Bleistift, Heft & Laptop. 10 Positionen aktuellen Schreibens

Die erste Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek vermittelt ein lebendiges und ungemein vielfältiges Bild der österreichischen Gegenwartsliteratur. Zehn österreichische SchriftstellerInnen – fünf Frauen und fünf Männer – waren eingeladen, sich, ihr Werk und ihre Zugänge zum Schreiben zu präsentieren. Ihre individuellen Positionen gehen dabei weit über das Medium der Sprache hinaus: Bildnerische, grafische und darstellende Arbeiten werden ebenso gezeigt wie künstlerische Kooperationen. All diese Objekte und Installationen vermitteln überraschende Einblicke in das Entstehen von Texten, in Schreibbiografien und die "Werkstätten" von GegenwartsautorInnen.

2015 verwandelte sich das ehemalige Finanzarchiv der Donaumonarchie in einen schillernden, multimedialen Ort der Literatur, der nicht nur das fertige Produkt "Buch", sondern vor allem den spannenden Prozess seiner Entstehung und seiner öffentlichen Wahrnehmung veranschaulicht. Die Dauerausstellung im 1. und 2. Stock des Grillparzerhauses zeigt dabei anhand zahlreicher Beispiele aus dem 19. und 20. Jahrhundert, wie sehr sich die österreichische Literatur durch Doppelbegabungen und Grenzgänge zwischen den Künsten auszeichnet. Die erste Sonderausstellung des Literaturmuseums im 3. Stock knüpft genau hier an: "Bleistift, Heft & Laptop" illustriert, wie sich die Literatur im 21. Jahrhundert unter dem Eindruck der Medien und der Globalisierung, in Konfrontation mit einer allgegenwärtigen Flut an Bildern, Zitaten, Fotografien und Tönen verändert. Die AutorInnen nähern sich den Phänomenen Intuition und Inspiration, sie fragen danach, wie wichtig Recherche und Lektüre für das Schreiben sind, wodurch Schreibprozesse ausgelöst und wie Ideen und Konzepte in Literatur umgesetzt werden.

Aber kann man Literatur überhaupt ausstellen? Schließlich ist das Ergebnis einer literarischen Arbeit kein einmaliges Original, sondern ein mehr oder weniger oft gedrucktes Buch; und auch das immaterielle Produkt, der Text im Netz oder das E-Book, wird vielfach abgerufen, ist kein Unikat wie ein Gemälde oder eine Zeichnung. Brigitta Falkner, Hanno Millesi, Richard Obermayr, Teresa Präauer, Kathrin Röggla, Ferdinand Schmatz, Clemens J. Setz, Thomas Stangl, Gerhild Steinbuch und Anna Weidenholzer zeigen eindrücklich, dass man diese Frage mit Ja beantworten kann. Sie präsentieren in den denkmalgeschützten Archivregalen aus dem 19. Jahrhundert ihre gegenwärtige Arbeit mit Stift und Papier, mit Tastatur und Bildschirm. Bemerkenswert dabei ist, dass sie alle ihr Werk über das Wechselspiel mit anderen künstlerischen Techniken definieren: Zeichnungen, Fotos, Videos, Film- und Theaterausschnitte, Musik, Tonaufnahmen, Installationen, Montagen, historische Fundstücke und vieles mehr sind Teil ihrer Schreibprozesse. Sie verdeutlichen, wie unterschiedliche Medien literarische Ausdrucksformen erweitern und ergänzen. Sie bereichern die Literatur, indem sie die Grenzen des Textes überschreiten, Ideen in anderen Medien weiterspinnen und in neuen Formaten aufgreifen. Und sie geben einen Einblick in die Vielgestaltigkeit heutiger literarischer Ausdrucksformen. Am Ende eines literarischen Produktionsprozesses steht nämlich längst nicht mehr "nur" das gedruckte Buch, sondern auch die Übersetzung von Texten in Filme, in Hörspiele, in Theaterszenarios; Bilder und Töne gehen Verbindungen mit ganz verschiedenen sprachlichen Elementen ein.

Wie werden überhaupt aus Einfällen Gedichte, Theatertexte, Erzählungen oder Romane? Woran entzünden sich die Einfälle? Was wird aus den Einfällen im Verlauf der Arbeit am Text? Den KuratorInnen von "Bleistift, Heft & Laptop" – der Schriftstellerin Angelika Reitzer und dem Literaturwissenschaftler Wolfgang Straub – ging es bei der Zusammenarbeit mit den AutorInnen nicht um eine wissenschaftliche Dokumentation oder einen repräsentativen Querschnitt durch die Literatur, sondern um einen unakademischen Blick auf die Schreibpraxis und Poetik einer zeitgenössischen AutorInnengeneration, die zwischen 1953 und 1984 in Österreich geboren wurde. Es ging um zehn subjektive, individuelle und somit unvergleichliche Positionen literarischer Arbeit: Brigitta Falkner erweitert mit ihren grafischen Arbeiten, Filmen und dreidimensionalen Objekten den traditionellen Literaturbegriff. Mit dem Verhältnis von Text und Bild beschäftigt sich auch Hanno Millesi in seinen von Wort- und Bildwitz geprägten Collagen, in seiner Prosa ist die verschobene Wahrnehmung der (Alltags-)Wirklichkeit Thema. Richard Obermayrs Romane handeln von Erinnerungslandschaften und dem Festhalten der Zeit, wofür auch das Medium der Fotografie einstehen kann. Für die Autorin und bildende Künstlerin Teresa Präauer sind Texte, Zeichnungen und Bilder unmittelbar aufeinander bezogen, ihr Beitrag bezieht sich ironisch auf die der Autorin regelmäßig gestellte Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Kunst. In Prosa- und Theatertexten, in Hörspielen und filmischen Arbeiten verarbeitet Kathrin Röggla ihre Recherchen zur Arbeitswirklichkeit von z. B. Sicherheitsmanagern in Atomkraftwerken, von Consultern, von PraktikantInnen. Anna Weidenholzers Prosa thematisiert den zentralen Stellenwert von Arbeit und deren Verlust ebenfalls auf Basis von Interviews und Recherchen. Ferdinand Schmatz wiederum interessiert sich in seinen experimentellen Texten für sprachliche Strukturen und die Übergänge zu Bild und Musik; im Zentrum seines Beitrags steht das Alphabet. Clemens J. Setz schreibt absurd-komische, fantastische und abgründige Texte, die stark von den sozialen und neuen Medien geprägt sind. Er präsentiert Texte zu Bildern der Künstlerin Katharina Weiß. In Thomas Stangls genau recherchierten und zugleich poetischen Romanen werden Städte und Topografien erkundet, wie das historische Timbuktu oder das Wien der Gegenwart. Gerhild Steinbuchs Theatertexte schließlich greifen Themen aus Populärkultur und Hollywoodkino auf. Im Dialog mit der Bühnenbildnerin Philine Rinnert werden Ton und Bild, Raum und (Alltags-)Gegenstände zu Bühnen für den geschriebenen Text.


Die AutorInnen der Ausstellung

Brigitta Falkner
Geboren 1959 in Wien, wo sie auch lebt. Zu ihren Buchveröffentlichungen zählen die Bände Anagramme Bildtexte Comics (1992), TOBREVIERSCHREIVERBOT – Palindrome (1996) und Fabula rasa oder Die methodische Schraube (2001) sowie Populäre Panoramen I (2010). Falkners grafische Arbeiten wurden mehrfach ausgestellt, ihre Video- und Filmarbeiten waren zuletzt in der Werkschau Ganz kleines Kino zu sehen (Literaturhaus Graz 2015). 2002 erhielt sie das George-Saiko-Reisestipendium, 2010 den Heimrad-Bäcker-Preis und 2011 den Preis der Stadt Wien für Literatur.

Hanno Millesi
Geboren 1966 in Wien, wo er an der Universität für angewandte Kunst studierte. In den 1990er Jahren u. a. Assistent von Hermann Nitsch und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums moderner Kunst in Wien. Millesi erhielt das Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien sowie das Projekt- und Staatsstipendium für Literatur des BKA; er veröffentlichte zuletzt den Erzählband Das innere und das äußere Sonnensystem (2010) sowie die Romane Der Nachzügler (2008), Granturismo (2012), die Novelle Venusatmosphäre (2015) und den Roman Der Schmetterlingstrieb (2016), seinen bildnerischen Arbeiten widmete sich die flugschrift (2015).

Richard Obermayr
Geboren 1970 in Ried im Innkreis, lebt in Wien und Schlatt/Oberösterreich. Sein Debütroman Der gefälschte Himmel erschien 1998, 2010 folgte der Roman Das Fenster.

Teresa Präauer
Geboren 1979 in Linz, Autorin und bildende Künstlerin in Wien. Sie studierte Germanistik und Malerei in Salzburg, Berlin und Wien. Der Roman Für den Herrscher aus Übersee (2012) wurde mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet. 2014 erschien der Künstlerroman Johnny und Jean. Gemeinsam mit Wolf Haas veröffentlichte sie 2010 Die Gans im Gegenteil, 2009 erschien das Postkartenbuch Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken. 2015 war sie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, erhielt den Förderpreis zum Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis und zum Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg. Ihre zeichnerischen Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt.

Kathrin Röggla
Geboren 1971 in Salzburg, lebt in Berlin. Schreibt Prosa, Theatertexte, Essays und Hörspiele. Zahl-reiche Veröffentlichungen, darunter der Roman wir schlafen nicht (2004), tokio, rückwärtstagebuch (gemeinsam mit Oliver Grajewski, 2009) und zuletzt Die falsche Frage. Theater, Politik und die Kunst, das Fürchten nicht zu verlernen (2015). Mit dem ZDF produzierte Röggla 2012 den Film Die bewegliche Zukunft – Eine Reise ins Risikomanagement. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Italo-Svevo-Preis 2001, den Anton-Wildgans-Preis 2008 und den Arthur-Schnitzler-Preis 2012. Seit 2012 ist sie Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, seit 2015 deren Vizepräsidentin.

Ferdinand Schmatz
Geboren in Korneuburg, lebt als Dichter und Essayist in Wien. Schmatz studierte Germanistik und Philosophie, lehrte an der Nihon-Universität in Tokio, an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz und an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo er seit 2012 das Institut für Sprachkunst leitet. Zu seinen Veröffentlichungen zählen u. a. Durchleuchtung. Ein wilder Roman aus Danja und Franz (2007), quellen. Gedichte (2010) und das gehörte feuer. orphische skizzen (2016). Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Georg-Trakl-Preis 2004, den H.C.-Artmann-Preis 2006 und den Ernst-Jandl-Preis 2009.

Clemens J. Setz
Geboren 1982 in Graz, Studium der Mathematik und Germanistik, lebt als Autor und Übersetzer in Graz. 2007 veröffentlichte er seinen Debütroman Söhne und Planeten, 2008 nahm er an den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil. Bislang erschienen u. a. der Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes (2011), der Gedichtband Die Vogelstraußtrompete (2014) und die Romane Die Frequenzen (2009), Indigo (2012) und Die Stunde zwischen Frau und Gitarre (2015). Setz veröffentlichte außerdem Essays und Artikel in diversen deutschen Feuilletons. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Preis der Leipziger Buchmesse 2011 und den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2015.

Thomas Stangl
Geboren 1966 in Wien, Studium der Philosophie und Hispanistik, lebt in Wien. Sein erster Roman Der einzige Ort erschien 2004 und wurde mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet. Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt gewann er 2007 den Telekom-Preis. 2012 erschien der Band Reisen und Gespenster, 2013 der Roman Regeln des Tanzes. 2010 wurde Stangl mit dem Alpha-Literaturpreis und 2011 mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet.

Gerhild Steinbuch
Geboren 1983 in Mödling, studierte szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, wo sie auch lebt. Von 1994 bis 1998 war sie Mitglied der Jugendliteraturwerkstatt Graz. Ihr erstes Stück kopftot gewann 2004 den Stückewettbewerb der Schaubühne Berlin, seither werden ihre Texte vom Rowohlt Theater Verlag vertreten. 2008 war sie Hausautorin am Schauspielhaus Wien und 2014 Stipendiatin des Autorenlabors am Schauspiel Frankfurt. Zuletzt uraufgeführt wurden ihre Stücke MS Pocahontas (Schauspiel Frankfurt 2015), Marta (Opera de Lille, 2016) und Finsternis (brut Wien 2016), eine Zusammenarbeit mit Philine Rinnert und Sebastian Straub.

Anna Weidenholzer
Geboren 1984 in Linz, lebt in Wien. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und Wrocław/Polen. Seit 2009 veröffentlicht sie in Literaturzeitschriften und Anthologien. 2010 erschien der Erzählband Der Platz des Hundes, 2012 der Roman Der Winter tut den Fischen gut, 2016 Weshalb die Herren Seesterne tragen (Roman). Weidenholzer war 2012 Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin und 2013 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, 2009 erhielt sie den Alfred-Gesswein-Literaturpreis, 2014 den Reinhard-Priessnitz-Preis.

Literaturmuseum der
Österreichischen Nationalbibliothek
Grillparzerhaus, Johannesgasse 6
1010 Wien

Dauer

16. April 2016 – 12. Februar 2017

Öffnungszeiten

Dienstag – Sonntag 10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr

Sommeröffnungszeiten

Juni, Juli, August, September
täglich 10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr

Eintritt

€ 7,–
Ermäßigungen siehe hier
Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren haben freien Eintritt in alle musealen Bereiche.

Freier Eintritt

Ö1

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Führungen

Führungen durch die Ausstellung:
Zum Preis von € 4,– jeden Mittwoch um 17 Uhr sowie auf Anfrage
Treffpunkt am Servicedesk im Literaturmuseum

Katalog

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog:
€ 12,90
Erhältlich am Servicedesk im Literaturmuseum

 

last update 05.03.2015