Der österreichische Germanist August Sauer gilt in der deutschsprachigen Wissenschaftsgeschichte als eine herausragende Persönlichkeit. Er spielte nicht nur in seinem Fach, sondern auch in der deutsch-böhmischen Kulturpolitik eine wichtige Rolle. Sauer war im Rahmen seiner umfangreichen wissenschaftlichen Arbeit als Herausgeber und Redakteur von Editionen, Buchreihen und Zeitschriften tätig.
Geboren am 12. Oktober 1855 in Wiener Neustadt (A), studierte Sauer an der Universität Wien Deutsche Philologie, Geschichte und Klassische Philologie und wurde dort 1877 mit einer Arbeit über den deutschen Dramatiker Joachim Wilhelm Brawe promoviert. Im Anschluss ging Sauer ein Semester lang nach Berlin, wo Wilhelm Scherer seine wissenschaftliche Orientierung maßgeblich prägte. 1879 habilitierte Sauer sich für Deutsche Sprache und Literatur in Wien und nahm im Herbst desselben Jahres eine Stelle als Supplent der germanistischen Lehrkanzel an der Universität in Lemberg an, der Hauptstadt des damals zu Österreich gehörenden Kronlandes Galizien. Die Ernennung zum Extraordinarius an der Universität Graz führte ihn 1883 zwar auf deutschsprachiges Gebiet zurück, eröffnete ihm jedoch kaum Karrierechancen.
1886 wechselte Sauer auf das Extraordinariat für Deutsche Sprache und Literatur an der Deutschen Universität in Prag, wo er 1892 ordentlicher Professor wurde und bis zu seinem Tod 1926 blieb. Neben zahlreichen Beiträgen zur deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, insbesondere zur Anakreontik und Goethezeit, legte Sauer den Schwerpunkt seiner Forschung auf die Geschichte der deutschen Literatur in Österreich. Seine Auffassung von der Besonderheit des Österreichischen, das er mit der deutschsprachigen Kultur verbunden sah, gilt als typische Position eines „Deutsch-Österreichers“ Ende des 19. Jahrhunderts. Aus Sauers Beschäftigung mit der deutsch-österreichischen Literaturgeschichte gingen seine Ausgabe der Werke Ferdinand Raimunds (1881), die kurzlebigen Reihen Wiener Neudrucke (1883–1886) und Beiträge zur Geschichte der deutschen Litteratur und des geistigen Lebens in Österreich (1883–1884), die umfangreiche Brief-Edition Goethe in Österreich (1902–1904) sowie einschlägige Beiträge zur zweiten Auflage von Goedekes Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung hervor. Als wichtige Forschungsleistungen gelten auch die von Sauer initiierte historisch-kritische Gesamtausgabe der Sämtlichen Werke von Adalbert Stifter (ab 1904) sowie zahlreiche Beiträge zu Leben und Werk von Franz Grillparzer. Sauers jahrzehntelange Beschäftigung mit Grillparzer fand in der historisch-kritischen Ausgabe von Grillparzers Werken ihren Höhepunkt, die von der Stadt Wien in Auftrag gegeben wurde und deren erster Band 1909 erschien. Die Ausgabe konnte jedoch erst 1948, lange nach Sauers Tod, abgeschlossen werden.
Im Kontext deutsch-nationaler Bestrebungen in Böhmen und der kurz vor seiner Ankunft in Prag erfolgten Teilung der Prager Universität (1882) verband Sauer seine wissenschaftliche Arbeit stark mit kulturpolitischen Zielen. Seit 1891 war er Mitglied der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen. Zugleich fungierte er als Redakteur der von der Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift Deutsche Arbeit (1901–1918) sowie als Herausgeber der Reihe Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen, Mähren und Schlesien (1894–1925).
1891 übernahm Sauer außerdem die von Bernhard Seuffert gegründete Neudruckreihe Deutsche Litteraturdenkmale (DLD) und setzte diese bis 1904 fort. Von 1894 bis 1926 gab er die Zeitschrift Euphorion. Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte heraus, die in modifizierter Form an Seufferts Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte anschloss. Trotz finanzieller und organisatorischer Schwierigkeiten konnte die Zeitschrift ihre Position als führende Fachzeitschrift behaupten, setzte sich für eine Modernisierung der deutschen Literaturwissenschaft ein und wandte sich – über das enge Fachpublikum hinaus – zunehmend an eine breitere Öffentlichkeit.
Sauer war seit 1903 korrespondierendes Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften. Er amtierte 1907/08 als Rektor der Deutschen Universität Prag, 1908/09 als Prorektor. Seine Rede Literaturgeschichte und Volkskunde, die er 1907 zum Antritt seines Rektorats hielt, gilt als Abkehr von einem nationalphilologischen Konzept der Literaturgeschichte, das die Entwicklung der deutschen Literatur als Prozess interpretierte, der auf die deutsche Reichsgründung abzielte. Sauers Ansätze zu einer stammesgeschichtlichen Literaturbetrachtung beeinflussten die literaturgeschichtlichen Arbeiten seines Schülers Josef Nadler, der sich durch die völkisch-rassistische Ausrichtung der letzten Ausgabe seiner Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften (1938–1941) diskreditierte.
August Sauer, der seit 1892 mit Hedda Rzach verheiratet war, starb am 17. September 1926 in Prag. Der tschechische Germanist und Dichter Ottokar Fischer, ein Schüler Sauers, kritisierte in seinem Nachruf zwar Sauers „nationalistische Grundsätze“, betonte aber gleichzeitig dessen Bemühungen um eine deutsch-tschechische Zusammenarbeit und würdigte ihn als „Meister philologischer Genauigkeit und literarhistorischer Kritik“.