Rückführung der Bücher aus der k.k. Hofbibliothek 1870 (FKBA26140)

 

"[fol. 4r] Eure Excellenz [Freiherr von Braun]

Bevor ich mir erlaube, die Angelegenheiten der mir anvertrauten kk Familien- und Privatbibliothek in einer diesem Zweck gewidmeten eingehenden Denkschrift[1] zu Euer Excellenz Kenntnis zu bringen, drängt es mich im Interesse meines Dienstes auf einen besonderen Umstand aufmerksam zu machen, der die Entwicklung und Erweiterung der unter meiner Leitung stehenden Bibliotheken, zunächst der Privatbibliothek Seiner Majestät des Kaisers auf das empfindlichste berührt, und in dieser Richtung um Abhülfe zu bitten, welche in der für mich zur Pflicht gewordenen Wahrung des kaiserlichen Privateigenthums begründet erscheint und nach meiner Ansicht ohne Schädigung irgend eines andern Institutes gewährt werden kann.

Nach der Stellung der hierberührten Bibliotheken muß ich vorerst zwei Umstände in Anregung bringen, die hier maßgebend ins Gewicht fallen und nach dem, was man über die Privatbibliothek Seiner Majestät des Kaisers ergehen ließ zu schließen, allerhöchsten Ortes nicht bekannt sein dürften.

1. Die Privatbibliothek Seiner Majestät des Kaisers, in welche nach der natürlichen Voraussetzung die neuesten Erscheinungen der Literatur, namentlich der österreichischen einlaufen, bildet für den Bibliothekar den Leitfaden und die Richtschnur beim Bücherankauf für die Familienfideicommissbibliothek. Nicht nur die ihm gebotene Sparsamkeit, sondern auch die bibliothekarische Umsicht weiset ihn darauf hin, mit dem Ankauf eines Buches zuzuwarten, wenn er die Wahrscheinlichkeit für sich hat, dass dieses Buch im Wege der Widmung des Verfassers und der Annahme Seiner Majestät in die Bibliothek gelangen werde.

2. Die Familienfideicommissbibliothek, die ursprünglich aus der kaiserlichen Privatbibliothek hervorgieng und, wenn man ihr überhaupt eine zeitgemäße Fortentwicklung gestatten will, diese zum größten Theil wieder nur durch die allerhöchste Privatbibliothek finden kann, ist nach Ihrer Stellung und den Bedingungen ihrer Gründung insbesondere zur Sammlung und Pflege solcher literarischer Erscheinungen berufen und auf sie angewiesen, die von österreichischen Staatsbürgern oder von der Wissenschaft innerhalb der österreichischen Monarchie veröffentlicht werden und nach dem Gegenstande, den sie behandeln entweder specifisch österreichisches oder mit den Verhältnissen dieser Monarchie in nächster Beziehung stehendes behandeln.

In der That hat die kk Familien-Fideicommissbibliothek seit ihrer Gründung und zwar – wie ich mich aus den Acten überzeugt habe nach ausdrücklicher Weisung Seiner Majestät des hochseligen Kaisers Franz – auf die Sammlung von Austriacis besondern Wert gelegt und wurde darin von Ihrem erhabenen Stifter, indem allerhöchstderselbe jedes an Seine Person als Geschenk gelangte und von allerhöchst Ihm angenommene literarische Werk an die Bibliothek gelangen ließ, auf das Kräftigste unterstützt.

In gleicher Weise flossen der Bibliothek nach dem Tode Seiner Majestät des Kaisers Franz die an Seine Majestät den Kaiser Ferdinand gelangten und von allerhöchst ihm angenommenen Geschenksexemplare lite[fol. 4v]rarischer Werke im Wege des kk Oberstkämmereramtes ununterbrochen bis zu dem Augenblicke zu, wo nach Übersiedelung Seiner Majestät nach Prag alle von allerhöchst Ihm gespendeten Bücher aus der Wiener Bibliothek ausgeschieden und nach Prag abgeführt wurden. Mit dem Regierungsantritte Seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers aber trat mit einemmal ein völliger Umschwung in dieser Richtung zum Nachtheil der Privatbibliothek Seiner Majestät des Kaisers ein, dessen Wirkung ich nicht anschaulicher bezeichnen zu können glaube, als wenn ich bemerke, dass die Privatbibliothek Seiner Majestät vom Jahre 1849 bis heute, also in einem Zeitraum von 21 Jahren nicht mehr als 703 Nummern Einläufe im Ganzen empfangen hat und dass unter diesen Einläufen kaum ein Siebentel[2] literarische Werke von irgend einem wissenschaftlichen Wert repräsentieren.

Durch welche Umstände eine so empfindliche der Fortentwicklung der Bibliothek geradezu lethale Entziehung ihrer reichsten Nahrung herbeigeführt haben, und warum mein unmittelbarer Vorgänger[3] nicht jedes ihm zu Gebote stehende Mittel anwandte, um den ihm drohenden Verfall von der Bibliothek abzuwenden, das könnte ich auch den mir zugänglichen Acten nicht entnehmen. Wol [sic] aber wurde mir von den Beamten der Bibliothek mitgetheilt, dass im Jahre 1849 an die kk Hofbibliothek ein Rescript des kk Obersthofmeisteramtes erflossen sei, wonach – auf Grund einer allerhöchsten Entschließung – […] alle neuen Werke, welche im Wege des kk Oberstkämmereramtes an Seine Majestät gelangen und von Seiner Majestät angenommen werden, für die Zukunft der kk Hofbibliothek einverleibt werden sollen, und von diesem Augenblick die kaiserliche Privatbibliothek bis auf den heutigen Tag von wissenschaftlichen Novitäten, die von Seiner Majestät angenommen wurden, nur jenen geringen Theil erhalten habe, der nicht durch das kk Oberstkämmereramt, sondern im Wege des kk geheimen Cabinetes zur Vorlage und Erledigung gelangte. Welche Gründe das kk Obersthofmeisteramt bei dem Antrage einer solchen Maßregel allerhöchsten Ortes geleitet haben mögen, ist mir nicht bekannt, da die Bibliothek seiner Zeit weder um ein Gutachten in dieser Angelegenheit befragt, noch bis auf den heutigen Tag von der allerhöchsten Entschließung selbst offiziell in Kenntnis gesetzt wurde. Allein außer allem Zweifel steht, dass damit das unanfechtbare Privatei[fol. 5r]genthum Seiner Majestät einer Anstalt, die für diesen Zweck gegründet ist und insbesondere auf die kaiserlichen Geschenke ihre bibliothekarische Thätigkeit zu stützen hat, entzogen, und einer andern Anstalt, die einer solchen Bereicherung weder bedarf noch sie benützen kann, zugewendet wurde. Denn die kk Hofbibliothek erhält einerseits von allen literarischen Werken, die in Österreich erscheinen, Pflichtexemplare und kann andererseits kein einziges von den Kaiserlichen Geschenken dem Publicum zur Benützung in die Hand geben, da der meist kostbare Einband dies verbietet.

Gestatten mir Eure Excellenz in einem vor mir liegenden Beispiele den materiellen Nachtheil zu zeigen, der durch den Entgang so vieler und wertvoller Austriaca der unter meiner Leitung stehnenden Bibliothek zugefügt wurde. So wie andere Austriaca von wissenschaftlichem Wert, wurden vom Jahre 1849 an dem bezeichneten allerhöchsten Befehl gemäß auch alle Publicationen der kaiserlichen Academie der Wissenschaften, die Seiner Majestät je nach dem Erscheinen in reichem Einbande mit der Widmung für allerhöchst seine Person überreichen waren, nicht an die Privatbibliothek, sondern an die Hofbibliothek abgegeben, wo sie, da an dieselbe Hofbibliothek von jeder Publication der Academie Pflichtexemplare gelangen, unbenützt den Raum verstellen, während die Kaiserliche Privatbibliothek, für welche jedes der Exemplare nach der Intention des Gebers bestimmt war, einer der wichtigsten Fundgruben für Österreichs Geschichte und wissenschaftliche Entwicklung entbehrt und mein Vorgänger an der Familienbibliothek seiner Zeit, um die größten Lücken in der österreichischen Literatur wenigstens nothdürftig auszufüllen, sich bemüßigt sah, einzelne dieser Academieschriften, wie z.B. die Reise der Novara u.a. um theures Geld vom Buchhändler zu kaufen. Der Abgang der vollständigen Suite wird um so empfindlicher, als die Schriften den Münchner, Berliner und [fol. 5v] theilweise auch der Petersburger Academie in der Bibliothek vertreten sind, und unter den Schriften der Wiener Academie – sowol [sic] in der historischen als in der naturhistorischen Section – vieles als Hilfsmittel beim Unterricht Ihrer kaiserlichen Hoheiten der kaiserlichen Kinder trefflich benützt werden könnte.

Endlich drängt sich mir bei diesem Anlasse noch ein ganz besonderes Bedenken auf, welches in der bevorstehenden Fortbildung der constitutionellen Staatsform seinen Grund hat. Dass die Seiner Majestät überrichten und von allerhöchst Ihm angenommenen Bücher und literarischen Werke Seiner Majestät Privateigenthum seien, über welche von Allerhöchst Ihm nach Gutdünken verfügt werden kann, bedarf keines Erweises. Allein ob diese Bücher und literarischen Werke, wenn sie an die Hofbibliothek anstatt an die Privatbibliothek abgegeben werden, für die Zukunft auch noch kaiserliches Privateigenthum bleiben, dass scheint mir bei aus dem constitutionellen Princip fließenden Neigung der Reichsvertretung die Hofsammlungen als Staatsinstitute zu erklären, mehr als zweifelhaft. Um so entschiedener tritt an diejenigen, welche das Privateigenthum Seiner Majestät zu wahren haben, die Pflicht heran, einer Gefährdung desselben mit allem ihnen möglichen Nachdruck entgegenzutreten.

Nach dem hier Dargelegten dürfte der Standpunct, den ich als Vorstand der Privatbibliothek Seiner Majestät des Kaisers in dieser Angelegenheit vertrete, in Eurer [fol. 6r] Excellenz Augen der Rechtfertigung nicht entbehren.

Wenn die Verfügung, welche der kaiserlichen Privatbibliothek seit dem Jahre 1849 alle im Wege der Oberstkämmereramtes an Seine Majestät gelangten und von Allerhöchst demselben angenommenen Bücher entzog, um sie der kk Hofbibliothek zuzuwenden – wenn diese Verfügung, sage ich, wirklich auf eine allerhöchste Entscheidung gegründet ist, so muß ich annehmen, dass entweder Seiner Majestät damit allerhöchst Ihren Willen kundgegeben haben, die Fortentwicklung und Erweiterung der Familienbibliothek in der Weise, wie es bis zu jenem Zeitpunct geschah, für die Zukunft nicht zu gestatten, oder dass der allerunterthänigste Vortrag, auf welchen jene allerhöchste Entschließung erfloss, Beweggründe von überzeugenderer Kraft geltend gemacht habe, als die von mir bezeichneten Verhältnisse sowohl der Privat- als der Hofbibliothek und die Bedeutung des kaiserlichen Privateigenthums, wie ich sie auffasse.

In beiden Fällen entfällt für mich jeder weitere Schritt in dieser Angelegenheit.

Es ist aber auch möglich, dass gerade in diesem Falle im Jahre 1849 Erwägungen Platz griffen, die heut ihre Bedeutung verloren haben, dass Gründe ins Feld geführt wurden, die unbeschadet der treuen Sorgfalt für das allerhöchste Interesse, von der sie eingegeben waren, ihre überzeugende Kraft verloren hätten, wenn man sie an den oben geschilderten thatsächlichen Verhältnissen hätte abmessen können.

In diesem Falle ist es ein Interesse der mir anvertrauten Sammlungen meine Pflicht, den hier berührten Gegenstand Eurer Excellenz Aufmerksamkeit auf das dringendste zu empfehlen und die ergebenste Bitte zu stellen Eure Excellenz mögen sich bewogen finden, bei Seiner Majestät unserem allergnädigsten Kaiser und Herrn die Rückgabe aller jener literarischen Werke zu bevorworten [sic], welche seit dem Jahre 1849 anstatt an die Privatbibliothek Seiner Majestät, der sie als Privateigenthum des Kaisers gebürten, an die kk Hofbibliothek abgegeben wurden.

Gestatten Eure Excellenz den Ausdruck der aufrichtigsten Verehrung, womit ich zeichne

Eure Excellenz

31. März 1870

ergebenster Diener

Moritz Alois von Becker"

 

[1] Gemeint ist sein Arbeitsprogramm

[2] Verbessert aus „Fünftel“.

[3] Leopold Joseph von Khloyber