Bericht Bibliotheksüberprüfung; Khloybers Vorschläge zur Restaurierung der ehem. Privatbibliothek Erzherzogin Maria Elisabeths 1853 (FKBA26024)

„Copie

[fol. 3r] Eure Excellenz Hochgeborner Graf!

In Entsprechung Ihrer hohen Aufforderung vom 13. dieses Monats habe ich die Ehre folgendes zu berichten: Gestern war der Custos der k.k. Hofbibliothek Herr Hofrat Eligius Baron Münch-Bellinghausen bei mir, und theilte mir mit schonender Artigkeit den, durch Seine Durchlaucht den Herrn Ersten Obersthofmeister erhaltenen Auftrag mit, worauf heute im Verein mit einem Beamten[1] der Hofbibliothek die betreffenden Erhebungen statt fanden, deren Resultat bereits in Ihren Händen seyn dürften.

Eure Excellenz! Als ich meinen unmaßgeblichen Antrag stellte, daß es Noth thue die vom Wurmstiche inficirte Elisabethinische Bibliothek umbinden zu lassen, und dazu vielleicht einen Theil der ausgewiesenen Ersparniß verwenden zu dürfen, ließ ich mich dabei von zwei ganz ähnlichen Vorgängen leiten. [fol. 3v] Der 1te Fall war dieser: als im Jahre 1824 hierorts 621 Bände Incunabeln darunter sehr viele in 4° gebunden werden sollten, both der damalige Vorstand Young (dem ich beigegeben war) um einen allergnädigsten Zuschuß von 3000 fl. C.M. […] Der 2te Fall war: als die bedeutende Bibliothek des seligen k.k. Reichsreferendars Baron Frank (meistens Juridica) im Jahre 1819 angekauft, dann aus Mangel an Raum indessen in Faszikeln nothdürftig untergebracht werden mußte. Es wurden zwar von Jahr zu Jahr Localitäts-Erweiterungen versprochen; allein die Stunde der Erlösung wollte lange lange [sic] nicht kommen; endlich eines heissen Sommers zeigte sich in dem schlechten Material welches diese Ankömmlinge mitbrachten, der fatale Wurmstich. Dem Übel zu steuern war sichtlich eine unbestreitbare Nothwendigkeit, und dieß konnte nur durch ein Umbinden geschehen.

[fol. 4r] Ich war davon – und wenn sich auch eine Opposition erhoben hätte, so fest überzeugt, wie einst Galilei in seinem Fache vor dem opponirenden Kardinal-Collegium; denn ich sah mit eigenen Augen, wie sich das Gewürm am Einbande des Buches bewegte. Zum Glücke erhielt die Bibliothek mittlerweile einen ganz kleinen Zuwachs an Raum; ich ließ daher frisch nach einander Fortbinden, ohne daß der kaiserliche Herr auch nur einen Kreuzer Zuschuß zu bewilligen gehabt hätte. – Die Sache war gerettet! – Der Einband war schlicht, ja ist kaum anständig zu nennen; aber es sind juridica die bloß den Fachmann interessiren, und für den Allerhöchsten Hof kein pretium affectionis[2] haben, wie dieß vielleicht mit den nachgelassenen Büchern der durchlauchtigsten Frau Erzherzogin-Tante nicht der Fall seyn könnte. Diese beiden Fälle waren es, nach welchen ich mich in meinem Antrage wegen [fol. 4v] der Elisabethina richtete.

Übrigens ist der Einband in der Bibliothek durchschnittlich bei gewöhnlichen Werken ein bescheidener Halbfranz – Werke besserer Art haben Ganz Franz oder Juften[3], die haute volée aber – was übrigens jetzt selten geschieht – prunkt in Maroquin.

Die kaiserliche Universität, oder die öffentliche Hofbibliothek würde sicherlich unklug thun, wenn sie für die zuweilen ungeschlachten Hände des lesenden Publikums etwas gewählter binden liessen. Dagegen nimmt es sich in der Bibliothek des Kaisers von Oesterreich ganz convenient aus, wenn sie sich durch eine schönere Aussenseite empfiehlt. – Indem ich dieses erwähne, könnte es scheinen als ob die Bibliothek einen Überfluß an Luxus Einbänden habe, allenfalls wie Graf Spencer in seiner Bibliothek zu Althorp – keineswegs; und ich glaube daß sie hierin von den Sammlungen [fol. 5r] Seiner kaiserlichen Hoheit des Herzogs Albert zu Sachsen-Teschen weit übertroffen ist; wo einst der rothe Maroquin eine beliebte Uniform war.

Mag auch die kaiserliche Hofbibliothek, wie mir der Herr Beamte sagte – eine große Zahl solcher vom Wurmstiche heimgesuchten Bände schon lange her besitzen; so läßt sich – nach meiner geringen Ansicht – keineswegs daraus folgern, daß meines erhabenen Herrn Fidei Commiss Bibliothek in der erwähnten Elisabethina sich einer gleichen bedauerlichen Unzukömmlichkeit erfreuen soll; wenigstens würde ich in Verlegenheit gekommen seyn, wenn ich dereinst dem Allerhöchsten Gebrauche ein derlei Buch hätte unterbreiten müssen. (Tiefer unten wollen Eure Excellenz ersehen, aus welchem Grunde diese in Innsbruck gebundenen Bücher nicht schon früher umgebunden worden sind)

Der höchstselige Monarch hatte eine große Vorliebe für diese von Ihm gegründete [fol. 5v] Sammlung; da geschah es dann bisweilen, daß Allerhöchstderselbe irgend einen hohen Gast wie zum Beispiel den König von Neapel, die Prinzen von Preussen etc. Höchstselbst in den hierortigen Gemächern herumführte, und ohne die Dazwischenkunft des Beamten verschiedenes zeigte. Es schien nun dem Kaiser keineswegs zu mißfallen, wenn bei solchen Revüen die friedlichen Musenkinder sich in angemessenen, einer Allerhöchsten Privatbibliothek würdiger Kleidung präsentirten. Von einem anderen Gesichtspunkte muß eine öffentliche Bibliothek in dieser Beziehung ausgehen; ihr Lese-Publikum (in Beziehung auf den Einband nicht immer sehr gewissenhaft) gehört anderen Kreisen an.

Möglich daß meine Besorgnisse etwas zu ängstlich gewesen sind; mein Wunsch aber endlich eine Gelegenheit zu haben die, mit den ersten Merkmahlen einer angehenden Verwesung [fol. 6r] Behafteten sammt und sonders rasch umbinden lassen zu können, gewahre ich freilich nun ist ein pium desiderium[4], das in meiner Lage jeder Bibliothekar für die ihm anvertrauten Sammlungen hegen würde. Auch möchte ich vielleicht eine nicht ganz unrichtige Vermuthung aussprechen, wenn ich voraussetze, daß die kaiserliche Hofbibliothek wenn sie sich von ihrer Ankaufs Dotation pro 19.000 fl. etwas ersparen könnte, sicherlich einen Theil dieser Ersparniß für ihre schadhaften Bände verwenden würde.

Nachdem ich Euer Excellenz Geduld so lange durch das Vorausgeschickte ermüdet habe, erlaube ich mir nun über den inneren und äusseren Werth der Elisabethina folgende Bemerkungen:

a) der innere das heißt literarische Werth ist kein bedeutender – der größte Theil der 2172 Werke und Werkchen besteht aus Unterhaltungsbüchern, welche vielleicht die Frau Gräfin Persico oder sonst Jemand für Ihre kaiserliche Hoheit zum Vorlesen ausgewählt haben mag. [fol. 6v] Der hohe Erbe dieser Sammlung wailand Kaiser Franz wollte mit den darin vorkommenden vielen Romanen – wie Er sich scherzend auszudrücken geruhte – ein Auto da Fé[5] anstellen lassen, und hatte bereits mit höchst eigener Hand in unserem Spezialkataloge[6] die betreffenden Artikel angestrichen; allein ein gewisses Pietätsgefühl gegen die verblichene hohe Tante schien Seine Majestät immer von dieser Vernichtung abzuhalten. Dieß war denn auch die Ursache warum die damals schon schadhaften Bände intact in ihren Fächern verblieben.

b) der äußere Werth ist ebenfalls nicht bedeutend; denn schwerlich dürfte beim Verkaufe ein großer Erlös ausfallen;

c) tritt in letzterer Beziehung der Umstand ein wenig hemmend entgegen, daß jedes Buch auf der Rückseite seines Titelblattes nebenstehendes Bibliothekszeichen [Exlibris][7] enthält. Für die allerdurchlauchtigste kaiserliche Familie dürfte daher die ganze Sammlung in so [fol. 7r] ferne von Interesse seyn, als ein pretium affectionis[8] darauf ruht, und es vielleicht nicht recht schicklich schiene, den Nachlaß der hohen Verwandten auf dem antiquarischen Trödelmarkt zu finden.

Euer Excellenz fragen mich schließlich ob die mir zugetheilten Organe ihre Schuldigkeit thun?

Ich muß hierauf erwidern, daß ich diesen beiden Herrn Beamten [Thaa u. Winkler] meine aufrichtige Achtung nicht versagen kann. Sie dienten früher im Präsidial Bureau Ihrer Excellenzen der Herrn Grafen Saurau und Mittrowsky[9], welcher Letzterer sie bei ihrem Übertritte mit Bedauern scheiden sah. Auch würde es in der That ein sehr unliebsamer Umstand seyn, wenn Beamte bei wissenschaftlichen Anstalten, sich auf ihre einfache Beamtenpflicht beschränkten. Sie muß Freude und Lust zu ihrem Fach beseelen. Diese läßt sich zwar nicht gebiethen, kommt aber mit der Zeit. Sie dann in dieser Stimmung [fol. 7v] zu erhalten ist nur Vortheil für die Anstalt, zumahl Bibliotheksbeamte auf die Aussicht auf eine bessere Zukunft in der Regel resigniren müssen. Scriptor Thaa hat die höheren Fakultätsstudien – Kanzlist Winkler ist sehr gewandt und anstellig. Auch die Diener sind sehr brave Leute. Wich hatte das Glück von Seiner Majestät dem Kaiser Ferdinand Selbst für diesen Dienst gewünscht zu werden. Möge übrigens mein allergnädigster Herr noch so fern von hier residiren, nie werde ich – so gering auch meine Kräfte sind – aufhören, nach der bisherigen Weise über sein kaiserliches Gut zu wachen, als ob es mein Eigenes wäre.

Durch beinahe 50 Jahre unterstand die Bibliothek unmittelbar ihrem erhabenen Eigner. – Nie ward meines Wissens die geringste Rüge laut; vielmehr erfreute sie sich in Bezug auf die innere Einrichtung eines Rufes wie wenige in der Monarchie. Ein großer Theil des Verdienstes gehört dem vorigen Bibliothekar Hofrat Young. Meine Wenigkeit hatte in der Folge mit dem [fol. 8r] Bibliotheks- und Referatsgeschäfte noch ein zweites zu verbinden, das, so ehrenvoll es war, mich ungemein in Anspruch nahm. Ich mußte nämlich in der unmittelbarsten Nähe Seiner Majestät in Höchstdessen Arbeits-Cabinete von früh Morgen[s] bis in die Nacht mich nicht mit Bibliotheksgeschäften, sondern mit Arbeiten befassen die auf verschiedene Zweige des Staatsdienstes Bezug hatten.

Ein Beweis meines so gnädigen Vertrauens ist, daß nach dem so betrüblichen Hinscheiden des Kaisers, meine Unbedeutendheit (nach dem Tode Kaiser Leopolds that dieß eine eigene Commission) sämmtliche sehr zahlreiche Akten und Schriften die dem Herrn zur Erledigung und Schlußfassung vorlagen, zwei sehr hoch gestellten Personen, in deren Bereich sie zunächst zu kommen hatten, zu übergeben hatte etc.

Bei Allem dem waren die Bibliotheksarbeiten nicht vernachlässiget. In dieser Lage war mir das hohe Vertrauen und die gnädige Nachsicht – denn nie wagte ich damals eine selbstsüchtige Bitte – mehr werth [fol. 8v] und kostbarer als alle Belohnung. Um so beunruhigender (entschuldigen Hochdieselben meine Freibrüstigkeit) muß ich mich nun fühlen, wenn ich bedenke, daß dereinst in der Geschichte der hierortigen Bibliothek der wie ein Ereigniß dastehende inquirirende Besuch der Herren aus der Hofbibliothek gar leicht als ein Zeichen des verminderten Allerhöchsten Vertrauens (aber nach meinem Bewußtsein gewiß nicht verminderter Sorgfalt für das mir anvertraute kaiserliche Gut) ausgelegt, und vielleicht schon gegenwärtig von manchen Personen so ausgelegt werden könnte.

Schließlich bitte ich um die Allerhöchste Ermächtigung die am Schlusse des Jahres 1852 ausgewiesene Ersparniß, welche bis heute noch aus 5.647 fl. 16 X[10] besteht, an die Allerhöchste Privatkasse abführen zu dürfen, wodurch dann im Sinne der an mich unterm 7. November 1852 Zahl 428 erlassenen Weisung die Jahresdotation nach der bisherigen Gepflogenheit wieder flüssig würde. Mit Ende des gegenwärtigen 1. Semesters also Anfangs [fol. 9r] Juli 1853 würde ich über die in dieser Zeit gepflogene Gebahrung Rechnung legen, dann aber zugleich um die Vergünstigung bitten, den Bibliothekar ein für allemal von dem Cassiergeschäfte zu erlösen, dagegen die Allerhöchste Privatkasse damit geneigtest zu beauftragen; bei welcher in Zukunft die von hieraus vidirten Noten und Conti – versteht sich innerhalb der Begränzung welche die oberwähnte Eröffnung vom 7. November 1852 andeutet – von den Partheyen zur Zahlung zu präsentiren kämen.

Nur eine Art von Handkassa zur Bestreitung von currenten kleineren Ausgaben (worüber ich die betreffenden Ansätze unter Einem im nächsten Juli übersichtlich vorlegen würde) wäre für den diesseitigen Dienst wünschenswerth. Im Gewährungsfalle dieser meiner unmaßgeblichen Proposition bin ich mir es selbst schuldig Euer Excellenz um die gütige Vermittlung zu ersuchen, daß die etwa in dieser Angelegenheit erfliessende Weisung an die [fol. 9v] kaiserliche Cassa Oberdirektion dieses meines heute gestellten ehrfurchtsvollen Ansuchens Erwähnung mache.

Schon mein Amtsvorfahr [Peter Thomas Young] soll einst um eine ähnliche Verfügung bei wailand Seiner Majestät [Kaiser Franz] mündlich, jedoch vergebens angesucht haben. Der selige Hofrat Young meinte, es mochte vermuthlich nicht der Absicht des Kaisers entsprochen haben der Neugierde und vielleicht den Besprechungen der jüngeren Beamtenwelt gleichsam rechenschaftlich vorzulegen, was ihr hoher Herr heuer zu lesen oder nicht zu lesen; zu kaufen oder nicht zu kaufen beliebt habe. Alle diese zarten Rücksichten fallen bei der gegenwärtigen Stellung der Allerhöchsten Fideicommiss Bibliothek weg.[11]

Endlich erlaube ich mir anzufügen, daß ich den, blos aus einem Bande bestehenden Katalog über die Bibliothek der höchstseligen Frau Erzherzogin Maria Elisabeth in jedem Augenblicke der Allerhöchsten Einsicht unterbreiten kann.

Wien, den 22ten März 1853      Khloyber mp

[fol. 10r, unbeschrieben] [fol. 10v] 1853“

 

[1] Ernst von Birk.

[2] Ideeller Wert.

[3] Juchtenleder.

[4] Ein frommer Wunsch.

[5] Verbrennung häretischer Bücher

[6] FKB.INV.9. Darin befinden sich tatsächlich (uneinheitliche) Anstreichungen mit Bleistift.

[7] Vgl. Huber-Frischeis/Knieling/Valenta, Privatbibliothek, 285, Abb. 27.

[8] Ideeller Wert.

[9] Franz Josef Graf Saurau und Anton Friedrich Graf Mittrowsky waren aufeinanderfolgend Oberste Kanzler der k.k. vereinigten Hofkanzlei.

[10] Korrigiert aus 5854 fl. 37 X.

[11] Im Konzept zu diesem Bericht FKBA26023, fol. 1v lautet dieser Satz etwas ausführlicher: „Da nun jetzt diese zarten Rücksichten nicht mehr obwalten, die erfreuliche unmittelbare Stellung der Bibliothek in welcher sie beinahe durch ein halbes Jahrhundert zu ihrem erhabenen Herrn gestanden hat, aufhört, so benütze ich diesen Umstand mich an Eurer Excellenz mit dem Ansuchen zu wenden, es geneigtest vermitteln zu wollen, daß der oberwähnte Young’sche Antrag zur erwünschten Geltung kommen dürfe.“