit drei oder vier
Nesselkleidern bedeckt
wurde,.
Die Nesselkleider
sollten das Mädchen bei
lebendem Leibe aufätzen.
Zwei dicke Römer, die
vor Freude einander
boxten. Sie hatten
einander längst die Zähne
eingeschlag en und spuckten
sie nun einander ins
Gesicht. Und ich.
Ich kam mir plötzlich
schrecklich schlecht vor
und trat hinter ein Gebüsch.
Dort war die Welt ganz
anders, dort lag Wald,
und Tiere standen
im Augenblick meines
Kommens um mich im
Kreis. Als ich aber
einen Schritt in diese
Welt machte, flohen
sie und sammelten
sich um Franziskus
von Assisi. Ich empfand
mich als seinen negativen
Gegenpol und als verflucht.
Tagebuch
1952
Tagebuch
vom ... Mo, 24 11 52
bis ... Mo, 22 12 52
Stellte die längste Faktura in der Geschichte dieses Büros fertig: 31 Seiten. Auch Abrechnungen
Daheim keine Arbeit mehr begonnen.
Früh eine Arbeit übers chemische Institut begonnen.
Im neuen Büro werden wir nicht nur Glaswände bekommen, sodaß man vom ersten bis zum letzten Raum hindurchsehen kann, sondern auch eine Abhöranlage, die jedes unserer Worte dem Chef hinüberträgt.
Abends eine Karte von Maria Lassnig. Für meine Art Club-Lesung wird es schon zu spät sein. Ich werde der Malerin abschreiben.
Diesen Morgen konnte ich an meiner Prosa nicht weiterschreiben.
Abends kamen die Photographien, die ich mit dem neuen Apparat aufgenommen hatte. Ich studierte ihre Fehler. In Zukunft werde ich mit kürzeren Belichtungszeiten arbeiten.
Beim Ausbruchsversuch aus den Toren einer israelitischen Ausstellung, die vorzeitig geschlossen worden war, wurde ich von einem Physiker gefangengenommen und an einen Baum gehängt.
Angenehmes Büro. Gehalterhöhung in Aussicht.
Abends wollte ich ins Flötzersteigkino, den Film "Nachts auf den Straßen" mit Knef sehen. Sie spielten aber ein anderes Stück, und ich mußte ergebnislos im Nebel nachhause laufen.
Vorabend meines Namentags wurde statt morgen heute gefeiert. Angenehmer Abend mit gutem Essen und Wein.
Buchstäblich keine Zeit, zu schreiben.
Büro: Böse Arbeiten stehen bevor.
Nachmittag zu Hakel, wo ich auch Polakovics treffen werde.
Bei Hakel. Half für deren Übersiedlung Bücher verpacken. Wie immer bei Hakel, sehr umfassender Vortrag.
Sehr spät nachhause gegangen.
Nur früh aus dem Bett gekrochen, später wieder mich niedergelegt.
Vormittag beizte ich den Boden mit "Büffel-Beize", Polakovics und Wiesflecker kamen auf kurzen Besuch. Wiesflecker spricht so anders von Brigitte Kahr als ich von ihr gedacht habe ...
Im Bett fiel ich über meine Gedichte her und warf vieles hinaus.
Gegen Abend wurde ich immer müder und verlor die Zusammenschau, die ich morgens gehabt hatte.
Morgens schlechtgelaunt ins Büro. Hatte Angst, daß es nach dem Sonntag wieder Zusammenstöße geben würde. Die Leute haben ihr gestriges Privatleben noch nicht ganz vergessen und lesen es einander an den Gesichtern ab und nehmen es einander übel.
Dünner Wasserschnee fällt. In der Wohnung friert es jetzt, und der Körper wird un- beholfen.
Arbeit
Arbeit
Schon heute Wochenendstimmung.
Diese Woche gab es viel Ärger.
Morgen ist Lesung bei Maria Lassnig. Ich habe ihr immer auf den Postkarten "Frau Maria Lassnig" geschrieben; sie schrieb auf ihrer letzten Karte "Fräulein" Maria Lassnig als Absender und unterstrich das Wort "Fräulein."
Abends 19h Art Club. Erst 20,30 waren mehrere Leute versammelt (und auch dies fast nur Art Club-Maler). Ich ließ mich von Seidl, einem sympathischen Mann, über Hegel informieren, die ersten eineinhalb Stunden. Die Lesung wollte ich absagen; Maria Lassnig, jünger als ich gedacht, in langen Schnürlsamthosen, bewog mich, trotz dem schlechten Besuch zu lesen. Ich las ein paar Stück Gedichte, intim, hinten bei den Tischen, und mit wenig Begeisterung.
Der 47-er fuhr mir vor der Nase davon: Ich ging den Weg in ziemlicher Kälte zu Fuß.
Gerne zu Bett gegangen.
Vormittags kam Kein.
Ich arbeitete nachmittags einiges aus den Rückständen auf. Draußen ist es schon vorweihnachtlich kalt. Die Unwirtlichkeit schlägt in Schönheit um.
Die Gedanken "Was habe ich mit meiner Zeit getan", dringen seltener und seltener deutlich nach außen. Nicht einmal sie auszudenken habe ich Zeit.
Früh ein bißchen mutlos. Frost.
Im Büro unmenschliche Arbeit.
Ohne Journaldienst zu haben, blieb ich bis 18,45 im Büro. Abends Wodka.
Im neuen "Öst. Tagebuch" wurde mein Gedicht "Projekt" veröffentlicht.
Frost. Versuchte, die Rückstände etwas zu lichten.
Kalte Straßenbahnfahrten. In einer Apotheke auf dem Schuhmeierplatz wurde, hinter versperrten Läden, noch von zwei Männern gearbeitet.
Viel Arbeit.
Abends kamen die erwarteten Briefmarken.
Viel Arbeit.
Etwas weniger Arbeit. Abends einen Kugelschreiber eingekauft. Ich mag die Stadt nicht.
Man könnte viel weiter kommen, wenn man Schüler Gides, Freuds, der Philosophen durch deren Bücher sein könnte. Aber ein Kernübel:- keine Zeit, oder minderwertige Zeit.
Man verschiebt vieles auf die Reife. Aber werde ich als reifer Mensch Zeit haben?
12 12 52 abendsDas Dezemberheft der "Neuen Wege" kam. Ein interessanter Artikel von Cysarz, ein seltsamer von Jirgal, und unerwartet viel Gedichte von Dienel. Ihre Anfänge sind immer ausgesprochen gut.
Auf Schienen schob sich unausweichlich eine Magirusleiter heran. Sie nahm mich auf ihre Spitze und hob mich, unendlich langsam, in unermeßliche Höhe. Dort erwartete mich Kriegsdienst. Zunächst nur das Wegrasieren von Baumkronen, dann aber Ausharren im Nahkampf. Ich durfte wählen zwischen Eierhandgranaten und Flammenwerfern, wählte die Granate, wurde aber gerade deswegen den Flammenwerfern ausgesetzt. Jemand bot mir einen Vorgeschmack, indem er mir das Gesicht bis zur Entzündung zerkratzte. Unterdessen wurden in der Schweiz alle Bahnhöfe gesperrt.
Nachmittags vom Büro ausgeruht. Zu mehr war ich nicht imstande.
Jede Frau, die halbwegs hübsch oder auch nur auffallend ist, projiziert man in dieser mädchenlosen Zeit sogleich in sein Bett.
13 12 52 abendsBriefschreibetag. (Polakovics; Jandl abends, sehr gern).
Die Bilder von den Chem. Instituten für Hakel fertiggeschrieben.
Dem Sonntag also viel abgerungen oder abgelächelt.
Träumte von einer sehr schönen geschlechtlichen Vereinigung mit einem Mädchen.
Abends nach dem Büro in der Zeitschrift "Freude an Büchern" ein Eliot Katzengedicht, ins Zuckmayerdeutsch übertragen, entdeckt. Nur das Zuckmayerdeutsch gefällt mir nicht.
Janet aus Guernsey ist ein reizendes Mädchen geworden, wie ich aus ihrer Photographie (Totalansicht) ersehe. Sie ist achtzehn Jahre geworden.
Abends Post von Frau Hofmann. Sie ist trotz der Geschichte mit dem Radiogedicht freundlich und geduldig wie immer.
Erschütternd lesen sich die Berichte aus Korea: Eine Mutter zwangen die amerikanischen Soldaten, das herausgerissene Aug ihres Kindes zu essen.
Kälte und dichter Nebel. Weihnachtsvorbereitungen im Büro. Ich hatte den ganzen Tag noch an den Abrechnungen und den Überschreibungen der EVE-Daten zu arbeiten.
"bütten Sie sich ein ..." (statt bilden oder dem wienerischen büüden. H.)
In unserer nassen Wohnung fällt das Aufstehen am Morgen schwer.
Geschenke der Firmen Filippitsch und Napoli. (30 Orangen, 46 Mandarinen; 1 Kollektion Christbaum-Schokolade, 20 große Neapolitanerschnitten.)
In der Mittagspause nahm ich mir vor, das Grab Kräftners zu erkunden, rief das Krematorium an (bis auf diese Spur war ich durch Ebner und Hirss gekommen), konnte aber ohne Angabe des Sterbemonats nichts erfragen. Versuchte, Weigel zu Hause, dann im Café Raimund zu erreichen, auch Ebner nicht gefunden. Endlich kam ich auf den Gedanken, Brigitte Kahr zu fragen. Die war aber nicht zu Haus.
Ihre Mutter: "Ja, sie ist auf der Universität bei der Promotion."
Ich: "Ach, bei der Promotion?!"
M: "Nein, nicht bei ihrer. Bei der Promotion einer Kollegin."
Ich fragte aber, ob sie selbst es zufällig wisse und mir liebenswürdigerweise sagen könne, wann Kräftner gestorben ist. Sie wußte den Monat augenblicklich, wollte des Tages wegen in den "Stimmen der Gegenwart" nachsehen, fand die aber nicht; ich begnügte mich mit dem Monat: November 1951.
"Wollen Sie über sie etwas schreiben? Und verzeihen Sie die Neugierde, arbeiten Sie noch bei den "Neuen Wegen"? Ach nein, richtig. Meine Tochter hat schon länger dort was liegen und hat bis jetzt noch keine Antwort gekriegt."
"Ich werde bei Gelegenheit Polakovics fragen; er ist noch immer dort."
"Es wär sehr lieb, wenn Sie einmal vorüberschauen ....."
Ich erfuhr dann im Krematorium die Grabnummer von Hertha Kräftner.
Abend. 3 Viecherln.
Bis jetzt, nachmittags, nichts Eintragenswertes. Heute wieder großer Frost.
Abends gutes Essen. Radio. Ein Wedekind gedicht mitten in einer Hausfrauensendung des "Kleinen Volksblattes" (Sender Rot-Weiß-Rot) verstimmte mich.
Ich legte mich zeitig zu Bett.
Kein. Wir unterhielten uns über Politik.
Ich wurde sehr zu Gedanken angeregt.
Versuchte eben wieder, an "Medea" weiterzuschreiben. Hatte auch alle neuen Versuche wieder verbrannt.
Daß ich lyrisch heute ganz versperrt bin und wie aus einem Instinkt, der mächtiger ist als alles andere, zur erzählenden Prosa neige, ist wohl darauf zurückzuführen, daß ich in dieser Zeit innen leer bin, und daß alles, was ich für interessant werte, außen liegt.
Im Frühjahr 50 habe ich äußere, wirkliche Landschaften gezeigt, aber mitbeschrieben, welche Rolle ich in ihnen gespielt habe.
Dieses Gedicht, bildhaft, hat seinen eigenen Sprachrhythmus gehabt, nicht gemessen, aber keine zerbrochene Prosa, wie jene der allermeisten "freien Rhythmiker" hier.
Im Jahr 51, mit einem Höhepunkt im Herbst, bin ich zum Lied hin gegangen. Das Lied hat alles nach innen verlegt, aus dem Bild ins Gehör und aus dem Bild-Sinn, der mannigfach ist wie das vorüberfließende Leben, in die Einfachheit des blinden seelischen Lebens.
Nun kündigt sich eine winterliche Klarheit an. Ich werde nicht-mitfühlend erzählen.
Traf Briggi. Sie hat unlängst "ihre erste Party" gegeben; nicht "überwiegend für ausländische Gäste" sondern nur für zwei Amerikaner, sonst für Österreicher.
Ihre Gesichtshaut scheint nicht gesund zu sein. Briggis Äußeres ist sehr veränderlich, nicht so sehr den Schminkeinfällen als gesundheitlichen Schwankungen unterworfen.
Abends recht müde heim.
Ein Traum in der Nacht von vorgestern auf gestern: Wir waren alte Römer und feierten ein Fest. Im Saal waren nur wir vier: Ein Mädchen, die mit drei oder vier Nesselkleidern bedeckt wurde. Die Nesselkleider sollten das Mädchen bei lebendem Leibe aufätzen. Zwei dicke Römer, die vor Freude einander boxten. Sie hatten einander längst die Zähne eingeschlagen und spuckten sie nun einander ins Gesicht. Und ich. Ich kam mir plötzlich schrecklich schlecht vor und trat hinter ein Gebüsch. Dort war die Welt ganz anders, dort lag Wald, und Tiere standen im Augenblick meines Kommens um mich im Kreis. Als ich aber einen Schritt in diese Welt machte, flohen sie und sammelten sich um Franziskus von Assisi. Ich empfand mich als seinen negativen Gegenpol und als verflucht.
Tagebuch
1952
Tagebuch
vom ... Mo, 24 11 52
bis ... Mo, 22 12 52
Stellte die längste Faktura
in der Geschichte dieses
Büros fertig: 31 Seiten.
Auch Abrechnungen
Daheim keine Arbeit
mehr begonnen.
Früh eine Arbeit übers
chemische Institut
begonnen.
Im neuen Büro werden
wir nicht nur Glas-
wände bekommen, sodaß
man vom ersten bis
zum letzten Raum hin-
durchsehen kann,
sondern auch eine
Abhöranlage, die jedes
unserer Worte dem
Chef hinüberträgt.
Abends eine Karte
von Maria Lassnig.
Für meine Art Club-
Lesung wird es schon
zu spät sein. Ich
werde der Malerin
abschreiben.
Diesen Morgen konnte ich
an meiner Prosa nicht
weiterschreiben.
Abends kamen die
Photographien, die ich
mit dem neuen
Apparat aufgenommen
hatte. Ich studierte ihre
Fehler. In Zukunft
werde ich mit
kürzeren Belichtungs-
zeiten arbeiten.
Beim Ausbruchsversuch
aus den Toren einer
israelitischen Ausstellung,
die vorzeitig geschlossen
worden war, wurde
ich von einem Physi ker
gefangengenommen und
an einen Baum gehängt.
Angenehmes Büro.
Gehalterhöhung in
Aussicht.
Abends wollte ich ins
Flötzersteigkino, den
Film "Nachts auf den
Straßen" mit Knef
sehen. Sie spielte n
aber ein anderes
Stück, und ich
mußte ergebnislos
im Nebel nachhause
laufen.
Vorabend meines
Namentags wurde
statt morgen heute
gefeiert. Angenehmer
Abend mit gutem
Essen und Wein.
Buchstäblich keine
Zeit, zu schreiben.
Büro: Böse Arbeiten
stehen bevor.
Nachmittag zu Hakel,
wo ich auch Polakovics
treffen werde.
Bei Hakel. Half
für deren Übersiedlung
Bücher verpacken.
Wie immer bei Hakel,
sehr umfassender Vortrag.
Auch, wie immer,
sSehr spät
nachhause gegangen.
Nur früh aus dem
Bett gekrochen, später
wieder mich nieder-
gelegt.
Vormittag beizte ich
den Boden mit
"Büffel-Beize",
Polakovics und Wiesflecker
kamen auf kurzen
Besuch.
Wiesflecker
spricht so anders
von Brigitte Kahr als
ich von ihr gedacht
habe ...
Im Bett fiel ich
über meine Gedichte
her und warf vieles
hinaus.
Gegen Abend wurde ich
immer müder und
verlor die Zusammen-
schau, die ich morgens
gehabt hatte.
Morgens schlechtgelaunt
ins Büro. Hatte Angst,
daß es nach dem
Sonntag wieder
Zu sammenstöße geben
würde,.
Die Leute
haben ihr gestriges
Privatleben noch nicht
ganz vergessen und
lesen es einander
an den Gesichtern
ab und nehmen
es einander übel.
Dünner Wasserschnee
fällt. In der Wohnung
friert es jetzt, und
der Körper wird un-
beholfen.
Arbeit
Arbeit
Schon heute Wochen-
endstimmung.
Diese Woche gab es
viel Ärger.
Morgen ist Lesung
bei Maria Lassnig.
Ich habe ihr
immer auf den
Postkarten "Frau
Maria Lassnig"
geschrieben; sie
schrieb auf ihrer
letzten Karte
"Fräulein"
Maria
Lassnig als Absender
und unterstrich
das Wort "Fräulein."
Abends 19h
Art Club.
Erst 20,30 waren
mehrere Leute
versammelt (und
auch dies fast nur
Art Club-Maler).
Ich ließ mich von
Seidl, einem sym-
pathischen Mann,
über
Hegel
infor-
mieren, die ersten
eineinhalb Stunden.
Die Lesung wollte
ich absagen;
Maria Lassnig,
jünger als ich
gedacht, in la nge n
Schnürlsamthosen,
bewog mich,
trotz dem schlechten
Besuch zu lesen.
Ich las ein paar
Stück Gedichte,
intim, hinten
bei den Tischen,
und mit wenig
Begeisterung.
D er 47-er fuhr
mir vor der Nase
davon: Ich ging
den Weg in
ziemlicher Kälte
zu Fuß.
Grerne zu Bett gegangen.
Vormittags kam Kein.
Ich arbeitete nach-
mittags einiges aus
den Rückständen auf.
Draußen ist es schon
vorweihnachtlich kalt.
Die Unwirtlichkeit
schlägt in Schönheit
um.
Die Gedanken "Was
habe ich mit
meiner Zeit getan",
dringen seltener und
seltener deutlich
nach außen. Nicht
einmal sie auszu-
denken habe ich Zeit.
Früh ein bißchen
mutlos. Frost.
Im Büro unmenschliche
Arbeit.
Ohne Journaldienst
zu haben, blieb ich
bis 18,45 im Büro.
Abends Wodka.
Im neuen "Öst. Tagebuch"
wurde mein Gedicht
"Projekt" veröffentlicht.
Frost. Versuchte, die
Rückstände etwas zu
lichten.
Kalte Straßenbahn-
fahrten. In einer
Drogerie
Apotheke
auf dem Schuhmeier-
platz wurde,
hinter versperrten
Läden, noch von zwei Männern gearbeitet.
Viel Arbeit.
Abends kamen die
erwarteten Briefmarken.
Viel Arbeit.
Etwas weniger Arbeit.
Abends einen Kugel-
schreiber eingekauft.
Ich mag die Stadt
nicht.
Man könnte viel weiter kommen, wenn man Schüler
Gides, Freuds, der Philosophen durch deren
Bücher sein könnte. Aber ein Kernübel: -
keine Zeit, oder minderwertige Zeit.
Man verschiebt vieles auf die Reife.
Aber werde ich als reifer Mensch
Zeit haben?
Das Dezemberheft der
"Neuen Wege" kam.
Ein interessanter Artikel
von Cysarz, ein
seltsamer von Jirgal,
und unerwartet viel
Gedichte von Dienel.
Ihre Anfänge sind
immer ausgesprochen
gut.
Auf Schienen schob
sich unausweichlich
eine Magirusleiter
heran. Sie nahm
mich auf ihre Spitze
und hob mich,
unendlich langsam,
in unermeßliche
Höhe. Dort erwartete
mich Kriegsdienst.
Zunächst nur das
Wegrasieren von
Baumkronen, dann
aber Ausharren im
Nahkampf. Ich durfte
wählen zwischen
Eierhandgranaten
und Flammenwerfern,
wählte die Granate,
wurde aber gerade
deswegen den
Flammenwerfern
ausgesetzt. Jemand
bot mir einen
Vorgeschmack, indem
er mir das Gesicht
bis zur Entzündung
zerkratzte. Unterdessen
wurden in der Schweiz
alle Bahnhöfe gesperrt.
Nachmittags vom
Büro ausgeruht.
Zu mehr war ich
nicht imstande.
Jede Frau, die halbwegs hübsch oder auch
nur auffallend ist, projiziert man
in dieser mädchenlosen Zeit sogleich
in sein Bett.
Briefschreibetag.
(Polakovics; Jandl
abends, sehr gern).
Die Bilder von den
Chem. Instituten für
Hakel fertigge-
schrieben.
Dem Sonntag also
viel abgerungen
oder abgelächelt.
Träumte von einer sehr
schönen geschlechtlichen
Vereinigung mit einem
Mädchen.
Abends nach dem Büro
in der Zeitschrift
"Freude an Büchern"
ein Eliot
Katzengedicht,
ins Zuckmayerdeutsch
übertragen, entdeckt.
Nur das Zuckmayer-
deutsch gefällt mir
nicht.
Janet aus Guernsey ist
ein reizendes Mädchen
geworden, wie ich aus
ihrer Photographie
(Totalansicht) ersehe.
Sie ist achtzehn Jahre
geworden.
Abends Post von
Frau Hofmann. Sie ist
trotz der Geschichte
mit dem Radiogedicht
freundlich und
geduldig wie immer.
Erschütternd lesen sich
die Berichte aus Korea:
Eine Mutter zwangen
die amerikanischen
Soldaten, das heraus-
gerissene Aug ihres
Kindes zu essen.
Kälte und dichter Nebel.
Weihnachtsvorbereitungen
im Büro. Ich hatte
den ganzen Tag noch
an den Abrechnungen
und den Überschreibungen der EVE-Daten
zu
arbeiten.
"bütten Sie sich ein ..."
(statt bilden oder dem
wienerischen büüden. H.)
In unserer nassen
Wohnung fällt das
Aufstehen am Morgen
schwer.
Geschenke der Firmen
Filippitsch und Napoli.
(30 Orangen, 46 Mandarinen;
1 Kollektion Christbaum-Schokolade,
20 große Neapolitanerschnitten.)
In der Mittagspause nahm
ich mir vor, das Grab
Kräftners zu erkunden,
rief das Krematorium
an (bis auf diese
Spur war ich durch
Ebner und Hirss
gekommen), konnte aber
ohne Angabe des Sterbe-
monats nichts e rfragen.
Versuchte, Weigel
zu
Hause,
dann im
Café Raimund
zu erreichen, auch
Ebner nicht gefunden.
Endlich kam ich
auf den Gedanken,
Brigitte Kahr zu
fragen. Die war aber
nicht zu Haus.
Ihre Mutter: "Ja, sie ist
auf der Universität bei
der Promotion."
Ich: "Ach, bei der Promotion?!"
M: "Nein, nicht bei ihrer.
Bei der Promotion einer
Kollegin."
Ich fragte aber, ob
sie selbst es zufällig
wisse und mir liebens-
würdigerweise sagen
könne, wann Kräftner
gestorben ist. Sie
w ußte den Monat augen-
blicklich, wollte des Tages
wegen in den "Stimmen
der Gegenwart" nachsehen,
fand die aber nicht;
ich begnügte mich mit
dem Monat: November 1951.
"Wollen Sie über sie
etwas schreiben? Und
verzeihen Sie die Neugierde,
arbeiten Sie noch bei
de n "Neuen Wegen"?
Ach nein, richtig.
Meine Tochter hat
schon länger dort was
liegen und hat bis
jetzt noch keine
Antwort gekriegt."
"Ich werde bei Gelegenheit
Polakovics fragen; er ist
noch immer dort."
"Es wär sehr lieb, wenn
Sie einmal vorüber-
schauen ....."
Ich erfuhr dann
im Krematorium die
Grabnummer von
Hertha Kräftner.
Abend. 3 Viecherln.
Bis jetzt, nachmittags,
nichts Eintragenswertes.
Heute wieder großer Frost.
Abends gutes Essen.
Radio. Ein Wedekind-
gedicht mitten in
einer Hausfrauensendung
des "Kleinen Volksblattes"
(Sender Rot-Weiß-Rot)
verstimmte mich.
Ich legte mich zeitig
zu Bett.
Kein. Wir unterhielten
uns über Politik.
Ich wurde sehr zu
Gedanken angeregt.
Versuchte eben wieder,
an "Medea" weiter-
zuschreiben. Hatte
auch alle neuen
Versuche wieder
verbrannt.
Daß ich lyrisch heute ganz
versperrt bin und
wie aus einem Instinkt,
der mächtiger ist als alles
andere, zur erzählenden
Prosa neige, ist wohl
darauf zurückzuführen,
daß ich in dieser Zeit
innen leer bin, und
daß alles, was ich
für interessant werte,
außen liegt.
Im Frühjahr 50 habe
ich äußere, wirkliche
Landschaften gezeigt,
aber mitbeschrieben,
welche Rolle ich in ihnen
gespielt habe.
Dieses Gedicht, bildhaft,
hat seinen eigenen
Sprachrhythmus gehabt,
nicht gemessen, aber
keine zerbrochene Prosa,
wie jene der allermeisten
"freien Rhythmiker"
hier.
Im Jahr 51, mit einem
Höhepunkt im Herbst,
bin ich zum
Lied
hin gegangen. Das
Lied hat alles nach
innen verlegt, aus dem
Bild ins Gehör und
aus dem Bild-Sinn, der
mannigfach ist wie das
vorüberfließende
Leben, in die Einfachheit
des blinden seelischen Lebens.
Nun kündigt sich eine
winterliche Klarheit
an. Ich werde
nicht-mitfühlend
erzählen.
Traf Briggi. Sie hat
unlängst "ihre erste
Party" gegeben;
nicht "überwiegend
für ausländische Gäste"
sondern nur für
zwei Amerikaner,
sonst für Österreicher.
Ihre Gesichtshaut scheint
nicht gesund zu sein.
Briggis Äußeres ist
sehr veränderlich,
nicht so sehr den Schmink-
einfällen als gesundheit-
lichen Schwankungen
unterworfen.
Abends recht müde
heim.
Ein Traum in der Nacht
von vorgestern auf
gestern: Wir waren alte
Römer und feierten
ein Fest. Im Saal waren
nur wir vier: Ein Mädchen,
die mit drei oder vier
Nesselkleidern bedeckt
wurde,.
Die Nesselkleider
sollten das Mädchen bei
lebendem Leibe aufätzen.
Zwei dicke Römer, die
vor Freude einander
boxten. Sie hatten
einander längst die Zähne
eingeschlag en und spuckten
sie nun einander ins
Gesicht. Und ich.
Ich kam mir plötzlich
schrecklich schlecht vor
und trat hinter ein Gebüsch.
Dort war die Welt ganz
anders, dort lag Wald,
und Tiere standen
im Augenblick meines
Kommens um mich im
Kreis. Als ich aber
einen Schritt in diese
Welt machte, flohen
sie und sammelten
sich um Franziskus
von Assisi. Ich empfand
mich als seinen negativen
Gegenpol und als verflucht.
Okopenko, Andreas: Tagebuch 24.11.1952–22.12.1952. Digitale Edition, hrsg. von Roland
Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno
Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische
Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1,
15.1.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/
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