Engel. Himmlische Boten in alten Handschriften
Farbenprächtig, einzigartig und atemberaubend schön – kunstvolle Illustrationen geflügelter Wesen stehen im Mittelpunkt der Ausstellung „Engel. Himmlische Boten in alten Handschriften“. Die Österreichische Nationalbibliothek öffnet dafür ihre reichen Bestände und zeigt im Prunksaal ausgewählte Werke aus über 500 Jahren Buchkultur, die von himmlischen Heeren, Engelsfürsten, Schutzengeln, aber auch von abtrünnigen und gefallenen Engeln erzählen. Die prachtvollen Handschriften des Mittelalters und wertvollen Drucke der frühen Neuzeit entführen in eine faszinierende Gedankenwelt, die Menschen über Jahrhunderte inspirierte. Präsentiert werden Meisterwerke wie Albrecht Dürers sieben Posaunenengel von 1498, das berühmte Glockendon-Gebetbuch aus dem 16. Jahrhundert oder das mit goldenen Miniaturen geschmückte Liutold-Evangeliar aus der Zeit um 1170. Diese und rund 60 weitere Höhepunkte der Buchkunst aus Judentum, Christentum und Islam sind in dieser einmaligen Schau zu bewundern.
Prachtvoll:  Meisterwerke aus Judentum, Christentum und Islam
                                Seine mächtigen  Schwingen lassen ihn federleicht erscheinen, anmutig beugt sich der Engel nach  vorne, in seiner ausgestreckten Hand eine weiße Lilie, das Symbol der Unschuld.  Ihm gegenüber sitzt die Jungfrau Maria, demütig und ehrfürchtig. Der Engel  überbringt ihr die Botschaft, dass sie einen Sohn gebären wird, den Sohn  Gottes. 
                                Die Verkündigung an  Maria durch den Erzengel Gabriel in einem Stundenbuch aus dem 16. Jahrhundert  ist eine der prunkvollsten und zugleich berührendsten Darstellungen der  berühmten biblischen Szene in der Buchmalerei der Renaissance. Bis heute  beeindrucken die Kunstfertigkeit und der Detailreichtum, mit denen der  unbekannte Meister die frohe Botschaft von der bevorstehenden Geburt Christi  illustriert hat.
                                Die Geschichte der  Engel beginnt aber nicht erst in der Renaissance, sie reicht viel weiter  zurück, bis zur Entstehung der hebräischen Bibel vor rund 3500 Jahren. Die  Israeliten waren davon überzeugt, dass Gott den Kontakt zu seinen Geschöpfen  sucht. Sie waren aber auch überzeugt davon, dass der Mensch Gott nicht  unverhüllt schauen kann. Daher schickte der Herr die Engel, die als himmlische  Boten in menschlicher Gestalt zwischen göttlicher und irdischer Sphäre vermitteln. Die hebräische Bibel – ein wertvolles  Exemplar aus dem Jahr 1348 wird in der Ausstellung präsentiert – ist damit das  erste schriftliche Zeugnis, das vom Wirken der Engel berichtet.
                                Darstellungen gab  es aufgrund des Bilderverbots im Judentum zwar kaum, aber aus den Beschreibungen  entwickelten später das Christentum und auch der Islam ihre Engelslehre und  ihren Engelskult. Gerade die Autoren des Neuen Testaments, allen voran die vier  Evangelisten, berufen sich häufig auf die Engel des Alten Testaments. Deren  Erscheinung sollte verdeutlichen, dass mit der Geburt des Messias ein neues  Zeitalter anbricht. 
  Ein Engel ist es übrigens auch, der im  Islam Mohammed den Koran offenbart. Es ist derselbe Engel, der Maria Christi  Geburt verkündete, der Erzengel Gabriel. Die Ausstellung  präsentiert eine selten gezeigte, eindrucksvoll illuminierte Handschrift aus  dem Persien des 16. Jahrhunderts, auf der Mohammed auf seiner Himmelsreise zu  sehen ist, begleitet von den sieben höchsten Engeln. Eine Ehre, die nur  Propheten zuteil wurde und Wagemut erforderte: Denn als Mohammed den Erzengel  Gabriel bat, er möge sich ihm in seiner göttlichen Gestalt zeigen, da fiel der  Prophet – so  zumindest die Legende – in  Ohnmacht. Zu überwältigend war die Herrlichkeit des Himmlischen. 
Höhepunkt  der Buchkunst: Albrecht Dürers Apokalypse 
                                Ein Erzengel, der  in goldener Rüstung gegen einen furchtbaren Drachen kämpft, Engel, die bei der  Taufe Christi assistieren, oder Luzifer, der Herrscher der Unterwelt – Engel haben viele Gesichter und  Erscheinungsformen. Nicht nur die goldigen aus der Weihnachtszeit gibt es,  sondern auch Rache- und Todesengel. Nicht immer verkünden sie daher frohe Botschaften.
                                Die Erzengel Michael und Gabriel sind  vermutlich die bekanntesten geflügelten Wesen, die sowohl in den frühen  Schriften des Judentums, im Alten Testament, aber auch im Koran genannt werden.  Gabriel, oft dargestellt mit huldvoll erhobener Hand, ist der Bote des Herrn.  Der Engelsfürst Michael hingegen gilt als Bezwinger des Teufels, mit  schimmerndem Brustpanzer und gezücktem Schwert.
                                Das Schwert,  manchmal feurig-lodernd oder sogar Blitze aussendend, war in der christlichen  Kunst auch das Symbol für die Racheengel, jene geflügelten Wesen, die im Namen Gottes strafen konnten. Ihnen stehen die Schutzengel gegenüber, die Unheil von  den Menschen abwenden und ihre Fürsprecher im Himmel sind.
                                Doch nicht nur der  Himmel ist voller Engel, auch der Weg zur Hölle wird von ihnen gesäumt. Es sind  die gefallenen Engel mit Luzifer als ihrem Gebieter. Wegen seiner Anmaßung,  selbst auf dem göttlichen Thron sitzen zu wollen, wurde er einst vom Himmel  gestoßen, zu sehen in einer Weltchronik aus dem Jahr 1463, die seinen  Höllensturz in dramatischen Bildern zeigt.
                                Die bösen und die  guten Engel, sie treffen laut biblischer Überlieferung am Tag des Jüngsten  Gerichts wieder aufeinander: Mit hellen Posaunen sammeln die Engel des Herrn  die Auserwählten, während alle anderen verstoßen werden, „in das ewige Feuer,  das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“, wie es im Matthäusevangelium  heißt. Albrecht Dürer, der große Künstler  der Renaissance, hat den Weltuntergang in einem bildgewaltigen Holzschnitt  festgehalten. Die Inkunabel von 1498 ist ein Meisterwerk des frühen Buchdrucks  und einer der Höhepunkte der Schau. 
                                Höllenfeuer und  Verdammnis mögen übrigens das Ende der irdischen Welt sein, das Ende der  himmlischen Engel sind sie nicht. Eine Handschrift aus 1354 zeigt in einer  unglaublich detailreichen Miniatur, wie das neue Reich Gottes aussehen mag:  Christus thront in der Mitte des Universums, umgeben von unzähligen kleinen, lobpreisenden  Engeln. 
Geistwesen  und Geistesgrößen: Wieviele Engel passen auf eine Nadelspitze?
                                Es ist zweifellos  eines der schönsten Engelbildnisse in der Buchkunst des Mittelalters: Das  Evangeliar des Schreibers Liutold aus dem 12. Jahrhundert zeigt den Erzengel  Gabriel im prächtigen blauen Gewand mit purpurnem Umhang, seine farbenfrohen  Engelsflügel ausgestreckt vor goldstrahlendem Hintergrund. Ein Meisterwerk. Und  für die Kirche des Mittelalters ein Problem.
                                Denn woher wusste man, wie der Erzengel aussah?  Engel als menschliche Gestalten mit zwei Flügeln kommen in keinem der  biblischen Texte vor. Auch sonst lässt sich der Heiligen Schrift kaum eine  klare Aussage zu Engeln entnehmen. Wieviele Engel gibt es? Wann wurden sie  erschaffen? Woraus bestehen sie? Was können wir überhaupt über sie wissen?
                                Mit Fragen wie  diesen befassten sich nicht nur kirchliche Konzile, sondern auch eine ganze  Armada an christlichen Gelehrten: Geistesgrößen wie Augustinus, Albertus  Magnus, Bonaventura, Thomas von Aquin oder Johannes Duns Scotus diskutierten  das Wesen der Engel in ihren Werken. 
                                Wirklich einig  wurde man sich aber bei kaum einer Frage. Hatte das Konzil von Nicäa im Jahre  325 noch versucht, dem Irrglauben Einhalt zu gebieten, indem es nur die  Verehrung der in der Bibel verbrieften Erzengel Michael, Gabriel und Raphael  erlaubte, blühten schon kurz darauf erneut die Spekulationen, ob es nicht viel  mehr Engel geben müsse. Lenkten sie nicht alle Planeten und Gestirne? Unklar  blieb auch, wann sie erschaffen wurden: Bereits am ersten Schöpfungstag? Oder  doch erst am zweiten? Gewiss schien immerhin, dass Engel keine körperliche  Substanz haben. Bereits im Talmud war die Rede davon, dass Engel aus Feuer  bestehen. Kirchenvater Augustinus glaubte, dass sie „Himmelskörper“ aus Luft  hätten. Thomas von Aquin ging noch einen Schritt weiter und argumentierte, dass  Engel rein geistige Wesen seien: Da sich der Intellekt des Menschen aus den  Sinneseindrücken des Leibes speist und es unterhalb des Menschen Lebewesen ohne  Intellekt gibt, müsse es demzufolge auch oberhalb des Menschen intellektuelle  Wesen ohne Leib geben – die Engel. Trotz so mancher Spitzfindigkeiten in den  Diskussionen der mittelalterlichen Gelehrten: Die berühmte Frage,  wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen, war kein Thema – auch wenn die  Humanisten das später oft und gern unterstellten.
Vom  Himmel hoch: Glockendon-Gebetbuch und Bachs Weihnachtslied 
                                Unbeeindruckt von  solchen theologischen Disputen erfreuten sich die Engel im Volksglauben größter  Beliebtheit. Und auch die Kirche ließ die himmlischen Boten in großer Zahl auf  irdisches Pergament bannen. Die Künstler des frühen Mittelalters waren es denn  auch, die den Engeln Flügel verliehen, als Symbol für das Entrücktsein von  allem Weltlichen. Diese Darstellungsform übernahmen die Buchmaler aus der  römischen Antike. Bis in die frühe Neuzeit bevölkerten daher zahlreiche  geflügelte Boten die Handschriften und Drucke. Übrigens nicht nur in männlicher  Gestalt. Engel konnten sich, besonders im Gefolge der Gottesmutter Maria, auch  in Frauen und Kinder verwandeln.
  Der Florentiner Künstler Donatello war der  erste, der in seinen Werken geflügelte nackte Knäblein, sogenannte Putten,  verwendete, die bald Eingang in die Buchillustration fanden. Auch sie  sind in der Ausstellung zu bewundern: Der Nürnberger Illustrator Gabriel  Glockendon schuf in den Jahren 1536 und 1537 für den Kirchenfürsten Albrecht  Kardinal von Brandenburg ein reich ausgestattetes Gebetbuch, in dem Maria und  Josef mit dem Jesusknaben zu sehen sind, gemeinsam mit einer Schar  blondgelockter und pausbäckiger Kinderengel. Fast scheint es, als würden sie  jenes bekannte Kinderlied singen, das Martin Luther zur gleichen Zeit  geschrieben hat: „Vom Himmel hoch, da komm ich her!“ Die Melodie verarbeitete  Johann Sebastian Bach 200 Jahre später unter anderem in den „Canonischen  Veränderungen über ein Weihnachtslied“, deren Erstdruck aus dem Jahr 1748 den  feierlichen Abschluss der Ausstellung bildet.
Ort
Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek 
		          Josefsplatz 1, 1010 Wien
Dauer
20. November 2014 – 1. Februar 2015
Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag 10 – 18 Uhr
		          Donnerstag 10 – 21 Uhr		      
Eintritt
€ 7,–
                Ermäßigungen siehe hier
Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren haben freien Eintritt in alle musealen Bereiche. 

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Führungen
Prunksaal und Ausstellung:
		          Zum Preis von € 4,– jeden Donnerstag um 18 Uhr sowie 
		          auf Anfrage
	            Treffpunkt an der Prunksaalkasse 
Begleitbuch
Zur Ausstellung erscheint ein Begleitbuch: € 39,95
Erhältlich an der Prunksaalkasse

 
					
				

