Der untrügliche Wahrsager - ein Gesellschaftsspiel der Biedermeierzeit

„Eulalia Boehmer in Leipzig“

Der untrügliche Wahrsager. Interessantes Orakelspiel. Vermächtniß der Madame Marie Lenormand in Paris. - Graz : Ludewig, 1848.

Österreichische Nationalbibliothek, Signatur: *69.K.152

 

- “Wie erscheine ich am Vortheilhaftesten in der eleganten Welt?“

- „Durch stets schöne Worte machen, Wenig denken, immer lachen.“

 

Marie-Anne Lenormand (1772-1843) war vielleicht die bekannteste Kartenlegerin ihrer Zeit. 1793 eröffnete die junge Frau ein als Buchhandlung getarntes Studio, in dem sie ihrer Kundschaft nicht nur die Karten legte, sondern sie auch mithilfe anderer Divinationstechniken beriet. Drei Regime hindurch – von der Ersten Republik über Napoleons Kaiserherrschaft bis zur Restauration – wurde sie angeblich selbst von der politischen Prominenz konsultiert, mehrmals unter verschiedenen Vorwürfen wie Hexerei oder gar Hochverrat verhaftet und immer wieder rehabilitiert. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher mit Prophezeiungen und Erinnerungen, darunter eines über Ihre Gönnerin Kaiserin Josephine, das besonderes Aufsehen erregte.  

Der Name von Mlle. Lenormand versprach also beste Werbewirkung. So kamen bald nach ihrem Tod nicht nur mehrere Biographien bzw. ihr zugeschriebene Schriften auf den Markt, sondern auch zwei Kartendecks, das Grand jeu de Mlle Lenormand und einige Jahre später das heute benutzte Lenormand-Kartendeck (Petit Lenormand; sie selbst hatte allerdings die von Jean-Baptiste Alliette entworfenen Tarotkarten bzw. sein Petit Etteilla-Deck verwendet.)

Auch der Grazer Verleger Eduard Ludewig bediente sich des berühmten Namens, indem er 1846 ein Gesellschaftsspiel herausbrachte, das als „Vermächtnis der Madame Marie Lenormand in Paris“ präsentiert wurde: „Einzelne, wie Gesellschaften bis zu 10 Personen können sich aufs Angenehmste hier unterhalten – öftere Wiederholungen werden nie ermüden – immer tauchen neue, sinnreiche Zukunftsschlüsse auf“, verhieß die Werbung im Intelligenz-Blatt zur Laibacher Zeitung (14.11.1846). Auf neun Karten finden sich je drei Fragen sowie ein Büstenportrait einer „Wahrsagerin“, von denen jede einer europäischen Großstadt zugeordnet wird, etwa „Eulalia Boehmer in Leipzig“. Mlle. Lenormand ist die einzig reale Person, die anderen Namen sind freie Erfindungen oder Assoziationen; darunter z.B. „Adverson“* in Anlehnung an die Kartenschlägerin in Aubers Oper Gustave III. ou Le bal masqué, die seit 1835 auf dem Spielplan des Wiener Kärntnertortheaters stand.

Für die vorliegende zweite Auflage des Spiels von 1848 wurden die Karten neu gestaltet und die Portraits durch Ganzfiguren ersetzt. Diese Seiten sollten aus dem Buch geschnitten und auf Karten geklebt werden. Die Regeln des Gesellschaftsspiels sind denkbar einfach: Jeder Spieler zieht eine Karte und stellt eine der drei Fragen, z.B. “Wie erscheine ich am Vortheilhaftesten in der eleganten Welt?“. Der Spielleiter, hier „Zoroaster“ genannt, schlägt im Buch dann die Antworten der entsprechenden Wahrsagerin auf, die mit 2 bis 12 nummeriert sind. Der Spieler wirft zwei Würfel, und die Summe der Augenzahl bestimmt die Antwort – z.B. „Durch stets schöne Worte machen, Wenig denken, immer lachen“. Das Konzept des Spiels war keineswegs neu, schon vorher hatte man sich mit Vergleichbarem amüsiert – s. die Links unten. Den wahren Unterhaltungseffekt werden wohl die launigen oder spitzigen Kommentare der Mitspieler ausgemacht haben.

 * Eine Verbalhornung von „(Ulrica) Arfvidsson“ , dem Namen einer 1801 verstorbenen schwedischen Okkultistin.  In Verdis Ballo in maschera (1856) heißt die entsprechende Figur Ulrica.

 

Der Egyptische Zigeuner im Wahrsagen

 
 

 


last update 03.09.2016