Vergleichende Analysen zur literarischen Moderne in Österreich 1910 bis 1930 und nach 1945
Projektleitung:
Dr. Bernhard Fetz
Projektmitarbeiterin:
Dr. Gisela Steinlechner
Finanzierung: Fonds zur Förderung der wissenschaflichen Forschung
Laufzeit: 15. März 1997 bis 15. März 1999
Kurzbeschreibung
Es gibt eine Leerstelle zwischen monographischen Arbeiten zu vergessen oder verdrängten Autoren der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts und einer Theorie der literarischen Moderne, die sich an einem Kanon "großer Namen" (z. B. Hermann Broch, Franz Kafka, Karl Kraus und Robert Musil) orientiert. Das Projekt widmet sich in erster Linie Autoren, die dem österreichischen Expressionismus oder der vergessenen Avantgarde zugeordnet werden. Ausgehend von den in exemplarischen Textanalysen gewonnenen Einsichten sollen in einem zweiten Arbeitsschritt avancierte Positionen der österreichischen Literatur nach 1945 als Referenzsystem herangezogen werden: Zu untersuchen ist, wo die Autoren von analogen Fragestellungen ausgehen, um aus den Überschneidungen und Differenzen neue literaturhistorische und geistesgeschichtliche Zusammenhänge zu entwickeln. Dabei geht es erst in zweiter Linie um den Nachweis einer eventuell vorhandenen Einflußgeschichte; vor allem ist zu zeigen, wie sich auch eine explizite Einflußnahme bestimmte thematische und formale Modelle über die historischen Bruchlinien fortschreiben.
Könnte der Komplex "Sprache Macht Gewalt" (Ferdinand Schmatz nicht ein Ansatzpunkt sein, der Autoren wie Robert Müller und Oswald Wiener, Hermann Ungar und Albert Drach zueinander in Beziehung setzt? Gerade die literarische Verschränkung von sprachimmanenter Gewalt mit der Darstellung struktureller und physisch ausgeübter Gewalt als ästhetische Antwort auf die politische Geschichte ist ein Merkmal der österreichischen Literatur bis in die allerjüngste Zeit.
Melchior Vischers Theatertexte und sein Dadaroman "Sekunde durch Hirn" (1920) kennzeichnet eine Überlagerung von Trivial(literatur)mustern und experimentellen Verfahren, wie sie auch für die literarischen Strategien der Wiener Gruppe, insbesondere Konrad Bayers, charakteristisch sind. Vischers Plädoyers für Zeitgenossenschaft auf dem Theater, für eine Verbindung von hoher und niederer Kultur, für ein Theater, das dem Kitsch nicht ausweichen will, findet sich in den ästhetischen Konzepten verschiedener Autoren nach 1945 wieder (Wolfgang Bauer, Albert Drach, Elfriede Jelinek, Wiener Gruppe etc.). Eine weitere Fragestellung betrifft das Verhältnis von juridischem und literarischem Diskurs am Beispiel des Pragerdeutschen Autors Hermann Ungar; seine von den Zeitgenossen als skandalös empfundenen "Fallgeschichten" sollen mit Texten von Albert Drach und Elfriede Jelinek konfrontiert werden.
Ausgehend von Fragestellungen wie den skizzierten wird auch eine Reflexion der Voraussetzungen und der Probleme einer österreichischen Literaturgeschichte in diesem Jahrhundert angestrebt: In welchem Wechselverhältnis stehen österreichspezifische Literaturentwicklungen und internationale Ausprägungen der Moderne? Die ausgewählten Autoren und Texte jedoch in bestehende Kategorien zur Moderne einzuordnen, ist hier nicht die vorrangige Intention; vielmehr soll das literarische Feld zwischen ca. 1910 und 1930 durch Werkanalysen aufgefächert und mit wahrnehmungstheoretischen, ästhetischen und ideologischen Positionen der zeitgenössischen wie der Literatur nach 1945 konfrontiert werden.
Das Projekt kann sich auf detaillierte Arbeiten und Anthologien zum österreichischen Expressionismus stützen: die von Oswald Oberhuber und Peter Weibel zusammengestellte Text- und Materialsammlung "Österreichs Avantgarde 1900-1938. Ein unbekannter Aspekt" (1976/77); die von Ernst Fischer und Wilhelm Haefs herausgegebene Anthologie "Hirnwelten funkeln" (1988) mit einer lokalen (Wien) und literarhistorischen (Expressionismus) Spezifizierung. Der von Klaus Amann und Armin A. Wallas herausgegebene Band "Expressionismus in Österreich. Die Literatur und die Künste" (1994) nimmt eine umfassende Darstellung expressionistischer Kunst und Literatur in Österreich vor.
In einzelnen Fällen, wie bei Albert Ehrenstein, Robert Müller, Walter Serner und Hermann Ungar hat eine auch Einzelaspekte des Werks betreffende Rezeption eingesetzt. In anderen Fällen, wie bei Viktor Hadwiger, Heinrich Nowak oder Melchior Vischer liegen bislang keine detaillierten Werkanalysen vor.