|  [3/ S. 147:]  Das dichterische und verlegerische Werk Heimrad Bäckers zählt zu den herausragenden Erscheinungen der österreichischen Literatur
                           nach 1945. Die von Bäcker 1968 gegründete Zeitschrift »neue texte« und der Verlag »edition neue texte« (ab 1975) haben einen
                           Großteil der heute relevanten Autorinnen und Autoren - zum Teil als Erstveröffentlichung - präsentiert. In seinem eigenen
                           literarischen Werk »nachschrift«, einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Holocaust, nimmt Bäcker an den Quellen zur
                           NS-Zeit »die möglichkeit zur konkretion« wahr. Das »brachliegende sprachmaterial« der überlieferten Dokumente wird mit Hilfe
                           formaler Verfahren isoliert, wodurch die verschleiernde, vertauschende Sprachverwendung totalitärer Systeme bewußt gemacht
                           wird. Das Buch »nachschrift« besteht ausschließlich aus vorgefundenem Textmaterial, keiner der Texte ist Fiktion, Bericht
                           oder Beschreibung; Bäcker verbleibt mit seinen Spracharrangements in der Sprache der Opfer und Täter. Anhand von Bäckers Werk drängt sich die Frage nach dem Zusammenspiel von Konkreter Dichtung und Mimesis in den Vordergrund.
                           Im Wissenschaftsdiskurs erscheinen diese beiden Termini meist als isolierte bzw. einander ausschließende Begriffe. Das Moment
                           des Mimetischen wurde gar als konstitutive Negativdefinition der »Konkreten / Konzeptionellen Dichtung« herangezogen, etwa
                           von Siegfried J. Schmidt: »Konkrete Kunst, in welchem Medium auch immer sie verwirklicht wird, ist eine ›nicht-mimetische‹,
                           generative Kunst, die die sinnliche Wahrnehmung der sichtbaren Wirklichkeit [...] aufhebt und sich auf die Thematisierung
                           ihrer künstlerischen Mittel selbst konzentriert.« (konkrete dichtung. texte und theorien. Hg. von Siegfried J. Schmidt. München:
                           Bayerischer Schulbuch-Verlag 1972, S. 140f.). Vor diesem Hintergrund soll die Konkrete Dichtung, wie sie sich im dich- [3/ S. 148:] terischen und editorischen Werk Bäckers präsentiert, eine Neubewertung hinsichtlich ihres ästhetischen und erkenntnistheoretischen
                           Potentials erfahren. Über die archivarische Betreuung und Auswertung dieses für die Konkrete Dichtung essentiellen Materialbestandes
                           (Verlagsarchiv und -korrespondenz, Arbeitsmaterial zur »nachschrift«) soll ein aktuelles und reformuliertes Konzept von Mimesis
                           mit der Konkreten Poesie in Beziehung gesetzt werden. Mit »Repräsentation«, »imitatio« und »Nachahmung« ist die Begriffsextension
                           von Mimesis nur unzureichend bestimmt. Entgegen der Vorstellung von sinnlicher Nachahmung betont Walter Benjamin die Bedeutung
                           der Sprache für die Mimesis: Sprache als die »höchste Stufe des mimetischen Verhaltens und das vollkommenste Archiv der unsinnlichen
                           Ähnlichkeit«. (Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Hg. von Hermann Schweppenhäuser und Rolf Tiedemann. Bd. 2/1. Frankfurt
                           am Main: Suhrkamp 1991, S. 213). Damit verortet er Mimesis auf der Ebene der sprachlichen Medialität, mithin auf jener Ebene,
                           die in Schmidts Definition den Nukleus der Konkreten Dichtung ausmacht. Das Projekt, das von Juni 2000 bis Mai 2002 läuft, verfolgt zwei Ziele: So wird erstens die Sichtung, Ordnung, Erschließung
                           und Archivierung des Vorlasses des Dichters und Verlegers Heimrad Bäcker vorgenommen. Die Vorlaßbearbeitung in Zusammenarbeit
                           mit dem Vorlasser garantiert eine möglichst materialgerechte archivarische Sicherung und qualitative Auswertung dieses Bestandes.
                           Angestrebt wird zweitens eine qualitative Sichtung und Auswertung des archivierten Materials als monographische literaturwissenschaftliche
                           Studie zu Bäckers literarischem Werk »nachschrift« und zur Konkreten Poesie, mit der Gewichtung auf der kritischen Präsentation
                           eines innovativen Konzepts von Mimesis. Die Innovation des Projekts liegt in der Inbezugsetzung dieser beiden in der Forschung
                           als einander ausschließend betrachteter Bereiche.
                         Das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanzierte Projekt knüpft inhaltlich und methodologisch
                           an die FWF-Projekte S 36/3 (»Österreichische Nachlässe«) und P 09135-HIS (»Literaturwissenschaftliche Aufarbeitung des Friederike-Mayröcker-Vorlasses«)
                           an. 
                         Thomas Eder / Klaus Kastberger |  |