Über die Denkungsart der Wiener

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Uiber die erhabene und niedrige Denkungsart der Wiener. Zwey Theile. Von Philipp Niel. - Wien 1785.

Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 310.134-A.Alt-Mag

Detailinformation

„Man beschuldige den Verfasser nicht einer schlechten Meinung von allen Wienern, weil er sagt: über die niedrige Denkungsart der Wiener. Er will nicht so viel hiemit zu verstehen geben, als wollte er über eine niedrige Denkungsart  reden, welche alle Wiener haben; sondern er spricht nur von einer niedrigen Denkungsart, welche sich öfter der Wiener als zum Beyspiel der Berliner oder der Prager bemächtigen [sic] – wenn der Autor, der sich „Philipp Niel“ nennt, in der Vorrede seine Wien-Polemik auf diese Art „relativiert“, weiß man schon, was es geschlagen hat. Ob er nun selber ein von seinen Mitbürgern enttäuschter Wiener oder ein (auf Wienerisch) „Zuag‘raster“ war, ließ sich nicht ermitteln; auf jeden Fall hat er die zahlreichen Wien-kritischen Schriften der josephinischen Zeit um ein besonders bissiges Exemplar ergänzt.

Das Titelblatt suggeriert, dass eine Abhandlung in „Zwey Theile[n]“ vorliegt, und so schließt an die Vorrede  auch ein Inhaltsverzeichnis des ersten Teil „Uiber die erhabene Denkungsart der Wiener“ an. Auf diese Übersicht folgt aber sofort der zweite Teil „Uiber die niedrige Denkungsart“, und schon wird klar, was das „tacet“ am Ende von S. 8 zu bedeuten hat (vgl. Bild links):

„4. Uiber die erhabene Denkungsart der Bürger … 8. Uiber die erhabene Denkungsart der ledigen Frauenzimmer. 9. Uiber die erhabene Denkungsart der Recensenten“ – schweigt der Autor.  Im folgenden „Zweyten Theil“ erweist er sich aber als keineswegs schweigsam, wenn es darum geht, die Schwächen, Narreteien und Charaktermängel der Wiener zu geißeln. Nach hochmütigen Bürgern, besonders gewinnsüchtigen Kaufleuten und übermäßig tanzlustigen* (!) Frauenzimmern bekommen zum Schluss die Rezensenten ihre verbalen Prügel, und man ahnt, dass „Philipp Niel“ sich nicht zufällig diese Personengruppe als krönenden Schlusspunkt seiner Polemik ausgesucht hat.

Wenn auch manche zeitgenössische Wiener Leser empört reagiert haben mögen: In Band 1 seiner Vaterländischen Denkwürdigkeiten (1842) nahm Johann Paul Kaltenbaeck die Denkungsart der Wiener in eine kurze Liste von „Schriften über Wien von 1781 bis 1785“ auf, die seiner Ansicht nach „unseren Lesern einiges Vergnügen“ bereiten sollten. Auch heute bereitet es den (Wiener) Lesern einiges Vergnügen, zum Beispiel über die Titelsucht der hiesigen Bürger zu lesen (wenn hier auch nicht ein akademischer Grad, sondern das „Frau / Herr Von“ gemeint ist).  

* „Die Eitelkeit, die Falschheit, die Begierde eine reiche und grosse Frau zu werden und die übermößige Lust zum Tanzen sind die wahren Verräther der niedrigen Denkungsart der Wiener leedigen [sic] Frauenzimmer.“ (S. 43)


last update 03.05.2016