Grundeintrag 1998
[2/ S. 335:] Die Staatsbibliothek zu Berlin besitzt eine der großen Handschriftensammlungen des Abendlandes. Neben der bedeutenden Sammlung
mittelalterlicher Manuskripte sind umfangreiche Bestände von Nachlässen und Briefen berühmter Persönlichkeiten der deutschen
und europäischen Geistesgeschichte Ausdruck einer seit Jahrhunderten beständig gepflegten Erwerbungstätigkeit auf diesem Gebiet.
Schon im ersten Katalog der Bibliothek, erstellt zum Gründungsjahr 1661, werden zusammen mit gedruckten Werken auch Handschriften
genannt. Eigenhändige Dokumente Martin Luthers, von den Erben 1595 an den Markgrafen Joachim Friedrich verkauft, sind gleichsam
der Nukleus der Autographensammlung. Die systematische Erweiterung des Bestandes ist zunächst vor allem im Bereich der theologisch-philologischen
Literatur zu beobachten. Ihre wahre Bedeutung gewinnt die Sammlung seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, nachdem die Bibliothek
den Aufstieg zur zentralen Bibliothek des Landes vollzogen hatte. Der planvolle Erwerb der Nachlässe berühmter Wissenschaftler
und Schriftsteller, z. B. Chamisso, Eichendorff, Johann Heinrich Samuel Formey, August Hermann Francke, Jakob und Wilhelm
Grimm, Herder, Jean Paul, Friedrich von Raumer, Rückert, Friedrich Karl von Savigny und Friedrich August Wolf zeigt die gesamte
Spannweite sammlerischen Interesses, die auch in der Anlage einer allgemeinen Autographensammlung ihren Ausdruck fand. Die
berühmte Sammlung Karl August Varnhagens (darin unter anderem enthalten der Nachlaß des Fürsten Pückler-Muskau) sowie die
gesamte, über 210.000 Einzelstücke umfassende »Sammlung Autographa« ist - bedingt durch Auslagerungen während des Zweiten
Weltkriegs - heute in der Biblioteca Jagiellonska in Krakau zu benutzen.
Die besondere Hinwendung der Erwerbungspolitik des ausgehenden 19. Jahrhunderts zur deutschen Geistesgeschichte, vertreten
mit Namen wie Fichte, Fontane, Adolf von Harnack, Hegel, Alexander von Humboldt, Lenz, Mommsen, Friedrich Nicolai, Schopenhauer,
Varnhagen, mündet später in eine Spezialisierung auf den Gebieten der idealistischen Philosophie, der naturalistischen deutschen
Literatur - hier sind besonders Gerhart Hauptmann und Arno Holz zu nennen - und vor allem auch der Geschichte der Naturwissenschaften
in Deutschland: Durch die über 300.000 Dokumente umfassende Sammlung Darmstaedter, die die Bibliothek zu Beginn des 20. Jahrhunderts
von dem Industriellen Ludwig Darmstaedter erwerben konnte, ist ge- [2/ S. 336:] rade dieser in vergleichbaren Bibliotheken weniger beachtete Aspekt der Kulturgeschichte in der Staatsbibliothek hervorragend
vertreten. Die heute insgesamt mehrere Millionen Autographen umfassende Berliner Sammlung (dazu gerechnet sind neben den Stücken
der in Berlin nach dem Krieg neu aufgebauten Autographensammlung und der Sammlung Darmstaedter auch die Einzelautographen
aus etwa 700 Nachlässen) ist so ein Universum kultur- und wissenschaftsgeschichtlicher Quellen, wie es an einem Ort nicht
häufig anzutreffen ist. Die großen Neuerwerbungen der letzten Jahre, die Nachlässe Dietrich Bonhoeffer, Martin Breslauer,
Gustaf Gründgens zeigen die Kontinuität eines umfassenden Erwerbungsprofils.
Nachlässe und Autographen werden in der Staatsbibliothek zum großen Teil noch konventionell erschlossen. Ein alphabetischer
Zettelkatalog sorgt für den Nachweis einzelner Stücke aus allen Beständen. Nachlaßlisten und, in wenigen Fällen, gedruckte
Nachlaßverzeichnisse sind andere Mittel, sie der Forschung zugänglich zu machen. Die Einführung elektronischer Verzeichnung
ist in Vorbereitung.
|
|