Die Unvernünftigen sterben aus

Notizbuch, 256 Seiten, ohne Datum [??.12.1972 bis ??.02.1973]

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Beschreibung

Bei diesem Taschenbuchblindband mit dem Projekttitel »Die Unvernünftigen sterben aus« handelt es sich um ein frühes Notizbuch Peter Handkes. Es zählt zum Bestand der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich, die am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird und umfasst insgesamt 256 Seiten, wobei nur 155 Seiten von Handke auch tatsächlich verwendet wurden, der hintere Buchteil blieb leer. Von den 155 Seiten ist wiederum nur rund die Hälfte tatsächlich mit Notizen versehen, denn Handke machte seine Aufzeichnungen ausschließlich auf die rechten Buchseiten, die linken Seiten nützte er für die Paginierung. Die Seitenzählung verläuft von 1-78, darauf folgen allerdings noch zwei Notizenseiten, die links nicht mehr paginiert wurden. (Der Nachweis von Zitaten aus dem Notizbuch erfolgt durch die Angabe der Seitenzahl auf der linken Buchseite neben der Notiz und einem »a«, z.B. S. 78a.) Die Notizbucheinträge sind mit schwarzem und blauem Kugelschreiber, blauem Filzstift und grünem Buntstift geschrieben. Auf der Innenseite des Taschenbuchumschlags sind Handkes damalige Wohnadresse und Telefonnummer in Kronberg am Taunus vermerkt – Kronberg ist auch als Entstehungsort der Notizen anzunehmen. Im hinteren Vorsatz notierte er weitere Telefonnummern.

Das Notizbuch stellt eine einzigartige Quelle für die Erforschung von Handkes Arbeitsweise dar, denn es dokumentiert ein für ihn bis Mitte der Siebzigerjahre typisches Verfahren: das kurz vor Schreibbeginn auf ein Projekt konzentrierte Sammeln von eigenen Wahrnehmungen und von Sätzen bzw. Modellen aus der Literatur, aus Zeitungen oder dem Fernsehen, die er entweder direkt beim Notieren oder bei der anschließenden Verarbeitung und Montage in den Text in das System des jeweiligen Projekts übersetzte und Figuren zuordnete.

Projektnotizen

Bei den vorliegenden Notizen handelt es sich ausschließlich um Aufzeichnungen zum Theaterstück Die Unvernünftigen sterben aus. Selbst das von Handke in den Essay Was soll ich dazu sagen? eingearbeitete Zitat (S. 29a, vgl. AW 27) aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war zunächst für die Verwendung im Stück gedacht. Die Notizen bestehen aus Dialogsequenzen, aus Reflexionen über die Form seines Stücks, die Figuren und ihre Charaktereigenschaften, aus Ideensammlungen zum Bühnenbild und zum Hintergrundgeschehen sowie aus Zitaten, Satz- und Begriffssammlungen aus dem Bereich der Ökonomie. Die Notizen dienten zur Konzeption des Stücks, das heißt zur Konkretisierung von Figuren und Handlungen, sowie als Materialpool bei der Arbeit an der ersten Textfassung. Nach ihrer Verwendung wurden die Einträge von Handke markiert. Manche Stellen sind seitlich mit Kreuzen oder Strichen versehen, andere mit zum Teil mehreren Haken oder Wellenlinien. Einige Notizen wurden auch durchgestrichen.

Datierung

Das Notizbuch ist undatiert, sodass sich ein Entstehungszeitraum der Aufzeichnungen nur ungefähr rekonstruieren lässt: Sie müssen jedenfalls noch vor Schreibbeginn am 28. Februar 1973 notiert worden sein – vermutlich zwischen Dezember 1972 und Februar 1973. Vier Einträge geben Anhaltspunkte für diese Datierung: Handke notierte einen Satz aus der zur Stiftungsgründung am 21. Dezember 1972 verfassten Schenkungsurkunde des Industriellen Karl Kübel (S. 25a), die möglicherweise Ende Dezember in einer Zeitung veröffentlicht wurde. Einen weiteren Hinweis gibt das bereits erwähnte Zitat zum Ende des Vietnamkriegs aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Jänner 1973 (S. 29a). Zwei Zitate stammen aus der von Golo Mann am 28. Jänner 1973 gehaltenen Festrede zum 100. Geburtstag des Chemiekonzerns Degussa mit dem Titel Der tiefe Wandel der Gesellschaft (S. 41a). Im letzten Drittel der Aufzeichnungen erwähnte Handke Gérard Pirès' Film Elle court, elle court la banlieue (S. 59a), der am 15. Februar 1973 in die französischen Kinos kam. (kp)

Siglenverzeichnis Editorische Zeichen

Werkbezüge

Die Unvernünftigen sterben aus

Bei dem Notizbuch mit dem Projekttitel »Die Unvernünftigen sterben aus« handelt es sich um einen Taschenbuchblindband, in dem Peter Handke ausschließlich Notizen zu diesem Theaterstück sammelte. Es umfasst insgesamt 256 Seiten, wobei nur 155 Seiten von Handke verwendet wurden, der hintere Buchteil blieb leer. Von den 155 Seiten ist rund die Hälfte tatsächlich mit Notizen versehen, denn Handke machte seine Aufzeichnungen nur auf die jeweils rechten Buchseiten, die linken Seiten nützte er für die Paginierung. Die Seitenzählung verläuft von 1-78, darauf folgen allerdings noch zwei Notizenseiten, die links nicht mehr paginiert wurden. (Der Nachweis von Zitaten aus dem Notizbuch erfolgt durch die Angabe der Seitenzahl auf der linken Buchseite neben der Notiz und einem »a«, z.B. S. 78a.)

Datierung

Das Notizbuch ist undatiert, es entstand aber vermutlich zwei bis drei Monate bevor Handke am 28. Februar 1973 an der ersten Textfassung von Die Unvernünftigen sterben aus zu schreiben begann. Die Eingrenzung des Entstehungszeitraums auf Dezember 1972 bis Ende Februar 1973 ergibt sich einerseits aus einer Aussage Handkes in einem Radiointerview mit Adalbert Krause vom 10. November 1972, in dem er erzählte, er werde in einem Monat (das heißt im Dezember) mit der Arbeit am Stück anfangen (Krause 1972). Sie basiert andererseits auf vier datierbaren Einträgen: einem Satz aus der Stiftungsurkunde des Industriellen Karl Kübel (S. 25a) vom 21. Dezember 1972, einem Zitat aus einem Artikel zur Rüstungsindustrie nach dem Ende des Vietnamkriegs aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Jänner 1973 (S. 29a), zwei Sätzen aus Golo Manns am 28. Jänner 1973 gehaltener Festrede zum 100. Geburtstag des Chemiekonzerns Degussa (S. 41a) sowie der Erwähnung des Films Elle court, elle court la banlieue (S. 59a) von Gérard Pirès, der am 15. Februar 1973 in die französischen Kinos kam. Dass Handke das Notizbuch aber auch noch nach der Fertigstellung der ersten Textfassung für Aufzeichnungen verwendete, zeigt ein Eintrag, der von Handke den Figuren »Qu.[Quitt] und Paula« (S. 73a) zugeschrieben wurde. In der ersten Fassung hieß Paula Tax noch Herta Rex, der Name wurde von Handke erst bei der Korrektur des fertigen Typoskripts im April 1973 geändert.

Art der Notizen

Die Aufzeichnungen bestehen aus einer Sammlung von Wahrnehmungen und Sätzen verschiedenster Art und Herkunft – aus der Literatur, aus Zeitungen, dem Fernsehen oder Gesprächen seiner Umgebung. Sie wurden von Handke in eine allgemeine Form gebracht und meist direkt beim Notieren in das System des Stücks übersetzt und Figuren zugeordnet. Der Großteil der Notizen ist dementsprechend bereits in Dialogform notiert und unter Anführungszeichen gesetzt. Solche Einträge lauten beispielsweise: »"Ich bin so traurig" – "Ja und?"« (S. 1a); »"ich bin so erschöpft, daß ich mir alles nur auf dem Boden liegend vorstellen kann" DER VERTRAUTE« (S. 2a); »Jemandem etwas so sagen, daß es eigentlich nur für den unbeteiligten Dritten bestimmt ist« (S. 9a). Viele dieser Sätze erwecken den Eindruck von Selbstbeobachtungen, die Handke als Figurenrede formulierte, etwa: »"Auf den allersichersten logischen Schluß folgen bei mir sofort das unsicherste Gefühl und die gegenteiligsten Vorstellungen und Befürchtungen"« (S. 11a) oder »"Was für ein angenehmes Gefühl, wenn das Telefon einmal klingelt, es gleich im Sitzen abzuheben" (Der U.)« (S. 18a).

Zwischen solche Notizen mischen sich Reflexionen Handkes über die Form seines Stücks, die Figuren und ihre Charaktereigenschaften, Ideensammlungen zum Bühnenbild und zum Hintergrundgeschehen sowie Zitate, Satz- und Begriffssammlungen aus dem Bereich der Ökonomie. Zusammen dokumentieren sie eine erste grobe Konzeption des Stücks, ohne jedoch eine exakte Handlungs- und Dialogabfolge erkennen zu lassen. Vermutlich stand der Aufbau des Stücks zum Zeitpunkt des Notierens auch noch nicht fest. Eine Aufstellung der Akteinteilung findet man erst im hinteren Teil des Notizbuchs. Handke sah drei Akte vor: »1. Akt: die Absprache [/] 2. Akt: die Absurditäten Quitts [/] 3. Akt: sein Verrat und sein Ende [/] jeder hat seinen Monolog, nur Quitt weiß dann nichts zu sagen« (S. 65a). In der ersten Textfassung wurden schließlich der erste und der zweite Akt zusammengelegt, sodass es im Stück nur mehr zwei Akte gibt.

Die Aufzeichnungen dienten Handke als Material- bzw. Ideenpool, aus dem er sich beim Schreiben der ersten Textfassung bedienen konnte, wobei sich manche Notizen sofort den entsprechenden Stellen im fertigen Stücktext zuordnen lassen, andere geben nur eine Richtlinie vor, eine Skizze, und sind im Stück kaum wiederzuerkennen. Hinter den vielen Einträgen, die Handke vermutlich bei seiner Arbeit an der ersten Textfassung durch Kreuze, Striche, Haken und Wellenlinien markiert oder durchgestrichen hat, kann man allerdings kein System erkennen, aus dem man konkrete Schlüsse über seine Arbeitsweise (wie er auf die Notizen beim Schreiben zugegriffen hat) ziehen könnte.

Wörter und Sätze zur Ökonomie

Viele der unter Anführungszeichen gesetzten Notizen könnten Zitate sein. Vor allem die zahlreichen Begriffe und Wendungen aus der Wirtschaft dürfte Handke aus verschiedenen Zeitungen oder dem Fernsehen übernommen haben. Sie wurden von ihm zwar unter Anführungszeichen gesetzt, aber nicht mit einer Quellenangabe versehen. Solche Zitate lauten zum Beispiel: »"schwache Antriebskraft, mangelnde Selbstzucht, man kann zum Beispiel nicht höhere Sozialleistungen auf allen Gebieten fordern, zugleich aber den Abbau des SOGENANNTEN Leistungsdrucks fordern"« (S. 15a); »Verzicht: Exportverzicht, Gewinnverzicht«, »Das Ende – aller Preisbindung«, »Handelsmarken (NEC, Nippon Electric Company – NEC(kermann))«, »"in eine Preisbindung zwingen lassen"«, »Lizenz-Streit, Stückzahl-Begrenzung«, »"wenn der Preis stimmt"« (S. 18a) oder »"vorübergehender Ertragseinbruch", "die Sicherung der Auslandsmärkte", "Kooperation über den Erwerb von Beteiligungen", "Kooperation Fusion"« (S. 32a). Diese Art Begriffssammlungen umfassen insgesamt mehrere Notizbuchseiten. Bisher konnte nur für ein Zitat die Quelle herausgefunden werden: Handke notierte eine Passage aus dem Artikel Amerikas Wirtschaft braucht keinen Krieg aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Jänner 1973, die er später für den Essay Was soll ich dazu sagen? (Neue Freie Presse 1/1973, S. 12-15, AW 27) verwendete.

Nur wenige direkte oder indirekte Zitate sind mit einem Autornamen als Quellenangabe versehen. Handke zitierte zum Beispiel aus Golo Manns Degussa-Festrede mit dem Titel Der tiefe Wandel der Gesellschaft: »"Im Wesen des freien Marktes liegt es nicht, daß so viel Unnützes produziert wird" (G Mann)« (S. 41a) und »"Wollt ihr, daß die alten Frauen mit gichtigen Händen wieder die Wäsche im kalten Wasser waschen wie früher? Wenn nein, dann laßt uns mit eurem Spott gegen die Waschmittel in Ruhe!" (Golo)« (S. 41a). Für die Darstellung seiner Unternehmer holte Handke sich Anregungen vom positiven Unternehmerbild des österreichischen Ökonomen und Politikers Joseph Schumpeter, in dessen Handeln er ein dramatisches Moment erkannte: »U. sind "Leute, die Dinge in Gang setzen" (Schumpeter) Drama« (S. 60a). Die folgenden Passagen könnten auch noch dieser Lektüre zugerechnet werden (S. 60a-61a). Ein weiteres Zitat stammt aus der Stiftungsschenkungsurkunde des »Industrielle[n] Karl Kübel: "Die Qualität des Lebens kann sich nur verbessern, wenn der Mensch selbst sich in seiner Qualität verbessert. Er soll selbstsicher, kreativ … im Leben stehen"« (S. 25a).

Brecht, Sternheim und James

Die Bedeutung der beiden Dramatiker Bertolt Brecht und Carl Sternheim, von denen Handke im Interview mit Thomas Oberender 2012 meinte, das Stück wäre ohne diese beiden Autoren nicht möglich gewesen (Oberender 2012, S. 15), zeigt sich unter anderem darin, dass Handke sie im Notizbuch zitiert bzw. erwähnt. Die beiden Sternheim-Einträge lauten: »wie nach und nach die andern von der Bühne gehen und nur noch die zwei übrig bleiben (nur noch 1 Lampe brennt, Sternheim)« (S. 43a) und »"Er packt sie am Kopf und schlägt ihn auf den Tisch" (Sternheim)« (S. 43a) – Letzterer stammt aus Sternheims Stück Die Hose. In seinem Verweis auf Brecht überträgt Handke das Verhalten von Puntila aus dem Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti, der je nachdem, ob er betrunken oder nüchtern ist, seine Angestellten gut oder schlecht behandelt, auf sein Stück: »Das Puntila-Syndrom bezogen auf {xxx} Anwesenheit und Abwesenheit: Anwesende werden angebrüllt und geknechtet, sind sie abwesend, hat er Mitleid, ernsthaft, mit ihnen, er weiß das, kann sich aber nicht anders verhalten« (S. 45a).

Zu der ins Stück eingeflossenen Lektüre zählen auch Werke des amerikanischen Schriftstellers Henry James, aus denen Handke zwei Sätze zitiert: »Es blitzt, und die Vorstellung wird Wirklichkeit (Henry James)« (S. 21a) und »"eine Ruhe, gegen die kein Kraut gewachsen ist" (H. James)« (S. 23a). Der Ausspruch von Paula Tax: »No hard feelings« (S. 19a), den sie nach ihrer Niederlage zu ihrem Geliebten Quitt sagt (DUa 90), dürfte auch von James übernommen worden sein. In seinem Brief an Horst Zankl vom 14. März 1974 schrieb Handke: »Übrigens habe ich ein schlechtes Gefühl bei dem blöden "No hard feelings", das Paula zum Abschied sagt. Es ist vielleicht zu blöd. Aber es gefiel mir halt so, als ich es in einem amerikanischen Kriminalroman las. Für den Ernst der Stunde ist es trotzdem nicht angebracht. Besser wäre es, sie würde unserem Helden nur eine Kusshand zuwerfen.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren, Verlagskorrespondenz) Vermutlich wurde wie in diesem Fall nicht jedes aus seinen Lektüren übernommene Zitat von Handke im Notizbuch gekennzeichnet.

Figuren

Der Großteil der Notizen beschäftigt sich mit der Hauptfigur des Stücks, dem Unternehmer Quitt. Er wird erst im hinteren Teil namentlich erwähnt, abgekürzt als »Qu.« (S. 73a), meist nennt ihn Handke aber nur »der Unternehmer« oder kurz »U.«. Handke umkreist ihn in zahlreichen Notizen regelrecht, sammelt Eigenarten, Gedanken, Gestimmtheiten und mögliche Aussagen Quitts oder Tätigkeiten und Verhaltensweisen gegenüber den anderen Figuren: »Der Unternehmer singt mit seiner Frau einen traurigen Blues« (S. 4a); »Seine Befreiung beginnt mit Fehlleistungen (Aktionen, Sätzen)« (S. 6a); »vor Sehnsucht zeichnet er eine Kurve an die Wand« (S. 8a); »Der Unternehmer liest seinen Angestellten ein selbstverfaßtes Gedicht vor, das er aber vielleicht nur abgeschrieben hat – eine der vielen "Entlarvungen"« (S. 13a); »Der U. ist ein VERRÄTER seiner Klasse« (S. 54a). Quitts »Absurditäten« beginnen mit: »1. Er tritt einer Frau hinten auf den Hacken, daß sie den Schuh verliert [/] 2. Er schlägt jemanden von hinten in die Kniekehle, daß der einknickt [/] 3. Er bohrt in jemands Nabel [/] 4. Er beißt jemanden in den Kragen und schleppt ihn an den Zähnen über die Bühne« (S. 40a). Die Notizen machen die Figur deutlich und ergeben zugleich ein grobes Handlungsgerüst.

Das restliche Figurenpersonal stand vermutlich zu Beginn des Notizensammelns noch nicht fest: Am Anfang des Notizbuchs gibt es eine Frau des Unternehmers und einen Vertrauten. Eine Auflistung von möglichen Rollen im Stück deutet darüber hinaus noch ein potenziell umfangreicheres Personal an: »Rollenbezeichnungen: Der Unternehmer, die Frau des Unternehmers, die Mutter \Eltern/ des Unternehmers, Der Diener, die Angehörigen des Aufsichtsrats, die befreundeten Konkurrenten, die Kinder des Unternehmers, die Geliebte des Unternehmers, die weibliche Konkurrentin, Der Kleinaktionär« (S. 49a). Die anderen Personen des Stücks werden erst im hinteren Teil der Aufzeichnungen skizziert: »Lutz – ein Funktionär des Kapitals [/] K.-K. der Feudalschwärmer« und »v. Amelung – der Priester als Kapitalist« (Handke tauscht die Eigenschaften der beiden über diesem Eintrag durch Pfeile), »Rex – die linke Technokratin« (S. 66a); »Lutz: Elan, Einsatzfreude, Teamwork, Schlagkraft« (S. 68a) und »v. Amelung: Ehre, Gewissen, Stolz, Würde …« (S. 68a). Die Unternehmerfreunde Quitts sind zugleich seine Konkrrenten: »Die Worte seiner Widersacher: Versöhnung, Rettung, herabsinken, zusammenschließen, Heillosigkeit, ausdörren – alles nicht auf Tatsachen, sondern auf Begriffe angewendet« (S. 7a); »vor ihm sind sie böse, aber hinter seinem Rücken geben sie ihm Recht – denn wenn sie ihm vor ihm Recht gäben, würden sie ihre Existenz gefährden; aus diesem Paradox ergeben sich die Konflikte« (S. 13a); »Die Unternehmerfreunde sprechen von Verrat, als er ihre Spielregeln nicht einhält (er ist es, der dabei Gewinne macht)« (S. 17a); »Die Unternehmerfreunde halten das aus dem Herzen Kommende bei ihm für einen guten Witz« (S. 17a).

Bühnenbild und -geschehen

Handke wollte ursprünglich »kein Bühnenbild« (S. 7a). Der Schauplatz wurde von ihm erst bei den Korrekturen der ersten Textfassung bzw. bei der Überarbeitung zur Neuauflage nachträglich eingefügt: »[e]in großer Raum. [...] Der Hintergrund der Bühne wird durch eine Leinwand gebildet, ähnlich einer Kinoleinwand. Durch die Leinwand vage die Silhouette einer großen Stadt« (DUa 7). Dennoch findet man in den Notizen immer wieder Ideen für auf der Bühne stattfindende Nebenereignisse, die jedoch Großteils (nicht alle) im zweiten Akt des Stücks realisiert wurden (DUa 57, 90f., 103): »Der Punchingball auf der Bühne[,] die phosphoreszierenden Schlangen zwischen den Möbeln« (S. 3a); »leere Kisten fallen aus dem Schnürboden« (S. 12a); »verschiedene, in verschiedener Bühnentiefe befindliche, sich überschneidende Vorhänge, die auf und zugehen mit jeder neuen Szene« (S. 12a); »Ein Flugzeug fliegt lange, lange über die Bühne« (S. 19a); »Es donnert und blitzt« (S. 19a); »Die Tür geht langsam auf, und man sieht nur eine gerollte graue Militärdecke hereinrollen« (S. 30a); »das welke Laub, das auf die Bühne fällt« (S. 30a); »Ein Teig, der im Lauf des Stücks aufgeht« (S. 36a); »eine Blume, die im Lauf von 2 Stunden Theaterstück aufgeblüht ist« (S. 37a); »Ein Braten, der nach 2 Stunden {xxx}: alles als Spiel für sich nebenher« (S. 37a); »Die Natur auf der Bühne« (S. 55a); »Ein Eisklumpen schmilzt auf der Bühne, die Schlangen erwachen« (S. 74a); »Tarzanschrei« (S. 74a); »Blütensamen wollig schwirren lange über die Bühne« (S. 76a); »Es schneit« (S. 76a).

Reflexionen über Theater und Schauspiel

Im Notizbuch findet man immer wieder theoretische Reflexionen zur Form und Gattung des Theaterstücks. Ein Gedanke erinnert dabei an Handkes spätere Aussagen in Interviews über den Impuls zum Stück (Schultz-Gerstein 1974 und Durzak 1976, S. 320): »Liebe, Verrat, Freundschaft, Vereinsamung etc. (alte Tragödienzustände) nicht auf den Umgang mit bestimmten Menschen mehr bezogen, sondern auf den Umgang von beliebigen Menschen mit bestimmten Gegenständen, Zuständen, Regeln, Absprachen, z.B.: Privatabsprachen, Gemeinsamkeiten, schwachen Stunden ... Zuflucht nicht mehr bei den Menschen, sondern bei den vorletzten Sachen: besonders zärtliche Beachtung der Regeln, zärtlicher Umgang mit den mißachteten Sachen, Hätschelung der schwachen Stunden – aber umso größere Brutalität gegen die stellvertretend büßende menschliche Umwelt – eine Art noch perverser als Tierliebe« (S. 9a).

Bei diesen eher theoretischen Überlegungen handelt sich oftmals auch um den Versuch das Stück für sich zu bestimmen und einzuordnen: »was ich gern auf der Bühne sehe: Frauen: gehen zuhören, trinken, viel an und ausziehen, lächeln, lachen, den Kopf wiegen, in den Nacken werfen (legen), einen Mann am Revers zu sich herabziehen, einem Stofftier einen Fußtritt versetzen, (ein)schlafen« (S. 13a); »die nicht in einem logischen Ablauf normalisierten Phänomene sind mir wichtiger, weil sie Zeichen sind; sie abzustreiten (auch in der Struktur eines Stücks) wäre pure Vergangenheitsbeschreibung (Historiographie), ohne Berücksichtigung von Vorvergangenheit und Zukunft« (S. 32a) oder »Das Stück muß von Anfang an verzweifelt und monumental sein« (S. 58a). (kp)

Siglenverzeichnis Editorische Zeichen

Als das Wünschen noch geholfen hat

Eine Textstelle, die Handke in seinem Essay Was soll ich dazu sagen? verarbeitete, ist im Notizbuch »Die Unvernünftigen sterben aus« (Bl. 29a) zu finden: Es handelt sich um ein Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Jänner 1973, aus dem Artikel Amerikas Wirtschaft braucht keinen Krieg von Hans Peter Jürgensen. Mit kleineren Auslassungen und Kürzungen übertrug Handke den Ausschnitt zuerst in sein Notizbuch und danach ohne weitere Änderungen in den Essay (das Typoskript der Erstfassung ist datiert mit »5.2.1973«), mit dem Wortlaut: »"Die Rüstungsindustrie sieht dem Ende des Krieges in Vietnam gelassen entgegen. Sie rechnet damit, daß jetzt nicht weniger, sondern mehr Geld für neue Waffensysteme zur Verfügung stehen wird, weil weniger für Bomben, Munition, Stahlhelme und Ersatzteillieferungen draufgehen wird. Das Ende des Krieges wird mehr Geld für B-1-Bomber bedeuten. B-1-Bomber sind als Ersatz für die VERALTETEN B-52 vorgesehen".« (ÖLA SPH/LW/W188, Bl. 1-2) Der Essay Was soll ich dazu sagen? wurde zuerst veröffentlicht in der von Günther Nenning herausgegebenen Zeitschrift Neue Freie Presse 1/1973, S. 12-15 und erschien in Buchform 1974 in Als das Wünschen noch geholfen hat (AW 25-29; siehe AW 27). (ck)

Siglenverzeichnis Editorische Zeichen

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorsatzblatt): 

"Die Unvernünftigen sterben aus" [Umschlag, S. 1]

Entstehungsdatum (laut Vorlage):  ohne Datum
Datum normiert:  ohne Datum [??.12.1972 bis ??.02.1973]
Entstehungsorte (laut Vorsatzblatt): 

Kronberg/Ts. [Adresse, S. I]

Zusätzlich eingetragene Entstehungsorte: 

La Défense [S. 55a]

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Art, Umfang, Anzahl: 

Notizbuch, 256 Seiten, I-III, pag. 1-78 (= 155 Seiten, von denen die jeweils rechten Seiten beschrieben sind; die Paginierungen sind mit Ausnahme der S. 1 links), I*-II* (2 unpag. beschriebene Seiten), 99 unpag. leere Seiten, III*-V*

Format:  11,9 x 18,7 cm
Schreibstoff:  Kugelschreiber (schwarz, blau), Filzstift (blau), Farbstift (grün)

Nachweisbare Lektüren

  • Henry James (S. 19a, 21a, 23a)
  • Karl Kübel: Schenkungsurkunde vom 21.12.1972 für die von ihm gegründete Karl Kübel Stiftung (S. 25a)
  • Hans Peter Jürgensen "Amerikas Wirtschaft braucht keinen Krieg". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.1.1973 (S. 29a)
  • Golo Mann: Der tiefe Wandel der Gesellschaft (S. 41a)
  • Carl Sternheim: Die Hose (S. 43a)
  • Erwähnung von Bertolt Brecht: Herr Puntila und sein Knecht Matti (S. 49a)
  • Joseph Schumpeter (S. 60a und vermutlich auch 61a)
  • Die Welt (S. 71a; wobei unklar ist, ob tatsächlich die Zeitung gemeint ist)

Film:

  • Erwähnung des Schauspielers Victor Mature (S. 55a)
  • Erwähnung des Schauspielers Joel McCrea (S. 56a)
  • Erwähnung Elle court, elle court la banlieue (Regie: Gérard Pirès; Kinostart am 15. Februar 1973) (S. 59a)
  • Erwähnung des Schauspielers Robert Mitchum (S. 67a)

Musik:

  • Erwähnung von Am Brunnen vor dem Tore (S. 26a)
  • Erwähnung von Creedence Clearwater Revival (S. 59a)

Ergänzende Bemerkungen

Bemerkungen: 

 

  • in mehrere Teile zerfallenes Notizbuch, stark restaurierungsbedürftig
  • Motto am Vorsatzblatt: "Das Schlimmste ist überstanden – die letzte Hoffnung" (S. III)
  • Kopie (Besitz 2) enthält nur die beschriebenen Seiten des Originals, die Vorsatzblätter des Originals fehlen.