Österreichische Nationalbibliothek Zwei europäische Metropolen im Lauf der Jahrhunderte
 
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Pavel Kohout

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Was blieb, ist nicht nur für ein paar Wissenschaftler bestimmt, deren Herz auf Hochtouren schlägt, wenn sie hier forschen dürfen. Mir kommt diese Ausstellung wie ein - ja! wie ein Kernkraftwerk vor, das nur positive Energie erzeugt. Wer sich von ihr bestrahlen lässt, wird gegen eine der schlimmsten Krankheiten immun, - die eines militanten Nationalismus. Und diese Immunität wird ihn auch vor allen jenen schützen, welche die alten und dazu auch noch neue Grenzen brauchen, um die übelste Machtpolitik aller Zeiten fortzuführen - "divide et impera! - teile und beherrsche!" Wogegen man sich am besten zur Wehr setzen kann, wenn man Gesellschaften auf allen Ebenen des Lebens zusammenführt und verbindet.

Ganz persönlich fing ich diese Kurzrede an, ganz persönlich will ich sie abschließen. Als vor zwei Jahrzehnten mein Sohn OndÅ™ej nach seiner Charta-77-Unterschrift statt Bühnenbilder zu entwerfen, in der Husákschen Tschechoslowakei nur Schaufenster putzen durfte und deswegen nach Österreich auswanderte, kam der Sohn meines Sohnes Mikuláš mit sechs Jahren in seine allererste Schulklasse in Wiens zwanzigstem Bezirk. Und als ich dann seine Mutter fragte, wie er dort abschneidet, strahlte sie auf: Die Frau Lehrerin habe ihn gelobt, er sei der beste von den Türken...! In der Klasse gab es deren sechs und der kleine Böhm war kaum zu unterscheiden.

Als wir ihn dann mit vereinter Kraft in die einzige tschechische Schule in Wien schickten, hielt er uns für Verrückte, die ihm eine tote Sprache aufzwingen, die so gut wie keiner spricht. Dabei war der wahre Grund weit entfernt von einer nationalen Idee. Es war unsere feste Überzeugung, dass ihm die Muttersprache gratis geschenkt wurde und sein Denken mächtig beschleunigt wird, wenn er bald weiß, dass ein Baum auch "strom" heißt und "tráva" auch Gras - ein federndes Sprungbrett zu Drittsprachen! Als dann der Eiserne Vorhang verschwand und der Junge nach Tschechien reisen durfte, war er urplötzlich ein König, er könnte sich Mädchen auf deutsch und tschechisch anlachen, und als Krönung sogar auf wienerisch...!

Und während seine Eltern, beide Maler, und die Großeltern, beide Schriftsteller, wie sie es soeben erleben, bis an ihr Lebensende durch ihren bloßen Akzent die Kontroversen aus dem Böhmerwald bleiben werden, in ihm feiern die uneinigen Zwillinge ihr künftiges Miteinander: Nach seinem Uni-Abschluss, bevor er als der einzig normale in der Familie das österreichische Bankwesen bereichern will und sich mit einer jungen Wienerin zu vermählen gedenkt, dient er soeben als Rekrut im österreichischen Bundesheer. Wie beruhigend, wenn man weiß, dass nur die willigen Tschechen in der Nato und im Irak mitkämpfen, derweil hier wieder einmal das alte Gebot gilt:

"Bella gerunt allii, tu, felix Austria, nube!"

Pavel Kohout

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Prag:Wien