Tagebuch
1952
Tagebuch
von ... Mo 3 11 52
bis ... So 23 11 52
Früh unbedingten Wunsch, an "Medea" weiterzuschreiben.
Dann wieder Büro.
Ich diktierte zwar einiges mir vom Leibe, aber dennoch genug Arbeit, um meine gesamte Übersicht zu zerstören.
Abends ein Gutschein, bei der Rätselsendung gewonnen, Absage von Fritsch für morgen, und eine Antwort von Hirss, wegen des Grabes von Hertha Kräftner.
Nach einem etwas übersichtlicheren Bürotag abends heim.
Früh hatte ich Briggi getroffen. Wir führen immer intellektuelle Gespräche ...
Abends Post von Jandl und ein Geldeingang für "publ. nr. 7".
Ich träumte, ich hätte einen Vormittag in der Stadt zur Verfügung. Dieser Gedanke hatte für mich viel Reiz: ich wollte den Vormittag so interessant wie möglich verbringen. Ich entschloss mich, mit dem Besuch bei einem Freund den Tag zu beginnen. Aber als ich den Freund nicht angetroffen hatte, wusste ich mit dem Tag schon nichts mehr anzufangen.
fr. 5 11 52Früh erster Frost. (-2°)
Obwohl heute Huber Journaldienst hatte, kam ich nicht vor 19 Uhr aus dem Büro. Auch keine Mittagspause wird mehr gehalten. Unter der Arbeit, 14 Uhr, ißt man.
Ich wundere mich, daß kein geschäftsgefährdender Rückstand in meinen Mappen zurückbleibt.
Zu müde, abends in die Veranstaltung des College zu gehen. Eigentlich schade, Klaus Demus sprach über "Abenteuer der Form".
Sartre kommt nach Wien zum Friedenskongreß.
Eisenhower zum amerikanischen Präsidenten gewählt.
Ich träumte von einem Mädchen, die unter einem Komplex zu leiden hatte. Ich liebte sie, und sie wurde dadurch gesunder; ich führte sie zu mir nachhaus, wir gingen umschlungen.
Harter Dienst wie üblich. Auch heute abends nicht wie gewollt in die College-Veranstaltung gefahren (Deutsche Literatur 1952).
Abends sehr angenehm zuhause.
Auch publ.-Zahlungen kamen.
Ich träumte von drei Leierkästen mit Affen darauf. Jeder spielte ein "Molitorsches Gesetz" ab. Diese Gesetze lauteten:
1) ... nicht erreicht haben 2) ... Erkenntnis der Unerreichbarkeit 3) ... Erreichbares versäumt.Im Büro ein angenehmerer Tag: morgens unabsehbare Arbeit, tags aber lichtete sich der Urwald etwas. Heute keine Ungerechtigkeiten.
Im Traum führte ich eine Studentendemonstration auf allen Vieren kriechend, und bellend, über den Ring.
Ausgeprägte Wochenendstimmung.
Im Büro freundlichere Abschiedstimmung von Witzmanns Regierung.
Nachmittag Ruhe. Abends versuchsartige Photoaufnahmen.
Hätte Gelegenheit gehabt, (mit Tante und Paul) morgen ins Burgenland zu fahren.
Man hat das tiefe Leben verloren.
9 11 52Vormittags kam Kein. Ich informierte ihn über die letzte und vorletzte Zeit.
Wir arbeiteten etwas weiter an früheren Gesprächsergebnissen und befaßten uns mit Görlich und Jandl. Zeigte ihm die restlichen ihm noch unbekannten Benn- Gedichte meiner Sammlung.
Man müßte, um halbwegs weiter oder auch nur wieder in Ordnung kommen zu können, Samstag und Sonntag ganztägig frei haben.
Man muß sich, um Gespräche ergiebig führen zu können, in ihnen "breitmachen" können, man muß sich in ihnen behaglich einrichten können; behaglich bedeutet vor allem zeitlich unbegrenzt; oder ohne die zeitlichen Grenzen vor Augen zu haben.
Ich träumte, daß ich einen Kugelschreiber kaufte, so klein wie ein Bleistiftstumpf. Er war sehr billig, und mir wurde gesagt, daß diese Type wegen Unrentabilität nicht mehr erzeugt werde. Ich war darüber traurig.
Nachmittags vergeblich zu schreiben versucht; las Mama Eisenreichs Erzählung "Einladung, deutlich zu leben" vor.
Abends machte ich mich über "Medea" her.
Die Weiterarbeit gelang sogar.
Ich träumte von einem Badezimmer, in dem "das gelbe Mädchen" und ich uns zur Liebe bereiteten. Ich verspürte das angenehme Gefühl, Zeit zu haben.
Im Büro erstmals Machwitz wieder. Dennoch unter anderem ein größeres Konzept ins Englische übertragen. Daneben hatte ich Zeit, mir Übersicht zu schaffen.
Von drei Männern geträumt, die Fleischlaberl aßen. Einer von ihnen sagte zu mir:
"Man muß diesen x Weg gehen und die Komplexe ausschalten."
Ich wandte ein: "Man versäumt ja so die Straße der Erotik xx."
Der Mann sagte: "Freud irrt. Die Straße der Erotik ist nicht die Hauptstraße."
Nach dem Büro abends zu Fritsch. Sehr lieb. Michael kleinkindet in einer Ecke: benützt bereits Spielzeug.
"Moderne Malerei" und Architekturzeitschriften angeschaut.
Dalis "Giraffe in Flammen" ergriff mich stark, so wenig Dali sympathisch ist.
Die Impressionisten sagten mir sehr zu. Ich halte den Impressionismus nicht für oberflächlich, ein Bild, das die Frühlingstimmung einfängt, gibt den Frühling wesenhaft wieder, da das Wesen sich ja immer sinnenhaft ausdrückt.
Ich habe einmal etwas von Phänomenologie gehört. In phänomenologischer Kunst hätte der Impressionismus seine ethisch verantwortbare Fortsetzung.
Las Albert Ehrenstein.
Früh traf ich Karl Schik, der gestand, einmal surrealistische Gedichte (oder: mehr humoristische als surrealistische) gemacht zu haben.
Büro: Trott.
Die Hauptschwierigkeit bei "Medea" ist x für mich, das sehe ich ganz genau, die Notwendigkeit, die Medea-Geschichte irgendwie recht und schlecht zu erzählen, da ohne das die Medea-Gegenwart in der Luft hängt.
Schöner Abend.
"Martini".
Träumte von einem Zimmer, wo Hertha Kräftner begraben lag. Jemand hatte über dem Grab ein surrealistisches Bild angebracht.
Früh noch etwas Zeit gehabt.
Erster Schnee fiel.
Abends zu Polakovics, bei dem ich mich tags zuvor angesagt hatte. Er wohnt in Breitensee, bei seinen Eltern. Maja liegt (wie voriges Jahr) mit Blutungen im Spital. Sie leidet sehr unter ihrer Kränklichkeit und ihrer psychischen Lebens- schwäche.
Viel mit Polakovics über sie gesprochen.
Später am Abend las er mir Geschichten von Hemingway vor, aus den 49 gesammelten. Wenn er von ihm lernen wird, x wie er es vorhat, wird es gut sein für seine Prosa, die heute noch langatmig und voll rhetorischer Streckmittel ist.
(15 11 nach Wein, während der Tagebuchnotizen über den Vor-Tag: Ich kann unmöglich in diesem Moment etwas über Maja schreiben, so gern ich es nach dem gestrigen mir sehr bedeutungsvollen Abend tun möchte.)
Erster Schnee lag.
Es schneite den Tag über weiter und deckte Bäume und Wiesen; auf der Straße zerging der Schnee noch.
Im Büro steigert sich die Arbeit. Es sollen noch Abendstunden fürs Diktat hinzugenommen werden. Man will diese Stunden bezahlen, aber man organisiert über die Leistungsfähigkeit des Menschen hinaus.
Mittags traf ich Wiesflecker. Wir rannten ein paar Runden im Park, und er erzählte mir von Paris und Brigitte Kahr. Sie sei oberflächlich, eingebildet auf "ihren Kadaver, auf ihren Trumm Arsch und die Brüste", und glaube, jeder Mann müsse ihr nachrennen, widrigenfalls sie ihm nachrenne. Ihre erste Frage an Wiesflecker sei gewesen: "Wie gefallen Ihnen meine Artikel in den Zeitungen?" Wiesflecker sagte: "Schlecht." Kahr sagte weiter: "Mir ist jedes Mittel recht, ich muß mir um jeden Preis einen Namen schaffen."
Nachmittags ausgeruht, "NW" Novemberheft gelesen, heute ist in Österreich "Leopoldi-"Tag.
Im Gedichtheftchen von Schick-Karli gelesen. Las indiskret ein Abschiedsbrief-Konzept an ein Mädchen, die ihm zu mondän war. (Menschlich berührend irgendwie, aus der Zeit der Universität 1947, M. J.; ich vermute daß dieses Mädchen Briggi Falkinger war.) Er hat dieses Konzept wahrscheinlich aus Versehen in das Heftchen eingereiht.
Abends eine Formulierung:Lieber schweigen als verpatzen, lieber andeuten als schweigen, lieber reden als andeuten.
Ich träumte von einer schweizer Landschaft; Straße oder Flußküste. Himmel und Wasser waren hellblau von einer seltenen Intensität. Die Häuser lagen wie Spielzeug, rein und hellfarbig. Eine Aufzugkabine hing bereit, aus poliertem naturfarbenen Holz. Auf Regalen standen Wassergläser; ich nahm eines davon und ging eine Wasserleitung suchen.
Artmann und Schmied waren bei mir. Ich fragte Schmied, ob er nur den Ehrgeiz habe, ein Manager zu sein, oder ob ihm an den Leuten, die er unterstütze oder kritisiere, etwas liege.
Später kam ein Zug vorbei von Aufständischen aus Kuba, sie sangen ein langes Lied mit surrealistischem Text.
Vormittag herrliches winterliches Wetter.
Ich machte eine Aufnahme mit selbsthergestelltem Gelbfilter; diese Mischung von anteilnehmendem Festhalten des an sich flüchtigen Eindrucks und reinem Versuch, die der Photographie eigen ist, entspricht so sehr meiner Natur.
Abends:Man hat nicht die Zeit (und nicht die Gabe), jene reizvollen Kombinationen, die aus den Positionen eines Lebens möglich wären, durchzuführen:
Nach Jahren, nüchtern und zur Arbeit, seinen Lehrern gegenüberzutreten; eine interessante Broschüre, die man von B. erhalten hat, C. weiterzuschicken; nicht nur ein Mädchen, sondern alle ihre Minuten zu lieben.
Zu spüren, wenn man nahe an Schnittpunkten vorübergeht; ein Gefühl wie von Wind.
Huber glaubt, sie ist imstande, alle Hosentürln der Welt zu öffnen.
Es fehlt ein Entsprechungstück zum Wort "Mädchen".
Aphorismus zum Begriff "Kurzschrift": Blöd, aber g'schwind. (Mama.)
Ist nur das reproduzierbare Glück das wirkliche Glück? ....... verlierbare .. .....
Müßte eine Kurzgeschichte über Fräulein Rauch von Firma Napoli schreiben.
Intensive Arbeit im Betrieb.
Weitere Abrechnungen.
Früh, abends mit einem Bekannten aus dem Chem. Institut gefahren, (den ich jetzt erst persönlich kennengelernt habe). Viel über Chemie gesprochen, wie überhaupt in letzter Zeit.
Müßte über die Institute ein Geschichterl schreiben.
Abends Post von einer Malerin, die mich einlud, im Rahmen ihrer Ausstellung eine Lesung meiner Gedichte zu machen.
Viel Arbeit im Büro. (Filippitsch-Abrechnungen.) (Große Auftrags-Umlegungen.)
Schöner Abend.
mit zwei jungen Ludern, nicht individuellen sondern typischen, auf der Straßenbahn gefahren.
hat zu lesen, kam an. Auch sie - wie Trr - liebt den hochphilosophischen Schmock bei Benennung und Selbstdeutung ihrer Arbeiten.
Nein, nein, nein.
Eluard gestorben.
Abends zu müde, um die Veranstaltung des College zu hören:
"Neue Möglichkeiten der deutschen und angelsächsischen Psychotherapie".
Angenehmer Abend daheim.
Lang geschlafen.
In schöner Herbstsonne (fast Wintersonne) um die Steinhofer Mauer gegangen. Früh minus 2 Grad.
Photographiert.
Man hat eine viel lebhaftere Beziehung zur Natur, wenn man photographierend durchs Land geht.
Nachmittags geschrieben, verschiedene Notizen aufgearbeitet.
Angenehmer ruhiger Tag.
Mit Kein über Einsamkeit oder Nicht-Einsamkeit gesprochen (Altmann ...). Dann über Christopher Ausspruch diskutiert "Du hast die Welt nicht verändert, Mädchen".
Mehrere Stunden im Zimmer umhergelaufen.
Nachmittags die gestrigen Arbeiten fortgesetzt.
Abends in alten Sachen das Wesentliche meiner Gedichte gesucht, und meine wesentlichen Fehler.
Habe Angst, daß mir die Schönheiten entgleiten, und Angst, daß mir die Probleme entgleiten.
Dann wieder für lange Abschied genommen von allen Arbeiten. Nachts und morgens war ich darüber traurig.
Tagebuch
1952
Tagebuch
von ... Mo 3 11 52
bis ... So 23 11 52
Früh unbedingten Wunsch,
an "Medea" weiterzuschreiben.
Dann wieder Büro.
Ich diktierte zwar einiges
mir vom Leibe, aber
dennoch genug Arbeit,
um meine gesamte
Übersicht zu zerstören.
Abends ein Gutschein,
bei der Rätselsendung
gewonnen, Absage
von Fritsch für morgen,
und eine Antwort von Hirss,
wegen des Grabes von Hertha Kräftner.
Nach einem etwas über-
sichtlicheren Bürotag
abends heim.
Früh hatte ich Briggi
getroffen. Wir führen
immer intellektuelle
Gespräche ...
Abends Post von Jandl
und ein Geldeingang
für "publ. nr. 7".
Ich träumte, ich hätte einen Vormittag
in der Stadt zur Verfügung. Dieser
Gedanke hatte für mich viel Reiz: ich
wollte den Vormittag so interessant wie
möglich verbringen. Ich entschloss mich, mit
dem Besuch bei einem Freund den Tag zu
beginnen. Aber als ich den Freund nicht
angetroffen hatte, wusste ich mit dem Tag
schon nichts mehr anzufangen.
Früh erster Frost. (-2°)
Obwohl heute Huber
Journaldienst hatte,
kam ich nicht vor
19 Uhr aus dem Büro.
Auch keine Mittagspause
wird mehr gehalten.
Unter der Arbeit,
14 Uhr, ißt man.
Ich wundere mich, daß
kein geschäftsgefährdender
Rückstand in meinen
Mappen zurückbleibt.
Zu müde, abends in
die Veranstaltung
des College zu gehen.
Eigentlich schade,
da
Klaus Demus
sprach über "Abenteuer
der Form".
Sartre kommt nach Wien zum
Friedenskongreß.
Eisenhower zum amerika-
nischen Präsidenten gewählt.
Ich träumte von einem Mädchen,
die unter einem Komplex zu leiden
hatte. Ich liebte sie, und sie
wurde dadurch gesunder; ich
führte sie zu mir nachhaus,
wir gingen umschlungen.
Harter Dienst wie üblich.
Auch heute abends nicht
wie gewollt in die College-
Veranstaltung gefahren
(Deutsche Literatur 1952).
Abends sehr angenehm
zuhause.
Auch publ.-Zahlungen
kamen.
Ich träumte von drei
Leierkästen mit Affen
darauf. Jeder spielte
ein "Molitorsches Gesetz"
ab. Diese Gesetze lauteten:
Im Büro ein angenehmerer
Tag: morgesns unabsehbare
Arbeit, tags aber lichtete
sich der Urwald etwas.
Heute keine Ungerechtigkeiten.
Im Traum führte ich
eine Studentendemonstration
auf allen Vieren kriechend,
und bellend, über den
Ring.
Ausgeprägte Wochenend-
stimmung.
Im Büro freundlichere
Abschiedstimmung
von Witzmanns Regierung.
Nachmittag Ruhe.
Abends versuchsartige
Photoaufnahmen.
Hätte Gelegenheit
gehabt, (mit Tante
und Paul) morgen
ins Burgenland zu
fahren.
Man hat das tiefe Leben
verloren.
Vormittags kam Kein.
Ich informierte ihn
über die letzte und
vorletzte Zeit.
Wir arbeiteten
etwas weiter anden
früheren Gesprächs-
ergebnissen und
befaßten uns mit
Görlich und Jandl.
Zeigte ihm die
restlichen ihm noch
unbekannten Benn-
Gedichte meiner
Sammlung.
Man müßte, um
halbwegs weiter oder
auch nur wieder
in Ordnung kommen
zu können, Samstag
und Sonntag ganz-
tägig frei haben.
Man muß sich, um
Gespräche ergiebig
führen zu können,
in ihnen "breitmachen"
können, man muß
sich in ihnen
behaglich einrichte n
können; behaglich
bedeutet vor allem
zeitlich unbegrenzt;
oder ohne die zeitlichen
Grenzen vor Augen
zu haben.
Ich träumte, daß ich
einen Kugelschreiber
kaufte, so klein wie
ein Bleistiftstumpf.
Er war sehr billig, und
mir wurde gesagt,
daß diese Type wegen
Unrentabilität nicht
mehr erzeugt werde.
Ich war darüber traurig.
Nachmittags vergeblich zu
schreiben versucht;
las Mama
Eisenreichs Erzäh-
lung "Einladung, deutlich
zu leben" vor.
Abends machte ich mich
über "Medea" her.
Die Weiterarbeit gelang
sogar.
Ich träumte von
einem Badezimmer,
in dem "das gelbe
Mädchen" und ich uns
zur Liebe bereiteten.
Ich verspürte das
angenehme Gefühl,
Zeit zu haben.
Im Büro erstmals
Machwitz wieder.
Dennoch unter anderem
ein größeres Konzept
ins eEnglische übertragen.
Daneben hatte ich
Zeit, mir Übersicht
zu schaffen.
Von drei Männern geträumt,
die Fleischlaberl aßen.
Einer von ihnen sagte zu
mir:
"Man muß diesen x Weg gehen
und die Komplexe aus-
schalten."
Ich wandte ein: "Man
versäumt ja so die
Straße der Erotik xx."
Der Mann sagte: "Freud
irrt. Die Straße der Erotik
ist nicht die Hauptstraße."
Nach dem Büro abends
zu Fritsch. Sehr lieb.
Michael kleinkindet in
einer Ecke: benützt bereits
Spielzeug.
"Moderne Malerei" und
Architekturzeitschriften
angeschaut.
Dalis "Giraffe in Flammen"
ergriff mich stark,
so wenig Dali sympathisch
ist.
Die Impressionisten sagten
mir sehr zu. Ich halte
den Impressionismus
nicht für oberflächlich,
ein Bild, das die
Frühlingstimmung einfängt,
gibt den Frühling wesenhaft
wieder, da das Wesen
sich ja immer sinnenhaft
ausdrückt.
Ich habe einmal etwas
von Phänomenologie gehört.
In phänomenologischer
Kunst hätte der Impressio-
nismus seine ethisch ver-
antwortbare Fortsetzung.
Las Albert Ehrenstein.
Früh traf ich Karl
Schik, der gestand,
einmal surrealistische
Gedichte (oder: mehr
humoristische als
surrealistische)
gemacht zu haben.
Büro: Trott.
Die Hauptschwierigkeit
bei "Medea" ist
x
für mich, das
sehe ich ganz genau,
die Notwendigkeit,
die Medea-Geschichte
irgendwie recht und
schlecht zu erzählen,
da ohne das die
Medea-Gegenwart in der
Luft hängt.
Schöner Abend.
"Martini".
Träumte von einem Zimmer,
wo Hertha Kräftner begraben
lag. Jemand hatte über
dem Grab ein surrealisti-
sches Bild angebracht.
Früh noch etwas Zeit gehabt.
Erster Schnee fiel.
Abends zu Polakovics,
bei dem ich mich
tags zuvor angesagt
hatte. Er wohnt in
Breitensee, bei seinen Eltern.
Maja liegt (wie voriges
Jahr) mit Blutungen
im Spital. Sie leidet
sehr unter ihrer
Kränklichkeit und
ihrer psychischen Lebens-
schwäche.
Viel mit Polakovics
über sie gesprochen.
Später am Abend
las er mir Geschichten
von Hemingway vor,
aus den 49 gesammelten.
Wenn er von ihm lernen
wird,
x
wie er es
vorhat, wird es gut
sein für seine Prosa,
die heute noch lang-
atmig und voll rhetorischer
Streckmittel ist.
(15 11 nach Wein, während der Tagebuch-
notizen über den Vor-Tag: Ich kann
unmöglich in diesem Moment
etwas über Maja schreiben, so
gern ich es nach dem gestrigen
mir sehr bedeutu ngsvollen Abend
tun möchte.)
Erster Schnee lag.
Es schneite den Tag über
weiter und deckte
Bäume und Wiesen;
auf der Straße zerging
der Schnee noch.
Im Büro steigert sich
die Arbeit. Es sollen
noch Abendstunden
fürs Diktat hinzu-
genommen werden.
Man will diese Stunden
bezahlen, aber man
organisiert über die
Leistungsfähigkeit des
Menschen hinaus.
Mittags traf ich
Wiesflecker. Wir
rannten ein paar
Runden im Park,
und er erzählte mir
von Paris und
Brigitte Kahr. Sie sei
oberflächlich, einge-
bildet auf "ihren
Kadaver, auf ihren
Trumm Arsch und
die Brüste", und
glaube, jeder Mann
müsse ihr nachrennen,
widrigenfalls sie ihm
nachrenne. Ihre erste
Frage an Wiesflecker sei
gewesen: "Wie gefallen
Ihnen meine Artikel
in den Zeitungen?"
Wiesflecker sagte:
"Schlecht." Kahr
sagte weiter: "Mir ist
jedes Mittel recht, ich
muß mir um jeden
Preis einen Namen
schaffen."
Nachmittags ausgeruht,
"NW" Novemberheft
gelesen, heute ist in
Österreich "Leopoldi-"Tag.
Im Gedichtheftchen von
Schick-Karli gelesen.
Las indiskret ein
Abschiedsbrief-Konzept
an ein Mädchen, die
ihm zu mondän war.
(Menschlich berührend
irge ndwie, aus der Zeit
der Universität
1947,
M. J.; ich vermute daß
dieses Mädchen Briggi
Falkinger war.) Er
hat dieses Konzept wahr-
scheinlich aus Versehen
in das Heftchen ein-
gereiht.
Lieber schweigen als verpatzen,
lieber andeuten als schweigen,
lieber reden als andeuten.
Ich träumte von einer
schweizer Landschaft;
Straße oder Flußküste.
Himmel und Wasser waren
hellblau von einer seltenen
Intensität. Die Häuser lagen
wie Spielzeug, rein und
hellfarbig. Eine Aufzug-
kabine hing bereit, aus
poliertem naturfarbenen
Holz. Auf Regalen standen
Wassergläser; ich nahm
eines davon und ging
eine Wasserleitung suchen.
Später
Artmann und
Schmied waren bei mir.
Ich fragte Schmied, ob
er nur den Ehrgeiz
habe, ein Manager zu
sein, oder ob ihm an
den Leuten, die er
unterstütze oder
kritisiere, etwas liege.
Später kam ein Zug
vorbei von Aufstän-
dischen aus Kuba,
sie sangen ein langes
Lied mit surrealistischem
Text.
Vormittag herrliches
winterliches Wetter.
Ich machte eine Aufnahme
mit selbsthergestelltem
Gelbfilter; diese Mischung
von anteilnehmendem
Festhalten des an sich
flüchtigen Eindrucks
und reinem Versuch,
die der Photographie
eigen ist, entspricht
so sehr meiner Natur.
Man hat nicht die Zeit
(und nicht die Gabe), jene
reizvollen Kombinationen,
die aus den Positionen
eines Lebens möglich
wären, durchzuführen:
Nach Jahren, nüchtern
und zur Arbeit, seinen
Lehrern gegenüberzutreten;
eine interessante
Broschüre, die man von
B. erhalten hat,
C. weiterzuschicken;
nicht nur ein Mädchen,
sondern alle ihre
Minuten zu lieben.
Zu spüren, wenn man
nahe an Schnittpunkten
vorübergeht; ein Gefühl
wie von Wind.
Huber glaubt, sie ist imstande,
alle Hosentürln der Welt zu
öffnen.
Es fehlt ein Entsprechung-
stück zum Wort
"Mädchen".
Aphorismus zum Begriff
"Kurzschrift": Blöd, aber
g'schwind. (Mama.)
Ist nur das reproduzierbare
Glück das wirkliche Glück?
....... verlierbare ..
.....
Müßte eine Kurzgeschichte
über Fräulein Rauch
von Firma Napoli
schreiben.
Intensive Arbeit im
Betrieb.
Weitere Abrechnungen.
Früh, abends mit
einem Bekannten
aus dem Chem. Institut
gefahren, (den ich
jetzt erst persönlich
kennengelernt habe).
Viel über Chemie
gesprochen, wie über-
haupt in letzter Zeit.
Müßte über die
Institute ein
Geschichterl schreiben.
Abends Post von
einer Malerin, die
mich einlud, im
Rahmen ihrer
Ausstellung eine
Lesung meiner Gedichte
zu machen.
Viel Arbeit im Büro.
(Filippitsch-Abrechnungen.)
(Große Auftrags-Umlegungen.)
Schöner Abend.
mit zwei jungen Ludern, nicht individuellen
sondern typischen, auf der Straßen-
bahn gefahren.
hat zu lesen, kam
an. Auch sie
- wie Trr - liebt
den hochphilosophi-
schen Schmock bei
Benennung und
Selbstdeutung ihrer
Arbeiten.
Nein, nein, nein.
Eluard gestorben.
Abends zu müde, um
die Veranstaltung des
College zu hören:
"Neue Möglichkeiten
der deutschen und
angelsächsischen
Psychotherapie".
Angenehmer Abend
daheim.
Lang geschlafen.
In schöner Herbst-
sonne (fast Winter-
sonne) um die
Steinhofer Mauer
gegangen. Früh
minus 2 Grad.
Photographiert.
Man hat eine viel
lebhaftere Beziehung
zur Natur, wenn
man photographie-
rend durchs Land
geht.
Nachmittags geschrieben,
verschiedene Notizen
aufgearbeitet.
Angenehmer ruhiger Tag.
Mit Kein über Einsamkeit
oder Nicht-Einsamkeit
gesprochen (Altmann ...).
Dann über Christopher
Ausspruch
diskutiert "Du hast
die Welt nicht ver-
ändert, Mädchen".
Mehrere Stunden im Zimmer
umhergelaufen.
Nachmittags die gestrigen
Arbeiten fortgesetzt.
Abends in alten Sachen
das Wesentliche meiner
Gedichte gesucht, und
meine wesentlichen
Fehler.
Habe Angst, daß mir
die Schönheiten ent-
gleiten, und Angst, daß
mir die Probleme
entgleiten.
Dann wieder für lange
Abschied genommen von
allen Arbeiten. Nachts
und morgens war ich
darüber traurig.
Tagebuch
1952
Tagebuch
von ... Mo 3 11 52
bis ... So 23 11 52
Früh unbedingten Wunsch, an "Medea" weiterzuschreiben.
Dann wieder Büro.
Ich diktierte zwar einiges mir vom Leibe, aber dennoch genug Arbeit, um meine gesamte Übersicht zu zerstören.
Abends ein Gutschein, bei der Rätselsendung gewonnen, Absage von Fritsch für morgen, und eine Antwort von Hirss, wegen des Grabes von Hertha Kräftner.
Nach einem etwas übersichtlicheren Bürotag abends heim.
Früh hatte ich Briggi getroffen. Wir führen immer intellektuelle Gespräche ...
Abends Post von Jandl und ein Geldeingang für "publ. nr. 7".
Ich träumte, ich hätte einen Vormittag in der Stadt zur Verfügung. Dieser Gedanke hatte für mich viel Reiz: ich wollte den Vormittag so interessant wie möglich verbringen. Ich entschloss mich, mit dem Besuch bei einem Freund den Tag zu beginnen. Aber als ich den Freund nicht angetroffen hatte, wusste ich mit dem Tag schon nichts mehr anzufangen.
fr. 5 11 52Früh erster Frost. (-2°)
Obwohl heute Huber Journaldienst hatte, kam ich nicht vor 19 Uhr aus dem Büro. Auch keine Mittagspause wird mehr gehalten. Unter der Arbeit, 14 Uhr, ißt man.
Ich wundere mich, daß kein geschäftsgefährdender Rückstand in meinen Mappen zurückbleibt.
Zu müde, abends in die Veranstaltung des College zu gehen. Eigentlich schade, Klaus Demus sprach über "Abenteuer der Form".
Sartre kommt nach Wien zum Friedenskongreß.
Eisenhower zum amerikanischen Präsidenten gewählt.
Ich träumte von einem Mädchen, die unter einem Komplex zu leiden hatte. Ich liebte sie, und sie wurde dadurch gesunder; ich führte sie zu mir nachhaus, wir gingen umschlungen.
Harter Dienst wie üblich. Auch heute abends nicht wie gewollt in die College-Veranstaltung gefahren (Deutsche Literatur 1952).
Abends sehr angenehm zuhause.
Auch publ.-Zahlungen kamen.
Ich träumte von drei Leierkästen mit Affen darauf. Jeder spielte ein "Molitorsches Gesetz" ab. Diese Gesetze lauteten:
1) ... nicht erreicht haben 2) ... Erkenntnis der Unerreichbarkeit 3) ... Erreichbares versäumt.Im Büro ein angenehmerer Tag: morgens unabsehbare Arbeit, tags aber lichtete sich der Urwald etwas. Heute keine Ungerechtigkeiten.
Im Traum führte ich eine Studentendemonstration auf allen Vieren kriechend, und bellend, über den Ring.
Ausgeprägte Wochenendstimmung.
Im Büro freundlichere Abschiedstimmung von Witzmanns Regierung.
Nachmittag Ruhe. Abends versuchsartige Photoaufnahmen.
Hätte Gelegenheit gehabt, (mit Tante und Paul) morgen ins Burgenland zu fahren.
Man hat das tiefe Leben verloren.
9 11 52Vormittags kam Kein. Ich informierte ihn über die letzte und vorletzte Zeit.
Wir arbeiteten etwas weiter an früheren Gesprächsergebnissen und befaßten uns mit Görlich und Jandl. Zeigte ihm die restlichen ihm noch unbekannten Benn- Gedichte meiner Sammlung.
Man müßte, um halbwegs weiter oder auch nur wieder in Ordnung kommen zu können, Samstag und Sonntag ganztägig frei haben.
Man muß sich, um Gespräche ergiebig führen zu können, in ihnen "breitmachen" können, man muß sich in ihnen behaglich einrichten können; behaglich bedeutet vor allem zeitlich unbegrenzt; oder ohne die zeitlichen Grenzen vor Augen zu haben.
Ich träumte, daß ich einen Kugelschreiber kaufte, so klein wie ein Bleistiftstumpf. Er war sehr billig, und mir wurde gesagt, daß diese Type wegen Unrentabilität nicht mehr erzeugt werde. Ich war darüber traurig.
Nachmittags vergeblich zu schreiben versucht; las Mama Eisenreichs Erzählung "Einladung, deutlich zu leben" vor.
Abends machte ich mich über "Medea" her.
Die Weiterarbeit gelang sogar.
Ich träumte von einem Badezimmer, in dem "das gelbe Mädchen" und ich uns zur Liebe bereiteten. Ich verspürte das angenehme Gefühl, Zeit zu haben.
Im Büro erstmals Machwitz wieder. Dennoch unter anderem ein größeres Konzept ins Englische übertragen. Daneben hatte ich Zeit, mir Übersicht zu schaffen.
Von drei Männern geträumt, die Fleischlaberl aßen. Einer von ihnen sagte zu mir:
"Man muß diesen x Weg gehen und die Komplexe ausschalten."
Ich wandte ein: "Man versäumt ja so die Straße der Erotik xx."
Der Mann sagte: "Freud irrt. Die Straße der Erotik ist nicht die Hauptstraße."
Nach dem Büro abends zu Fritsch. Sehr lieb. Michael kleinkindet in einer Ecke: benützt bereits Spielzeug.
"Moderne Malerei" und Architekturzeitschriften angeschaut.
Dalis "Giraffe in Flammen" ergriff mich stark, so wenig Dali sympathisch ist.
Die Impressionisten sagten mir sehr zu. Ich halte den Impressionismus nicht für oberflächlich, ein Bild, das die Frühlingstimmung einfängt, gibt den Frühling wesenhaft wieder, da das Wesen sich ja immer sinnenhaft ausdrückt.
Ich habe einmal etwas von Phänomenologie gehört. In phänomenologischer Kunst hätte der Impressionismus seine ethisch verantwortbare Fortsetzung.
Las Albert Ehrenstein.
Früh traf ich Karl Schik, der gestand, einmal surrealistische Gedichte (oder: mehr humoristische als surrealistische) gemacht zu haben.
Büro: Trott.
Die Hauptschwierigkeit bei "Medea" ist x für mich, das sehe ich ganz genau, die Notwendigkeit, die Medea-Geschichte irgendwie recht und schlecht zu erzählen, da ohne das die Medea-Gegenwart in der Luft hängt.
Schöner Abend.
"Martini".
Träumte von einem Zimmer, wo Hertha Kräftner begraben lag. Jemand hatte über dem Grab ein surrealistisches Bild angebracht.
Früh noch etwas Zeit gehabt.
Erster Schnee fiel.
Abends zu Polakovics, bei dem ich mich tags zuvor angesagt hatte. Er wohnt in Breitensee, bei seinen Eltern. Maja liegt (wie voriges Jahr) mit Blutungen im Spital. Sie leidet sehr unter ihrer Kränklichkeit und ihrer psychischen Lebens- schwäche.
Viel mit Polakovics über sie gesprochen.
Später am Abend las er mir Geschichten von Hemingway vor, aus den 49 gesammelten. Wenn er von ihm lernen wird, x wie er es vorhat, wird es gut sein für seine Prosa, die heute noch langatmig und voll rhetorischer Streckmittel ist.
(15 11 nach Wein, während der Tagebuchnotizen über den Vor-Tag: Ich kann unmöglich in diesem Moment etwas über Maja schreiben, so gern ich es nach dem gestrigen mir sehr bedeutungsvollen Abend tun möchte.)
Erster Schnee lag.
Es schneite den Tag über weiter und deckte Bäume und Wiesen; auf der Straße zerging der Schnee noch.
Im Büro steigert sich die Arbeit. Es sollen noch Abendstunden fürs Diktat hinzugenommen werden. Man will diese Stunden bezahlen, aber man organisiert über die Leistungsfähigkeit des Menschen hinaus.
Mittags traf ich Wiesflecker. Wir rannten ein paar Runden im Park, und er erzählte mir von Paris und Brigitte Kahr. Sie sei oberflächlich, eingebildet auf "ihren Kadaver, auf ihren Trumm Arsch und die Brüste", und glaube, jeder Mann müsse ihr nachrennen, widrigenfalls sie ihm nachrenne. Ihre erste Frage an Wiesflecker sei gewesen: "Wie gefallen Ihnen meine Artikel in den Zeitungen?" Wiesflecker sagte: "Schlecht." Kahr sagte weiter: "Mir ist jedes Mittel recht, ich muß mir um jeden Preis einen Namen schaffen."
Nachmittags ausgeruht, "NW" Novemberheft gelesen, heute ist in Österreich "Leopoldi-"Tag.
Im Gedichtheftchen von Schick-Karli gelesen. Las indiskret ein Abschiedsbrief-Konzept an ein Mädchen, die ihm zu mondän war. (Menschlich berührend irgendwie, aus der Zeit der Universität 1947, M. J.; ich vermute daß dieses Mädchen Briggi Falkinger war.) Er hat dieses Konzept wahrscheinlich aus Versehen in das Heftchen eingereiht.
Abends eine Formulierung:Lieber schweigen als verpatzen, lieber andeuten als schweigen, lieber reden als andeuten.
Ich träumte von einer schweizer Landschaft; Straße oder Flußküste. Himmel und Wasser waren hellblau von einer seltenen Intensität. Die Häuser lagen wie Spielzeug, rein und hellfarbig. Eine Aufzugkabine hing bereit, aus poliertem naturfarbenen Holz. Auf Regalen standen Wassergläser; ich nahm eines davon und ging eine Wasserleitung suchen.
Artmann und Schmied waren bei mir. Ich fragte Schmied, ob er nur den Ehrgeiz habe, ein Manager zu sein, oder ob ihm an den Leuten, die er unterstütze oder kritisiere, etwas liege.
Später kam ein Zug vorbei von Aufständischen aus Kuba, sie sangen ein langes Lied mit surrealistischem Text.
Vormittag herrliches winterliches Wetter.
Ich machte eine Aufnahme mit selbsthergestelltem Gelbfilter; diese Mischung von anteilnehmendem Festhalten des an sich flüchtigen Eindrucks und reinem Versuch, die der Photographie eigen ist, entspricht so sehr meiner Natur.
Abends:Man hat nicht die Zeit (und nicht die Gabe), jene reizvollen Kombinationen, die aus den Positionen eines Lebens möglich wären, durchzuführen:
Nach Jahren, nüchtern und zur Arbeit, seinen Lehrern gegenüberzutreten; eine interessante Broschüre, die man von B. erhalten hat, C. weiterzuschicken; nicht nur ein Mädchen, sondern alle ihre Minuten zu lieben.
Zu spüren, wenn man nahe an Schnittpunkten vorübergeht; ein Gefühl wie von Wind.
Huber glaubt, sie ist imstande, alle Hosentürln der Welt zu öffnen.
Es fehlt ein Entsprechungstück zum Wort "Mädchen".
Aphorismus zum Begriff "Kurzschrift": Blöd, aber g'schwind. (Mama.)
Ist nur das reproduzierbare Glück das wirkliche Glück? ....... verlierbare .. .....
Müßte eine Kurzgeschichte über Fräulein Rauch von Firma Napoli schreiben.
Intensive Arbeit im Betrieb.
Weitere Abrechnungen.
Früh, abends mit einem Bekannten aus dem Chem. Institut gefahren, (den ich jetzt erst persönlich kennengelernt habe). Viel über Chemie gesprochen, wie überhaupt in letzter Zeit.
Müßte über die Institute ein Geschichterl schreiben.
Abends Post von einer Malerin, die mich einlud, im Rahmen ihrer Ausstellung eine Lesung meiner Gedichte zu machen.
Viel Arbeit im Büro. (Filippitsch-Abrechnungen.) (Große Auftrags-Umlegungen.)
Schöner Abend.
mit zwei jungen Ludern, nicht individuellen sondern typischen, auf der Straßenbahn gefahren.
hat zu lesen, kam an. Auch sie - wie Trr - liebt den hochphilosophischen Schmock bei Benennung und Selbstdeutung ihrer Arbeiten.
Nein, nein, nein.
Eluard gestorben.
Abends zu müde, um die Veranstaltung des College zu hören:
"Neue Möglichkeiten der deutschen und angelsächsischen Psychotherapie".
Angenehmer Abend daheim.
Lang geschlafen.
In schöner Herbstsonne (fast Wintersonne) um die Steinhofer Mauer gegangen. Früh minus 2 Grad.
Photographiert.
Man hat eine viel lebhaftere Beziehung zur Natur, wenn man photographierend durchs Land geht.
Nachmittags geschrieben, verschiedene Notizen aufgearbeitet.
Angenehmer ruhiger Tag.
Mit Kein über Einsamkeit oder Nicht-Einsamkeit gesprochen (Altmann ...). Dann über Christopher Ausspruch diskutiert "Du hast die Welt nicht verändert, Mädchen".
Mehrere Stunden im Zimmer umhergelaufen.
Nachmittags die gestrigen Arbeiten fortgesetzt.
Abends in alten Sachen das Wesentliche meiner Gedichte gesucht, und meine wesentlichen Fehler.
Habe Angst, daß mir die Schönheiten entgleiten, und Angst, daß mir die Probleme entgleiten.
Dann wieder für lange Abschied genommen von allen Arbeiten. Nachts und morgens war ich darüber traurig.
Tagebuch
1952
Tagebuch
von ... Mo 3 11 52
bis ... So 23 11 52
Früh unbedingten Wunsch,
an "Medea" weiterzuschreiben.
Dann wieder Büro.
Ich diktierte zwar einiges
mir vom Leibe, aber
dennoch genug Arbeit,
um meine gesamte
Übersicht zu zerstören.
Abends ein Gutschein,
bei der Rätselsendung
gewonnen, Absage
von Fritsch für morgen,
und eine Antwort von Hirss,
wegen des Grabes von Hertha Kräftner.
Nach einem etwas über-
sichtlicheren Bürotag
abends heim.
Früh hatte ich Briggi
getroffen. Wir führen
immer intellektuelle
Gespräche ...
Abends Post von Jandl
und ein Geldeingang
für "publ. nr. 7".
Ich träumte, ich hätte einen Vormittag
in der Stadt zur Verfügung. Dieser
Gedanke hatte für mich viel Reiz: ich
wollte den Vormittag so interessant wie
möglich verbringen. Ich entschloss mich, mit
dem Besuch bei einem Freund den Tag zu
beginnen. Aber als ich den Freund nicht
angetroffen hatte, wusste ich mit dem Tag
schon nichts mehr anzufangen.
Früh erster Frost. (-2°)
Obwohl heute Huber
Journaldienst hatte,
kam ich nicht vor
19 Uhr aus dem Büro.
Auch keine Mittagspause
wird mehr gehalten.
Unter der Arbeit,
14 Uhr, ißt man.
Ich wundere mich, daß
kein geschäftsgefährdender
Rückstand in meinen
Mappen zurückbleibt.
Zu müde, abends in
die Veranstaltung
des College zu gehen.
Eigentlich schade,
da
Klaus Demus
sprach über "Abenteuer
der Form".
Sartre kommt nach Wien zum
Friedenskongreß.
Eisenhower zum amerika-
nischen Präsidenten gewählt.
Ich träumte von einem Mädchen,
die unter einem Komplex zu leiden
hatte. Ich liebte sie, und sie
wurde dadurch gesunder; ich
führte sie zu mir nachhaus,
wir gingen umschlungen.
Harter Dienst wie üblich.
Auch heute abends nicht
wie gewollt in die College-
Veranstaltung gefahren
(Deutsche Literatur 1952).
Abends sehr angenehm
zuhause.
Auch publ.-Zahlungen
kamen.
Ich träumte von drei
Leierkästen mit Affen
darauf. Jeder spielte
ein "Molitorsches Gesetz"
ab. Diese Gesetze lauteten:
Im Büro ein angenehmerer
Tag: morgesns unabsehbare
Arbeit, tags aber lichtete
sich der Urwald etwas.
Heute keine Ungerechtigkeiten.
Im Traum führte ich
eine Studentendemonstration
auf allen Vieren kriechend,
und bellend, über den
Ring.
Ausgeprägte Wochenend-
stimmung.
Im Büro freundlichere
Abschiedstimmung
von Witzmanns Regierung.
Nachmittag Ruhe.
Abends versuchsartige
Photoaufnahmen.
Hätte Gelegenheit
gehabt, (mit Tante
und Paul) morgen
ins Burgenland zu
fahren.
Man hat das tiefe Leben
verloren.
Vormittags kam Kein.
Ich informierte ihn
über die letzte und
vorletzte Zeit.
Wir arbeiteten
etwas weiter anden
früheren Gesprächs-
ergebnissen und
befaßten uns mit
Görlich und Jandl.
Zeigte ihm die
restlichen ihm noch
unbekannten Benn-
Gedichte meiner
Sammlung.
Man müßte, um
halbwegs weiter oder
auch nur wieder
in Ordnung kommen
zu können, Samstag
und Sonntag ganz-
tägig frei haben.
Man muß sich, um
Gespräche ergiebig
führen zu können,
in ihnen "breitmachen"
können, man muß
sich in ihnen
behaglich einrichte n
können; behaglich
bedeutet vor allem
zeitlich unbegrenzt;
oder ohne die zeitlichen
Grenzen vor Augen
zu haben.
Ich träumte, daß ich
einen Kugelschreiber
kaufte, so klein wie
ein Bleistiftstumpf.
Er war sehr billig, und
mir wurde gesagt,
daß diese Type wegen
Unrentabilität nicht
mehr erzeugt werde.
Ich war darüber traurig.
Nachmittags vergeblich zu
schreiben versucht;
las Mama
Eisenreichs Erzäh-
lung "Einladung, deutlich
zu leben" vor.
Abends machte ich mich
über "Medea" her.
Die Weiterarbeit gelang
sogar.
Ich träumte von
einem Badezimmer,
in dem "das gelbe
Mädchen" und ich uns
zur Liebe bereiteten.
Ich verspürte das
angenehme Gefühl,
Zeit zu haben.
Im Büro erstmals
Machwitz wieder.
Dennoch unter anderem
ein größeres Konzept
ins eEnglische übertragen.
Daneben hatte ich
Zeit, mir Übersicht
zu schaffen.
Von drei Männern geträumt,
die Fleischlaberl aßen.
Einer von ihnen sagte zu
mir:
"Man muß diesen x Weg gehen
und die Komplexe aus-
schalten."
Ich wandte ein: "Man
versäumt ja so die
Straße der Erotik xx."
Der Mann sagte: "Freud
irrt. Die Straße der Erotik
ist nicht die Hauptstraße."
Nach dem Büro abends
zu Fritsch. Sehr lieb.
Michael kleinkindet in
einer Ecke: benützt bereits
Spielzeug.
"Moderne Malerei" und
Architekturzeitschriften
angeschaut.
Dalis "Giraffe in Flammen"
ergriff mich stark,
so wenig Dali sympathisch
ist.
Die Impressionisten sagten
mir sehr zu. Ich halte
den Impressionismus
nicht für oberflächlich,
ein Bild, das die
Frühlingstimmung einfängt,
gibt den Frühling wesenhaft
wieder, da das Wesen
sich ja immer sinnenhaft
ausdrückt.
Ich habe einmal etwas
von Phänomenologie gehört.
In phänomenologischer
Kunst hätte der Impressio-
nismus seine ethisch ver-
antwortbare Fortsetzung.
Las Albert Ehrenstein.
Früh traf ich Karl
Schik, der gestand,
einmal surrealistische
Gedichte (oder: mehr
humoristische als
surrealistische)
gemacht zu haben.
Büro: Trott.
Die Hauptschwierigkeit
bei "Medea" ist
x
für mich, das
sehe ich ganz genau,
die Notwendigkeit,
die Medea-Geschichte
irgendwie recht und
schlecht zu erzählen,
da ohne das die
Medea-Gegenwart in der
Luft hängt.
Schöner Abend.
"Martini".
Träumte von einem Zimmer,
wo Hertha Kräftner begraben
lag. Jemand hatte über
dem Grab ein surrealisti-
sches Bild angebracht.
Früh noch etwas Zeit gehabt.
Erster Schnee fiel.
Abends zu Polakovics,
bei dem ich mich
tags zuvor angesagt
hatte. Er wohnt in
Breitensee, bei seinen Eltern.
Maja liegt (wie voriges
Jahr) mit Blutungen
im Spital. Sie leidet
sehr unter ihrer
Kränklichkeit und
ihrer psychischen Lebens-
schwäche.
Viel mit Polakovics
über sie gesprochen.
Später am Abend
las er mir Geschichten
von Hemingway vor,
aus den 49 gesammelten.
Wenn er von ihm lernen
wird,
x
wie er es
vorhat, wird es gut
sein für seine Prosa,
die heute noch lang-
atmig und voll rhetorischer
Streckmittel ist.
(15 11 nach Wein, während der Tagebuch-
notizen über den Vor-Tag: Ich kann
unmöglich in diesem Moment
etwas über Maja schreiben, so
gern ich es nach dem gestrigen
mir sehr bedeutu ngsvollen Abend
tun möchte.)
Erster Schnee lag.
Es schneite den Tag über
weiter und deckte
Bäume und Wiesen;
auf der Straße zerging
der Schnee noch.
Im Büro steigert sich
die Arbeit. Es sollen
noch Abendstunden
fürs Diktat hinzu-
genommen werden.
Man will diese Stunden
bezahlen, aber man
organisiert über die
Leistungsfähigkeit des
Menschen hinaus.
Mittags traf ich
Wiesflecker. Wir
rannten ein paar
Runden im Park,
und er erzählte mir
von Paris und
Brigitte Kahr. Sie sei
oberflächlich, einge-
bildet auf "ihren
Kadaver, auf ihren
Trumm Arsch und
die Brüste", und
glaube, jeder Mann
müsse ihr nachrennen,
widrigenfalls sie ihm
nachrenne. Ihre erste
Frage an Wiesflecker sei
gewesen: "Wie gefallen
Ihnen meine Artikel
in den Zeitungen?"
Wiesflecker sagte:
"Schlecht." Kahr
sagte weiter: "Mir ist
jedes Mittel recht, ich
muß mir um jeden
Preis einen Namen
schaffen."
Nachmittags ausgeruht,
"NW" Novemberheft
gelesen, heute ist in
Österreich "Leopoldi-"Tag.
Im Gedichtheftchen von
Schick-Karli gelesen.
Las indiskret ein
Abschiedsbrief-Konzept
an ein Mädchen, die
ihm zu mondän war.
(Menschlich berührend
irge ndwie, aus der Zeit
der Universität
1947,
M. J.; ich vermute daß
dieses Mädchen Briggi
Falkinger war.) Er
hat dieses Konzept wahr-
scheinlich aus Versehen
in das Heftchen ein-
gereiht.
Lieber schweigen als verpatzen,
lieber andeuten als schweigen,
lieber reden als andeuten.
Ich träumte von einer
schweizer Landschaft;
Straße oder Flußküste.
Himmel und Wasser waren
hellblau von einer seltenen
Intensität. Die Häuser lagen
wie Spielzeug, rein und
hellfarbig. Eine Aufzug-
kabine hing bereit, aus
poliertem naturfarbenen
Holz. Auf Regalen standen
Wassergläser; ich nahm
eines davon und ging
eine Wasserleitung suchen.
Später
Artmann und
Schmied waren bei mir.
Ich fragte Schmied, ob
er nur den Ehrgeiz
habe, ein Manager zu
sein, oder ob ihm an
den Leuten, die er
unterstütze oder
kritisiere, etwas liege.
Später kam ein Zug
vorbei von Aufstän-
dischen aus Kuba,
sie sangen ein langes
Lied mit surrealistischem
Text.
Vormittag herrliches
winterliches Wetter.
Ich machte eine Aufnahme
mit selbsthergestelltem
Gelbfilter; diese Mischung
von anteilnehmendem
Festhalten des an sich
flüchtigen Eindrucks
und reinem Versuch,
die der Photographie
eigen ist, entspricht
so sehr meiner Natur.
Man hat nicht die Zeit
(und nicht die Gabe), jene
reizvollen Kombinationen,
die aus den Positionen
eines Lebens möglich
wären, durchzuführen:
Nach Jahren, nüchtern
und zur Arbeit, seinen
Lehrern gegenüberzutreten;
eine interessante
Broschüre, die man von
B. erhalten hat,
C. weiterzuschicken;
nicht nur ein Mädchen,
sondern alle ihre
Minuten zu lieben.
Zu spüren, wenn man
nahe an Schnittpunkten
vorübergeht; ein Gefühl
wie von Wind.
Huber glaubt, sie ist imstande,
alle Hosentürln der Welt zu
öffnen.
Es fehlt ein Entsprechung-
stück zum Wort
"Mädchen".
Aphorismus zum Begriff
"Kurzschrift": Blöd, aber
g'schwind. (Mama.)
Ist nur das reproduzierbare
Glück das wirkliche Glück?
....... verlierbare ..
.....
Müßte eine Kurzgeschichte
über Fräulein Rauch
von Firma Napoli
schreiben.
Intensive Arbeit im
Betrieb.
Weitere Abrechnungen.
Früh, abends mit
einem Bekannten
aus dem Chem. Institut
gefahren, (den ich
jetzt erst persönlich
kennengelernt habe).
Viel über Chemie
gesprochen, wie über-
haupt in letzter Zeit.
Müßte über die
Institute ein
Geschichterl schreiben.
Abends Post von
einer Malerin, die
mich einlud, im
Rahmen ihrer
Ausstellung eine
Lesung meiner Gedichte
zu machen.
Viel Arbeit im Büro.
(Filippitsch-Abrechnungen.)
(Große Auftrags-Umlegungen.)
Schöner Abend.
mit zwei jungen Ludern, nicht individuellen
sondern typischen, auf der Straßen-
bahn gefahren.
hat zu lesen, kam
an. Auch sie
- wie Trr - liebt
den hochphilosophi-
schen Schmock bei
Benennung und
Selbstdeutung ihrer
Arbeiten.
Nein, nein, nein.
Eluard gestorben.
Abends zu müde, um
die Veranstaltung des
College zu hören:
"Neue Möglichkeiten
der deutschen und
angelsächsischen
Psychotherapie".
Angenehmer Abend
daheim.
Lang geschlafen.
In schöner Herbst-
sonne (fast Winter-
sonne) um die
Steinhofer Mauer
gegangen. Früh
minus 2 Grad.
Photographiert.
Man hat eine viel
lebhaftere Beziehung
zur Natur, wenn
man photographie-
rend durchs Land
geht.
Nachmittags geschrieben,
verschiedene Notizen
aufgearbeitet.
Angenehmer ruhiger Tag.
Mit Kein über Einsamkeit
oder Nicht-Einsamkeit
gesprochen (Altmann ...).
Dann über Christopher
Ausspruch
diskutiert "Du hast
die Welt nicht ver-
ändert, Mädchen".
Mehrere Stunden im Zimmer
umhergelaufen.
Nachmittags die gestrigen
Arbeiten fortgesetzt.
Abends in alten Sachen
das Wesentliche meiner
Gedichte gesucht, und
meine wesentlichen
Fehler.
Habe Angst, daß mir
die Schönheiten ent-
gleiten, und Angst, daß
mir die Probleme
entgleiten.
Dann wieder für lange
Abschied genommen von
allen Arbeiten. Nachts
und morgens war ich
darüber traurig.
Okopenko, Andreas: Tagebuch 03.11.1952–23.11.1952. Digitale Edition, hrsg. von Roland
Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno
Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische
Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1,
15.1.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/
Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
LinksInformationJegliche Nutzung der Digitalisate muss mit dem Rechtsnachfolger von Andreas Okopenko, August Bisinger, individuell abgeklärt werden.