Tagebuch
1952
Tagebuch
von Mo, 25 8 52
bis So, 14 9 52
Bei fast herbstlichem Wetter auf die Linzerstraße.
Geschrieben.
Nachmittag die "Untrüglichen" von Chris Marker fertiggelesen.
Lieber Doktor Jirgal, wie haben Sie nur schreiben können, ich solle es wie Chris Marker versuchen.
Dieser Mensch ist doch trefflich, und ich kann höchstens ein Getroffener sein.
Er legt mich auf die Waage, und ich finde mich zu leicht.
Über Briggi nachgedacht. -
Letzter Urlaubstag. Abends im Tagebuch 51 einen Besuch Majas gesucht.
WB kam abends.
Gingen spazieren.
Er erzählte mir von früher.
Briggi muß vielen im Leben gewesen sein. Nur weniges davon muß ihr ein Erlebnis bedeutet haben.
Briggi muß mit vielen gegangen sein. Nur weniges davon wird ihr wesentlich geworden sein.
Früh erstmals wieder ins Büro gefahren. Nachsommerlich oder vorherbstlich.
Briggi und Karl Schik getroffen, geplaudert. Briggi war wieder fort gewesen, in Italien, und hatte sich viel angesehen.
Im Büro alles freundlich. Neue Büroräume in Aussicht.
Ziemlich viel gearbeitet, aber nicht gerade müde heimgekommen.
Früh begann ich den "schlechtgefesselten Prometheus" von André Gide zu lesen.
Nicht mit Briggi gefahren.
Im Büro lebhaft gearbeitet.
Abends Begegnung auf der Straßenbahn.
Letzte Fotos langten ein.
Angenehmer Abend. Konkretere Träume.
Früh warmer Wind.
Briggi getroffen; abends auch davon gesprochen.
Angenehmer Abend.
Briggi fühlt sich ausgeglichener und ist viel hübscher wieder. Sie hatte auch ein liebes Kleid an: grellblau, hauchdünn, mit weißer Rosette.
Briggi nicht getroffen, obwohl gesucht.
Früh, wie in allerletzter Zeit überhaupt, angenehme Stimmung.
Abends Dienst.
Nach dem Büro lieh ich Briggi die zwei Bücher Gide u. Chris Marker.
Ekelhafte Stimmung im Büro, vor allem durch Huber. Sie ist ein armer Teufel, keine Minute ohne ihre Abwehrstellung.
Ich ließ es mir gut gehen und machte Ordnungen. Arbeitete die "Skizzen vom
Eine Fabrikarbeiterin erzählte Paul, dass das abendliche Vögeln sie beim Romanlesen behindere.
Auf den Rat einer Freundin, sie solle dem Geliebten ihren Hintern bieten, vögele sie von nun an so, während sie ihre Romane liest.
Sie sei aber auch damit nicht zufrieden: "Beim Stossen verliere ich immer die Absätze", sagt sie, "und muss bei den spannendsten Stellen von vorn anfangen."
30 8 52
Gearbeitet bei Wein, wenn auch von Saufen wie früher nicht mehr die Rede sein kann. ("Saufen" in früherer Zeit: nicht was Menge anlangt, aber Methodik.)
Abends kurzer Spaziergang in Steinhof, unruhig, Fenster.
Früh im Bett, in angenehmer Frische, am Bändchen-Manuskript weitergearbeitet: Abgelegte Sachen zur Änderung hervorgeholt.
(Erste Sonnenwärme, Fräulein Dxxx )
Letzte 2 Tage: Nach-Hundstage.
Vormittag mit Kein in den Garten.
Sehr anregend gesprochen, sogar mit Methode. (Jirgal-Ergebnisse weitergeführt.
Über jene Dichtung, die "eindeutig die Pole legt", zwischen denen sich die Reaktion im Leser abspielen soll, und jene, die die Reaktion selbst vorzeigt.
Über das hemmunglose Assoziieren, das ungerichtete, wie bei Joyce, wie in der Dichtung von Altmann,Weißenborn, gesprochen.
Uneindeutigkeit, Unwesentlichkeit. Über persönliche Assoziationen zwischen Konkretem und Abstraktem, über allgemeingültige solche Bezüge, endlich über Entsprechungen ohne Gefühl für den Bezug: die Symbole, (die etwas Erstarrtes vorstellen).
Über Jünger, die Eitelkeit .....
Nm. Ergänzungen zum Bändchen ausgearbeitet.
Abends Fenster, geplaudert, Regen.
Kein angenehmer Tagesbeginn: getrübte Stimmung wegen der schweren Bürowoche.
Die letzten Tage unter Herrn Witzmann Neuordnung im Büro: Kopplungsgeschäfte unter seiner Kontrolle. Ich muß jetzt mit ihm arbeiten. (Anderseits bedeutet das natürlich einen "Aufstieg".)
Dienstwoche.
Fini kam vom Land zurück.
Holte mir gestern endlich das Geld von der RAVAG.
Früh Friseur. -
Kühler als im August, immerhin noch spätsommerlich.
Ein Buch über moderne Papierkunde langte im Büro ein. Ich las abends Farbenlehre.
Abends Platzregen.
Daheim angenehm. Post: Jirgal sandte 20.- für die "publikationen" ein.
Einladungen Matejka, Hakel ("keine Qualtingeriade").
Weißenborn kündigte mir die Freundschaft, weil mir seine letzten Gedichte nicht gefallen haben. -
Herbstlich graue Landschaft.
Die Blätter aber sind noch grün.
Viel und verschiedenartige Arbeit im Büro.
Phloroglucin kam an. Versucht, Muster-Skalen herzustellen.
5 Uhr kam Hitchman. Ich mußte bis zuletzt im Büro bleiben; Ich hatte Glück, es dauerte nur bis 3/4 7.
Die Abende sind schon kürzer.
Mittags hatte ich etwas Zeit, ich ging in den Stadtpark spazieren.
Matrizen gekauft.
Viel Arbeit im Büro. Stänkerei mit Huber. Schwachsinnige Arbeit (Musterkollektionen.)
Sehr froh über den Abend.
Letzter Bürotag dieser Woche.
Häßlich viel Arbeit.
Nach dem Büro in die Kärntnerstraße. Art Club - Hakel.
Dort viele getroffen: Moldovan, Mayröcker, Fritsch, Egger; lernte Freiberg kennen. Arbeitbesprechung fürs Wien-Buch.
Fritsch lud mich für kommenden Freitag ein. Mit Mayröcker noch ein Stückerl gegangen. Dann mit Fritsch und Egger in ein Espresso. Eindrucksvolles Mädchen, vollkommen starr und maskiert.
Egger hat gute Bissigkeiten geschrieben. Er macht den Eindruck eines desillusionierten Gutmütigen. Er ist kein Zyniker über den man schimpfen kann. Er hat sehr müde Augen.
Frei.
Früh Wäsche geholt.
Schwarze Wolken am Westhimmel. Holte mir Kinokarten für Sonntag und Dienstag im Flötzersteig-Kino.
Es war ein guter Nachmittag. Ich arbeitete fleissig am Bändchen, wir tranken Rum und Wein, viel.
6 9 52Möchte gern eine Prosa über das Espresso-Mädchen schreiben.
Konzentrierte meine Arbeit aber (diszipliniert ..) aufs Bändchen.
Habe heute viele Gedichte aus meinem Bändchen-Manuskript ausgemistet. Eine Art Haarausfall.
Leider sind fast alle positiven Mädchen-Gedichte aus dem Frühjahr 50 der Säuberung geopfert.
Ergebnis: Ich muss von vorn anfangen.
Tags, 7 9 52Abends im Flötzersteig-Kino amerikanischer Film "Die zweite Mutter". Ich werde mir amerikanische Filme jetzt gar nicht mehr anschauen. Vollkommen uninteressantes Thema, Problem läßt absolut kalt.
Hofrat Maucka getroffen. Abends Rohscheiben.
Etwas lustloser Wochenbeginn.
Russengeschäfte im Büro.
Viel Arbeit.
Abends zu Matejka in die Sezession (DDR-Buchausstellung mit Vorträgen). Aufschlußreich.
Traf den seinerzeitigen Mystifikanten "Erich Kneis" mit den "grüngewürmten" Gedichten. Er hatte die "publikationen" auf die Probe stellen wollen. Solche Menschen sind es, die einen ins Konzentrationslager bringen.
Seit gestern kalt. Früh nur plus 6°.
Briggi getroffen.
Sie borgte die Bücher Inge weiter.
Briggi hat jetzt einen roten Regenmantel an, fühlt sich zufrieden.
Im Büro Matrizen geschrieben. Brief an Kneis.
Auch fürs Büro viel gearbeitet.
Abends bei anhaltendem Allerheiligenwetter ins Kino: "Lichter der Großstadt" mit Charly Chaplin. Trotz aller Trefflichkeit viel von der expressionistischen Bedrückendheit darin.
Mayröcker schickte Arbeiten ein.
Nachmittags große selbstkritische Anwandlungen.
Früh mit Briggi gefahren. Bücher zurückbekommen, etwas versaut.
Briggis Bruder macht surrealistische Zeichnungen zur Mystifikation der zünftigen Modernen, zum Beleg des Satzes "das kann ich auch".
Mich begeistert die ganze chaotische Art wenig, selbst vom Könner Moldovan.
Es wird freilich zweierlei mit bewiesen: 1) Jeder genug enthemmbare Mensch kann im Rahmen seiner Fertigkeiten surrealistisch arbeiten (Allgemein-Menschlichkeit des Minderbewußten) - 2)Es gibt unter den Extremen genug Mittelmäßige im Können oder Dilettanten, die nur durch den Weg, nicht durch die Intensität frappieren. Und nur die Intensität ist Persönlichkeit-Zeichen, der Weg ist Sache der Wahl, und kein Meisterstück, wenn die Umgebung diese Wahl naheliegend macht.
- Es wäre auch ein Wunder, wenn ausgerechnet unter den Modernen jeder gültig wäre, wo es unter den Anderen nur jeder Tausendste ist.
Büro. Tante fährt morgen in ihren Urlaub.
Abends gutes Essen, Wein.
Es ist interessant, daß Briggi ausgerechnet jene Stellen im Buch von Chris Marker angezeichnet hat, deretwegen ich das Buch ihr geliehen hatte. (Hélène .....)
Nach anstrengendem Dienst im Büro fuhr ich in die Adamsgasse. Beobachtete Besoffene am Rückweg.
Büro: Buchhaltungblätter über die Kopplunggeschäfte angelegt. Wurde mit der Erprobung des Reflexion- messers betraut.
Bei Blitz und Donner (herrlicher roter Horizont gegen grauen Regenhimmel) zu Fritsch gepilgert.
Dort gesund angekommen, sehr freundlich empfangen.
Fritschs haben Zimmer und Mansarde in einem Einfamilienhaus, Jägerhausgasse 33.
Angenehm gesprochen, er ist mir keinesfalls entfremdet worden. Las neue Arbeiten von ihm. Lieh mir zwei Bücher von Benn aus.
Spät (mit Gedanken unterwegs) heim.
Büro ermüdend. Naturpapier noch nicht besorgt (Pol.).
Nm. Unerwartet kam Artmann. Erzählte viel von der Schweiz. Mit Geld noch nichts (siehe Bericht).
Fährt in einer Woche wieder zurück.
Unangenehmer Abend. Nur Benn gelesen.
Bierhäuselberg. Wetter erwartungsvoll wie im Vorfrühling!
Angenehme Autobusfahrt. Nur vormittags konnten wir arbeiten, also nur 5 Seiten vervielfältigt. Kein war dort. Er dissertiert über Kleinkunst.
Es ging lustig zu, wir neckten uns.
Nachmittag schön ausgeruht. Benn. Größere Ordnungen gemacht.
Abends wurde mir der Tag zu kurz. Aber morgen ist wieder, unbarmherzig, Büro.
Tagebuch
1952
Tagebuch
von Mo, 25 8 52
bis So, 14 9 52
Bei fast herbstlichem
Wetter auf die Linzer-
straße.
Geschrieben.
Nachmittag die
"Untrüglichen" von
Chris Marker
fertiggelesen.
Lieber Doktor Jirgal,
wie haben Sie nur
schreiben können,
ich solle es wie
Chris Marker
versuchen.
Dieser Mensch ist doch trefflich,
und ich kann höchstens
ein Getroffener sein.
Er legt mich auf die
Waage, und ich finde
mich zu leicht.
Über Briggi nach-
gedacht. -
Letzter Urlaubstag.
Abends im Tagebuch
51
einen
Besuch Majas gesucht.
WB kam abends.
Gingen spazieren.
Er erzählte mir
von früher.
Briggi muß vielen
im Leben gewesen sein.
Nur
Wweniges davon muß ihr
ein Erlebnis bedeutet
haben.
Briggi muß mit vielen
gegangen sein. Nur
weniges davon wird
ihr wesentlich gewor den
sein.
Früh erstmals wieder
ins Büro gefahren.
Nachsommerlich oder
vorherbstlich.
Briggi und Karl Schik
getroffen, geplaudert.
Briggi war wieder
fort gewesen, in Italien,
und hatte sich viel
angesehen.
Im Büro alles
freundlich. Neuer
Büroräume in
Aussicht.
Ziemlich viel gearbeitet,
aber nicht gerade
müde heimgekommen.
Früh begann ich
den "schlechtgefesselten
Prometheus" von
André Gide zu lesen.
Nicht mit Briggi gefahren.
Im Büro lebhaft
gearbeitet.
Abends Begegnung auf
der Straßenbahn.
Letzte Fotos langten
ein.
Angenehmer Abend.
Konkretere Träume.
Früh warmer Wind.
Briggi getroffen;
abends auch davon
gesprochen.
Angenehmer Abend.
Briggi fühlt sich
ausgeglichener und
ist viel hübscher
wieder. Sie hatte
auch ein liebes
Kleid an: grellblau,
hauchdünn, mit
weißer Rosette.
Briggi nicht getroffen,
obwohl gesucht.
Früh, wie in allerletzter
Zeit überhaupt,
angenehme Stimmung.
Abends Dienst.
Nach dem Büro
lieh ich Briggi
die zwei Bücher
Gide u. Chris Marker.
Ekelhafte Stimmung
im Büro, vor allem
durch Huber.
Sie ist ein armer
Teufel, keine
Minute ohne ihre
Abwehrstellung.
Ich ließ es mir
gut gehen und
machte Ordnungen.
Arbeitete die
"Skizzen vom
Eine Fabrikarbeiterin erzählte Paul, dass das abendliche
Vögeln sie beim Romanlesen behindere.
Auf den Rat einer Freundin, sie solle dem Geliebten
ihren Hintern bieten, vögele sie von nun an so, während sie
ihre Romane liest.
Sie sei aber auch damit nicht zufrieden: "Beim Stossen
verliere ich immer die Absätze", sagt sie, "und muss
bei den spannendsten Stellen von vorn anfangen."
30 8 52
Gearbeitet bei Wein,
wenn auch von
Saufen wie früher
nicht mehr die
Rede sein kann.
("Saufen" in früherer
Zeit: nicht was Menge
anlangt, sondern
aber Methodik.)
Abends kurzer Spazier-
gang in Steinhof,
unruhig, Fenster.
Früh im Bett,
in angenehmer Frische,
am Bändchen-
Manuskript weiter-
gearbeitet: Abgelegte
Sachen zur Änderung
hervorgeholt.
(Erste Sonnenwärme,
Fräulein Dxxx
)
Letzte 2 Tage:
Nach-Hundstage.
Vormittag mit Kein
in den Garten.
Sehr anregend gesprochen,
sogar mit Methode.
(Jirgal-Ergebnisse
weitergeführt.
Über jene Dichtung,
die "eindeutig die
Pole legt", zwischen
denen sich die Reaktion
im Leser abspielen
soll, und jene, die
die Reaktion selbst
vorzeigt.
Über das hemmung-
lose Assoziieren, das
ungerichtete, wie
bei Joyce, wie in
der Dichtung von
Altmann,Weißenborn,
gesprochen.
Uneindeutigkeit,
Unwesentlichkeit.
Über persönliche
Assoziationen zwischen
Konkretem und
Abstraktem, über
allgemeingültige
solche Bezüge,
endlich über
Entsprechungen
ohne Gefühl für
den Bezug: die
Symbole, (die
etwas Erstarrtes
vorstellen).
Über Jünger, die
Eitelkeit .....
Nm. Ergänzungen
zum Bändchen
ausgearbeitet.
Abends Fenster,
geplaudert, Regen.
Kein angenehmer
Tagesbeginn: getrübte
Stimmung wegen
der schweren Büro-
woche.
Die letzten Tage unter
Herrn Witzmann
Neuordnung im
Büro: Kopplungs-
geschäfte unter
seiner Kontrolle.
Ich muß jetzt
mit ihm arbeiten.
(Anderseits bedeutet
das natürlich einen
"Aufstieg".)
Dienstwoche.
Fini kam vom Land
zurück.
Holte mir gestern
endlich das
Geld von der RAVAG.
Früh Friseur. -
Kühler als im
August, immerhin
noch spätsommerlich.
Ein Buch über moderne
Papierkunde langte
im Büro ein. Ich
las abends Farben-
lehre.
Abends Platzregen.
Daheim angenehm.
Post: Jirgal sandte
20.- für die "publika-
tionen" ein.
Einladungen Matejka,
Hakel ("keine Qualtingeri-
ade").
Weißenborn kündigte
mir die Freundschaft,
weil mir seine letzten
Gedichte nicht
gefallen haben. -
Herbstlich graue
Landschaft.
Die Blätter aber sind
noch grün.
Viel und verschieden-
artige Arbeit im
Büro.
Phloroglucin kam an.
Versucht, Muster-Skalen
herzustellen.
5 Uhr kam Hitchman.
Ich mußte bis zuletzt
im Büro bleiben;
Ich hatte Glück, es
dauerte nur bis 3/4 7.
Die Abende sind schon
kühler, kürzer.
Mittags hatte ich etwas
Zeit, ich ging in den
Stadtpark spazieren.
Matrizen gekauft.
Viel Arbeit im Büro.
Stänkerei mit Huber.
Schwachsinnige Arbeit
(Musterkollektionen.)
Sehr froh über den
Abend.
Letzter Bürotag dieser
Woche.
Häßlich viel Arbeit.
Nach dem Büro
in die Kärntnerstraße.
Art Club - Hakel.
Dort viele getroffen:
Moldovan, Mayröcker,
Fritsch, Egger; lernte
Freiberg kennen.
Arbeitbesprechung fürs
Wien-Buch.
Fritsch lud mich
für kommenden Freitag
ein. Mit Mayröcker
noch ein Stückerl
gegangen. Dann mit
Fritsch und Egger
in ein Espresso.
Eindrucksvolles Mädchen,
vollkommen starr
und maskiert.
Egger hat gute
ABissigkeiten geschrieben.
Er macht den Eindruck
eines desillusionierten
Gutmütigen. Er ist
kein Zyniker über
den man schimpfen
kann. Er hat
sehr müde Augen.
Frei.
Früh Wäsche geholt.
Schwarze Wolken am Westhimmel. Holte mir Kinokarten
für Sonntag und Dienstag im Flötzersteig-Kino.
Es war ein guter Nachmittag. Ich arbeitete fleissig
am Bändchen, wir tranken Rum und Wein, viel.
Möchte gern eine Prosa
über das Espresso-Mädchen
schreiben.
Konzentrierte meine
Arbeit aber (diszipliniert ..)
aufs Bändchen.
Habe heute viele Gedichte aus meinem Bändchen-Manuskript
ausgemistet. Eine Art Haarausfall.
Leider sind fast alle positiven Mädchen-Gedichte aus dem
Frühjahr 50 der Säuberung geopfert.
Ergebnis: Ich muss von vorn anfangen.
Tags, 7 9 52Abends im Flötzersteig-
Kino amerikanischer
Film "Die zweite Mutter".
Ich werde mir ameri-
kanische Filme jetzt
gar nicht mehr
anschauen. Vollkommen
uninteressantes Thema,
Problem läßt absolut
kalt.
Hofrat Maucka getroffen.
Abends Rohscheiben.
Etwas lustloser
Wochenbeginn.
Russengeschäfte im
Büro.
Viel Arbeit.
Abends zu Matejka
in die Sezession
(DDR-Buchausstellung
mit Vorträgen).
Aufschlußreich.
Traf den seinerzeitigen
Mystifikanten
"Erich Kneis" mit
den "grüngewürmten"
Gedichten. Er hatte
die "publikationen"
auf die Probe stellen
wollen. Solche
Menschen sind es,
die einen ins
Konzentrationslager
bringen.
Seit gestern kalt.
Früh nur plus 6°.
Briggi getroffen.
Sie borgte die Bücher
Inge weiter.
Briggi hat jetzt
einen roten Regenmantel
an, fühlt sich
zufrieden.
Im Büro Matrizen
geschrieben. Brief
an Kneis.
Auch fürs Büro viel
gearbeitet.
Abends bei anhaltendem
Allerheiligenwetter
ins Kino: "Lichter
der Großstadt"
mit Charly Chaplin.
Trotz aller Trefflichkeit
viel von der
expressionistischen
Bedrückendheit
darin.
Mayröcker s chickte
Arbeiten ein.
Nachmittags große
selbstkritische
Anwandlungen.
Früh mit Briggi gefahren.
Bücher zurückbekommen,
etwas versaut.
Briggis Bruder
malt
macht surrealistische
Zeichnungen zur
Mystifikation der
zünftigen Modernen,
zum Beleg des Satzes
"das kann ich auch".
Mich begeistert die ganze
chaotische Art wenig,
selbst vom Könner
Moldovan.
Es gibt unter den
Extremen genug
Mittelmäßige im
Können oder
Dilettanten, die nur
durch den Weg, nicht
durch die Intensität
frappieren. Und
nur die Intensität
ist Persönlichkeit-
Zeichen, der Weg
kann ist Sache
der Wahl, und
kein Meisterstück,
wenn die Umgebung
diese Wahl nahe-
liegend macht.
- Es wäre auch
ein Wunder, wenn
ausgerechnet unter
den Modernen
jeder gültig wäre,
wo es unter de n
Anderen nur jeder
Tausendste ist.
Büro. Tante fährt
morgen in ihren
Urlaub.
Abends gutes Essen,
Wein.
Es ist interessant,
daß Briggi aus-
gerechnet jene
Stellen im Buch von
Chris Marker
angezeichnet hat,
deretwegen ich
das Buch ihr
geliehen hatte.
(Hélène
.....)
Nach anstrengendem
Dienst im Büro
fuhr ich in die
Adamsgasse.
Beobachtete Besoffene
am Rückweg.
Büro: Buchhaltung-
blätter über die Kopplung-
geschäfte angelegt.
Wurde mit der
Erprobung des Reflexion-
messers betraut.
Bei Blitz und Donner
(herrlicher roter
Horizont gegen
grauen Regenhimmel)
zu Fritsch gepilgert.
Dort gesund angekom-
men, sehr freundlich
empfangen.
Fritschs haben
Zimmer und Mansarde
in einem Einfamilien-
haus, Jägerhausgasse
33.
Angenehm gesprochen,
er ist mir keinesfalls
entfremdet worden.
Las neue Arbeiten
von ihm. Lieh
mir zwei Bücher von
Benn aus.
Spät (mit Gedanken
unterwegs) heim.
Büro ermüdend.
Naturpapier noch nicht
besorgt (Pol.).
Nm. Unerwartet kam
Artmann. Erzählte
viel von der Schweiz.
Mit Geld noch nichts
(siehe Bericht).
Fährt in einer Woche
wieder zurück.
Unangenehmer Abend.
Nur Benn gelesen.
Bierhäuselberg. Wetter
erwartungsvoll wie im
Vorfrühling!
Angenehme Autobusfahrt.
Nur vormittags konnten
wir arbeiten, also
nur 5 Seiten verviel-
fältigt. Kein war
dort. Er dissertiert
über Kleinkunst.
Es ging lustig zu,
wir neckten uns.
Nachmittag schön
ausgeruht. Benn.
Größere Ordnungen
gemacht.
Abends wurde mir
der Tag zu kurz.
Aber morgen ist wieder,
unbarmherzig, Büro.
Tagebuch
1952
Tagebuch
von Mo, 25 8 52
bis So, 14 9 52
Bei fast herbstlichem Wetter auf die Linzerstraße.
Geschrieben.
Nachmittag die "Untrüglichen" von Chris Marker fertiggelesen.
Lieber Doktor Jirgal, wie haben Sie nur schreiben können, ich solle es wie Chris Marker versuchen.
Dieser Mensch ist doch trefflich, und ich kann höchstens ein Getroffener sein.
Er legt mich auf die Waage, und ich finde mich zu leicht.
Über Briggi nachgedacht. -
Letzter Urlaubstag. Abends im Tagebuch 51 einen Besuch Majas gesucht.
WB kam abends.
Gingen spazieren.
Er erzählte mir von früher.
Briggi muß vielen im Leben gewesen sein. Nur weniges davon muß ihr ein Erlebnis bedeutet haben.
Briggi muß mit vielen gegangen sein. Nur weniges davon wird ihr wesentlich geworden sein.
Früh erstmals wieder ins Büro gefahren. Nachsommerlich oder vorherbstlich.
Briggi und Karl Schik getroffen, geplaudert. Briggi war wieder fort gewesen, in Italien, und hatte sich viel angesehen.
Im Büro alles freundlich. Neue Büroräume in Aussicht.
Ziemlich viel gearbeitet, aber nicht gerade müde heimgekommen.
Früh begann ich den "schlechtgefesselten Prometheus" von André Gide zu lesen.
Nicht mit Briggi gefahren.
Im Büro lebhaft gearbeitet.
Abends Begegnung auf der Straßenbahn.
Letzte Fotos langten ein.
Angenehmer Abend. Konkretere Träume.
Früh warmer Wind.
Briggi getroffen; abends auch davon gesprochen.
Angenehmer Abend.
Briggi fühlt sich ausgeglichener und ist viel hübscher wieder. Sie hatte auch ein liebes Kleid an: grellblau, hauchdünn, mit weißer Rosette.
Briggi nicht getroffen, obwohl gesucht.
Früh, wie in allerletzter Zeit überhaupt, angenehme Stimmung.
Abends Dienst.
Nach dem Büro lieh ich Briggi die zwei Bücher Gide u. Chris Marker.
Ekelhafte Stimmung im Büro, vor allem durch Huber. Sie ist ein armer Teufel, keine Minute ohne ihre Abwehrstellung.
Ich ließ es mir gut gehen und machte Ordnungen. Arbeitete die "Skizzen vom
Eine Fabrikarbeiterin erzählte Paul, dass das abendliche Vögeln sie beim Romanlesen behindere.
Auf den Rat einer Freundin, sie solle dem Geliebten ihren Hintern bieten, vögele sie von nun an so, während sie ihre Romane liest.
Sie sei aber auch damit nicht zufrieden: "Beim Stossen verliere ich immer die Absätze", sagt sie, "und muss bei den spannendsten Stellen von vorn anfangen."
30 8 52
Gearbeitet bei Wein, wenn auch von Saufen wie früher nicht mehr die Rede sein kann. ("Saufen" in früherer Zeit: nicht was Menge anlangt, aber Methodik.)
Abends kurzer Spaziergang in Steinhof, unruhig, Fenster.
Früh im Bett, in angenehmer Frische, am Bändchen-Manuskript weitergearbeitet: Abgelegte Sachen zur Änderung hervorgeholt.
(Erste Sonnenwärme, Fräulein Dxxx )
Letzte 2 Tage: Nach-Hundstage.
Vormittag mit Kein in den Garten.
Sehr anregend gesprochen, sogar mit Methode. (Jirgal-Ergebnisse weitergeführt.
Über jene Dichtung, die "eindeutig die Pole legt", zwischen denen sich die Reaktion im Leser abspielen soll, und jene, die die Reaktion selbst vorzeigt.
Über das hemmunglose Assoziieren, das ungerichtete, wie bei Joyce, wie in der Dichtung von Altmann,Weißenborn, gesprochen.
Uneindeutigkeit, Unwesentlichkeit. Über persönliche Assoziationen zwischen Konkretem und Abstraktem, über allgemeingültige solche Bezüge, endlich über Entsprechungen ohne Gefühl für den Bezug: die Symbole, (die etwas Erstarrtes vorstellen).
Über Jünger, die Eitelkeit .....
Nm. Ergänzungen zum Bändchen ausgearbeitet.
Abends Fenster, geplaudert, Regen.
Kein angenehmer Tagesbeginn: getrübte Stimmung wegen der schweren Bürowoche.
Die letzten Tage unter Herrn Witzmann Neuordnung im Büro: Kopplungsgeschäfte unter seiner Kontrolle. Ich muß jetzt mit ihm arbeiten. (Anderseits bedeutet das natürlich einen "Aufstieg".)
Dienstwoche.
Fini kam vom Land zurück.
Holte mir gestern endlich das Geld von der RAVAG.
Früh Friseur. -
Kühler als im August, immerhin noch spätsommerlich.
Ein Buch über moderne Papierkunde langte im Büro ein. Ich las abends Farbenlehre.
Abends Platzregen.
Daheim angenehm. Post: Jirgal sandte 20.- für die "publikationen" ein.
Einladungen Matejka, Hakel ("keine Qualtingeriade").
Weißenborn kündigte mir die Freundschaft, weil mir seine letzten Gedichte nicht gefallen haben. -
Herbstlich graue Landschaft.
Die Blätter aber sind noch grün.
Viel und verschiedenartige Arbeit im Büro.
Phloroglucin kam an. Versucht, Muster-Skalen herzustellen.
5 Uhr kam Hitchman. Ich mußte bis zuletzt im Büro bleiben; Ich hatte Glück, es dauerte nur bis 3/4 7.
Die Abende sind schon kürzer.
Mittags hatte ich etwas Zeit, ich ging in den Stadtpark spazieren.
Matrizen gekauft.
Viel Arbeit im Büro. Stänkerei mit Huber. Schwachsinnige Arbeit (Musterkollektionen.)
Sehr froh über den Abend.
Letzter Bürotag dieser Woche.
Häßlich viel Arbeit.
Nach dem Büro in die Kärntnerstraße. Art Club - Hakel.
Dort viele getroffen: Moldovan, Mayröcker, Fritsch, Egger; lernte Freiberg kennen. Arbeitbesprechung fürs Wien-Buch.
Fritsch lud mich für kommenden Freitag ein. Mit Mayröcker noch ein Stückerl gegangen. Dann mit Fritsch und Egger in ein Espresso. Eindrucksvolles Mädchen, vollkommen starr und maskiert.
Egger hat gute Bissigkeiten geschrieben. Er macht den Eindruck eines desillusionierten Gutmütigen. Er ist kein Zyniker über den man schimpfen kann. Er hat sehr müde Augen.
Frei.
Früh Wäsche geholt.
Schwarze Wolken am Westhimmel. Holte mir Kinokarten für Sonntag und Dienstag im Flötzersteig-Kino.
Es war ein guter Nachmittag. Ich arbeitete fleissig am Bändchen, wir tranken Rum und Wein, viel.
6 9 52Möchte gern eine Prosa über das Espresso-Mädchen schreiben.
Konzentrierte meine Arbeit aber (diszipliniert ..) aufs Bändchen.
Habe heute viele Gedichte aus meinem Bändchen-Manuskript ausgemistet. Eine Art Haarausfall.
Leider sind fast alle positiven Mädchen-Gedichte aus dem Frühjahr 50 der Säuberung geopfert.
Ergebnis: Ich muss von vorn anfangen.
Tags, 7 9 52Abends im Flötzersteig-Kino amerikanischer Film "Die zweite Mutter". Ich werde mir amerikanische Filme jetzt gar nicht mehr anschauen. Vollkommen uninteressantes Thema, Problem läßt absolut kalt.
Hofrat Maucka getroffen. Abends Rohscheiben.
Etwas lustloser Wochenbeginn.
Russengeschäfte im Büro.
Viel Arbeit.
Abends zu Matejka in die Sezession (DDR-Buchausstellung mit Vorträgen). Aufschlußreich.
Traf den seinerzeitigen Mystifikanten "Erich Kneis" mit den "grüngewürmten" Gedichten. Er hatte die "publikationen" auf die Probe stellen wollen. Solche Menschen sind es, die einen ins Konzentrationslager bringen.
Seit gestern kalt. Früh nur plus 6°.
Briggi getroffen.
Sie borgte die Bücher Inge weiter.
Briggi hat jetzt einen roten Regenmantel an, fühlt sich zufrieden.
Im Büro Matrizen geschrieben. Brief an Kneis.
Auch fürs Büro viel gearbeitet.
Abends bei anhaltendem Allerheiligenwetter ins Kino: "Lichter der Großstadt" mit Charly Chaplin. Trotz aller Trefflichkeit viel von der expressionistischen Bedrückendheit darin.
Mayröcker schickte Arbeiten ein.
Nachmittags große selbstkritische Anwandlungen.
Früh mit Briggi gefahren. Bücher zurückbekommen, etwas versaut.
Briggis Bruder macht surrealistische Zeichnungen zur Mystifikation der zünftigen Modernen, zum Beleg des Satzes "das kann ich auch".
Mich begeistert die ganze chaotische Art wenig, selbst vom Könner Moldovan.
Es wird freilich zweierlei mit bewiesen: 1) Jeder genug enthemmbare Mensch kann im Rahmen seiner Fertigkeiten surrealistisch arbeiten (Allgemein-Menschlichkeit des Minderbewußten) - 2)Es gibt unter den Extremen genug Mittelmäßige im Können oder Dilettanten, die nur durch den Weg, nicht durch die Intensität frappieren. Und nur die Intensität ist Persönlichkeit-Zeichen, der Weg ist Sache der Wahl, und kein Meisterstück, wenn die Umgebung diese Wahl naheliegend macht.
- Es wäre auch ein Wunder, wenn ausgerechnet unter den Modernen jeder gültig wäre, wo es unter den Anderen nur jeder Tausendste ist.
Büro. Tante fährt morgen in ihren Urlaub.
Abends gutes Essen, Wein.
Es ist interessant, daß Briggi ausgerechnet jene Stellen im Buch von Chris Marker angezeichnet hat, deretwegen ich das Buch ihr geliehen hatte. (Hélène .....)
Nach anstrengendem Dienst im Büro fuhr ich in die Adamsgasse. Beobachtete Besoffene am Rückweg.
Büro: Buchhaltungblätter über die Kopplunggeschäfte angelegt. Wurde mit der Erprobung des Reflexion- messers betraut.
Bei Blitz und Donner (herrlicher roter Horizont gegen grauen Regenhimmel) zu Fritsch gepilgert.
Dort gesund angekommen, sehr freundlich empfangen.
Fritschs haben Zimmer und Mansarde in einem Einfamilienhaus, Jägerhausgasse 33.
Angenehm gesprochen, er ist mir keinesfalls entfremdet worden. Las neue Arbeiten von ihm. Lieh mir zwei Bücher von Benn aus.
Spät (mit Gedanken unterwegs) heim.
Büro ermüdend. Naturpapier noch nicht besorgt (Pol.).
Nm. Unerwartet kam Artmann. Erzählte viel von der Schweiz. Mit Geld noch nichts (siehe Bericht).
Fährt in einer Woche wieder zurück.
Unangenehmer Abend. Nur Benn gelesen.
Bierhäuselberg. Wetter erwartungsvoll wie im Vorfrühling!
Angenehme Autobusfahrt. Nur vormittags konnten wir arbeiten, also nur 5 Seiten vervielfältigt. Kein war dort. Er dissertiert über Kleinkunst.
Es ging lustig zu, wir neckten uns.
Nachmittag schön ausgeruht. Benn. Größere Ordnungen gemacht.
Abends wurde mir der Tag zu kurz. Aber morgen ist wieder, unbarmherzig, Büro.
Tagebuch
1952
Tagebuch
von Mo, 25 8 52
bis So, 14 9 52
Bei fast herbstlichem
Wetter auf die Linzer-
straße.
Geschrieben.
Nachmittag die
"Untrüglichen" von
Chris Marker
fertiggelesen.
Lieber Doktor Jirgal,
wie haben Sie nur
schreiben können,
ich solle es wie
Chris Marker
versuchen.
Dieser Mensch ist doch trefflich,
und ich kann höchstens
ein Getroffener sein.
Er legt mich auf die
Waage, und ich finde
mich zu leicht.
Über Briggi nach-
gedacht. -
Letzter Urlaubstag.
Abends im Tagebuch
51
einen
Besuch Majas gesucht.
WB kam abends.
Gingen spazieren.
Er erzählte mir
von früher.
Briggi muß vielen
im Leben gewesen sein.
Nur
Wweniges davon muß ihr
ein Erlebnis bedeutet
haben.
Briggi muß mit vielen
gegangen sein. Nur
weniges davon wird
ihr wesentlich gewor den
sein.
Früh erstmals wieder
ins Büro gefahren.
Nachsommerlich oder
vorherbstlich.
Briggi und Karl Schik
getroffen, geplaudert.
Briggi war wieder
fort gewesen, in Italien,
und hatte sich viel
angesehen.
Im Büro alles
freundlich. Neuer
Büroräume in
Aussicht.
Ziemlich viel gearbeitet,
aber nicht gerade
müde heimgekommen.
Früh begann ich
den "schlechtgefesselten
Prometheus" von
André Gide zu lesen.
Nicht mit Briggi gefahren.
Im Büro lebhaft
gearbeitet.
Abends Begegnung auf
der Straßenbahn.
Letzte Fotos langten
ein.
Angenehmer Abend.
Konkretere Träume.
Früh warmer Wind.
Briggi getroffen;
abends auch davon
gesprochen.
Angenehmer Abend.
Briggi fühlt sich
ausgeglichener und
ist viel hübscher
wieder. Sie hatte
auch ein liebes
Kleid an: grellblau,
hauchdünn, mit
weißer Rosette.
Briggi nicht getroffen,
obwohl gesucht.
Früh, wie in allerletzter
Zeit überhaupt,
angenehme Stimmung.
Abends Dienst.
Nach dem Büro
lieh ich Briggi
die zwei Bücher
Gide u. Chris Marker.
Ekelhafte Stimmung
im Büro, vor allem
durch Huber.
Sie ist ein armer
Teufel, keine
Minute ohne ihre
Abwehrstellung.
Ich ließ es mir
gut gehen und
machte Ordnungen.
Arbeitete die
"Skizzen vom
Eine Fabrikarbeiterin erzählte Paul, dass das abendliche
Vögeln sie beim Romanlesen behindere.
Auf den Rat einer Freundin, sie solle dem Geliebten
ihren Hintern bieten, vögele sie von nun an so, während sie
ihre Romane liest.
Sie sei aber auch damit nicht zufrieden: "Beim Stossen
verliere ich immer die Absätze", sagt sie, "und muss
bei den spannendsten Stellen von vorn anfangen."
30 8 52
Gearbeitet bei Wein,
wenn auch von
Saufen wie früher
nicht mehr die
Rede sein kann.
("Saufen" in früherer
Zeit: nicht was Menge
anlangt, sondern
aber Methodik.)
Abends kurzer Spazier-
gang in Steinhof,
unruhig, Fenster.
Früh im Bett,
in angenehmer Frische,
am Bändchen-
Manuskript weiter-
gearbeitet: Abgelegte
Sachen zur Änderung
hervorgeholt.
(Erste Sonnenwärme,
Fräulein Dxxx
)
Letzte 2 Tage:
Nach-Hundstage.
Vormittag mit Kein
in den Garten.
Sehr anregend gesprochen,
sogar mit Methode.
(Jirgal-Ergebnisse
weitergeführt.
Über jene Dichtung,
die "eindeutig die
Pole legt", zwischen
denen sich die Reaktion
im Leser abspielen
soll, und jene, die
die Reaktion selbst
vorzeigt.
Über das hemmung-
lose Assoziieren, das
ungerichtete, wie
bei Joyce, wie in
der Dichtung von
Altmann,Weißenborn,
gesprochen.
Uneindeutigkeit,
Unwesentlichkeit.
Über persönliche
Assoziationen zwischen
Konkretem und
Abstraktem, über
allgemeingültige
solche Bezüge,
endlich über
Entsprechungen
ohne Gefühl für
den Bezug: die
Symbole, (die
etwas Erstarrtes
vorstellen).
Über Jünger, die
Eitelkeit .....
Nm. Ergänzungen
zum Bändchen
ausgearbeitet.
Abends Fenster,
geplaudert, Regen.
Kein angenehmer
Tagesbeginn: getrübte
Stimmung wegen
der schweren Büro-
woche.
Die letzten Tage unter
Herrn Witzmann
Neuordnung im
Büro: Kopplungs-
geschäfte unter
seiner Kontrolle.
Ich muß jetzt
mit ihm arbeiten.
(Anderseits bedeutet
das natürlich einen
"Aufstieg".)
Dienstwoche.
Fini kam vom Land
zurück.
Holte mir gestern
endlich das
Geld von der RAVAG.
Früh Friseur. -
Kühler als im
August, immerhin
noch spätsommerlich.
Ein Buch über moderne
Papierkunde langte
im Büro ein. Ich
las abends Farben-
lehre.
Abends Platzregen.
Daheim angenehm.
Post: Jirgal sandte
20.- für die "publika-
tionen" ein.
Einladungen Matejka,
Hakel ("keine Qualtingeri-
ade").
Weißenborn kündigte
mir die Freundschaft,
weil mir seine letzten
Gedichte nicht
gefallen haben. -
Herbstlich graue
Landschaft.
Die Blätter aber sind
noch grün.
Viel und verschieden-
artige Arbeit im
Büro.
Phloroglucin kam an.
Versucht, Muster-Skalen
herzustellen.
5 Uhr kam Hitchman.
Ich mußte bis zuletzt
im Büro bleiben;
Ich hatte Glück, es
dauerte nur bis 3/4 7.
Die Abende sind schon
kühler, kürzer.
Mittags hatte ich etwas
Zeit, ich ging in den
Stadtpark spazieren.
Matrizen gekauft.
Viel Arbeit im Büro.
Stänkerei mit Huber.
Schwachsinnige Arbeit
(Musterkollektionen.)
Sehr froh über den
Abend.
Letzter Bürotag dieser
Woche.
Häßlich viel Arbeit.
Nach dem Büro
in die Kärntnerstraße.
Art Club - Hakel.
Dort viele getroffen:
Moldovan, Mayröcker,
Fritsch, Egger; lernte
Freiberg kennen.
Arbeitbesprechung fürs
Wien-Buch.
Fritsch lud mich
für kommenden Freitag
ein. Mit Mayröcker
noch ein Stückerl
gegangen. Dann mit
Fritsch und Egger
in ein Espresso.
Eindrucksvolles Mädchen,
vollkommen starr
und maskiert.
Egger hat gute
ABissigkeiten geschrieben.
Er macht den Eindruck
eines desillusionierten
Gutmütigen. Er ist
kein Zyniker über
den man schimpfen
kann. Er hat
sehr müde Augen.
Frei.
Früh Wäsche geholt.
Schwarze Wolken am Westhimmel. Holte mir Kinokarten
für Sonntag und Dienstag im Flötzersteig-Kino.
Es war ein guter Nachmittag. Ich arbeitete fleissig
am Bändchen, wir tranken Rum und Wein, viel.
Möchte gern eine Prosa
über das Espresso-Mädchen
schreiben.
Konzentrierte meine
Arbeit aber (diszipliniert ..)
aufs Bändchen.
Habe heute viele Gedichte aus meinem Bändchen-Manuskript
ausgemistet. Eine Art Haarausfall.
Leider sind fast alle positiven Mädchen-Gedichte aus dem
Frühjahr 50 der Säuberung geopfert.
Ergebnis: Ich muss von vorn anfangen.
Tags, 7 9 52Abends im Flötzersteig-
Kino amerikanischer
Film "Die zweite Mutter".
Ich werde mir ameri-
kanische Filme jetzt
gar nicht mehr
anschauen. Vollkommen
uninteressantes Thema,
Problem läßt absolut
kalt.
Hofrat Maucka getroffen.
Abends Rohscheiben.
Etwas lustloser
Wochenbeginn.
Russengeschäfte im
Büro.
Viel Arbeit.
Abends zu Matejka
in die Sezession
(DDR-Buchausstellung
mit Vorträgen).
Aufschlußreich.
Traf den seinerzeitigen
Mystifikanten
"Erich Kneis" mit
den "grüngewürmten"
Gedichten. Er hatte
die "publikationen"
auf die Probe stellen
wollen. Solche
Menschen sind es,
die einen ins
Konzentrationslager
bringen.
Seit gestern kalt.
Früh nur plus 6°.
Briggi getroffen.
Sie borgte die Bücher
Inge weiter.
Briggi hat jetzt
einen roten Regenmantel
an, fühlt sich
zufrieden.
Im Büro Matrizen
geschrieben. Brief
an Kneis.
Auch fürs Büro viel
gearbeitet.
Abends bei anhaltendem
Allerheiligenwetter
ins Kino: "Lichter
der Großstadt"
mit Charly Chaplin.
Trotz aller Trefflichkeit
viel von der
expressionistischen
Bedrückendheit
darin.
Mayröcker s chickte
Arbeiten ein.
Nachmittags große
selbstkritische
Anwandlungen.
Früh mit Briggi gefahren.
Bücher zurückbekommen,
etwas versaut.
Briggis Bruder
malt
macht surrealistische
Zeichnungen zur
Mystifikation der
zünftigen Modernen,
zum Beleg des Satzes
"das kann ich auch".
Mich begeistert die ganze
chaotische Art wenig,
selbst vom Könner
Moldovan.
Es gibt unter den
Extremen genug
Mittelmäßige im
Können oder
Dilettanten, die nur
durch den Weg, nicht
durch die Intensität
frappieren. Und
nur die Intensität
ist Persönlichkeit-
Zeichen, der Weg
kann ist Sache
der Wahl, und
kein Meisterstück,
wenn die Umgebung
diese Wahl nahe-
liegend macht.
- Es wäre auch
ein Wunder, wenn
ausgerechnet unter
den Modernen
jeder gültig wäre,
wo es unter de n
Anderen nur jeder
Tausendste ist.
Büro. Tante fährt
morgen in ihren
Urlaub.
Abends gutes Essen,
Wein.
Es ist interessant,
daß Briggi aus-
gerechnet jene
Stellen im Buch von
Chris Marker
angezeichnet hat,
deretwegen ich
das Buch ihr
geliehen hatte.
(Hélène
.....)
Nach anstrengendem
Dienst im Büro
fuhr ich in die
Adamsgasse.
Beobachtete Besoffene
am Rückweg.
Büro: Buchhaltung-
blätter über die Kopplung-
geschäfte angelegt.
Wurde mit der
Erprobung des Reflexion-
messers betraut.
Bei Blitz und Donner
(herrlicher roter
Horizont gegen
grauen Regenhimmel)
zu Fritsch gepilgert.
Dort gesund angekom-
men, sehr freundlich
empfangen.
Fritschs haben
Zimmer und Mansarde
in einem Einfamilien-
haus, Jägerhausgasse
33.
Angenehm gesprochen,
er ist mir keinesfalls
entfremdet worden.
Las neue Arbeiten
von ihm. Lieh
mir zwei Bücher von
Benn aus.
Spät (mit Gedanken
unterwegs) heim.
Büro ermüdend.
Naturpapier noch nicht
besorgt (Pol.).
Nm. Unerwartet kam
Artmann. Erzählte
viel von der Schweiz.
Mit Geld noch nichts
(siehe Bericht).
Fährt in einer Woche
wieder zurück.
Unangenehmer Abend.
Nur Benn gelesen.
Bierhäuselberg. Wetter
erwartungsvoll wie im
Vorfrühling!
Angenehme Autobusfahrt.
Nur vormittags konnten
wir arbeiten, also
nur 5 Seiten verviel-
fältigt. Kein war
dort. Er dissertiert
über Kleinkunst.
Es ging lustig zu,
wir neckten uns.
Nachmittag schön
ausgeruht. Benn.
Größere Ordnungen
gemacht.
Abends wurde mir
der Tag zu kurz.
Aber morgen ist wieder,
unbarmherzig, Büro.
Okopenko, Andreas: Tagebuch 25.08.1952–14.09.1952. Digitale Edition, hrsg. von Roland
Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno
Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische
Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1,
15.1.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/
Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
LinksInformationJegliche Nutzung der Digitalisate muss mit dem Rechtsnachfolger von Andreas Okopenko, August Bisinger, individuell abgeklärt werden.