Lied vom Kindsein

Manuskript, Farbkopie, 1 Blatt, 23.09.1986

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Das Gedicht Lied vom Kindsein schrieb Peter Handke für Wim Wenders‘ Film Der Himmel über Berlin, der das Kindsein als utopischen Idealzustand der Menschen darstellt. Die erste erhaltene Textfassung des Gedichts ist ein mit schwarzem Fineliner geschriebenes Manuskript mit etlichen Ausbesserungen und Umänderungen. Es entstand laut Handkes Angaben nach der letzten Gedichtstrophe am »Baggersee, Wals, 23.9.86.« (Bl. Iv). (Wals ist ein Ort nahe der Stadt Salzburg, am ehemaligen Grenzübergang nach Deutschland.) Das Original dürfte sich noch im Privatbesitz von Hans Widrich befinden, eine doppelseitige Farbkopie des Manuskripts Lied vom Kindsein zählt jedenfalls zum Bestand der Sammlung Peter Handke / Leihgabe Widrich am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (Bl. Ir/v).

Das Gedicht besteht aus vier Strophen, die jeweils mit dem Vers beginnen »Als das Kind Kind war [...]« (Bl. Ir). Die ersten Zeilen lauten beispielsweise: »Als das Kind Kind war, ging es mit hängenden Armen, [/] wollte der Bach sei ein Fluß, der Fluß sei das ein Strom [/] und die Pfütze ein Meer. [/] Als das Kind Kind war, wußte es nicht, [/] daß es ein Kind war, [...]« (Bl. Ir). Eine Stelle in Paulus' Brief an die Korinther könnte Handke zu dem Gedicht inspiriert haben; dort heißt es: »Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.« (Lutherbibel, Kor 13,11) Handke greift das Grundthema, den Wandel des Kindes zum Erwachsenen, auf, verändert es in seinem Gedicht aber. Er zeigt in der ersten Strophe seines Lieds vom Kindsein den Zustand des Kindseins, in der zweiten Strophe die Veränderungen des Kindes durch die ersten großen Fragen hin zum Erwachsenwerden (Strophe 3): »Als das Kind Kind war, würgte es am Spinat, an den Erbsen und am Milchschleim\reis/ [/] und ißt jetzt das alles, und nicht nur zur Not. [/] Als das Kind Kind war, [/] wachte es ein einziges Mal in einem fremden Bett auf, [/] und jetzt immer wieder, [/] erschienen ihm viele \der/ Menschen \Frauen/ schön, und jetzt nur noch im Glücksfall, [/] stellte es sich klar das Paradies vor [/] und kann es jetzt nur noch manchmal \höchstens/ ahnen, [...].« (Bl. Ir) Die vierte und letzte Strophe gibt dagegen Beispiele dafür, was von dem Kind im Erwachsenen noch geblieben ist: »Als das Kind Kind war, genügten ihm als Nahrung Apfel und Brot, [/] und jetzt \so ist es/ immer noch. [/] Als das Kind Kind war, fielen ihm die Erdbeeren wie nur Erdbeeren in die Hand, und jetzt immer noch, [/] machten mir \ihm/ die Walnüsse eine raue Zunge [/] und jetzt immer noch [...] wartete es auf den ersten Schnee [/] und wartet \so/ immer noch.« (Bl Iv)

Das Lied vom Kindsein zieht sich wie ein Leitmotiv durch den gesamten Film, die einzelnen Strophen wurden jeweils gesondert eingespielt. In einer Drehbuchfassung von Der Himmel über Berlin heißt es einleitend: »Dieses Lied, "DAS LIED VOM KINDSEIN", wird uns durch den Film begleiten und an anderen Stellen wieder auftauchen, von verschiedenen Stimmen gesungen, auch in verschiedenen Instrumentierungen, Sprachen und Singweisen. Es fängt hier als Blues an.« (ÖLA SPH/LW/W167, Bl. 22; siehe auch Bl. 39, 40, 53, 69) Unter dem Titel Song Of Beeing A Child wurde es von Van Morrison vertont und 1987 aufgenommen. (kp)

Siglenverzeichnis  Editorische Zeichen

 

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorlage): 

Lied vom Kindsein

Entstehungsdatum (laut Vorlage):  23.9.86
Datum normiert:  23.09.1986
Entstehungsorte (laut Vorlage): 

Baggersee, Wals

Materialart und Besitz

Besitz:  Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Art, Umfang, Anzahl: 

Manuskript, Farbkopie, 1 Blatt, Ir/v

Format:  A4
Schreibstoff:  Filzstift (schwarz, blau)