Entstehungskontext

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Textentstehung

Das im Sommer 1970 in Paris geschriebene Hörspiel Wind und Meer ist als Einziges der vier Hörspiele Peter Handkes bereits vor der Rundfunkproduktion gedruckt erschienen, und zwar in dem November 1970 vom Suhrkamp Verlag veröffentlichten Hörspiel-Sammelband gleichen Titels. In einem Brief vom 30. April 1970 an Klaus Schöning, den Leiter der Hörspielredaktion des Westdeutschen Rundfunks, benannte Handke erstmals sein viertes Hörspiel, schlug aber aufgrund formaler Diskussionen, die während der Realisierung von Geräusch eines Geräusches aufgetreten waren, einen zweifelnden Ton an: »Ich habe vor, ein letztes Hörspiel zu schreiben, fürchte aber, daß es mit dem [GG, Anm.] schon was Schlimmes geben, worauf das 4., das noch schlimmer ist, nicht mehr gesendet wird. Es sollte "Wind und Meer" heißen.« (HA WDR, 11682) Die Form schließt an das Konzept von Geräusch eines Geräusches an. Ein vager inhaltlicher Zusammenhang besteht zur Erzählung Wunschloses Unglück, in der Handke eine in Wind und Meer verarbeitete biografische Episode (WMS 9) erneut aufgreift (WU 27; Heintz 1974, S. 49). Zwischen der ersten Ankündigung des Projekts am 30. April und dem mit 31. August datierten Aushänger des Suhrkamp Verlags sind keine Briefe oder Textfassungen dokumentiert, lediglich am 21. Mai 1970 äußerte Klaus Schöning in einem Brief an Handke, dass er »sehr neugierig« sei (HA WDR, 11682). In einem Brief an Karlheinz Braun (Verlag der Autoren) vom 16. Juli bezeichnet Schöning Wind und Meer noch immer als »angekündigtes neues Hörspiel« (HA WDR, 11682), Braun wiederum bestätigte am 20. Juli: »Über Handkes neues Hörspiel wissen wir noch nichts – außer dem [sic] Titel.« (HA WDR, 11682) Der Entstehungszeitraum der Niederschrift ist daher mit Ende Juli oder Anfang August wahrscheinlich.

Zwei Hörfunk-Realisierungen 1971

Am 6. Oktober 1970 informierte Klaus Schöning Karlheinz Braun und Wolfgang Wiens vom Verlag der Autoren über die geplante Sendung von Wind und Meer »im nächsten Jahr im III. Programm«, wozu Braun am 15. Oktober sein Einverständnis gab. Außerdem hatte sich ergeben, dass Handke »die Realisation selbst [...] machen« wollte (HA WDR, 11683). Am 6. Dezember schrieb Schöning erneut an Braun, vermutlich um den Beginn der Aufnahmen anzukündigen: »Peter Handke realisiert bei uns das Hörspiel WIND UND MEER [...]«. (HA WDR, 11683) Die Ursendung fand am 25. Februar 1971 in der Regie von Peter Handke statt (als Sprecher fungierte unter anderem Friedhelm Maye, der bei sämtlichen Filmproduktionen Handkes mitwirkte und lange mit ihm befreundet war). Die drei bis dahin verfassten Hörspiele waren jeweils von Heinz von Cramer produziert worden. Von Cramer realisierte Wind und Meer selbst für den Bayerischen Rundfunk in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Schulfernsehen (die Aufzeichnung erfolgte von 31. Dezember bis 10. Jänner 1971, die Erstsendung am 5. März 1971). Eine 25-minütige Sendung über die Hörspielproduktion wurde am selben Tag vom Bayerischen Schulfernsehen gesendet (vgl. Karlheinz Braun an Klaus Schöning am 24.11.1970, HA WDR, 11683).

Idee und Konzept

Seine Grundidee zum Hörspiel erläuterte Handke im Jänner 1971 in einem für den Bayerischen Rundfunk aufgezeichneten Gespräch mit Heinz von Cramer: »Ich bin bei Wind und Meer davon ausgegangen, daß ich ein Hörspiel schreiben wollte, in dem überhaupt nichts geredet wird, in dem nur Geräusche vorkommen, die ich gerne höre. 10 Minuten nur Wind und Meer.« (Cramer 1972, S. 30) Mit seinem in den Hörspielen praktizierten sprachexperimentellen und konstruktivistischen Ansatz steht Handke in der Tradition des »Neuen Hörspiels«, dessen Entstehung »zeitlich [...] mit einer starken Wiederbelebung dieses Genres in neuer Form gegen Ende der sechziger Jahre [zusammenfällt]« (Nägele / Voris 1978, S. 96-97). Und für die Produktionsankündigung des Bayerischen Rundfunks erläuterte Handke in einem kurzen Text: »Es gibt in meinem Hörspiel [...] keine logisch ablaufenden Bilder. Zwar tauchen Sätze und Geräusche auf, die einen Inhalt haben, aber sie stellen keine äußere Abfolge her. Es handelt sich um Notizen und Chiffren einer Geschichte, die der Hörer selbst erfinden soll. Man muß mit diesen Sätzen und Geräuschen einen Bewußtseinszustand nachzubilden versuchen. Dieser Bewußtseinszustand ließe sich vielleicht umschreiben mit Begriffen wie Trauer und Verlassenheit. Jeder kennt so etwas; jeder hat selber Trauer erlebt; jeder hat sich einmal in einem isolierten Zustand befunden. Diese Erfahrungen soll das Hörspiel wieder wachrufen. Es soll den, der zuhört, auf sich selbst verweisen; er soll ihn frei machen für seine eigenen Vorstellungen, für seine eigenen Erfahrungen, es wird ihm keine Geschichte aufgezwungen.« (Peter Handke, Produktionsdatenblatt des Bayerischen Rundfunks 1971, Beilage zur Textfassung 2b) (ck)

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