Zum Beispiel Österreich: »1991 [hätten] fast ein Drittel der Österreicher Juden lieber nicht als Nachbarn gehabt, immerhin
noch 14% nahmen an, daß jene durch ihr Verhalten Feindseligkeit herausforderten«.[1]
Zwei Nachschlagewerke – zur »deutsch-jüdischen Literatur« und zur »österreichischen Exilliteratur« – stehen hier zum naheliegenden
Vergleich, beide von Verdienst und, bei allen Einschränkungen im Detail, von einigem bis hohem Gebrauchswert. Denn fast unüberschaubar
ist mittlerweile das Feld der jeweiligen Spezialforschungen, relativ mühsam deshalb der Zugriff auf kompakte und dem neuesten
Wissensstand entsprechende Information (die ältere Standardwerke wie das »Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration
nach 1933« [Tl. I–III. München u. a.: Saur 1980–1983] nur noch teilweise zu leisten vermögen).
Die Gewichtungen beider Lexika sind bei allen Berührungspunkten freilich recht unterschiedlich: Geht es – gemäß den Aussagen
auf dem jeweiligen Schutzumschlag – einerseits um eine rund 700 Grundeinträge enthaltende »umfassende Dokumentation der österreichischen
Exilliteratur« (im folgenden als LÖE sigliert), so andererseits darum, »in 270 Porträts, von Moses Mendelssohn bis Edgar Hilsenrath,
von Heinrich Herz bis Ruth Klüger, [...] jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis in die jüngste
Gegenwart vor[zustellen]« und dabei das »Augenmerk« der »jeweiligen Standortbestimmung des eigenen Schreibens im Raum der
deutsch-jüdischen Literatur und Kultur« zu widmen (Metzler Lexikon = ML). Die Schnittmenge beidseitig verzeichneter Personen
ist dabei auf über 85 zu beziffern, darunter:
Hans G. Adler (1910–1988), Paul Adler (1878–1946), Jean Améry (1912–1978), Günther Anders (1902–1992), Rose Ausländer (1901–1988),
Alfredo Bauer (geb. 1924), Oskar Baum (1883–1941), Richard Beer-Hofmann (1866–1945), Mosche Ya'akov Ben-Gavriél (1891–1965),
Elazar Benyoëtz (geb. 1937), Uriel Birnbaum (1894–1956), Klara Blum (1904–1971), Hermann J. Blumenthal (1880–1942?), Hermann
Broch (1886–1951), Max Brod (1884–1968), Ferdinand Bruckner (1891–1958), Martin Buber (1878–1965), Elias Canetti (1905–1994),
Paul Celan (1920–1970), Albert Drach (1902–1995), Albert Ehrenstein (1886–1950), Erich Fried (1921–1988), Egon Friedell (1878–1938),
Efraim Frisch (1873–1942), Rudolf Fuchs (1890–1942), Alfred Gong (1920–1981), Hermann Grab (1903–1949), Willy Haas (1891–1973),
Hans Habe (1911–1977), Hermann Hakel (1911–1987), Mela Hartwig (1893–1967), Camill Hoffmann (1878–1944), Arthur Holitscher
(1869–1941), Heinrich E. Jacob (1889–1967), Oskar Jellinek (1886–1949), Henry W. Katz (1906–1992), Leo Katz (1892–1954), Gina
Kaus (1893–1985), Egon E. Kisch (1885–1948), Alfred Kittner (1906–1991), Ruth Klüger (geb. 1931), Arthur Koestler (1905–1983),
Paul Kornfeld (1889–1942), Theodor Kramer (1897–1958), Anna Krommer (geb. 1924), Simon Kronberg (1891–1947), Anton Kuh (1890–1941),
Herbert Kuhner (geb. 1935), Jakov Lind (geb. 1927), Fritz Löhner (1883–1942), Alfred Margul-Sperber (1898–1967), Selma Meerbaum-Eisinger
(1924–1942), Jakob Levy Moreno (1889–1974 [in ML, S. 433, versehentlich als Jakob Moreno Levy angesetzt]), Soma Morgenstern
(1890–1976 [in LÖE, S. 489, irrtümlicherweise mit dem Todesjahr 1977]), Hans Natonek (1892–1963), Robert Neumann (1897–1975),
Leo Perutz (1882–1957), Otto Pick (1887–1940), Alfred Polgar (1873–1955 [in ML, S. 471, irrtümlicherweise mit dem Todesjahr
1954]), Stefan Pollatschek (1890–1942), Alexander Roda-Roda (1872–1945), Moses Rosenkranz (geb. 1904), Stella Rotenberg (geb.
1916), Joseph Roth (1894–1939 [in LÖE, S. 554, irrtümlicherweise mit dem Geburtsjahr 1884]),[2] Tuvia Rübner (geb. 1924), Felix Salten (1869–1945), Alice Schwarz-Gardos (geb. 1916), Walter Serner (1889–1942?), Ernst Sommer
(1888–1955 [in LÖE, S. 592, irrtümlicherweise mit dem Geburtsjahr 1889]), Abraham Sonne (1883–1950), Hugo Sonnenschein (1889–1953),
Jura Soyfer (1912–1939), Manès Sperber (1905–1984), Hilde Spiel (1911–1990), Franz Baermann Steiner (1909–1952), George Tabori
(geb. 1914), Friedrich Torberg (1908–1979), Berthold Viertel (1885–1953), Ernst Waldinger (1896–1970), Fred Wander (geb. 1917),
Ernst Weiss (1882–1940), Immanuel J. Weißglas (1920–1979), Franz Werfel (1890–1945), Ludwig Winder (1889–1946), Victor Wittner
(1896–1949), Carl Zuckmayer (1896–1977), Max Zweig (1892–1992), Stefan Zweig (1881–1942).
Berührt diese trockene Auflistung zum einen den Aspekt der ›Standortbestimmung Österreich‹ (von dem noch die Rede sein wird),
so deutet sie zum anderen schlagartig die Heterogenität der durch die genannten AutorInnen vertretenen ›Literaturen‹ an, wie
sie auch das in beiden Publikationen angestrebte Ziel verdeutlicht, nicht nur die ›großen Namen‹ zu berücksichtigen. Angesichts
der bisherigen – (wissenschafts- und ideologie-)geschichtlich bedingt – unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Phänomens
»deutsch-jüdischer Literatur« (was auch für die Exilliteratur gilt) weist der Herausgeber des Metzler-Lexikons, Andreas B.
Kilcher, zurecht darauf hin, »daß Bekanntheit ein Maß für ›Bedeutung‹ nicht sein kann« (ML, S. XX).
Trotz ihres Trachtens nach einer breit gestreuten Dokumentation sind die Herausgeber[3] beider Projekte professionell, oder sagen wir besser, erfahren genug, den Anspruch auf Vollständigkeit zurückzuweisen und
ihre Konzepte als möglichst ›offene‹ darzustellen. Sie tun dies mit weitgehend guten (pragmatischen) Argumenten, wobei diesbezüglich
zunächst einmal einige Fragen an LÖE gestellt werden sollen: Wenn in der Einleitung konstatiert wird, daß im Fall Österreichs
annähernd 1.200 »Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die vor oder während der Periode der NS-Herrschaft verfolgt, aus
ihrer Heimat vertrieben, in Konzentrationslagern ermordet wurden«, tangiert sind (LÖE, S. 10), welche Namen verbergen sich
bei ca. 700 Einträgen dann in der Differenzsumme, die immerhin 500 Personen betrifft? Die von Siglinde Bolbecher und Konstantin
Kaiser angegebenen Kriterien der Aufnahme (»Die Literatur des Widerstands und die Literatur des Exils werden als eine geistige
Einheit verstanden, die politisch durch die gemeinsame Ablehnung von Faschismus und Nationalsozialismus hergestellt ist«;
LÖE, S. 7f.) und der ›Ausgrenzung‹ (z. B. die Nichtaufnahme von Journalisten im engeren Sinn und »AutorInnen, die ausschließlich
für den Film arbeiteten«; LÖE, S. 9) sind zwar relativ transparent, geben auf die obige Frage jedoch keine zufriedenstellende
Antwort. Daß ein Paul Rosenberg – ein zunächst nach England, dann in die USA emigrierter »Wiener Schriftsteller. – Ernste
Sorte«, wie ihn der junge Erich Fried erwähnt, – fehlt, mag sich noch nachvollziehen lassen,[4] viel weniger dagegen die Nichtberücksichtigung von Francisco Tanzer (geb. 1921 in Wien, Emigration 1938, heute in Düsseldorf
lebend). Denn nicht nur wurde dessen »Journal« über seine frühen Jahre in den Reihen der Alliierten (US-Army) von keinem Geringerem
als Eugen Kogon 1947 herausgegeben[5] und wurden jüngere Tanzer-Texte durch zahlreiche namhafte internationale Komponisten zur musikalischen Bearbeitung herangezogen,
Tanzer war auch später gewissermaßen – wenn auch nur peripher – im österreichischen Literaturbetrieb präsent, was zumindest
die Veröffentlichung seiner Erzählung »Agnus Dei« in »Literatur und Kritik« (H. 123, 1978) und eine Besprechung von Theodor
Sapper in derselben Zeitschrift belegen (H. 130, 1979).[6]
Und wenn schon Fritz Grünbaum (1880–1941) und Georg Kreisler (geb. 1922) in LÖE Aufnahme fanden, warum nicht ebenfalls Hermann
Weinberger, als Kabarettist unter dem Pseudonym Armin Berg (1883–1956) bekannt? Wissenschaftliche und mediale Aufmerksamkeit
hat in den letzten Jahren der Shangai-Exilant Alfred W. Kneucker (1904–1960) erfahren,[7] er fehlt in LÖE ebenso wie der ›Feuilleton-Schriftsteller‹ Hugo Wolf (1888 [Wiener Neustadt]–1946 [New York]). Und gibt es
aus Wiener Perspektive – etwa im Vergleich zu Franz C. Weiskopf (1900–1955; vgl. LÖE, S. 677f.) – eigentlich nichts zu dem
(wie Ernst Sommer, vgl. LÖE, S. 592) aus Altösterreich, Iglau / Mähren, stammenden, später in der Deutschen Demokratischen
Republik (DDR) ansässigen Louis Fürnberg (1909–1957) anzumerken? Nimmt man zusätzlich etwa das »Jüdische Lesebuch 1933–1938«[8] zur Hand, so finden sich dort Beiträge von den als »Schriftsteller« ausgewiesenen Georg Langer (1894 [Prag]–1943 [Tel Aviv]),
Hans Lichtwitz (später Uri Naor; geb. 1906 in Saaz / Böhmen) und Felix Weltsch (1884 [Prag]–1964 [Jerusalem]). Diese Namen
schlägt man in LÖE vergeblich nach – im Fall Uri Naors verständlich, da dieser vornehmlich als Journalist, Verbandsfunktionär
und Diplomat gearbeitet hat, weniger jedoch bei dem Autor (unter anderem Lyriker) und Übersetzer Georg Langer, überlegenswert
immerhin bei Felix Weltsch, der neben (religions-)philosophischen und literaturbezogenen Schriften (z. B. zu seinem Freund
Kafka) 1929 auch einen Bericht über eine Palästina-Reise mit Max Brod vorgelegt hat (vom ›schriftstellerischen‹ Status her
in etwa auf einer Ebene mit dem Germanisten Harry Zohn [1923–2001, LÖE, S. 171]; vgl. dagegen den Artikel über den in LÖE
problematisch ›überrepräsentierten‹, sozialdemokratischen »Publizist[en]« Julius Deutsch [1884–1968], S. 151–153. Die Frage,
wer oder was ein ›literarischer Schriftsteller‹ ist, stellt sich am Rand übrigens auch bei ML [vgl. [Anm. 13]]).
Dem gegenüber überrascht LÖE in Einzelfällen durch die »exemplarische« Beachtung von Schriftstellern, die man nicht unbedingt
in einem ›Exillexikon‹ erwartet, gemeint sind jene der sogenannten »Inneren Emigration«. Im Fall des mit Schreibverbot belegten
»Plan«-Gründers Otto Basil (1901–1983) mag dies seine Berechtigung haben, wohingegen die ›Causa‹ Alexander Lernet-Holenia
(1897–1976) – in Entsprechung der Herausgeber-Absicht – tatsächlich ›zur Diskussion gestellt‹ werden sollte (vgl. LÖE, S.
8). Aufgrund des vom Oberkommando der Wehrmacht erwirkten Auslieferungsverbots des Romans »Mars im Widder« (1941) und Lernet-Holenias
»legitimistischer Gesinnung« konstatiert der entsprechende Lexikon-Eintrag, »wird A. L[ernet]-H[olenia] der ›Inneren Emigration‹
zugerechnet« (LÖE, S. 438). Zwar verschweigt der Artikel nicht, daß der Schriftsteller als Chefdramaturg der Berliner Heeresfilmstelle
»›unabkömmlich‹ gestellt« wurde, aber das läßt sich auch anders gewichten. Faktum ist, daß Lernet-Holenia – zwischenzeitlich
hinter selbsterklärten NS-Mitläufern wie Richard Billinger und Mirko Jelusich einer der literarischen Spitzenverdiener des
›angeschlossenen‹ Österreichs – vom »Totalen Kriegseinsatz der Kulturschaffenden« von 1944 verschont blieb. Dieses ›Privileg‹
genoß er – also lange nach dem »Mars im Widder«-Verbot – als Nicht-NSDAP-Mitglied mit nur ganz wenigen anderen ›deutschen‹
Schriftstellern. Warum? Auf jeden Fall sollte dieser Sachverhalt einmal genauer untersucht und nicht in Form einer lakonischen
Tatsachenbehauptung weitergegeben werden. Auch die – wenn man so sagen will – ›politische Blauäugigkeit‹, die der Autor etwa
in seinem Roman »Ein Traum in Rot« (1939) gegenüber dem Treiben Hitlers zur Schau stellt, ist zum Teil hanebüchen, von einem
(selbst-)bewußten antinazistischen Denken jedenfalls meilenweit entfernt. Daß diesbezügliche Informationen im Lernet-Holenia-Eintrag
fehlen, verweist allerdings auch auf die generelle Ausrichtung des Deuticke-Bands, der, streng genommen, nämlich kein »Lexikon
der österreichischen Exiliteratur« ist, sondern vielmehr als ›Handbuch zu österreichischen Exil- und Widerstands-AutorInnen‹
zu bezeichnen wäre. Zwar ist jedem Eintrag ein repräsentatives (manchmal auch fragwürdiges) Werkverzeichnis (s. u.) nachgestellt,
über die inhaltlichen und ästhetischen Schwerpunktsetzungen dieser Werke erfährt man in der Regel jedoch recht wenig. Eindeutig
wird LÖE vom fakto-biographischen Ansatz dominiert.
Die Aufnahme von Lernet-Holenia muß aber auch zu einer weiteren Diskussion führen, nämlich darüber, warum LÖE bei seiner ›offenen‹
und – zurecht – weit über das Jahr 1945 hinausreichenden Konzeption eine Autorin wie Ilse Aichinger unberücksichtigt läßt.
Daß die 1921 in Wien geborene, also in etwa mit Erich Fried oder Arthur West (1922–2000) gleichaltrige Aichinger erst nach
dem Krieg literarisch hervortrat, dürfte kein Grund für ihr Fehlen sein. Denn immerhin informiert LÖE ja auch über den erst
kurz vor seinem Tod in die literarische Öffentlichkeit vorgedrungenen USA-Exilanten Adolf Placzek (1913–2000). »Ablehnung
von Faschismus und Nationalsozialismus« (s. o.) sind dem Werk Aichingers geradezu eingeschrieben, wovon bereits ihr vielbeachteter
Romanerstling »Die größere Hoffnung« (1948) Zeugnis ablegt, bekanntlich eines der wichtigsten Bücher der österreichischen
Nachkriegsliteratur. Auch daß Aichinger nicht im Exil war, was für die LÖE-Herausgeber zudem ja kein Ausschließungsgrund ist,
kann ihr Fehlen nicht rechtfertigen. Vor dem Hintergrund der Stichwörter »Verfolgung« und »Repressalien« durch die Nationalsozialisten
entspricht die Biographie der Familie Aichinger– und somit auch die der Ilse Aichinger – unzweifelhaft den in der LÖE-Einleitung
explizierten Aufnahmekriterien (vgl. erneut LÖE, S. 7f.), liest diese sich doch in dem von Kilcher besorgten Lexikon so: »Helga
A[ichinger; die Zwillingsschwester Ilses, Anm. des Verf.] konnte [...] im Sommer 1939 nach England emigrieren. [Die] Mutter
war nach den Nürnberger Gesetzen so lange vor der Verfolgung geschützt, bis die ›halbjüdische‹ Ilse erwachsen war. Mutter
und Tochter waren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dienstverpflichtet. Die Angehörigen der Mutter sind in Vernichtungslagern
ermordet worden« (Nicole Rosenberger; ML, S. 7).
Man sollte dieses Schicksal der Familie Aichinger einmal mit einem anderen familiären Umfeld konfrontieren, nämlich dem des
in LÖE (S. 620f.) vertretenen »Inneren Emigranten« und sogenannten (»kritischen«) ›Heimatdichters‹ Wilhelm Szabo (1901–1986),
dessen Mutter Agnes Szabo, begeisterte Anhängerin des NS-Regimes, 1939 einen flammenden Text für eine »Hitler-Hymne« verfaßte.
Und wenn Szabo auch ab 1937 mit Valerie Lorenz (1916–1996, ihrerseits jüdischer Herkunft; vgl. LÖE, S. 456f.) verheiratet
war und de facto von den Nazis drangsaliert wurde, so besteht parallel dazu die Tatsache, daß er sich dazu hinreißen ließ
– aus welchem Anlaß auch immer (vielleicht als kleiner Tribut gegenüber seinem ihn protegierenden NSDAP-Kreisleiter Anton
Reisinger) –, ein Huldigungsgedicht auf eine Weitraer »Führer-Eiche« zu verfassen.[9] Wobei es keineswegs um die ›Ausspielung‹ der einen gegen die andere Biographie gehen soll und darf, zumal die verschiedenen
Sichtweisen – wie es in einem ähnlichen Diskussionszusammenhang in ML heißt – oft in »irritierende[r] Weise ästhetische und
ethische Kriterien und Argumente« vermischen (ML, S. VI).[10] In solchen Fällen wird nur ein nüchterner, auf die Quellen zurückgreifender und terminologisch präziser (kultur-)wissenschaftlicher
Diskurs dauerhaft weiterhelfen können.
Die obigen und weiteren (möglichen) Einwände gegenüber LÖE sollen die prinzipielle Leistung des Bolbecher / Kaiser-Bands keinesfalls
schmälern. So hat der Verfasser der vorliegenden Besprechung zu einer vergleichenden – subjektiven, methodisch natürlich äußerst
fragwürdigen – Stichprobe auf das kommentierte Register einer von Wulf Kirsten aktualisierten Ausgabe von Franz C. Weiskopfs
»Unter fremden Himmeln. Ein Abriß der deutschen Literatur im Exil 1933–1947« (zuerst 1948, Neuausgabe Berlin: Aufbau 1981)
zurückgegriffen und sich dort rund ein Dutzend aus (Alt-)Österreich stammende ›Exilschriftsteller‹ herausgesucht, die ihm
teils vertraut, teils weniger bekannt, teils nichtssagend waren. Tatsächlich wurde er dann bei der Gegenprobe in LÖE in jedem
Fall fündig und – soweit beurteilbar – wissenschaftlich aktuell informiert. Um dem Leser dieses Experiment nachvollziehbar
zu machen, hier die nachgeschlagenen Namen: Eva Aschner (geb. 1923), Raoul-Othmar Auernheimer (1876–1948), Richard Arnold
Bermann (1883–1939), Georg Fröschel (1891–1979), Hans Heller (1896–1987), Franz Hoellering (1896–1968), Elisabeth Janstein
(1893–1944), Georg Mannheimer (1887–1942), Ernst Neubach (1900–1968), Hans Leo Reich (1902–1959), Paul Stefan (1879–1943),
Joseph Wechsberg (1907–1983) und Otto Zoff (1890–1963).[11] Daß die LÖE-Einträge insgesamt in ihrer Dichte, will sagen, in ihrer Aussagekraft und Länge – was verschiedene Gründe haben
mag – variieren, sei hier ohne weiteren kritischen Befund vermerkt, oder doch vielleicht mit dem Zusatz versehen, daß man
sich etwa die Ausführungen über den literarisch gar nicht so uninteressanten Alfred Marnau (1918–1999) und den Rudolf Geist-Freund
Leopold Schmidl (1904–1972)[12] durchaus ausführlicher wünschen könnte (vgl. LÖE, S. 471, 571, wobei erneut auf den ›überlangen‹ Artikel zu Julius Deutsch
[s. o.] zu verweisen ist. Zu weiteren Ungleichgewichtungen vgl. die Rezension von Daniela Strigl: Ein überfälliges Standardwerk.
In: Literatur und Kritik, H. 357–358 / 2001, S. 86–88, hier S. 88).
Eine kritische Betrachtung der letztendlich getroffenen Auswahl ist selbstverständlich ebenso bei ML angebracht: Schaut man
bloß einmal auf einige in LÖE, jedoch nicht in ML aufgenommene – obwohl in dessen Konzept ausdrücklich miteinbezogene – ›assimilierte‹
bzw. ›konvertierte‹ Autoren ›jüdischer Herkunft‹ aus (Alt-)Österreich, so muß ernsthaft die Frage gestellt werden, warum hier
nicht ein Fritz Hochwälder (1911–1986), ein Ernst Lothar (u. a. mit seinem autobiographischen Roman »Die Rückkehr« [1949])
oder die Erfolgsschriftstellerin Vicki Baum (1888–1960) verzeichnet sind? Ebenso vermißt man einen so bekannten Autor wie
Johannes Urzidil (1896–1970); und nur zu gerne würde man etwas über die Einstellung zum ›Judentum‹ des 1932 aus der Israelitischen
Kultusgemeinde in Wien ausgetretenen Hans Weigel (1908–1991) erfahren, den späteren Torberg-Kombattanten gegen Brecht. Wie
könnte man darüber hinaus das Fehlen etwa von Fritz Brainin (1913–1992), Veza Canetti (1897–1963), Wolfgang G. Fischer (geb.
1933), Elisabeth Freundlich (1906–2001), Mimi Grossberg (1905–1997), Stefan Grossmann (1875–1935), Martha Hofmann (vgl. Anm.
8), Felix Langer (1889–1979), Joe Lederer (1907–1987), Robert Lucas (1904–1984), Heinz Politzer (vgl. Anm. 8) oder des bereits
erwähnten Arthur West begründen? Und müßte nicht gleichberechtigt neben Anna Krommer (geb. 1924) und Stella Rotenberg (geb.
1916) auch auf die England-Exilantin Anna Maria Jokl (geb. 1911) verwiesen werden? Ebenso ließe sich fragen, aus welchem Grund
sich ML für den oben angeführten Georg Mannheimer ›desinteressiert‹ zeigt, müßten doch gerade – wie in LÖE verzeichnet – sprechende
Buchtitel wie »Lieder eines Juden« (Prag: Neumann 1937) und »Ein Jude kehrt heim« (Prag: Neumann & Co. 1938) auf ihn aufmerksam
und neugierig machen? Daß die zuletzt genannten Personen alle ›jüdischer Herkunft‹ sind, d. h. aus dem engeren oder weiteren
Umfeld der jüdischen Glaubens- und Schicksalsgemeinschaft stammen, geht übrigens aus den Angaben in LÖE nicht immer eindeutig
hervor, was insofern irritiert, als dies zumeist der Grund ihrer Vertreibung (oder gar – wie im Fall des in ML ebenfalls fehlenden
Peter Hammerschlag [1901–1942] – ihrer Ermordung) war. Die diesbezügliche Erklärung von Bolbecher / Kaiser sei hier ebenfalls
›zur Diskussion gestellt‹:
Bewußt verzichtet wurde auf die Angabe von Religionszugehörigkeiten. (Auf die Religionszugehörigkeit wird in den Kurzbiographien
Bezug genommen, wenn sie im Leben der Autorin oder des Autors eine Rolle spielte.) Die große Mehrzahl der ExilautorInnen war
jüdischer Herkunft, ihr Zugang zur Religion war jedoch sehr unterschiedlich. (LÖE, S. 20)
Aber zurück zu ML, in dem freilich auch ›jüdische‹ oder jüdisch ›kontextuierbare‹ AutorInnen aus Deutschland ›der Vergessenheit
anheimfallen‹ (wozu spontan, also nicht systematisch reflektiert, genannt sein mögen: Arnold Bender [1904–1978], Egon Larsen
[1904–1990], Justin Steinfeld [1886–1970], Max Tau [1897–1976]; und für das 19. Jahrhundert etwa der Frühsozialist Moses Hess
[1812–1875][13] oder der Lyriker und Heine-Bekannte Ludwig Wihl [1807–1882], der sich 1840 interessanterweise immerhin an einer »Geschichte
der Deutschen National-Literatur« versucht hatte). Dabei sollte allerdings nicht unterlassen bleiben, zumindest einmal eine
Auswahl der in ML vertretenen AutorInnen anzuführen, die zweifelsohne – wenn auch alle auf ihre Art – herausragende Beiträge
zu einer Literatur ›jüdischer Provenienz‹ in engerem Bezug auf Deutschland geleistet haben (chronologisch): Moses Mendelssohn
(1729–1786), Rahel Varnhagen (1771–1833), Ludwig Börne (1786–1837), Heinrich Heine (1797?–1856), Fanny Lewald (1811–1889),
Alfred Kerr (1867–1948), Else Lasker-Schüler (1869–1945), Karl Wolfskehl (1869–1948), Gustav Landauer (1870–1919), Erich Mühsam
(1878–1934), Alfred Döblin (1878–1957), Lion Feuchtwanger (1884–1958), Jakob van Hoddis (1887–1942), Arnold Zweig (1887–1968),
Friedrich Wolf (1888–1953), Kurt Tucholsky (1890–1935), Walter Hasenclever (1890–1940), Nelly Sachs (1891–1970), Walter Benjamin
(1892–1940), Ernst Toller (1893–1939), Anna Seghers (1900–1983), Hermann Kesten (1900–1996), Hilde Domin (geb. 1912), Stefan
Heym (1913–2001), Peter Weiss (1916–1982), Wolfgang Hildesheimer (1916–1991) und Günter Kunert (geb. 1929).[14] Entsprechend gut – die Regel von der sprichwörtlichen Ausnahme bestätigt – dokumentiert ML auch die ›langsame Heimkehr‹ einer
jüngeren ›deutsch-jüdischen‹ Literatur, wobei in allen Fällen nicht nur auf eine wie immer definierte ›jüdische Abstammung‹,
sondern auch auf eine – freilich individuell äußerst unterschiedliche – Auseinandersetzung mit, wenn man das überhaupt so
pauschal ausdrücken darf, ›jüdischem Schicksal‹ (Verfolgung, Identität usw.) im literarischen Werk selbst verwiesen werden
kann. Zu nennen sind hier in bezug auf Deutschland, wo sie entweder geboren wurden oder leben (erneut chronologisch): Katja
Behrens (geb. 1942), Lea Fleischmann (geb. 1947), Rafael Seligmann (geb. 1947), Barbara Honigmann (geb. 1949), Esther Dischereit
(geb. 1952), Chaim Noll (geb. 1954), Maxim Biller (geb. 1960) und die 1963 geborene Gila Lustiger. Für die Schweiz kann der
1959 in Israel geborene Daniel Ganzfried angeführt werden,[15] für Österreich: Robert Schindel (geb. 1944), Robert Menasse (geb. 1954), Doron Rabinovici (geb. 1961 in Tel Aviv) und der
1966 in Leningrad geborene Vladimir Vertlib.
Und bleiben wir weiterhin bei Österreich: Wenn die hervorragende, vor 1933 bzw. 1938 stattgefundene Beteiligung der ›jüdischen
Bevölkerung‹ an der kulturellen, wissenschaftlichen und sonstigen ›Entwicklung‹ des deutschsprachigen Raums (und weit darüber
hinaus: man denke nur an die weltweite Rezeption eines Karl Marx, Sigmund Freud und Albert Einstein) mittlerweile (was in
›deutsch-österreichischen Landen‹ bekanntlich schon anders war) unumstritten ist, so scheint es doch interessant, diese ›Leistung‹
nur einmal in Hinsicht auf deren genuin (alt-)österreichischen Anteil zu befragen. Auch auf dem Gebiet der Literatur ist dieses
Verdienst jedenfalls unübersehbar, zumindest wenn man der Gewichtung von ML folgt, wo zusätzlich zu LÖE unter anderem angeführt
sind (womit Österreich von ca. 270 ML-Einträgen immerhin – vgl. die obige ›Schnittstellen‹-Liste – über 110 Plätze einnimmt):
Peter Altenberg (1859–1919), Karl Isidor Beck (1817–1879), Hugo Bettauer (1872–1925), Jakob Julius David (1859–1906), Adolph
Donath (1876–1937), Berthold Feiwel (1875–1937), Ludwig August Frankl (1810–1894), Karl Emil Franzos (1848–1904), Moritz Hartmann
(1821–1872), Leo Herzberg-Fränkel (1827–1915), Theodor Herzl (1860–1904), Franz Janowitz (1892–1917), Franz Kafka (1883–1924),
Siegfried Kapper (1821–1879), Salomon Kohn (1825–1904), Leopold Kompert (1822–1886), Karl Kraus (1874–1936), Eduard Kulke
(1831–1897), Hieronymus Lorm (1821–1902), Fritz Mauthner (1849–1923), Salomon H. Mosenthal (1821–1877), Max Nordau (1849–1923),
Hugo Salus (1866–1929), Moritz G. Saphir (1795–1858), Arthur Schnitzler (1862–1931), Daniel Spitzer (1835–1893), Joseph S.
Tauber (1822–1879), Hermann Ungar (1893–1929), Jakob Wassermann (1873–1934) und Hugo Zuckermann (1881–1914).
Die Beiträge in ML sind, da weitgehend von ausgewiesenen Kennern der Materie verfaßt, in der Regel von hoher Qualität. Im
Unterschied zu LÖE fehlt hier aber meistens das biographische Detail, was im Fall Fred Wanders dazu führt, daß man in dem
von Konstantin Kaiser verfaßten Eintrag nicht erfährt, daß der in Wien geborene Autor von der Mitte der 50er Jahre bis 1983
in der DDR lebte, wo er auch den Großteil seines bisherigen Werkes veröffentlichte (vgl. ML, S. 592f.; anders LÖE, S. 667f.).
Peinliche fakto-biographische Schnitzer jedoch sind – wenigstens auf der Grundlage von Stichproben und abgesehen von dem Nachweis
weniger falscher oder verschriebener Lebensdaten, die bei solch groß angelegten Projekten immer wieder vorkommen (s. o.) –
selten, etwa die Angabe, daß Elazar Benyoëtz »in der Wiener Neustadt« geboren sei (ML, S. 58).
Die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Darstellungen und Ausrichtungen in ML und LÖE seien zuguterletzt einmal konkret
am Beispiel des schon mehrfach herangezogenen Erich Fried beleuchtet. Dem schnell noch vorausgeschickt: Im Fall Frieds präsentieren
beide Nachschlagewerke eine Abbildung des Schriftstellers, ML ein Foto, LÖE eine (trefflich ausgewählte) Zeichnung des Fried-Freundes
und Schicksalsgenossen Ernst Eisenmayer (wobei sich LÖE diesen ›Luxus‹ nicht durchgängig erlaubt, der Metzler-Verlag jedoch
dem Standard seiner diversen Personenlexika treu bleibt).
Die biographisch dichten Fried-Eintragungen in LÖE sind bis auf eine Winzigkeit (Anstellung im Londoner »Jewish Refugee Committee«
nicht »1939/40«, sondern nur 1940, und zwar ab dem März 1940) korrekt und ausgewogen (vgl. LÖE, S. 215f.). Differenzierte
Aussagen über das Werk fehlen. Diese findet man erwartungsgemäß (jedoch leider nur in bezug auf Frieds Lyrik) in dem von Jörg
Thunecke erstellten ML-Artikel. Verwiesen wird hier auf etliche Gedichte, die sich u. a. mit dem »Themenkreis des Holocaust«,
der »Auseinandersetzung mit [Frieds] jüdische[r] Identität« und seiner »Zionismuskritik« beschäftigen. Zentral dokumentiert
wird die durchgängige Bezugnahme des »Atheist[en]« auf das Alte und Neue Testament, mit dem Resümee, daß ein »Verständnis
von F[ried]s intensiver, oft kontroverser und manchmal auch widersprüchlicher Einstellung zum Judentum [...] nur unter Berücksichtigung
einer im neutestamentlichen Humanismus verankerten Ethik als möglich« erscheint (vgl. ML, S. 155–158). Undiskutiert bleiben
andere, in der Fried-Forschung bisher allerdings erst ansatzweise aufgearbeitete Phänomene intertextueller Verschränkungen,
so etwa in bezug auf die Spruchdichtungen jüdischer (insbesonders chassidischer) Tradition oder den genuin ›jüdischen Witz‹.
Weitere kritische Einlassungen auf den ML-Eintrag würden hier zweifellos zu einer pedantischen Fachdiskussion führen, z. B.
über die Nichtberücksichtigung der themenrelevanten Nachkriegsgedichte »Kreuzweg« und »Weihnachtslied« oder von Jürgen Dolls
einschlägigem Aufsatz »›Worte seit Ausschwitz‹. Der Holocaust in der Lyrik Erich Frieds« (in: Jura Soyfer [1912–1939] zum
Gedenken. Hg. von Herbert Arlt und Klaus Manger. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 1999, S. 293–318). Dafür zitiert ML
die (insbesondere in bezug auf Frieds Exilzeit materialreiche) Studie von Steven M. Lawrie (Erich Fried. A Writer Without
a Country. New York u. a.: Lang 1996 [= Austrian Culture, 24]), die merkwürdigerweise in den »Quellen« von LÖE fehlt. LÖE
weist zusätzlich eine Verschreibung (»Von Bis nach Zeit«, recte: »Von Bis nach Seit«) und sonderbare Lücken in der ›Werkauswahl‹
auf, wo man die Lyriksammlungen »Warngedichte« (1964), »und Vietnam und« (1966) und »Höre, Israel!« (1974) vermißt, sozusagen
drei Meilensteine innerhalb des dichterischen Engagements Frieds, die ausnahmslos sowohl dessen antifaschistische und antirassistische
Ausprägung als auch den damit zusammenhängenden Rückgriff auf Frieds Erfahrungen in der Nazizeit dokumentieren (vgl. dazu
die Vorgaben zur Auswahl der bibliographierten Primärliteratur in LÖE, S. 20; weshalb man – in einem anderen Kontext – auch
das Fehlen von Soma Morgensterns »Romanbericht« über seine »Flucht in Frankreich« [postum, 1998] monieren darf; vgl. ebd.,
S. 490 und ML, S. 437). Um so verdienstvoller ist LÖE's doppelter Hinweis auf die mittlerweile sogenannte ›Londoner Gruppe
47‹, eine lockere, aber höchstinteressante, zwischen 1947 und dem Anfang der 50er Jahre in England agierende Vereinigung deutschsprachig-jüdischer
Exilschriftsteller. Daß dieser Hinweis in ML unterblieb, mag als bedauerlich empfunden werden, zumal der Kilcher-Band weiteren
Gruppenmitgliedern eigene Einträge gewidmet hat, nämlich H. G. Adler, Franz Baermann Steiner und den von London aus um Mitarbeit
angefragten, 1941 nach Palästina emigrierten Tuvia Rübner (geb. 1924 in Bratislava). In den Einträgen zu den drei zuletzt
genannten Autoren fehlt der Hinweis auf die Londoner Gruppe ebenfalls. Das ist insofern verwunderlich, als der Verfasser des
Adler- und Steiner-Eintrags, Marcel Atze, 1998 eine Studie vorgelegt hat, die gründlich recherchierte Informationen über die
literarische Kooperation im Nachkriegs-London liefert.[16] Im Vergleich dazu ist etwa der von Primus-Heinz Kucher gestaltete Artikel über Theodor Kramer in bezug auf Kramers Kontakte
im englischen Exil um einiges auskunftsfreudiger (vgl. ML, S. 342f.). Anders als LÖE verzichtet ML auf eine direkte ›Verzahnung‹
seiner Einträge (durch Verweispfeile), was dazu führt, daß sich mögliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen AutorInnen nur
mühsam über das Personenregister vertiefen lassen.
Doch auch nach diesen Ausführungen soll erneut betont werden, daß wir, salopp gesagt, die Kirche im Dorf und uns vor lauter
Bäumen den Blick auf den Wald nicht verstellen lassen sollten, d. h. die ungemeine Anstrengung beider Projekte angesichts
scheinbar unbegrenzbarer Arbeitsfelder zu würdigen haben, wozu schließlich auch noch einmal einige Worte zum Grundaufbau und
zu den theoretischen Vorgaben dieser Lexika angebracht sind:
Im Vergleich zu ML (»Einleitung«, Haupteinträge, »Weiterführende Bibliographie«, »Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«
und »Namenregister«) bietet LÖE eine »Einleitung«, »Hinweise für die Benützung des Lexikons«, das »Lexikon A–Z« und einen
ausführlichen »Anhang«, der u. a. ein »Verzeichnis der Abkürzungen«, ein »Verzeichnis in Kurztiteln angegebener Literatur«,
eine »Anthologien«-Bibliographie (Auswahl mit Referenzfunktion), eine »Ausgewählte Bibliographie der Sekundärliteratur« und
ein »Verzeichnis der Pseudonyme und sonstigen Namen« enthält. Die beiderseits ausführlichen Einleitungen erweisen sich – bei
aller Diskussionswürdigkeit von Einzelfragen und (offenbar konstant strittigen) übergreifenden Einschätzungen – als Produkte
profunder Kenntnis und wohltuender Selbstreflexion. Kilchers Verdienst ist es unter anderem, sehr genau die historischen und
in verschiedenen politisch-kulturellen Milieus verankerten (und damit auch ideologieträchtigen) Standpunkte in der Diskussion
um den Begriff der »deutsch-jüdischen Literatur« nachzuzeichnen. Im wesentlichen geht der ML-Herausgeber auf drei Standortbestimmungen
ein, nämlich auf das Verständnis der »deutsch-jüdischen Literatur« aus der Sicht der »völkischen Germanistik«, des »Kulturzionismus«
(innerhalb dessen Positionen wiederum zwischen »einer konsequenteren zionistischen Kulturtheorie« und einem »weitergefaßten
und liberaleren Kulturzionismus« unterschieden wird) und aus der Perspektive der »Kulturtheorie der Assimilation« (Zitate
ML, S. VII, IXf.). Der Rezensent teilt die von Kilcher vor diesem Hintergrund herausgearbeitete Folgerung, daß »als die entscheidende
Forderung an eine aktuelle Rede von der deutsch-jüdischen Literatur das Bewußtsein irreduzibler Mehrdeutigkeit dessen, was
als deutsch-jüdische Literatur, als jüdische Identität überhaupt, gelten konnte und kann« zu stellen ist (ML, S. XIV). Dementsprechend
sind freilich auch, und gerade deshalb immer in Rückbindung an den jeweiligen historischen und soziokulturellen Kontext (wobei
an dieser Stelle zwar pauschal, aber unbedingt noch einmal an die Tatsache eines in Jahrhunderten verwurzelten europäischen
Antisemitismus und dessen drastischster Ausformung im Massenmord unter den Nazi-Schergen erinnert werden muß) die in ML formulierten
Befunde höchst heterogen. Einmal abgesehen von den offensichtlichen Verpflichtungen vieler Literaten gegenüber den unterschiedlichen
Strängen jüdischer Kultur, den divergierenden Ausprägungen der Religionspraxis und den im engeren Sinn politischen Initiativen
(etwa eines Theodor Herzl oder Max Nordau) finden sich hier beispielsweise Phänomene beschrieben wie: Die »Preisgabe jüdischer
Erfahrung durch ihre Ästhetisierung« bei dem jung verstorbenen (1800–1833) Michael Beer (Horst Olbrich; ML, S. 40); die in
Paul Heyses (1830–1914) Literatur nachzuweisende, wenn auch nicht in diesem Sinn intendierte Verwendung »unterschwellig antisemitische[r]
Elemente« (Nicole Nelhiebel; ML, S. 242); das bei dem ›deutschliberalen‹ Altösterreicher Hugo Salus konstatierbare Desinteresse
an seiner jüdischen Herkunft (vgl. Sigurd P. Scheichl; ML, S. 508f.); die die ›Halbjüdin, väterlicherseits‹ Elisabeth Langgässer
(1899–1950) betreffende Feststellung über deren »zwar dichterisch überhöht[es], aber ganz unverhüllt[es] und keineswegs bloß
metaphorisch[es]« Eingehen auf »das jüdische Schicksal und die nationalsozialistischen Verbrechen« einerseits und die weitgehende
Abweisung »jüdischer Identität« der überzeugten Katholikin andererseits (»Zeugnisse für eine intensive Beschäftigung mit jüdischer
Religion und Tradition gibt es nicht« [Elisabeth Hoffmann; ML, S. 374]); der Hinweis auf die »Identität [...] in der Nichtidentität«
der »jüdischen Figuren« in Fred Wanders Roman »Hôtel Baalbeck« (1991), während in bezug auf den Romanautor selbst spezifiziert
wird: »Er bekennt sich zu einem bewußten Diaspora-Judentum und betrachtet Israel nicht als seine Heimat« (Konstantin Kaiser;
ML, S. 593). In diesem Zusammenhang sollte aber besonders noch die unerwartete ML-Aufnahme des protestantisch getauften Thomas
Mann-Sohnes Klaus Mann (1906–1949) erwähnt werden, dessen Mutter Katja Mann (Tochter von Alfred Pringsheim) jüdischen Hintergrund
aufwies: Das »Bild von sich selbst als eines Deutschen, auch als eines deutschen Schriftstellers, den jüdische Problemstellungen
zeitlebens kaum interessiert und betroffen haben, hat sich [...] in der [Klaus Mann]-Rezeption durchgesetzt. M[ann]s Unmittelbarkeit
zu Fragen jüdischer Identität und Existenz, aber auch die kultur- und exilpolitische Bedingtheit ihrer Abdrängung und Tilgung
im Selbstbildnis des antifaschistischen Literaten sind dabei weitgehend unerkannt geblieben« (Stephan Braese; ML, S. 414).
Gerade an diesem Beispiel läßt sich zeigen, wie ergiebig der in der ML-Einleitung explizierte ›offene‹, eben nicht nach ›totalisierender
Objektivierung‹ trachtende Zugang zum komplexen Phänomen ›deutsch-jüdischer Literatur‹ sein kann (vgl. dazu insbes. ML, S.
XIV–XVI, wo es auf S. XV heißt: »Folglich erscheinen die einzelnen Autorinnen und Autoren in diesem interkulturellen Feld
weniger, weil sie jüdischer Herkunft sind oder weil sie jüdische Stoffe thematisieren, sondern um zu fragen, wie sie mit ihrem
Schreiben auf je eigene und unterschiedliche Weise an der jüdischen Selbstbestimmung der Moderne partizipiert haben«).
Sehr gerafft, aber äußerst informativ ist die »Einleitung« in LÖE. Sie ist eingeteilt in einen Vorspann und die Kapitel »Kriterien
der Aufnahme [...]«, »Die Bedeutung des Jahres 1938« (mit unerläßlichem Hinweis auf das ›Spaltungsjahr‹ 1934), »Verlauf und
Richtung der Exilbewegung« (Fakten zur Zahl der Österreich-Exilanten [»135.000 Menschen (Mindestschätzung)«; LÖE, S. 14] und
zur Politik des Exils in den verschiedenen Exilländern), »Brüche der historischen Perspektive« (Auswirkung auf die Einstellungen
der Exilanten durch den Ausbruch des Krieges und dessen Verlauf, das breite Bekanntwerden des systematischen Massenmords,
die Zuwendung »der Enteigneten und Verfolgten [...] zu ihrer neuen Heimat« [LÖE, S. 17] usw.) und »Zeitliche Abgrenzung« (Plädoyer
für einen ausgeweiteten Betrachtungsrahmen des Phänomens ›österreichische Exilliteratur‹ von den späten 1920er Jahren bis
in unsere Gegenwart). Von den zahlreichen Einzelaspekten dieser »Einleitung« sei hier nur der der Problematisierung der nationalen
und sprachlichen Zuordnung der in LÖE vertretenen Exilschriftsteller herausgehoben. Klar definiert ist das Aufnahmekriterium,
das nicht nur Schriftsteller, »die in den heutigen Grenzen Österreichs geboren sind«, sondern auch »deutsch- und jiddischsprachige
Autoren [...], die in den habsburgischen Kronländern geboren sind«, einbezieht (LÖE, S. 8). Interessant erscheint in diesem
Zusammenhang die pragmatische Einstellung zur »Unterscheidung von deutscher und österreichischer Literatur«, deren (bis heute
andauernde) Diskussion oft von »einer falschen Fragestellung« ausginge:
Während ein in deutscher Sprache Schreibender meist ganz selbstverständlich und ohne weitere Begründung der deutschen Literatur
zugeschlagen wird, wird der Nachweis einer »österreichischen Besonderheit« oder eines »typisch Österreichischen« erwartet,
sobald ein Schreibender der österreichischen Literatur zugezählt werden soll. Als gäbe es dafür in der Biographie, der kulturellen
und sozialen Prägung des Schreibenden nicht genug Anhaltspunkte! Wer in der Literatur als eine »Österreicherin« oder ein »Österreicher«
gelten kann, muß individuell entschieden werden und nicht aufgrund einer fragwürdigen Typologie des »Österreichischen«.
Die Überbetonung der »deutschen Frage« in der österreichischen Literatur lenkt übrigens auch ab von dem für die Geschichte
der österreichischen Literatur viel relevanteren Problem der Verschränkung mit und der Abgrenzung von der tschechischen, ungarischen,
slowenischen, jiddischen Literatur. In diesem Lexikon der Exilliteratur finden sich einige AutorInnen verzeichnet, die man
vielleicht auch der deutschen Literatur zuordnen könnte, aber viel häufiger sind jene AutorInnen, die nicht nur der österreichischen
Literatur, sondern auch der Literatur des einen oder anderen aus den habsburgischen Kronländern hervorgegangenen Nationalstaates
zugezählt werden könnten. (LÖE, S. 8f.)
Bekennt sich nun LÖE zur Aufnahme von »Grenzfällen« (etwa »die gebürtigen Deutschen Günther Anders und August Hermann Zeiz
[oder] die englisch oder hebräischen schreibenden Literaten Elazar Benyoëtz, Herbert Kuhner, Tuvia Rübner, Lore Segal«; LÖE,
S. 9), so ergeben sich in bezug auf in ML vergleichbar oder parallel angeschnittene Problemstellungen einige Fragen: Wenn
schon explizit darauf hingewiesen wird, daß die (im 18. Jahrhundert beginnende) Tradition eines ›jüdischen Schreibens‹ in
›deutscher Sprache‹ »freilich nicht an Deutschland gebunden ist, sondern [ihren] Raum auch in den deutschsprachigen Literaturlandschaften
Osteuropas hat, insbesondere aber im Österreich der weiten Grenzen der k. u. k. Monarchie« (ML, S. XVI), warum heißt das Nachschlagewerk
im Haupttitel dann nicht »Metzlers Lexikon der ›deutschsprachig‹-jüdischen Literatur« (zumal dieser Begriff vom Untertitel
nahegelegt und auch in der »Einleitung« verwendet wird [vgl. ML, S. IX] sowie einem in Basel geborenen Herausgeber hätte leichtfallen
sollen)? Zudem wird aus der ML-Einleitung nicht ganz klar, wie der Herausgeber zum Schreiben ›deutschsprachiger Juden‹ in
einer anderen Sprache steht. Betrachtet man nämlich die in LÖE exemplarisch angeführten »Grenzfälle«, so ist zu registrieren,
daß auch ML Elazar Benyoëtz, Herbert Kuhner, Tuvia Rübner aufnimmt, nicht jedoch Frederic Morton (geb. 1924) und Lore Segal
(geb. 1928), die beide nur durch ihre Vertreibung zu ›jüdischen‹ AutorInnen ›englischer Sprache‹ wurden (wozu auch weitere,
später widerrufene Fixierungen auf die englische Sprache zu konstatieren sind, etwa bei dem in beiden Lexika vertretenen Robert
Neumann, dessen Roman »Blind Man's Buff« in LÖE übrigens unkorrekt zitiert wird; vgl. ebd., S. 504). So läßt sich ebenfalls
das Fehlen der 1929 in Frankfurt am Main geborenen, 1934 im Gefolge der Eltern nach Holland emigrierten und 1945 im KZ Bergen-Belsen
ermordeten Anne Frank mit ihrem (aus dem Niederländischen) vielübersetzten und weltberühmten »Tagebuch« (1947, dt. 1950)[17] befragen oder das der in Berlin lebenden Irene Dische (geb. 1952 in New York), die zwar auf Amerikanisch schreibt, jedoch
an der Übertragung ihrer Werke ins Deutsche – nach Aussage ihres Übersetzers Reinhard Kaiser – aktiven Anteil nimmt. Einen
Hinweis auf diese AutorInnen oder sogar eine Auswahl der wichtigsten unter ihnen hätte den Rahmen von ML kaum gesprengt. Und
wäre es unangebracht oder zuviel verlangt, von ML auch ein eindeutiges Wort zur Abgrenzung gegenüber der jiddischen Literatur
(etwa in bezug auf den mehrsprachigen, jedoch jiddisch schreibenden Josef Burg [geb. 1912], vgl. LÖE, S. 130f.) zu erwarten?
Wie dem auch sei: Beide Nachschlagewerke verdienen großen Respekt. Die in der vorliegenden Rezension angeführten Fragen und
Korrekturen sollen weder als Ausdruck wissenschaftlicher Verbissenheit und Rabulistik noch als Hinweis auf eine generelle
Mangelhaftigkeit beider Lexika verstanden werden. Daß sie trotz der klaren herausgeberischen Vorgaben der Unvollständigkeit
usw. (vgl. etwa LÖE, S. 7 und ML, S. XIX) dennoch artikuliert wurden, soll vor allem zwei Zwecken dienen.
Erstens: Da es sich um standardwerkartige ›Gebrauchsgegenstände‹, eben grundlegende Lexika, handelt, die durchaus die Chance
auf weitere Auflagen haben, sind die Herausgeber und Mitarbeiter auf Sachkorrekturen und sonstige ›produktverbessernde‹ Hinweise
geradezu angewiesen (besonders LÖE, das sich erst in einer überarbeiteten Neuauflage als ein betont zuverlässiges »Standardwerk«
[Strigl, s. o.] wird erweisen können). Es werden nicht zuletzt die Stimmen kritischer BenutzerInnen und sorgfältiger RezensentInnen
gewesen sein, die beispielsweise zu der auffälligen Überarbeitung und Erweiterung von Metzlers zuerst 1986 erschienenen »Autoren
Lexikon« geführt haben (vgl. die zweite Auflage von 1994 und deren Sonderausgabe von 1997, in denen jedoch unverständlicherweise
nach wie vor ein Autor wie Manès Sperber fehlt!). Es mag also durchaus erlaubt sein, auch in bezug auf ML noch einmal nachzuhaken,
warum bestimmte – neben solchen schon oben genannten – und auch gar nicht so unbekannte AutorInnen wie Hans Flesch-Brunningen
(1895–1981), Martina Wied (1882–1957) oder Emil A. Rheinhardt (1889–1945) unberücksichtigt blieben. Die zuletzt genannten
AutorInnen finden sich nicht nur in LÖE, sondern etwa auch in der von dem ML-Mitarbeiter Armin A. Wallas herausgegebenen Anthologie
»Texte des Expressionismus. Der Beitrag jüdischer Autoren zur österreichischen Avantgarde« (Linz: edition neue texte 1988),
wo es kurioserweise in der Bio-Bibliographie zu E. A. Rheinhardt noch hieß: »(Jüdische Herkunft ungesichert; Katholik)« (S.
306). Auf der anderen Seite sei in diesem Sinn den LÖE-Mitarbeitern empfohlen, noch einmal die Angaben zu Archivbestands-Nachweisen
zu kontrollieren, zumal einige dieser Bestände (mittlerweile) in Wiener Archiven liegen (konkret z. B. von Josef Burg, Stefan
Grossmann, Alfred Marnau, Adolf Placzek, Ernst Schönwiese [1905–1991] und Frank G. Zwillinger [1909–1989]). Einer kritischen
Revision bedarf generell auch das jeweilige Werkverzeichnis (vgl. die oben angeführten Detailkorrekturen); und Ödön von Horváth
betreffend müßte – was die Herausgeber vor dem Erscheinen von LÖE jedoch nicht wissen konnten – der Verweis auf das Pseudonym
»H. W. Becker« (LÖE, S. 324 u. 756) zurückgenommen werden.[18] Weitere Korrekturhinweise hat bereits Egon Schwarz in bezug auf die Schwachstellen in dem ihn betreffenden Lexikoneintrag
in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 14. März 2001 geliefert, dabei jedoch die Unverzichtbarkeit von LÖE hervorgehoben.
Und schließlich zweitens: Unternehmungen wie die von Kilcher und Bolbecher / Kaiser sind Großprojekte, die trotz (manchmal
vielleicht halbherziger) Verlagsinvestitionen und (ebenso halbherziger) öffentlicher Förderungen sehr schnell an ihre finanziellen
Grenzen stoßen und auch deshalb auf den unterschiedlichsten Ebenen – abstrakt gesagt – ›anfällig‹ sind (was die insgesamt
übermäßig vielen ›Flüchtigkeitsfehler‹ in LÖE nicht entschuldigen soll). Aus diesem Grund scheitert oft auch die Erstellung
von in heutiger Zeit wünschenswerten und preislich akzeptablen hybriden Editionen (Buch und digitalisierte Datenträger mit
erweiterten Recherchemöglichkeiten). Geradezu ideal wäre der ›demokratische‹ Zugang zu entsprechenden Informationen über das
WWW, dessen Angebote in der Gesamtheit mit einiger Vorsicht zu genießen, das heißt, wissenschaftlich gesehen, oft unzureichend
legitimiert sind. Dazu ist aber eine dauerhafte Unterstützung bzw. Projektinstitutionalisierung von Seiten der öffentlichen
und / oder privaten Hand vonnöten (was auch das zukünftig ungesicherte Projekt »Österreichische Autorinnen und Autoren jüdischer
Herkunft« an der Österreichischen Nationalbibliothek betrifft, das im April 2002 im Saur Verlag ein dreibändiges, weit über
8.000 Einträge enthaltendes Handbuch vorgelegt hat).[19] Hier kann und muß mehr geschehen, was insbesondere die ›sensiblen‹ Themenfelder der Exilliteratur und des deutschsprachig-jüdischen
Schrifttums zeigen, deren Aufarbeitung nicht nur dem akademisch-kulturwissenschaftlichen Diskurs dient, sondern auch genereller
Ausdruck eines kulturellen Selbstverständnisses ist, dessen – so in Anlehnung an Ludwig Geiger zu Beginn des 20. Jahrhunderts
– »Programm einer Literatur [...] kulturelle und nationale Grenzen überschreitet« (ML, S. [V]).
Volker Kaukoreit
ANMERKUNGEN
1]
Ernst Bruckmüller: Österreichbewußtsein im Wandel. Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren. Wien: Signum 1994 (=
Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung 4), S. 157.
2]
Marginal notiert: Die Fehlerquelle liegt in diesem Fall vielleicht in der ungeprüften Übernahme der falschen Lebensdaten aus
›Sternfeld / Tiedemann‹ (Deutsche Exil-Literatur 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie. 2., verb. und stark erw. Aufl. Heidelberg:
Schneider 1970, S. 426). Doch hätte das unrichtige Geburtsjahr den LÖE-Herausgebern auffallen dürfen, da die Mutter bei der
Geburt ihres Sohnes Joseph wohl kaum zwölf Jahre alt war und auch »Quellen« angeführt werden, die die korrekten Lebensdaten
zitieren, z. B. der Katalog zur Roth-Ausstellung im Jüdischen Museum Wien von 1994 (vgl. LÖE, S. 557), dem übrigens der ebenfalls
von Heinz Lunzer und Victoria Lunzer-Talos erarbeitete und im gleichen Jahr erschienene Bildband »Joseph Roth. Leben und Werk
in Bildern« (Köln: Kiepenheuer & Witsch) an die Seite hätte gestellt werden sollen.
3]
Der Begriff ›Herausgeber‹ ist in bezug auf LÖE insofern zu problematisieren, als Bolbecher / Kaiser die meisten Artikel selbst
verfaßt haben (und auch in der Titelei als ›Hauptverfasser‹ genannt werden; zu den weiteren – unabhängig von der Titelei erfaßten
– Mitarbeitern vgl. LÖE, S. 21).
4]
»Er ist Schriftsteller«, schreibt Fried vermutlich im letzten Viertel des Jahres 1940 an Exilfreunde, »und hatte einen großen
Koffer mit Manuskripten und Material, – darunter z. B. 2.000 Seiten Stenogramme über das K.Z. – Spezialpläne von Dachau und
Buchenwald usw. [...] Ich habe die Bibliothek Dr. Rosenbergs geerbt« (zitiert nach: 126, Westbourne Terrace. Erich Fried im
Londoner Exil (1938–1945). Texte und Materialien. Hg. von Volker Kaukoreit und Jörg Thunecke. Wien: Turia + Kant 2001, S.
232f.; ebd. auch S. 137f.). Als Mitherausgeber des oben zitierten Dokumentationsbandes muß der Verfasser dieser Rezension
einräumen, daß sich in den zahlreichen für die Kommentierung herangezogenen Werken der Sekundärliteratur kein weiterer Hinweis
auf Rosenberg finden ließ.
5]
Kogons Privatdruck erschien ohne Verfasserangabe; Tanzers Verfasserschaft geht jedoch eindeutig aus seinem Buch »Stimmen.
Tagebuch, Novellen, Gedichte« hervor (Köln: Hermansen 1979).
6]
Tanzers literarischer Vorlaß konnte im Jahr 2000 vom Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
(Wien) erworben werden.
7]
Vgl. Helmut Eckelsberger: Die Erschließung des Nachlasses von Alfred W. Kneucker im Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen
Nationalbibliothek. Wien: Hausarbeit [masch.] 1997; »Zuflucht in Shanghai / The Port of Last Resort«. Dokumentarfilm von Joan
Grossman und Paul Rosdy (Österreich / USA 1998 [Extrafilm / Pinball Films]).
8]
Jüdisches Lesebuch 1933–1938. Ausgewählt von Henryk M. Broder und Hilde Recher. Nördlingen: Greno 1987 (= Kleine Jüdische
Bibliothek). Es handelt sich um eine Textauswahl aus dem von 1933 bis 1938 in Prag erschienenen »Jüdischen Almanach« (Verlag
der Wochenzeitung »Selbstwehr – jüdisches Volksblatt«), in der sich u. a. Beiträge der bereits oben erwähnten Schriftsteller
Rose Ausländer, Max Brod, Friedrich Torberg und Stefan Zweig finden, ebenso die nur in LÖE vertretenen AutorInnen Martha Hofmann
(1895–1975) und Heinz Politzer (1910–1978). – Dazu am Rand vermerkt: Das »Jüdische Lesebuch« fehlt in dem ansonsten verdienstvollen
»Anthologien«-Verzeichnis von LÖE (vgl. LÖE, S. 744f.) ebenso wie die von Milo Dor herausgegebene Sammlung »Die Verbannten«
(Graz: Stiasny 1962), in die immerhin Texte der in LÖE berücksichtigten Literaten Paul Celan, Bertrand Alfred Egger (1924–1988),
Erich Fried, Michael Guttenbrunner (geb. 1919), Hans Lebert (1919–1993) und Oskar Jan Tauschinski (1914–1993) eingeflossen
sind.
9]
Der Hymnen-Text der Mutter ist im Nachlaß Wilhelm Szabos erhalten (Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek,
Wien). Zu Wilhelm Szabos Gedicht auf die »Hitler-Eiche« vgl. Jörg Thunecke: Österreich aus der Sicht der inneren und äußeren
Emigration. Wilhelm Szabo und Theodor Kramer: Ein Vergleich. In: Chronist seiner Zeit. Theodor Kramer. Hg. von Herbert Staud
und Jörg Thunecke. Klagenfurt: Drava 2000 (= Zwischenwelt 7), S. 171–186, hier S. 185.
10]
So etwa zählt der LÖE- und ML-Beiträger Jörg Thunecke in einem anderen Kontext Szabos Lyrik »zur besten Dichtung der inneren
Emigration im deutschen Sprachraum« und berichtet, daß der Schriftsteller »auf Tauchstation in der abgelegenen Provinz [ging]
und Widerstand gegen das NS-Regime [leistete], indem er es wagte, heimlich hochgradig subversive Gedichte zu verfassen, welche
allerdings erst nach Ende der faschistischen Ära veröffentlicht werden konnten« (Thunecke [Anm. 9], S. 176f.). Die hier vertretene
›ästhetische‹ Wertung (vgl. auch ebd., S. 179f.) sowie das Verständnis vom »Widerstand gegen das NS-Regime« (s. o.) lassen
sich trefflich diskutieren.
11]
Insbesondere der Beitrag über Eva Aschner (LÖE, S. 46) dokumentiert die in vielen Fällen und über Jahrzehnte hinweg durch
Rückgriff auf Archivdokumente, Briefwechsel und Interviews geleistete Pionierarbeit von Bolbecher / Kaiser. – Und das noch
zur Ergänzung der oben beschriebenen ›Nagelprobe‹: Vollständig finden sich die aufgelisteten Namen weder im ›Sternfeld / Tiedemann‹
von 1970 (Anm. 2) noch im eingangs erwähnten »Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration«, noch in dem von Walther
Killy herausgegebenen fünfzehnbändigen »Literatur-Lexikon« (Gütersloh: Bertelsmann 1988–1993), noch im sogenannten, mittlerweile
auf über 25 Bände angewachsenen »Kosch« (»Deutsches Literatur-Lexikon«. 3., völlig neu bearb. Aufl. Bern, München: Francke
1968ff.).
12]
Schmidls Todesjahr fehlt in LÖE, obwohl es im »Kosch« ([Amn. 10] Bd. 15, Sp. 308) nachgewiesen ist.
13]
Die Aufnahme von Moses Hess, der etwa in Killys »Literatur-Lexikon« ([Anm. 11] Bd. 5, 274f.) vertreten ist, wäre aufgrund
seiner vorwiegend theoretischen Schriften freilich nicht selbstverständlich. Dies verweist jedoch auf die Problematik des
in ML nicht genauer spezifizierten Literaturbegriffs.
14]
Selbstverständlich, daß eine solche Auswahl heikel ist, will sie doch gleichzeitig nicht die anderen in ML vertretenen AutorInnen
vergessen machen, darunter zum Beispiel insbesondere (wiederum eine subjektive Nennung) die Schweiz-Exilantin Margarete Susman
(1872–1966) oder die von den Nazis ›aufgegriffenen‹ Lyrikerinnen Gertrud Kolmar (1894–1943?) und Ilse Blumenthal-Weiss (1899–1987).
15]
Vgl. ergänzend dazu die Anthologie: Zweifache Eigenheit. Neuere jüdische Literatur in der Schweiz. Hg. von Rafaël Newman und
dem Schweizerischen Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Verband. Zürich: Limmat 2001.
16]
»Ortlose Botschaft«. Der Freundeskreis H. G. Adler, Elias Canetti und Franz Baermann Steiner im englischen Exil. Bearbeitet
von Marcel Atze. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1998 (= Marbacher Magazin 84), insbes. S. 87–98.
17]
In ML kommt Anne Frank nur in einem ins Leere führenden Registereintrag vor (vgl. ML, S. 655, entsprechend ebd., S. 112).
18]
Vgl. Evelyne Polt-Heinzl / Christine Schmidjell: »Wär' das kein Film?«. In: Die Presse (Wien), 1. 12. 2001, Spectrum, S. V.
19]
Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Hg. von der Österreichischen
Nationalbibliothek [Redaktion Susanne Blumesberger]. 3 Bde. München: Saur 2002.
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