Der vorliegende Band ist die erste selbständige Publikation über den enigmatischen Außenseiter Werner Kofler, der in seiner
35jährigen literarischen Karriere 18 Bücher veröffentlicht, 19 Hörspiele geschrieben und mindestens zwanzig Literaturpreise
und Stipendien erhalten hat. »Vielen gilt er, seit Thomas Bernhard tot ist, als der wortgewaltigste Prosaist Österreichs und
als schärfster und untergriffigster Satiriker des Landes« (S. 7), schreibt Klaus Amann, der Herausgeber des Bandes, in seinem
Einführungsaufsatz »Zeichen und Bedeutungen«. Kaum ein anderer österreichischer Autor erzeugt solch extreme Reaktionen wie
Kofler, der »als schroff, abweisend und kompromißlos« (ebd.) gilt. Die 15 Aufsätze des Bandes bieten nicht nur Interpretationen
und Motivanalysen des Œuvres oder einzelner Werke; die Beiträger versuchen auch, den historischen Kontext der Texte zu verstehen,
und werfen Fragen über Koflers Einstellung zu seiner eigenen Literatur auf. Den komplizierten und widersprüchlichen Autor
nennt Amann einen »Außenseiter des Literaturbetriebes« (S. 9) – wegen seiner Verachtung des literarischen Markts, der Kritiker
und des Establishments, eine Stellung, die Kofler trotz seiner zahlreichen Auszeichnungen mit Ironie, beißendem Sarkasmus
und schwarzem Humor verteidigt. Obwohl ihn die Kritik seit seinem Eintreten in die literarische Öffentlichkeit beachtet, werden
Koflers Texte in relativ kleinen Auflagen publiziert. Eine pointierte Frage, die Amann stellt, und die die anderen Aufsätze
beantworten helfen, ist: »Wo sind mehr Kofler-Leser zu finden, in Österreich oder Deutschland?« Diese Frage bezieht sich auf
das immer wichtiger werdende Thema der Identität der deutschsprachigen Literatur: Ist Kofler ein typisch österreichisches
Phänomen?
Der Band enthält Aufsätze von den drei Schriftstellerkollegen Gert Jonke (der in der Liste der Autorinnen und Autoren fehlt),
Antonio Fian und Gustav Ernst, die durch ihren persönlichen Kontakt zu Kofler zu zeigen versuchen, wie dessen Literatur seine
Persönlichkeit und sein ästhetisch-literarisches Programm widerspiegelt. Jonke deutet an, in welcher Weise Kofler häufig mißverstanden
wird: »Was wir wollten, war und ist eigentlich nichts anderes, als ein paar literarische Kunstwerke zu verfertigen, die nichts
anderes bewirken sollten, als daß uns diese Welt und ihr Kosmos, in dem sie sich befindet, ein wenig verständlicher werden
könnte« (S. 25). Kofler schreibe weder um der literarischen Karriere willen, noch in der Hoffnung, die Welt zu verbessern,
sondern weil er von der Welt fasziniert sei. In seinem humorvollen, teils anekdotischen Aufsatz schildert Fian, wie er Co-Autor
von vier Hörspielen des streitsüchtigen Schriftstellers geworden ist und wie Koflers »Dekonstruktionspädagogik« (S. 30) zu
seiner literarischen Entwicklung wesentlich beigetragen hat. Gustav Ernst schließlich verfolgt Koflers Bereitschaft, mit seinen
Texten das zu sagen, was nicht gesagt werden sollte, oder das, was die Menschen nicht hören wollen. Wie Jonke und Fian betont
auch Ernst das Thema der Dekonstruktion bei Kofler: »Kunst muß die Wirklichkeit zerstören statt sich zu unterwerfen«, wie
Kofler selber sagt. »Koflers Texte sind einzige Offensive und daher optimistisch« (S. 40). Koflers satirische Texte über Kollegen
und seine Schläge unter die Gürtellinie lassen sich weder als Produkte des Hasses noch des Neids erfassen. Gustav Ernst erwähnt
einige Auseinandersetzungen, die Kofler mit anderen Autoren hatte, und argumentiert, Koflers Lust am Ehrabschneiden und seine
Literatur seien Versuche, das Äußerliche zu entfernen und das Innere, das Bewußtsein, bloßzustellen, gleichgültig wie schmerzhaft
oder peinlich das sein mag.
Zu den weiteren, methodisch unterschiedlich gearbeiteten Aufsätzen des Bandes: Der exzellente Beitrag von Franz Haas über
den »stilistisch brillantesten Österreicher« (S. 47) liefert eine rezeptionsgeschichtliche Analyse zu Koflers Werken und versucht
dabei, »ein Register der kryptischen Manieren des Autors zu erstellen« (S. 48). Daß Kofler in Deutschland fast unbekannt ist,
liegt Haas’ Ansicht nach »an der Witzlosigkeit der deutschen Literaturkritik, an deren Ignoranz und Gehörlosigkeit« (S. 47).
Das Thema der Identitätsstiftung der Literatur führt Markus Bacher in seinem Beitrag über Koflers Frühwerk fort. Er argumentiert,
daß Kofler schon in seinem Frühwerk bewußt seine eigene Sprache entwickelt hat, um seine (literarische) Identität zu formen
und aufrechtzuerhalten. Nach Ingram Hartingers Analyse von »Ida H.«, Koflers »Krankengeschichte« von 1978, geht Gisela Steinlechner
den ästhetischen Qualitäten des Wahnsinnigen und der Verrücktheit bei Kofler nach. Sie analysiert den psychopathologischen
Diskurs bei Kofler, um die semiotischen, ästhetischen und (sozial-)kritischen Effekte seiner »verrückte[n] Rede« (S. 105)
festzustellen. In seiner anregenden Untersuchung des Bergtopos plaziert Wolfgang Straub Kofler in den historischen Kontext
der Entwicklung dieses Themas in der österreichischen Literatur. Er konstatiert: »Kofler liefert das Bild des naturverbundenen,
bodenständigen und naiv-gläubigen Gebirglers nur, um es im Anschluß sogleich zerstören zu können« (S. 119), und vergleicht
Koflers Darstellung und Auffassung der Berge mit der nazistischen Politisierung des Alpinen. Annegret Pelz sieht bei Kofler
eine andere Wirklichkeit, die zerstört wird: der Schreibort. Koflers Texte sind reflexiv, in ihnen bilden Tischszenarien,
der Ort also, wo geschrieben wird, »den Grund, über den das gesamte Personen- und Geschichteninventar bewegt wird« (S. 137).
Laut Klaus Kastberger ist Kofler, dessen Ironie mit Karl Kraus zu vergleichen sei, ein »gefährlicher Autor«, weil »niemand
vor seinem Hohn und Spott gefeit ist« (S. 144). Rhetorisch zerstöre Kofler Kulturstätten, dekonstruiere Normen und verachte
die Gegenwart. Seine Literatur, in der er Sehen und Nicht-Sehen, Realität und Fiktion und Wahrheit und Lüge paart, bringe
neue Perspektiven: »Das Alltägliche und das Gegenwärtige sind in die Fremde gerückt und bedürfen neuer Interpretationen« (S.
145). Und genau wegen der und sogar gegen die neuen Interpretationen gibt es Widerstand, der oft bei Kofler zu Mißverständnissen,
aber auch zu Gerichtsprozessen führt. Anhand dieser Verfahren diskutiert Kastberger Koflers Poetik des Schurkenstreichs. Bernard
Banoun bespricht in seinem Beitrag Koflers Spiel mit den Lesererwartungen. Koflers Erzähler verunsichern den Leser, der vergebens
nach dem Absolutem oder einer Wahrheit sucht. Die Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen Kofler und Thomas Bernhard sind nicht
zu übersehen, doch der generellen Annahme, wonach Kofler Bernhard imitiere, widerspricht Wendelin Schmidt-Dengler. Über Koflers
Stil und Bau von Textszenen vermerkt er, daß dies »vielmehr eine ganz bewußte Parodie, oder um Gérard Genettes Bezeichnung
›Hypertext‹ aufzunehmen, eine Möglichkeit, sich diesen Mustern auszusetzen« (S. 180), sei. Schmidt-Dengler analysiert die
Erzählperspektive bei Kofler, um zu zeigen, daß Parodie das Gegenteil von Imitation ist: »Die einzelnen Teile verweisen zwar
auf einen anderen Text, mit größerer oder geringerer Deutlichkeit, sie erzeugen aber, sei es durch den Kontext, sei es durch
kleine Eingriffe, ein durchaus neues Gebilde« (S. 182). Die letzten zwei Aufsätze des Bandes handeln von Koflers Filmen und
Hörspielen. Arno Rußegger untersucht ästhetische Unterschiede zwischen Koflers Filmen und literarischen Werken, und wie sich
aus dem Medium des Films neue Möglichkeiten für Selbstreflexion und Selbstdistanzierung ergeben. Nach Götz Fritsch ist Kofler
ein Meister des Hörspiels, der verstanden hat, daß ein Hörspiel im »Zusammenspiel von literarischer Vorlage, Regie, Darstellern,
eventuell Musik, Geräusche, Technik entsteht« (S. 209). Da ein Hörspiel Teamwork ist, diskutiert Fritsch Koflers Rolle bei
der Produktion eines Hörspiels, die Gefahr eines Konflikts zwischen Autor und Produktion und die Entstehung eines Gesamtkunstwerks.
Der Band enthält zudem zwei bisher unveröffentlichte Gedichte Koflers, »In Grein Sein« und »Kleiner Grenzverkehr«, beide von
1969, das Radiointerview »Auskunft« von 1997, Notate und zahlreiche Abbildungen von Manuskriptseiten, Briefen und persönlichen
Bildern, die Einblick in Koflers Leben gewähren.
Gregory H. Wolf
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