Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Ich hatte beim auswählenden Lektorat Gelegenheit, Ihre eingesandten Gedichte zu lesen. Sie haben mir gefallen. Ich finde daran:
Sie haben noch den Mut, etwas zu sagen. Sie enthüllen noch und klagen an. Sie verwenden dafür keine den Leser streichelnde Form, die ihn von der Aussage ablenkt und ihn sagen läßt "Ah, das ist Kunst!" worauf er eine halbe Stunde später seiner alten Skrupellosigkeit nachgeht.
Ich lade Sie ein, in unseren Arbeitskreis zu kommen, es ist jeden Dienstag um 17 Uhr in der Redaktion der "Neuen Wege" (Hofburg, Batthianystiege) eine Zusammenkunft. Gerade jetzt ist die Krise groß: Wer immer etwas in stärkerer als der althergebrachten Form sagt, gerade in der Lyrik , kommt unter die Räder. Hofräte entscheiden über uns, größere Reife das heißt Gleichgültigkeit wird uns geraten, endlich beschweren sich die Lehrkräfte bis zu de Direktorinnen hinauf. Die Empörung über meine "Prosa hinterm Wahnsinn" wird von solchen Lebewesen nunmehr schriftlich bis vors Ministerium gebracht, meinen Freunden Fritsch und Altmann geht es um kein Haar besser, Polakovics mit seinen polemischen Arbeiten erweckt Anstoß usw. usw. usw. Über mein "Gedicht in Prosa" in der Mainummer hat sich Nationalrätin Paunovics beschwert, meine Entgegnung durfte nicht abgehen, nunmehr kommt wahrscheinlich ein Verbot für die nichthergebrachte Ausdrucksweise überhaupt, die in bösartiger Verkennung als "surrealistisch" und daher lynchreif ausgerufen wird.
Einzelne von uns wiederum flüchten in die Spielerei mit dem Unverständlichen, nur um die Bürger, zwar mit gewissem Recht aber unter Aufgabe des Ernstzunehmenden, vor den Kopf zu stoßen.
Zwischen diesen Mühlsteinen müssen wir langsam unserer Arbeit nachgehen. Es sollten sich, die dasselbe Ziel wie wir haben - und das läßt sich an keiner Programmatik, nur gefühlsmäßig erfassen - bei uns sammeln. Daher rufe ich Sie, Fräulein Schinko, hierher an meine Seite.(Freilich werden Sie da weitgehend zugrundegehn.)
Herzlichst
Ihr
22/24 11 50 ab: 29 11 50H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1, Geb. A1.
Wissen Sie, was mich am meisten gefreut hat an diesem Brief? Daß gerade Sie es waren, der ihn geschrieben hat.
Ich verfolge ja seit langem diesen gegenseitigen Meinungsaustausch in den "Neuen Wegen." Ich kann mir vorstellen, was alles hinter diesen Artikeln und Antworten steht, und daß es sich viel leichter lesen als ertragen läßt. Aber ich glaube auch, daß dieser ganze Zwiespalt zwischen den Gliedern einer Kette, die vielleicht einmal mehr umspannt als nur die Interessenten eines Zweiges, aus der großen Masse kommt und nicht aus der Uneinigkeit der Jungen. Sie haben ganz recht. Ich sehe auch nicht ein, warum sich ein Einzelner nach dem Geschmack der Vielen richten soll. Wer sagt ihnen denn, daß gerade ihr Standpunkt der klare und ihre Idee die gute ist? Wir dürfen unseren Ausdruck nicht zur Manier werden lassen. Auch nicht um des Beifalles willen. Wir werden unseren Weg alleine finden, und wenn es ein neuer sein wird, dann müssen sie mit uns gehen. Lassen sie uns allein, dann werden wir auch allein weiterkommen.
Selbstverständlich liegt es an uns, rücksichtsvoll zu sein, mit Ellenbogenmanieren wird wenig zu erreichen sein. Wenn man überzeugen will, darf man nicht überschreien. Einmal muß der Anfang gemacht werden. Wir geben ihnen die Hand hin, sie schlagen ein. Wenn sie es tun. Schwer ist es für beide Teile. Für den, der abdanken soll und der sich deshalb mit Händen und Füßen wehrt, wie für den, der sich diese Abwehr der Hände und Füße gefallen lassen soll. Es kann manchmal wirklich nicht anders als unfair genannt werden, wie der neue Wind zu dämpfen gesucht wird. Aber wie Sie gesagt haben: vor den Kopf stoßen dürfen wir die Bürger nicht. Es sind auch Abwartende und Rekonvaleszenten darunter. Was wir wollen, ist wirklich nichts anderes als eine Therapie. Die es aus Ehrgeiz tun, sind ja ohnehin für diesen Kreis verloren. Die andern wollen uns aufdecken und immer wieder hinzeigen. Das geht durchwegs durch alle Sätze. Und für wen? Für alle, die darunter leiden. Leider ist die Masse der unbehinderten Gesunden größer. Aber die Krankheit liegt in der Luft. Gegen Krankheit schützen keine Kettenpan-zer. Morgen werden sie bereuen, was sie gestern zu ändern versäumt haben. Deshalb müssen sie es einsehen, daß es endlich an der Zeit ist, umzugraben. Daß es doch nicht nur die natürliche Opposition der Jugend ist, die sie angreift und an ihre verbrieften Rechte pocht.
Das wollen wir ihnen zeigen und nichts sonst! Eigennützigkeit können sie uns nicht vorwerfen. Was haben wir schon davon. Vorwürfe hinunterzuschlucken und Ungerechtigkeiten zu ertragen. Weil wir zu wenig oberflächlich sind, um uns Illusionen zu machen.
Aber der Anfang wird eine Überlei-tung sein müssen.
Man steht sich ja gegenüber wie zwei Fronten. Und alles ist doch nur eine Welt und eine Menschlichkeit. Wir sind im Recht. Wir wollen nur ändern, was an der Welt und an der Menschlichkeit, nicht an der Menschheit, brüchig ist. Wir wollen nur, daß es besser gemacht wird. Wir lassen uns keine Formen und Regeln aufpressen. Sie sind die Autorität und wir wollen die Passiven sein. Sie haben ja die Macht mit dem Urteil, das sie nach Belieben austeilen können. Sie tun es auch. Nach Belieben. Nichts desto weniger bleibe ich dabei, daß sich alles im Verstehen und nichts im Übergehen und Übersehen auflösen wird.
Ich wohne hier in einer Siedlung, die keine Vorhänge hat. Ziegelarbeiter und Schlosser. Wenn man hier die Augen aufmacht, dann bringt man sie abends nicht zu, weil zuviel drinnen ist. Das ist ein Leben, das sich nicht absperrt, weil es nichts hat, das ihm genommen werden könnte. Für so etwas haben Sie den richtigen Ton. Ihre "Prosa hinter Wahnsinn" beweist das. Es ist so stark, daß man sich ihm nicht gewachsen fühlt. Deshalb müssen manche wegsehen. Deshalb wollen sie es wegschieben. Das sind leider gerade die Hofräte.
Ich gehe ja noch zur Schule, in eine Lehrerinnenbildungsanstalt. Es ist überall gleich. Wenn wir uns aber einig sind, dann haben wir nichts zu befürchten. Die Intensivität ist bei uns.
Ich hab' jetzt gerade nochmals Ihr Gedicht in Prosa (vom Mai) gelesen. Es hat damals schon eingeschlagen. Ich sage Ihnen , daß Sie am stärksten und schlagkräftigsten sind. Sie sind ihnen zu wahr.
Ich will gerne in den Arbeitskreis kommen. Vielleicht nach Ihrem nächsten Brief?
Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Sie haben mir da einen sehr netten Brief geschrieben. Gerade von Ihnen freut mich das herzlich. Sie müssen mir nur nicht bös sein, wenn ich Ihnen ziemlich kurz antworte, denn ich hoffe, daß wir uns kommenden Dienstag schon in natura sehen und uns aussprechen können.
Bringen Sie vielleicht wieder etwas mit zum Einreichen. Wenn es Ihnen möglich wär, in Maschinschrift, aber wenn nicht, macht auch nix.
Unsere Zusammenkunft ist immer im Grillparzer-Saal (Hofburg, Batthianystiege), die grün gelederte Türe. Wenn Sie nicht hinfinden, brauchen Sie nur nach dem "lyrischen Arbeitskreis" zu fragen. Dort bin ich. Auch Altmann, Artmann, Fritsch, Kein und Polakovics kommen auf jeden Fall.
Wenn Sie etwas haben, was für eine Einreichung Ihrer Ansicht nach aus gewissen Gründen nicht in Frage kommt, bringen Sie's auch mit, ja?
Ich hoffe, daß Sie nun schon wirklich kommen, und grüße Sie bis dahin
herzlich:
Ihr
Abs. H. Schinko Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1 Geb. A1.
gek.
Ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich leider heute nicht kommen kann. Wissen Sie, ich hab' mir bis zum heutigen Tag vorgenommen gehabt, zu kommen, aber nach der Schule hätte ich heimfahren wollen; es wäre sich knapp ausgegangen, aber da haben sie uns noch eine Stunde zusätzlich draufgewichst und nun ist alles ins Wasser gefallen. Ich wäre so gerne gekommen, aber ich hab' ja einen so langen Weg, erst mit der Straßenbahn, dann mit dem Autobus und noch zehn Minuten zu gehen. Nächsten Dienstag - also genau in einer Woche - lasse ich mich aber durch nichts abhalten. Ich hab' mich wirklich gefreut, obwohl Dienstag überhaupt ziemlich ungünstig ist für mich. Außerdem hätte ich nämlich auch Gitarrestunde, das muß man auch lernen hierorts, aber meistens schwänz' ich sie sowieso.
Zu Ihrer grün gelederten Tür werd' ich hoffentlich doch finden, die Batthianystiege kenn' ich auch, also seh' ich kein Hindernis mehr für kommenden Dienstag. Sie haben Dienstag schon so früh Zeit und Altmann, Artmann, Fritsch, Kein und Polakovics auch? Ich meine, früh für Berufstätige, fünf Uhr ist ja noch Nachmittag.
Was das Einreichen betrifft, so hätt' ich von selber nichts mitgebracht, weil ich nicht mit der Tür in Haus fallen wollte. Schließlich ist es auch nicht das Wichtigste. Für einen Einzelnen. Wenn Sie es aber sagen, will ich gerne etwas mitnehmen. Mangel daran herrscht bei uns nicht. Im Gegenteil. Etwas find' ich aus meinen verschiedent-lichen Laden und Lädchen selten heraus, was zusammengehört. Cocktail ist nichts dagegen. Jetzt bemühe ich mich aber ohnehin schon, die einzelnen Seiten mit Heftklammern zusammenzuhalten, das heißt, ich gebe mir Mühe, es nicht zu vergessen. Das ist überhaupt eine Zier von mir. Na ja. Ich hab' schon jemanden, der es mir auf der Maschine schreibt, eine Kunst bei meiner Schrift. Also ein bißl was nehm' ich mit, ja? Prosa?
Oh, ich bin schon sehr gespannt auf Sie und alle und alles. Das ist natürlich leichthin gesagt, aber im Ernst: ich freue mich. Der gleichen Richtung und des gleichen Schrittes wegen. Wenn man den gleichen Weg hat, ist man naturgemäß auch näher beisammen. Das ist schön, aber selten. Darum soll man es festhalten, wenn man es kann.
Was die Länge meiner Briefe betrifft, fühlen Sie sich bitte nicht verpflichtet oder betroffen, ebensolange Episteln zu schreiben, ich tu' es auch nicht immer, nur, wenn ich es gern mache. Ich mach' es gerne. Ich zwing mich ja nicht dazu. Es kommt ja von selber. Aber wie gesagt: Fühlen Sie sich nicht peinlich berührt, wenn Sie ein Drittel von meinem Dahergerede schreiben. Und überhaupt wird das ja nicht mehr oft vorkommen, wenn ich doch Dienstag in Ihren Grillparzersaal gehe.
Da fällt mir ein, ich lasse Ihnen was ansehen, ja, von vorgestern, also noch frisch vom Papier, deshalb müssen Sie es schon in meinen Lettern lesen. Ich leg's Ihnen dazu, ja?
Und nun möcht' ich mich verabschieden, etwas soll man ja doch tun für seine Weiterbildung. Ich werd' mich zu meiner Russischfibel setzen.
Liebes Fräulein Schinko!
Es hat mich sehr gefreut, daß Sie mir wegen Dienstag geschrieben haben. Und daß Sie nächsten Dienstag kommen. Und vor allem, wie lieb Sie schreiben: so herzlich und natürlich.
(Sie müssen wissen, einige Mitgl aus unserem Kreis haben schon einmal vor längerer Was Ihre Bedenken
Wir Ich Uns werden sehr gerne Ihre Einreichungen von Ihnen lesen sehr interessieren.
Und das Schöne ist auch an Ihren Sachen, daß Sie trotz Ihrer knappen Sprache, die Sie dort verwenden, nie aus dem Menschlichen herausfallen.
Bringen Sie nur viel mit von Ihren Sachen, aber nicht nur Prosa, ich bin nämlich sehr lyrikversessen. Sie sind eine gute Lyrikerin substanziell, ich bin neugierig auf Ihre Weiterentwicklung; wenn ich Parallelen zu meiner ziehen kann, prophezeie ich Ihnen eine stärkere Hinwendung zur nichtsatirischen Lyrik.
Die menschlichen Bezüge nehmen nur noch zu dabei, denn das persönliche, wenn auch gleichzeitig allgemeingültige Erlebnis mit seiner Empfindungsintensität auszudrücken, ist mehr als jede dichterische Illustration zu einer vorher abstrahierten Idee. (Wie etwa soziales Empfinden mehr ist als Sozialismus.
Wie etwa die Liebe mehr ist als ihre Definition.) Die Sprache bleibt übrigens dabei, wie sie in ihrer früheren Zeit war. So knapp, kontrastreich, eigen ...
Genug aber philosophiert. Sie wissen aus sich, ohne so, schwerfällige Darlegung, was gemeint ist.
Bei Ihren Ziegeleien muß es jetzt schön sein. In dem Dorf, wo ich meine Kindheit verbrachte, waren die auch, und am schönsten im Winter. Mehr erinnere ich mich nicht.
Gibt's viel Hunde dort? (Ich war in meinem Leben noch nie
Aber Ihr Gedicht: Es dringt so etwas durch, als ob im Elend jegliches Gefühl
Unsere Vorstände haben Donnerstag eine Sitzung gehabt. Es ging um die Linie der "N.W." Ob wir unseren Beißkorb dichter anlegen müssen fortan, werden wir Dienstag erfahren.
Auch Ihre Fragen, wenn ich jetzt drauf vergessen haben soll, will ich herzlich gerne einzeln dann beantworten. Mit vielerlei Interesse also Dienstag entgegen.
Herzlichst
Ihr
Brief an H. Schinko geschrieben und abgegangen früh 22. Dezember 1950 (nur Gratulation und Wunsch auf ungehemmteren Zusammenschluß)
Liebes Fräulein Schinko!
Soeben erhalte ich einen Brief von unserm Herbert Eisenreich , der Sachen von Ihnen sehen will.
Er gibt einen Almanach heraus /mit Polakovics-, Kein-, Toman-, Höllersberger-, Vera Ferra-, Gerhard Fritsch-, Altmann-, Strobach-, und meinen Beiträgen u.v.a./. Senden Sie bitte was an seine Adresse Enns, Grollerstrasse 7.
Nochmals alles Gute!
Herzlichst
Ihr
Danach kam sie nicht mehr. Auch bei Eisenreich langte nichts von ihr ein.
Das eine Mal war sie mehr als seltsam.
Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Ich hatte beim auswählenden Lektorat Gelegenheit,
Ihre eingesandten
Gedichte zu lesen. Sie haben mir gefallen.
Ich finde daran:
Sie haben noch den Mut, etwas zu sagen. Sie enthüllen
noch und
klagen an. Sie verwenden dafür keine den Leser
streichelnde Form,
die ihn von der Aussage ablenkt und
ihn sagen läßt "Ah, das ist Kunst!" worauf er eine halbe
Stunde später seiner alten
Skrupellosigkeit nachgeht.
Ich lade Sie ein, in unseren Arbeitskreis zu kommen,
es ist jeden Diensattag um 17 Uhr in der Redaktion der
"Neuen Wege" (Hofburg,
Batthianystiege) eine Zusammenkunft.
Gerade jetzt ist die Krise
groß: Wer immer etwas in
stärkerer als der althergebrachten Form
sagt, gerade in der Lyriik
, kommt unter die Räder. Hofräte emntscheiden über uns,
größere Reife das heißt
Gleichgültigkeit wird uns geraten,
endlich beschweren sich die
Lehrkräfte bis zu de Direktorinnen
hinauf. Die Empörung über meine "Prosa
hinterm Wahnsinn"
wird von solchen Lebewesen nunmehr schriftlich
bis vors
Ministerium gebracht, meinen Freunden Fritsch und Altmann
geht es um kein Haar besser, Polakovics mit seinen
polemischen
Arbeiten erweckt Amnstoß usw. usw. usw. Über mein
"Gedicht in Prosa" in der
Mainummer hat sich Nationalrätin
Paunovics beschwert, meine
Entgegnung durfte nicht abgehen,
nunmehr kommt wahrscheinlich ein
Verbot für die nichther-
gebrachte Ausdrucksweise
überhaupt, die in bösartiger
Verkennung als "surrealistisch" und
daher lynchreif
ausgerufen wird.
Einzelne von uns wiederum flüchten in die Spielerei
mit dem
Unverständlichen, nur um die Bürger, zwar mit gewissem
Recht aber
unter Aufgabe des Ernstzunehmenden, vor dexn Kopf
zu stoßen.
Zwischen diesen Mühlsteinen müssen wir langsam
unserer Arbeit
nachgehen. Es sollten sich, die dasselbe
Ziel wie wir haben - und
das läßt sich an keiner Programmatik,
nur gefühlsmäßig erfassen -
bei uns sammeln.
Daher rufe ich
Sie, Fräulein Schinko, hierher an
meine Seite.(Freilich werden
Sie da weitgehend zugrundegehn.)
Herzlichst
Ihr
22/24 11 50H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1, Geb. A1.
Wissen Sie, was mich am meisten
gefreut hat an diesem Brief? Daß
gerade Sie es waren, der ihn ge-
schrieben
hat.
Ich verfolge ja seit langem diesen
gegenseitigen
Meinungsaustausch in
den "Neuen Wegen." Ich kann mir
vorstellen, was alles hinter diesen Ar-
tikeln
und Antworten steht, und
daß es sich viel leichter lesen als
ertragen läßt. Aber ich glaube auch,
daß dieser ganze
Zwiespalt zwischen
den Gliedern einer Kette, die vielleicht
einmal mehr umspannt als nur die Interessenten eines
Zweiges, aus der
großen Masse kommt und nicht aus
der
Uneinigkeit der Jungen. Sie haben
ganz recht. Ich sehe auch
nicht ein,
warum sich ein Einzelner nach dem
Geschmack der
Vielen richten soll. Wer
sagt ihnen denn, daß gerade ihr
Standpunkt der klare und ihre
Idee die gute ist? Wir dürfen unse-
ren Ausdruck
nicht zur Manier wer
den lassen. Auch nicht um des
Beifalles willen. Wir werden unseren Weg
alleine finden,
und wenn es ein
neuer sein wird, dann müssen
sie mit uns gehen.
Lassen sie uns
allein, dann werden wir auch allein
weiterkommen.
Selbstverständlich liegt es an uns, rück-
sichtsvoll
zu sein, mit Ellenbogen-
manieren wird wenig zu
erreichen sein.
Wenn man überzeugen will, darf man
nicht
überschreien. Einmal muß
der Anfang gemacht werden. Wir
geben ihnen die Hand hin, sie
schlagen ein. Wenn sie es
tun. Schwer
ist es für beide Teile. Für den, der
abdanken
soll und der sich deshalb
mit Händen und Füßen wehrt, wie
für den, der sich diese Abwehr der
Hände und Füße gefallen
lassen soll.
Es kann manchmal wirklich nicht
anders als
unfair genannt werden,
wie der neue Wind zu dämpfen gesucht wird. Aber wie Sie
gesagt haben:
vor den Kopf stoßen dürfen wir die
Bürger nich t. Es sind auch Abwar-
tende und
Rekonvaleszenten darunter.
Was wir wollen, ist wirklich nichts
anderes als eine Therapie. Die es aus
Ehrgeiz tun, sind ja
ohnehin für
diesen Kreis verloren. Die andern
wollen uns
aufdecken und immer
wieder hinzeigen. Das geht durchwegs
durch alle Sätze. Und für wen?
Für alle, die darunter
leiden.
Leider ist die Masse der unbe-
hinderten
Gesunden größer. Aber die
Krankheit liegt in der Luft. Gegen
Krankheit schützen keine Kettenpan-zer. Morgen werden
sie bereuen, was sie
gestern zu ändern versäumt haben.
Deshalb müssen sie es einsehen, daß
es endlich an der Zeit
ist, umzugra-
ben. Daß es doch nicht nur die
natürliche Opposition der Jugend ist,
die sie angreift und
an ihre
verbrieften Rechte pocht.
Das wollen wir ihnen zeigen und
nichts sonst! Eigennützigkeit
können
sie uns nicht vorwerfen. Was haben
wir sochon davon. Vorwürfe hinunter-
zuschlucken und
Ungerechtigkeiten zu
ertragen. Weil wir zu wenig oberfläch-
lich sind, um uns Illusionen zu
machen.
Aber der Anfang wird eine Überlei-tung sein müssen.
Man steht sich ja gegenüber wie
zwei Fronten. Und alles ist doch
nur
eine Welt und eine Menschlichkeit.
Wir sind im Recht.
Wir wollen nur
ändern, was ans
der Welt und an
der Menschlichkeit, nicht an der
Menschheit, brüchig ist. Wir wollen
nur, daß es besser
gemacht wird.
Wir lassen uns keine Formen und
Regeln
aufpressen. Sie sind die Au-
torität und wir wollen
die Passiven
sein. Sie haben ja die Macht mit
dem Urteil,
das sie nach Belie ben aus-
teilen können. Sie tun es auch. Nach
Belieben. Nichts desto weniger bleibe ich dabei, daß sich alles im
Verstehen
und nichts im Übergehen und
Übersehen auflösen
wird.
Ich wohne hier in einer Siedlung,
die keine Vorhänge hat.
Ziegelar-
beiter und Schlosser. Wenn man
hier die Augen aufmacht, dann
bringt man sie abends nicht
zu,
weil zuviel drinnen ist. Das ist
ein Leben, das sich
nicht absperrt,
weil es nichts hat, das ihm ge-
nommen werden könnte. Für so
etwas haben Sie den richtigen
Ton.
Ihre "Prosa hinter Wahnsinn" beweist
das. Es ist so
stark, daß man
sich ihm nicht gewachsen fühlt. Deshalb müssen manche wegsehen.
Deshalb wollen sie es wegschieben. Das
sind leider gerade
die Hofräte.
Ich gehe ja noch zur Schule, in
eine Lehrerinnenbildungsanstalt.
Es ist
überall gleich. Wenn wir uns aber
einig sind, dann
haben wir nichts
zu befürchten. Die Intensivität ist bei
uns.
Ich hab' jetzt gerade nochmals Ihr Ge-
dicht in Prosa
(vom Mai) gelesen. Es
hat damals schon eingeschlagen.
Ich
sage Ihnen , daß sSie am
stärksten und schlagkräftigsten sind.
Sie
sind ihnen zu wahr.
Ich will gerne in den Arbeitskreis
kommen. Vielleicht nach Ihrem
nächsten
Brief?
Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Sie haben mir da einen sehr netten Brief geschrieben.
Gerade von
Ihnen freut mich das herzlich. Sie müssen mir
nur nicht bös sein,
wenn ich Ihnen ziemlich kurz antworte,
denn ich hoffe, daß wir uns
kommenden Diensattag schon in
natura sehen und uns aussprechen können.
Bringen Sie vielleicht wieder etwas mit zum Einreichen.
Wenn es
Ihnen möglich wär, in Maxschinschricft, aber wenn nicht,
macht auch nix.
Unsere Zusammenjkunft ist immer im Grillparzer-Saal
(Hofburg,
Batthianystiege), die grün gelederte Türe.
Wenn Sie nicht
hinfinden, brauchen Sie nur nach dem
"lyrischen Arbeitskreis" zu
fragen. Dort bin ich.
Auch Altmann, Artmann, Fristtsc,h, Kein und Polakovics kommen
auf jeden Fall.
Wenn Sie etwas haben, was für eine Einreichung
Ihrer Ansicht nach
aus gewissen Gründen nicht in Frage
kommt, bringen Sie's auch mit,
ja?
Ich hoffe, daß Sie nun schon wirklich kommen, und grüße
Sie bis
dahin
herzlich:
Ihr
Abs. H. Schinko Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1 Geb. A1.
gek.
Ich möchte Ihnen nur sagen, daß
ich leider heute nicht kommen
kann. Wissen Sie, ich hab' mir
bis zum heutigen Tag
vorgenommen
gehabt, zu kommen, aber nach
der Schule hätte
ich
heimfahren wollen; es wäre sich
knapp ausgegangen, aber da
haben
sie uns noch eine Stunde zusätz-
lich
draufgewichst und nun ist
alles ins Wasser gefallen. Ich wäre
so gerne gekommen, aber ich hab' ja einen so langen Weg, erst
mit der Straßenbahn,
dann mit dem Auto-
bus und noch zehn Minuten zu
ge-
hen. Nächsten Dienstag - also genau
in
einer Woche - lasse ich mich aber
durch nichts abhalten. Ich hab'
mich wirklich gefreut,
obwohl Dienstag
überhaupt ziemlich ungünstig ist
für mich.
Außerdem hätte ich
nämlich auch Gitarrestunde, das
muß man
auch lernen hierorts,
aber meistens schwänz' ich sie
sowieso.
Zu Ihrer grün gelederten Tür werd'
ich hoffentlich doch finden,
die
Batthianystiege kenn' ich auch, also
seh' ich kein Hindernis mehr für
kommenden
Dienstag. Sie haben
Dienstag schon so früh Zeit
und Altmann, Artmann, Fritsch,
Kein und Polakovics auch? Ich
meine, früh für
Berufstätige, fünf
Uhr ist ja noch Nachmittag.
Was das Einreichen betrifft, so
hätt' ich von selber nichts
mitge-
bracht, weil ich nicht mit der Tür
in
Haus fallen wollte. Schließlich
ist es auch nicht das
Wichtigste. Für
einen Einzelnen. Wenn Sie es aber
sagen,
will ich gerne etwas mit-
nehmen. Mangel daran
herrscht
bei uns nicht. Im Gegenteil. Etwas
find' ich aus
meinen verschiedent-lichen Laden und Lädchen selten heraus., was zusammengehört. Cocktail ist
nichts dagegen. Jetzt
bemühe ich
mich aber ohnehin schon, die
einzelnen Seiten
mit Heftklammern
zusammenzuhalten, das heißt, ich
gebe mir
Mühe, es nicht zu ver-
gessen. Das ist überhaupt eine
Zier von mir. Na ja. Ich hab'
schon jemanden, der es mir
auf
der Maschine schreibt, eine Kunst
bei meiner Schrift.
Also ein bißl
was nehm' ich mit, ja? Prosa?
Oh, ich bin schon sehr gespannt
auf Sie und alle und alles.
Das ist natürlich leichthin gesagt, aber im Ernst: ich freue mich. Der
gleichen Richtung und des gleichen
Schrittes
wegen. Wenn man den glei-
chen Weg hat, ist man
naturge-
mäß auch näher beisammen. Das ist schön,
aber selten. Darum
soll man es festhalten, wenn man
es
kann.
Was die Länge meiner Briefe be-
trifft, fühlen Sie
sich bitte nicht
verpflichtet oder betroffen, ebensolange
Episteln zu schreiben, ich tu' es auch
nicht immer, nur,
wenn ich es
gern mache. Ich mach' es gerne.
Ich zwing mich
ja nicht dazu. Es
kommt ja von
selber. Aber wie gesagt:
Fühlen Sie sich nicht peinlich
berührt, wenn Sie ein Drittel
von mei-
nem Dahergerede schreiben. Und über-
haupt wird das ja nicht mehr oft
vorkommen,
wenn ich doch Dienstag
in Ihren G rillparzersaal gehe.
Da fällt mir ein, ich lasse
Ihnen was ansehen, ja, von
vorgestern,
also noch frisch vom Papier, deshalb
müssen
Sie es schon in meinen
Lettern lesen. Ich leg's Ihnen
dazu,
ja?
Und nun möcht' ich mich ver-
abschieden, etwas soll
man ja doch
tun für seine Weiterbildung. Ich werd'
mich zu
meiner Russischfibel setzen.
Liebes Fräulein Schinko!
Es hat mich sehr gefreut, daß Sie mir
wegen Dienstag geschrieben
haben. Und daß Sie
nächsten Dienstag kommen. Und vor allem, wie
lieb Sie schreiben: so herzlich und natürlich.
(Sie müssen wissen, wir einige Mitgl
aus unserem Kreis haben schon einmal vor
längerer Was Ihre Bedenken
Wir Ich Uns werden sehr gerne Ihre
Einreichungen
von Ihnen lesen sehr interessieren.
Und das Schöne ist auch an Ihren Sachen,
daß Sie trotz Ihremr knappen Sprache, die
Sie dort verwenden, nie aus dem
Menschlichen
herausfallen.
Bringen Sie nur viel mit von Ihren
Sachen, an aber nicht nur Prosa, ich z B bin nämlich
sehr
lyrikversessen.
Und ein solches
Mädchen
wie Sie muß Sie sind eine gute
Lyrikerin substanziell,
ich bin neugierig
auf Ihre Weiterentwicklung; wenn ich
mir Parallelen zu meiner ziehen kann,
prophezeie ich Ihnen eine stärkere
Hinwendung zur nichtsatirischen Lyrik.
Die menschlichen Bezüge nehmen nur noch
zu dabei, dennwenn das persönliche,
wenn auch
gleichzeitig allgemeingültige
Erlebnis mit seine r Empfindungsintensität auszu-
drücken, ist mehr
geht weiter.wirkt tiefer als jeder
dichterische Illustration zu einer vorher
abstrahierten zur nackten Idee
abstrahierten
Idee. (Wie etwa soziales Empfinden
mehr ist als
Sozialismus.
Wie etwa unddie Liebe mehr als ist als ihre
Definition.) Die Sprache bleibt übrigens be
dabei, wie sie in der abstrakterenihrer früheren
Zeit war. So knapp, kontrastreich, eigen
...
Genug aber philosophiert. Sie
wissen aus sich, ohne so, schwerfällige
Dar- (und nicht Klar-)legung,
was
gemeint ist.
Bei Ihren Ziegeleien muß es
jetzt schön sein. In dem Dorf, wo ich
meine Kindheit verbrachte,
hatten
wir auch gab
waren die auch, und am schönsten
im Winter. Mehr erinnere ich
mich nicht.
Haben SieGibt's viele Hunde dort?
(Ich war in meinem Leben noch nie
Aber Ihr Gedicht: Es dringt so
etwas durch, als ob im Elend
jegliches
Gefühl
Unsere Vorstände haben Donnerstag
eine Sitzung gehabt. Es ging um
die Linie der "N.W." Ob wir unseren
Beißkorb dichter anlegen
müssen fortan,
werden wir Dienstag erfahren.
Auch Ihre Fragen, wenn ich
jetzt drauf
vergessen haben
soll, will ich herzlich
gerne einzeln dann
beant-
worten.
Mit vielerlei Interesse also
Dienstag entgegen.
Herzlichst
Ihr
Brief an H. Schinko geschrieben und
abgegangen
früh 22. Dezember
1950 (nur Gratulation und
Wunsch auf ungehemmteren
Zusammenschluß)
Liebes Fräulein Schinko!
Soeben erhalte ich einen
Brief von unserm
Herbert Eisenreich
,
der Sachen von Ihnen sehen will.
Er gibt einen Almanach heraus
/mit Polakovics-, Kein-, Toman-,
Höllersberger-,
Vera Ferra-, Gerhard Fritsch-, Altmann-,
Strobach-, und meinen Beiträgen u.v.a./.
Senden Sie bitte was
an seine Adresse
Enns, Grollerstrasse
7.
Nochmals alles Gute!
Herzlichst
Ihr
Danach kam sie nicht mehr.
Auch bei
Eisenreich langte
nichts von ihr ein.
Das eine Mal war sie mehr
als seltsam.
Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Ich hatte beim auswählenden Lektorat Gelegenheit, Ihre eingesandten Gedichte zu lesen. Sie haben mir gefallen. Ich finde daran:
Sie haben noch den Mut, etwas zu sagen. Sie enthüllen noch und klagen an. Sie verwenden dafür keine den Leser streichelnde Form, die ihn von der Aussage ablenkt und ihn sagen läßt "Ah, das ist Kunst!" worauf er eine halbe Stunde später seiner alten Skrupellosigkeit nachgeht.
Ich lade Sie ein, in unseren Arbeitskreis zu kommen, es ist jeden Dienstag um 17 Uhr in der Redaktion der "Neuen Wege" (Hofburg, Batthianystiege) eine Zusammenkunft. Gerade jetzt ist die Krise groß: Wer immer etwas in stärkerer als der althergebrachten Form sagt, gerade in der Lyrik , kommt unter die Räder. Hofräte entscheiden über uns, größere Reife das heißt Gleichgültigkeit wird uns geraten, endlich beschweren sich die Lehrkräfte bis zu de Direktorinnen hinauf. Die Empörung über meine "Prosa hinterm Wahnsinn" wird von solchen Lebewesen nunmehr schriftlich bis vors Ministerium gebracht, meinen Freunden Fritsch und Altmann geht es um kein Haar besser, Polakovics mit seinen polemischen Arbeiten erweckt Anstoß usw. usw. usw. Über mein "Gedicht in Prosa" in der Mainummer hat sich Nationalrätin Paunovics beschwert, meine Entgegnung durfte nicht abgehen, nunmehr kommt wahrscheinlich ein Verbot für die nichthergebrachte Ausdrucksweise überhaupt, die in bösartiger Verkennung als "surrealistisch" und daher lynchreif ausgerufen wird.
Einzelne von uns wiederum flüchten in die Spielerei mit dem Unverständlichen, nur um die Bürger, zwar mit gewissem Recht aber unter Aufgabe des Ernstzunehmenden, vor den Kopf zu stoßen.
Zwischen diesen Mühlsteinen müssen wir langsam unserer Arbeit nachgehen. Es sollten sich, die dasselbe Ziel wie wir haben - und das läßt sich an keiner Programmatik, nur gefühlsmäßig erfassen - bei uns sammeln. Daher rufe ich Sie, Fräulein Schinko, hierher an meine Seite.(Freilich werden Sie da weitgehend zugrundegehn.)
Herzlichst
Ihr
22/24 11 50 ab: 29 11 50H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1, Geb. A1.
Wissen Sie, was mich am meisten gefreut hat an diesem Brief? Daß gerade Sie es waren, der ihn geschrieben hat.
Ich verfolge ja seit langem diesen gegenseitigen Meinungsaustausch in den "Neuen Wegen." Ich kann mir vorstellen, was alles hinter diesen Artikeln und Antworten steht, und daß es sich viel leichter lesen als ertragen läßt. Aber ich glaube auch, daß dieser ganze Zwiespalt zwischen den Gliedern einer Kette, die vielleicht einmal mehr umspannt als nur die Interessenten eines Zweiges, aus der großen Masse kommt und nicht aus der Uneinigkeit der Jungen. Sie haben ganz recht. Ich sehe auch nicht ein, warum sich ein Einzelner nach dem Geschmack der Vielen richten soll. Wer sagt ihnen denn, daß gerade ihr Standpunkt der klare und ihre Idee die gute ist? Wir dürfen unseren Ausdruck nicht zur Manier werden lassen. Auch nicht um des Beifalles willen. Wir werden unseren Weg alleine finden, und wenn es ein neuer sein wird, dann müssen sie mit uns gehen. Lassen sie uns allein, dann werden wir auch allein weiterkommen.
Selbstverständlich liegt es an uns, rücksichtsvoll zu sein, mit Ellenbogenmanieren wird wenig zu erreichen sein. Wenn man überzeugen will, darf man nicht überschreien. Einmal muß der Anfang gemacht werden. Wir geben ihnen die Hand hin, sie schlagen ein. Wenn sie es tun. Schwer ist es für beide Teile. Für den, der abdanken soll und der sich deshalb mit Händen und Füßen wehrt, wie für den, der sich diese Abwehr der Hände und Füße gefallen lassen soll. Es kann manchmal wirklich nicht anders als unfair genannt werden, wie der neue Wind zu dämpfen gesucht wird. Aber wie Sie gesagt haben: vor den Kopf stoßen dürfen wir die Bürger nicht. Es sind auch Abwartende und Rekonvaleszenten darunter. Was wir wollen, ist wirklich nichts anderes als eine Therapie. Die es aus Ehrgeiz tun, sind ja ohnehin für diesen Kreis verloren. Die andern wollen uns aufdecken und immer wieder hinzeigen. Das geht durchwegs durch alle Sätze. Und für wen? Für alle, die darunter leiden. Leider ist die Masse der unbehinderten Gesunden größer. Aber die Krankheit liegt in der Luft. Gegen Krankheit schützen keine Kettenpan-zer. Morgen werden sie bereuen, was sie gestern zu ändern versäumt haben. Deshalb müssen sie es einsehen, daß es endlich an der Zeit ist, umzugraben. Daß es doch nicht nur die natürliche Opposition der Jugend ist, die sie angreift und an ihre verbrieften Rechte pocht.
Das wollen wir ihnen zeigen und nichts sonst! Eigennützigkeit können sie uns nicht vorwerfen. Was haben wir schon davon. Vorwürfe hinunterzuschlucken und Ungerechtigkeiten zu ertragen. Weil wir zu wenig oberflächlich sind, um uns Illusionen zu machen.
Aber der Anfang wird eine Überlei-tung sein müssen.
Man steht sich ja gegenüber wie zwei Fronten. Und alles ist doch nur eine Welt und eine Menschlichkeit. Wir sind im Recht. Wir wollen nur ändern, was an der Welt und an der Menschlichkeit, nicht an der Menschheit, brüchig ist. Wir wollen nur, daß es besser gemacht wird. Wir lassen uns keine Formen und Regeln aufpressen. Sie sind die Autorität und wir wollen die Passiven sein. Sie haben ja die Macht mit dem Urteil, das sie nach Belieben austeilen können. Sie tun es auch. Nach Belieben. Nichts desto weniger bleibe ich dabei, daß sich alles im Verstehen und nichts im Übergehen und Übersehen auflösen wird.
Ich wohne hier in einer Siedlung, die keine Vorhänge hat. Ziegelarbeiter und Schlosser. Wenn man hier die Augen aufmacht, dann bringt man sie abends nicht zu, weil zuviel drinnen ist. Das ist ein Leben, das sich nicht absperrt, weil es nichts hat, das ihm genommen werden könnte. Für so etwas haben Sie den richtigen Ton. Ihre "Prosa hinter Wahnsinn" beweist das. Es ist so stark, daß man sich ihm nicht gewachsen fühlt. Deshalb müssen manche wegsehen. Deshalb wollen sie es wegschieben. Das sind leider gerade die Hofräte.
Ich gehe ja noch zur Schule, in eine Lehrerinnenbildungsanstalt. Es ist überall gleich. Wenn wir uns aber einig sind, dann haben wir nichts zu befürchten. Die Intensivität ist bei uns.
Ich hab' jetzt gerade nochmals Ihr Gedicht in Prosa (vom Mai) gelesen. Es hat damals schon eingeschlagen. Ich sage Ihnen , daß Sie am stärksten und schlagkräftigsten sind. Sie sind ihnen zu wahr.
Ich will gerne in den Arbeitskreis kommen. Vielleicht nach Ihrem nächsten Brief?
Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Sie haben mir da einen sehr netten Brief geschrieben. Gerade von Ihnen freut mich das herzlich. Sie müssen mir nur nicht bös sein, wenn ich Ihnen ziemlich kurz antworte, denn ich hoffe, daß wir uns kommenden Dienstag schon in natura sehen und uns aussprechen können.
Bringen Sie vielleicht wieder etwas mit zum Einreichen. Wenn es Ihnen möglich wär, in Maschinschrift, aber wenn nicht, macht auch nix.
Unsere Zusammenkunft ist immer im Grillparzer-Saal (Hofburg, Batthianystiege), die grün gelederte Türe. Wenn Sie nicht hinfinden, brauchen Sie nur nach dem "lyrischen Arbeitskreis" zu fragen. Dort bin ich. Auch Altmann, Artmann, Fritsch, Kein und Polakovics kommen auf jeden Fall.
Wenn Sie etwas haben, was für eine Einreichung Ihrer Ansicht nach aus gewissen Gründen nicht in Frage kommt, bringen Sie's auch mit, ja?
Ich hoffe, daß Sie nun schon wirklich kommen, und grüße Sie bis dahin
herzlich:
Ihr
Abs. H. Schinko Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1 Geb. A1.
gek.
Ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich leider heute nicht kommen kann. Wissen Sie, ich hab' mir bis zum heutigen Tag vorgenommen gehabt, zu kommen, aber nach der Schule hätte ich heimfahren wollen; es wäre sich knapp ausgegangen, aber da haben sie uns noch eine Stunde zusätzlich draufgewichst und nun ist alles ins Wasser gefallen. Ich wäre so gerne gekommen, aber ich hab' ja einen so langen Weg, erst mit der Straßenbahn, dann mit dem Autobus und noch zehn Minuten zu gehen. Nächsten Dienstag - also genau in einer Woche - lasse ich mich aber durch nichts abhalten. Ich hab' mich wirklich gefreut, obwohl Dienstag überhaupt ziemlich ungünstig ist für mich. Außerdem hätte ich nämlich auch Gitarrestunde, das muß man auch lernen hierorts, aber meistens schwänz' ich sie sowieso.
Zu Ihrer grün gelederten Tür werd' ich hoffentlich doch finden, die Batthianystiege kenn' ich auch, also seh' ich kein Hindernis mehr für kommenden Dienstag. Sie haben Dienstag schon so früh Zeit und Altmann, Artmann, Fritsch, Kein und Polakovics auch? Ich meine, früh für Berufstätige, fünf Uhr ist ja noch Nachmittag.
Was das Einreichen betrifft, so hätt' ich von selber nichts mitgebracht, weil ich nicht mit der Tür in Haus fallen wollte. Schließlich ist es auch nicht das Wichtigste. Für einen Einzelnen. Wenn Sie es aber sagen, will ich gerne etwas mitnehmen. Mangel daran herrscht bei uns nicht. Im Gegenteil. Etwas find' ich aus meinen verschiedent-lichen Laden und Lädchen selten heraus, was zusammengehört. Cocktail ist nichts dagegen. Jetzt bemühe ich mich aber ohnehin schon, die einzelnen Seiten mit Heftklammern zusammenzuhalten, das heißt, ich gebe mir Mühe, es nicht zu vergessen. Das ist überhaupt eine Zier von mir. Na ja. Ich hab' schon jemanden, der es mir auf der Maschine schreibt, eine Kunst bei meiner Schrift. Also ein bißl was nehm' ich mit, ja? Prosa?
Oh, ich bin schon sehr gespannt auf Sie und alle und alles. Das ist natürlich leichthin gesagt, aber im Ernst: ich freue mich. Der gleichen Richtung und des gleichen Schrittes wegen. Wenn man den gleichen Weg hat, ist man naturgemäß auch näher beisammen. Das ist schön, aber selten. Darum soll man es festhalten, wenn man es kann.
Was die Länge meiner Briefe betrifft, fühlen Sie sich bitte nicht verpflichtet oder betroffen, ebensolange Episteln zu schreiben, ich tu' es auch nicht immer, nur, wenn ich es gern mache. Ich mach' es gerne. Ich zwing mich ja nicht dazu. Es kommt ja von selber. Aber wie gesagt: Fühlen Sie sich nicht peinlich berührt, wenn Sie ein Drittel von meinem Dahergerede schreiben. Und überhaupt wird das ja nicht mehr oft vorkommen, wenn ich doch Dienstag in Ihren Grillparzersaal gehe.
Da fällt mir ein, ich lasse Ihnen was ansehen, ja, von vorgestern, also noch frisch vom Papier, deshalb müssen Sie es schon in meinen Lettern lesen. Ich leg's Ihnen dazu, ja?
Und nun möcht' ich mich verabschieden, etwas soll man ja doch tun für seine Weiterbildung. Ich werd' mich zu meiner Russischfibel setzen.
Liebes Fräulein Schinko!
Es hat mich sehr gefreut, daß Sie mir wegen Dienstag geschrieben haben. Und daß Sie nächsten Dienstag kommen. Und vor allem, wie lieb Sie schreiben: so herzlich und natürlich.
(Sie müssen wissen, einige Mitgl aus unserem Kreis haben schon einmal vor längerer Was Ihre Bedenken
Wir Ich Uns werden sehr gerne Ihre Einreichungen von Ihnen lesen sehr interessieren.
Und das Schöne ist auch an Ihren Sachen, daß Sie trotz Ihrer knappen Sprache, die Sie dort verwenden, nie aus dem Menschlichen herausfallen.
Bringen Sie nur viel mit von Ihren Sachen, aber nicht nur Prosa, ich bin nämlich sehr lyrikversessen. Sie sind eine gute Lyrikerin substanziell, ich bin neugierig auf Ihre Weiterentwicklung; wenn ich Parallelen zu meiner ziehen kann, prophezeie ich Ihnen eine stärkere Hinwendung zur nichtsatirischen Lyrik.
Die menschlichen Bezüge nehmen nur noch zu dabei, denn das persönliche, wenn auch gleichzeitig allgemeingültige Erlebnis mit seiner Empfindungsintensität auszudrücken, ist mehr als jede dichterische Illustration zu einer vorher abstrahierten Idee. (Wie etwa soziales Empfinden mehr ist als Sozialismus.
Wie etwa die Liebe mehr ist als ihre Definition.) Die Sprache bleibt übrigens dabei, wie sie in ihrer früheren Zeit war. So knapp, kontrastreich, eigen ...
Genug aber philosophiert. Sie wissen aus sich, ohne so, schwerfällige Darlegung, was gemeint ist.
Bei Ihren Ziegeleien muß es jetzt schön sein. In dem Dorf, wo ich meine Kindheit verbrachte, waren die auch, und am schönsten im Winter. Mehr erinnere ich mich nicht.
Gibt's viel Hunde dort? (Ich war in meinem Leben noch nie
Aber Ihr Gedicht: Es dringt so etwas durch, als ob im Elend jegliches Gefühl
Unsere Vorstände haben Donnerstag eine Sitzung gehabt. Es ging um die Linie der "N.W." Ob wir unseren Beißkorb dichter anlegen müssen fortan, werden wir Dienstag erfahren.
Auch Ihre Fragen, wenn ich jetzt drauf vergessen haben soll, will ich herzlich gerne einzeln dann beantworten. Mit vielerlei Interesse also Dienstag entgegen.
Herzlichst
Ihr
Brief an H. Schinko geschrieben und abgegangen früh 22. Dezember 1950 (nur Gratulation und Wunsch auf ungehemmteren Zusammenschluß)
Liebes Fräulein Schinko!
Soeben erhalte ich einen Brief von unserm Herbert Eisenreich , der Sachen von Ihnen sehen will.
Er gibt einen Almanach heraus /mit Polakovics-, Kein-, Toman-, Höllersberger-, Vera Ferra-, Gerhard Fritsch-, Altmann-, Strobach-, und meinen Beiträgen u.v.a./. Senden Sie bitte was an seine Adresse Enns, Grollerstrasse 7.
Nochmals alles Gute!
Herzlichst
Ihr
Danach kam sie nicht mehr. Auch bei Eisenreich langte nichts von ihr ein.
Das eine Mal war sie mehr als seltsam.
Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Ich hatte beim auswählenden Lektorat Gelegenheit,
Ihre eingesandten
Gedichte zu lesen. Sie haben mir gefallen.
Ich finde daran:
Sie haben noch den Mut, etwas zu sagen. Sie enthüllen
noch und
klagen an. Sie verwenden dafür keine den Leser
streichelnde Form,
die ihn von der Aussage ablenkt und
ihn sagen läßt "Ah, das ist Kunst!" worauf er eine halbe
Stunde später seiner alten
Skrupellosigkeit nachgeht.
Ich lade Sie ein, in unseren Arbeitskreis zu kommen,
es ist jeden Diensattag um 17 Uhr in der Redaktion der
"Neuen Wege" (Hofburg,
Batthianystiege) eine Zusammenkunft.
Gerade jetzt ist die Krise
groß: Wer immer etwas in
stärkerer als der althergebrachten Form
sagt, gerade in der Lyriik
, kommt unter die Räder. Hofräte emntscheiden über uns,
größere Reife das heißt
Gleichgültigkeit wird uns geraten,
endlich beschweren sich die
Lehrkräfte bis zu de Direktorinnen
hinauf. Die Empörung über meine "Prosa
hinterm Wahnsinn"
wird von solchen Lebewesen nunmehr schriftlich
bis vors
Ministerium gebracht, meinen Freunden Fritsch und Altmann
geht es um kein Haar besser, Polakovics mit seinen
polemischen
Arbeiten erweckt Amnstoß usw. usw. usw. Über mein
"Gedicht in Prosa" in der
Mainummer hat sich Nationalrätin
Paunovics beschwert, meine
Entgegnung durfte nicht abgehen,
nunmehr kommt wahrscheinlich ein
Verbot für die nichther-
gebrachte Ausdrucksweise
überhaupt, die in bösartiger
Verkennung als "surrealistisch" und
daher lynchreif
ausgerufen wird.
Einzelne von uns wiederum flüchten in die Spielerei
mit dem
Unverständlichen, nur um die Bürger, zwar mit gewissem
Recht aber
unter Aufgabe des Ernstzunehmenden, vor dexn Kopf
zu stoßen.
Zwischen diesen Mühlsteinen müssen wir langsam
unserer Arbeit
nachgehen. Es sollten sich, die dasselbe
Ziel wie wir haben - und
das läßt sich an keiner Programmatik,
nur gefühlsmäßig erfassen -
bei uns sammeln.
Daher rufe ich
Sie, Fräulein Schinko, hierher an
meine Seite.(Freilich werden
Sie da weitgehend zugrundegehn.)
Herzlichst
Ihr
22/24 11 50H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1, Geb. A1.
Wissen Sie, was mich am meisten
gefreut hat an diesem Brief? Daß
gerade Sie es waren, der ihn ge-
schrieben
hat.
Ich verfolge ja seit langem diesen
gegenseitigen
Meinungsaustausch in
den "Neuen Wegen." Ich kann mir
vorstellen, was alles hinter diesen Ar-
tikeln
und Antworten steht, und
daß es sich viel leichter lesen als
ertragen läßt. Aber ich glaube auch,
daß dieser ganze
Zwiespalt zwischen
den Gliedern einer Kette, die vielleicht
einmal mehr umspannt als nur die Interessenten eines
Zweiges, aus der
großen Masse kommt und nicht aus
der
Uneinigkeit der Jungen. Sie haben
ganz recht. Ich sehe auch
nicht ein,
warum sich ein Einzelner nach dem
Geschmack der
Vielen richten soll. Wer
sagt ihnen denn, daß gerade ihr
Standpunkt der klare und ihre
Idee die gute ist? Wir dürfen unse-
ren Ausdruck
nicht zur Manier wer
den lassen. Auch nicht um des
Beifalles willen. Wir werden unseren Weg
alleine finden,
und wenn es ein
neuer sein wird, dann müssen
sie mit uns gehen.
Lassen sie uns
allein, dann werden wir auch allein
weiterkommen.
Selbstverständlich liegt es an uns, rück-
sichtsvoll
zu sein, mit Ellenbogen-
manieren wird wenig zu
erreichen sein.
Wenn man überzeugen will, darf man
nicht
überschreien. Einmal muß
der Anfang gemacht werden. Wir
geben ihnen die Hand hin, sie
schlagen ein. Wenn sie es
tun. Schwer
ist es für beide Teile. Für den, der
abdanken
soll und der sich deshalb
mit Händen und Füßen wehrt, wie
für den, der sich diese Abwehr der
Hände und Füße gefallen
lassen soll.
Es kann manchmal wirklich nicht
anders als
unfair genannt werden,
wie der neue Wind zu dämpfen gesucht wird. Aber wie Sie
gesagt haben:
vor den Kopf stoßen dürfen wir die
Bürger nich t. Es sind auch Abwar-
tende und
Rekonvaleszenten darunter.
Was wir wollen, ist wirklich nichts
anderes als eine Therapie. Die es aus
Ehrgeiz tun, sind ja
ohnehin für
diesen Kreis verloren. Die andern
wollen uns
aufdecken und immer
wieder hinzeigen. Das geht durchwegs
durch alle Sätze. Und für wen?
Für alle, die darunter
leiden.
Leider ist die Masse der unbe-
hinderten
Gesunden größer. Aber die
Krankheit liegt in der Luft. Gegen
Krankheit schützen keine Kettenpan-zer. Morgen werden
sie bereuen, was sie
gestern zu ändern versäumt haben.
Deshalb müssen sie es einsehen, daß
es endlich an der Zeit
ist, umzugra-
ben. Daß es doch nicht nur die
natürliche Opposition der Jugend ist,
die sie angreift und
an ihre
verbrieften Rechte pocht.
Das wollen wir ihnen zeigen und
nichts sonst! Eigennützigkeit
können
sie uns nicht vorwerfen. Was haben
wir sochon davon. Vorwürfe hinunter-
zuschlucken und
Ungerechtigkeiten zu
ertragen. Weil wir zu wenig oberfläch-
lich sind, um uns Illusionen zu
machen.
Aber der Anfang wird eine Überlei-tung sein müssen.
Man steht sich ja gegenüber wie
zwei Fronten. Und alles ist doch
nur
eine Welt und eine Menschlichkeit.
Wir sind im Recht.
Wir wollen nur
ändern, was ans
der Welt und an
der Menschlichkeit, nicht an der
Menschheit, brüchig ist. Wir wollen
nur, daß es besser
gemacht wird.
Wir lassen uns keine Formen und
Regeln
aufpressen. Sie sind die Au-
torität und wir wollen
die Passiven
sein. Sie haben ja die Macht mit
dem Urteil,
das sie nach Belie ben aus-
teilen können. Sie tun es auch. Nach
Belieben. Nichts desto weniger bleibe ich dabei, daß sich alles im
Verstehen
und nichts im Übergehen und
Übersehen auflösen
wird.
Ich wohne hier in einer Siedlung,
die keine Vorhänge hat.
Ziegelar-
beiter und Schlosser. Wenn man
hier die Augen aufmacht, dann
bringt man sie abends nicht
zu,
weil zuviel drinnen ist. Das ist
ein Leben, das sich
nicht absperrt,
weil es nichts hat, das ihm ge-
nommen werden könnte. Für so
etwas haben Sie den richtigen
Ton.
Ihre "Prosa hinter Wahnsinn" beweist
das. Es ist so
stark, daß man
sich ihm nicht gewachsen fühlt. Deshalb müssen manche wegsehen.
Deshalb wollen sie es wegschieben. Das
sind leider gerade
die Hofräte.
Ich gehe ja noch zur Schule, in
eine Lehrerinnenbildungsanstalt.
Es ist
überall gleich. Wenn wir uns aber
einig sind, dann
haben wir nichts
zu befürchten. Die Intensivität ist bei
uns.
Ich hab' jetzt gerade nochmals Ihr Ge-
dicht in Prosa
(vom Mai) gelesen. Es
hat damals schon eingeschlagen.
Ich
sage Ihnen , daß sSie am
stärksten und schlagkräftigsten sind.
Sie
sind ihnen zu wahr.
Ich will gerne in den Arbeitskreis
kommen. Vielleicht nach Ihrem
nächsten
Brief?
Abschrift.
Liebes Fräulein Schinko!
Sie haben mir da einen sehr netten Brief geschrieben.
Gerade von
Ihnen freut mich das herzlich. Sie müssen mir
nur nicht bös sein,
wenn ich Ihnen ziemlich kurz antworte,
denn ich hoffe, daß wir uns
kommenden Diensattag schon in
natura sehen und uns aussprechen können.
Bringen Sie vielleicht wieder etwas mit zum Einreichen.
Wenn es
Ihnen möglich wär, in Maxschinschricft, aber wenn nicht,
macht auch nix.
Unsere Zusammenjkunft ist immer im Grillparzer-Saal
(Hofburg,
Batthianystiege), die grün gelederte Türe.
Wenn Sie nicht
hinfinden, brauchen Sie nur nach dem
"lyrischen Arbeitskreis" zu
fragen. Dort bin ich.
Auch Altmann, Artmann, Fristtsc,h, Kein und Polakovics kommen
auf jeden Fall.
Wenn Sie etwas haben, was für eine Einreichung
Ihrer Ansicht nach
aus gewissen Gründen nicht in Frage
kommt, bringen Sie's auch mit,
ja?
Ich hoffe, daß Sie nun schon wirklich kommen, und grüße
Sie bis
dahin
herzlich:
Ihr
Abs. H. Schinko Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1 Geb. A1.
gek.
Ich möchte Ihnen nur sagen, daß
ich leider heute nicht kommen
kann. Wissen Sie, ich hab' mir
bis zum heutigen Tag
vorgenommen
gehabt, zu kommen, aber nach
der Schule hätte
ich
heimfahren wollen; es wäre sich
knapp ausgegangen, aber da
haben
sie uns noch eine Stunde zusätz-
lich
draufgewichst und nun ist
alles ins Wasser gefallen. Ich wäre
so gerne gekommen, aber ich hab' ja einen so langen Weg, erst
mit der Straßenbahn,
dann mit dem Auto-
bus und noch zehn Minuten zu
ge-
hen. Nächsten Dienstag - also genau
in
einer Woche - lasse ich mich aber
durch nichts abhalten. Ich hab'
mich wirklich gefreut,
obwohl Dienstag
überhaupt ziemlich ungünstig ist
für mich.
Außerdem hätte ich
nämlich auch Gitarrestunde, das
muß man
auch lernen hierorts,
aber meistens schwänz' ich sie
sowieso.
Zu Ihrer grün gelederten Tür werd'
ich hoffentlich doch finden,
die
Batthianystiege kenn' ich auch, also
seh' ich kein Hindernis mehr für
kommenden
Dienstag. Sie haben
Dienstag schon so früh Zeit
und Altmann, Artmann, Fritsch,
Kein und Polakovics auch? Ich
meine, früh für
Berufstätige, fünf
Uhr ist ja noch Nachmittag.
Was das Einreichen betrifft, so
hätt' ich von selber nichts
mitge-
bracht, weil ich nicht mit der Tür
in
Haus fallen wollte. Schließlich
ist es auch nicht das
Wichtigste. Für
einen Einzelnen. Wenn Sie es aber
sagen,
will ich gerne etwas mit-
nehmen. Mangel daran
herrscht
bei uns nicht. Im Gegenteil. Etwas
find' ich aus
meinen verschiedent-lichen Laden und Lädchen selten heraus., was zusammengehört. Cocktail ist
nichts dagegen. Jetzt
bemühe ich
mich aber ohnehin schon, die
einzelnen Seiten
mit Heftklammern
zusammenzuhalten, das heißt, ich
gebe mir
Mühe, es nicht zu ver-
gessen. Das ist überhaupt eine
Zier von mir. Na ja. Ich hab'
schon jemanden, der es mir
auf
der Maschine schreibt, eine Kunst
bei meiner Schrift.
Also ein bißl
was nehm' ich mit, ja? Prosa?
Oh, ich bin schon sehr gespannt
auf Sie und alle und alles.
Das ist natürlich leichthin gesagt, aber im Ernst: ich freue mich. Der
gleichen Richtung und des gleichen
Schrittes
wegen. Wenn man den glei-
chen Weg hat, ist man
naturge-
mäß auch näher beisammen. Das ist schön,
aber selten. Darum
soll man es festhalten, wenn man
es
kann.
Was die Länge meiner Briefe be-
trifft, fühlen Sie
sich bitte nicht
verpflichtet oder betroffen, ebensolange
Episteln zu schreiben, ich tu' es auch
nicht immer, nur,
wenn ich es
gern mache. Ich mach' es gerne.
Ich zwing mich
ja nicht dazu. Es
kommt ja von
selber. Aber wie gesagt:
Fühlen Sie sich nicht peinlich
berührt, wenn Sie ein Drittel
von mei-
nem Dahergerede schreiben. Und über-
haupt wird das ja nicht mehr oft
vorkommen,
wenn ich doch Dienstag
in Ihren G rillparzersaal gehe.
Da fällt mir ein, ich lasse
Ihnen was ansehen, ja, von
vorgestern,
also noch frisch vom Papier, deshalb
müssen
Sie es schon in meinen
Lettern lesen. Ich leg's Ihnen
dazu,
ja?
Und nun möcht' ich mich ver-
abschieden, etwas soll
man ja doch
tun für seine Weiterbildung. Ich werd'
mich zu
meiner Russischfibel setzen.
Liebes Fräulein Schinko!
Es hat mich sehr gefreut, daß Sie mir
wegen Dienstag geschrieben
haben. Und daß Sie
nächsten Dienstag kommen. Und vor allem, wie
lieb Sie schreiben: so herzlich und natürlich.
(Sie müssen wissen, wir einige Mitgl
aus unserem Kreis haben schon einmal vor
längerer Was Ihre Bedenken
Wir Ich Uns werden sehr gerne Ihre
Einreichungen
von Ihnen lesen sehr interessieren.
Und das Schöne ist auch an Ihren Sachen,
daß Sie trotz Ihremr knappen Sprache, die
Sie dort verwenden, nie aus dem
Menschlichen
herausfallen.
Bringen Sie nur viel mit von Ihren
Sachen, an aber nicht nur Prosa, ich z B bin nämlich
sehr
lyrikversessen.
Und ein solches
Mädchen
wie Sie muß Sie sind eine gute
Lyrikerin substanziell,
ich bin neugierig
auf Ihre Weiterentwicklung; wenn ich
mir Parallelen zu meiner ziehen kann,
prophezeie ich Ihnen eine stärkere
Hinwendung zur nichtsatirischen Lyrik.
Die menschlichen Bezüge nehmen nur noch
zu dabei, dennwenn das persönliche,
wenn auch
gleichzeitig allgemeingültige
Erlebnis mit seine r Empfindungsintensität auszu-
drücken, ist mehr
geht weiter.wirkt tiefer als jeder
dichterische Illustration zu einer vorher
abstrahierten zur nackten Idee
abstrahierten
Idee. (Wie etwa soziales Empfinden
mehr ist als
Sozialismus.
Wie etwa unddie Liebe mehr als ist als ihre
Definition.) Die Sprache bleibt übrigens be
dabei, wie sie in der abstrakterenihrer früheren
Zeit war. So knapp, kontrastreich, eigen
...
Genug aber philosophiert. Sie
wissen aus sich, ohne so, schwerfällige
Dar- (und nicht Klar-)legung,
was
gemeint ist.
Bei Ihren Ziegeleien muß es
jetzt schön sein. In dem Dorf, wo ich
meine Kindheit verbrachte,
hatten
wir auch gab
waren die auch, und am schönsten
im Winter. Mehr erinnere ich
mich nicht.
Haben SieGibt's viele Hunde dort?
(Ich war in meinem Leben noch nie
Aber Ihr Gedicht: Es dringt so
etwas durch, als ob im Elend
jegliches
Gefühl
Unsere Vorstände haben Donnerstag
eine Sitzung gehabt. Es ging um
die Linie der "N.W." Ob wir unseren
Beißkorb dichter anlegen
müssen fortan,
werden wir Dienstag erfahren.
Auch Ihre Fragen, wenn ich
jetzt drauf
vergessen haben
soll, will ich herzlich
gerne einzeln dann
beant-
worten.
Mit vielerlei Interesse also
Dienstag entgegen.
Herzlichst
Ihr
Brief an H. Schinko geschrieben und
abgegangen
früh 22. Dezember
1950 (nur Gratulation und
Wunsch auf ungehemmteren
Zusammenschluß)
Liebes Fräulein Schinko!
Soeben erhalte ich einen
Brief von unserm
Herbert Eisenreich
,
der Sachen von Ihnen sehen will.
Er gibt einen Almanach heraus
/mit Polakovics-, Kein-, Toman-,
Höllersberger-,
Vera Ferra-, Gerhard Fritsch-, Altmann-,
Strobach-, und meinen Beiträgen u.v.a./.
Senden Sie bitte was
an seine Adresse
Enns, Grollerstrasse
7.
Nochmals alles Gute!
Herzlichst
Ihr
Danach kam sie nicht mehr.
Auch bei
Eisenreich langte
nichts von ihr ein.
Das eine Mal war sie mehr
als seltsam.
Okopenko, Andreas: Tagebuch 22.11.1950–27.01.1951. Digitale Edition, hrsg. von Roland
Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno
Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische
Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1,
15.1.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/
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