Gallerie merkwürdiger Personen ...

... aus der alten und fabelhaften Geschichte. Ein interessantes Lesebuch für die Jugend. Galerie Des Personnes Illustres De L'Histoire Ancienne Et Fabuleuse. Mit beygefügter französischer Uebersetzung von C. J. von Hubert. - Wien : Im Verlage bey Aloys Doll, 1819.

Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 307.681-B.Alt-Mag

 

Der mächtige Pharao und große Bauherr Sesostris (I.) läßt seinen Wagen von den Fürsten der von ihm besiegten Völker ziehen. Diese Gewohnheit behält er so lange bei, bis einer der Gedemütigten auf das Wagenrad blickt und mahnt:

O König, das Umdrehen des Rades erinnert mich an die Veränderung des Glückes; denn so wie jeder Theil des Rades wechselweise oben und unten ist, so ist es auch mit den Menschen beschaffen, welche heute auf dem Throne sitzen, und morgen in den niedrigsten Stand von Knechtschaft versetzt werden.
Der übermüthige Sieger kam durch diese Antwort zu seinem Verstande, und begegnete von nun an seinen Gefangenen mit grösserer Menschlichkeit.


Als Jason wegen des goldnen Vließes sich bey dem Könige Aetes meldete, versprach er es ihm mit dem Bedingnisse auszuliefern, wenn er zween wilde und grausame Ochsen, die eherne Hufe hatten und Feuerflammen auswarfen, blos durch seine eigene Stärke zusammenjochen, mit ihnen die Erde pflügen, und darein Drachenzähne säen könnte.

Medea, die Tochter des Königs, hilft Jason durch ihre Zauberkräfte bei der Erfüllung dieser Aufgaben. Sie verschafft ihm auch einen Trank, mit dem er den Bewacher des Vlieses, einen furchtbaren Drachen, einschläfern und so besiegen kann.

 

Während in der Pädagogik der Aufklärung Geschichte und Geographie, Natur- und Länderkunde breiten Raum einnahmen, wurde die Mythologie von vielen Erziehern zu "dummem Geschwätz" (Basedow) oder zu einem für die moralische und christliche Bildung der Jugend schädlichen Thema erklärt. Andere Autoren der Zeit rechtfertigten ihre Veröffentlichungen auf diesem Gebiet damit, dass die Kenntnis der antiken Götterlehre für gebildete Konversation über Kunst und Literatur unverzichtbar sei, oder dass die Leser die Vorzüge der christlichen Religion durch den Vergleich mit dem schlichteren Polytheismus erst richtig begreifen würden. Die "Entdeckung" der Archäologie und die neue Sicht der antiken Kunst halfen ebenfalls mit, die antike Mythologie als Bildungsschwerpunkt für Personen jeden Alters wieder aufzuwerten.

Auch die zweisprachige Gallerie - jede Seite bringt in der rechten Spalte den deutschen Text, in der linken die französische Übersetzung - präsentiert griechisch-römische und altorientalische Sagenstoffe als Bildungsgut mit Unterhaltungswert, als "interessantes Lesebuch für die Jugend". Der Sachbuchcharakter wird verstärkt durch geschichtliche und geographische Informationen, umfangreiche erklärende Fußnoten und durch Quellenangaben am Ende jedes Kapitels: Vor allem antike Autoren, aber auch z. B. die Annales Ecclesiastici Veteris Testamenti des Jesuiten Jacques Salian (gest. 1640) werden hier genannt. Einige Kapitel, wie jenes über den Pharao Sesostris, fallen mehr in den Bereich Geschichte, vieles, wie zum Beispiel der Abschnitt über den legendären Gesetzgeber Lykurg und die Verfassung von Sparta, ist in der Grauzone zwischen Historischem und Mythologischem angesiedelt. Wo hier die Grenzen liegen, wird wohl nicht jedem Leser klar geworden sein...

Die reiche Ausstattung mit Kupferstichen von Joseph Emanuel Belling trug sicher zur Attraktivität des Buches bei, auch wenn die Darstellung nicht immer so originell ist wie das Bild des Pharaos in seinem Triumphwagen oder das des Jason beim Erlegen des Drachens (s. Bilder links).

 

 


 


last update 04.03.2016