De unicornu observationes novae

Bartholin, Thomas: De unicornu observationes novae. Accesserunt de aureo cornu CL. V. Olai Wormii eruditorum judicia. - Padua : Typis Cribellianus, 1645.

Österreichische Nationalbibliothek, Signatur: *69.K.152

Der dänische Arzt Thomas Bartholin (1616-1680) galt vielen Zeitgenossen als bedeutendster Anatom der Epoche. In seiner Schrift Vasa lymphatica nuper hafniae in animalibus inventa et hepatis exsequiae (1653) beschrieb er das Lymphsystem als eigenständiges Organsystem – eine Entdeckung, die auch der  schwedische Anatom und Erfinder Olof Rudbeck für sich beanspruchte. Dass Bartholin seine Erkenntnisse knapp vor Rudbeck veröffentlicht hatte,  entschied den folgenden Gelehrtenstreit schließlich zu seinen Gunsten.

Die Familie Bartholin trug aber noch mehr zur Medizin und Naturwissenschaft der Neuzeit bei: Thomas‘ Vater Caspar lehrte Medizin (und später Theologie) an der Universität Kopenhagen, sein Bruder Rasmus (oder Erasmus) untersuchte experimentell die Eigenschaften isländischer Kristalle, insbesondere die Doppelbrechung des Lichts. Thomas‘ Sohn Caspar d. J. beschrieb erstmals die nach ihm benannten Bartholinischen Drüsen. Zur Familie gehörte auch Ole Worm, der Schwager von Thomas‘ Mutter, ebenfalls Arzt und berühmter Wegbereiter der archäologischen Forschung in Dänemark. Nach Caspars d. Ä. Tod kümmerte er sich um Thomas‘ Erziehung.

Thomas Bartholins Schriften zeigen exemplarisch das enge Nebeneinander von Wissenschaft und Aberglauben im 17. Jahrhundert. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen behandelte er Themen wie Fallstudien aus der anatomischen Praxis, den Blutkreislauf  gemäß der Theorie William Harveys oder den Einsatz von Eis als Anästhetikum, aber auch die medizinischen Anwendungen des Einhorn-Horns. Schon sein Vater Caspar d. Ä. hatte (eher vorsichtig-skeptisch) 1628 über dieses Thema geschrieben, und Thomas selber hatte auf seinen Reisen viele dieser Fossilien gesehen oder auch erworben. Zusammen mit Ole Worm versuchte er ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen; sie erkannten wohl, dass die angeblichen Hörner des Wundertiers eigentlich die Stoßzähne des Narwals waren – doch gab es einen Beweis dafür, dass nie ein Land-Einhorn existiert hatte? Die fälschliche Zuweisung der Walzähne schloss ja nicht aus, dass es in früheren Zeiten oder fernen Ländern ein solches gegeben hatte oder gar noch gab. Und der therapeutische Nutzen des geriebenen Zahns schien ihnen in auf jeden Fall offensichtlich zu sein. In der zweiten, überarbeiteten Fassung von De unicornu observationes novae führte Bartholin sogar noch mehr Beispiele für solche gelungenen Therapien an – sicher zur Freude der isländischen Kaufleute, denen der Handel mit Narwalhörnern ein gutes Einkommen versprach. Im Lauf des 18. Jahrhunderts verschwand aber auch „unicornus marinus“ nach und nach aus den Apotheken Europas.  

Bild links: Narwalzähne aus Ole Worms berühmter Sammlung, dem Museum Wormianum (mit Mausklick zum Vollbild)

Bartholins De unicornu observationes novae im ONB-OPAC (mit Volltext)


last update 03.09.2016