Christine de Pizan im Cyberspace

von Helga Hofmann-Weinberger und Christa Bittermann-Wille

in: Sic! : Forum für feministische Gangarten 2 (1995) 8/9, S. 36 - 37

ARIADNE oder: Institutionen brauchen länger

Große Institutionen, wie die Österreichische Nationalbibliothek, leben in Widersprüchen: Ein Werk wie die "Stadt der Frauen" von Christine de Pizan aus dem Jahre 1405 konnte nur deshalb die Jahrhunderte überdauern, weil es gut verwahrt wurde. Seine gesellschaftspolitische Sprengkraft konnte sich damit - spät aber doch - im 20. Jahrhundert entfalten.

Zu Zeiten, als protestierende Frauen gegen den Abtreibungs-Paragraphen über die Mariahilferstraße zogen, waren an der Österreichischen Nationalbibliothek Frauen in Hosen eine Rarität und Frauen im Minirock eine Sensation. Der Geist der altehrwürdigen Hofbibliothek mit ihren durch und durch patriarchalen und konservativen Strukturen war in den frühen 70er Jahren noch spürbar.

Es gab bereits vor 100 Jahren in der Historischen Frauenbewegung Initiativen, Frauenliteratur zu sammeln und Frauengeschichte sichtbar zu machen. Diese vielversprechenden Anfänge wurden mit Beginn des Austrofaschismus und später im Nationalsozialismus radikal zerstört. Der gesellschaftspolitische Aufbruch in den 60er und die emanzipatorischen Fortschritte der 70er Jahre waren mit der für staatliche Institutionen typischen Verzögerung schließlich auch an der ÖNB zu spüren.

In den 80er Jahren begann sich die Frauenforschung institutionell zu etablieren und damit entstand bei den BibliotheksbenützerInnen eine Nachfrage, die nicht zufriedengestellt werden konnte. Dieses Manko wurde von fortschrittlichen BibliothekarInnen durchaus erkannt und so entstand die Idee, eine auf das neue Forschungsgebiet spezialisierte Einrichtung zu schaffen. 1985/86 erstellten Christa Bittermann-Wille und Andrea Fennesz im Auftrag des Wissenschaftsministeriums eine "Durchführbarkeitsstudie für frauenspezifische Information und Dokumentation". Es sollten darin die Rahmenbedingungen und Anforderungskriterien für eine solche Stelle in Österreich untersucht werden. Von den zwei Modellvarianten (autonome Einrichtung - Anbindung an eine bereits bestehende Institution) konnte aus realpolitischen und finanziellen Gründen schließlich nur an die Verwirklichung der zweiten (Eingliederung in eine bestehende Bibliothek, nämlich der Österreichischen Nationalbibliothek) gedacht werden. 1991 war es dann so weit: Es gab grünes Licht von Seiten des Wissenschaftsministeriums und wir (Christa Bittermann-Wille & Helga Hofmann-Weinberger) konnten mit der Aufbauarbeit beginnen.

a room of our own ...

Wir erarbeiteten neue Konzepte, die die Weiterentwicklung der Frauenforschung und feministischen Wissenschaft berücksichtigten. Wir fanden einen symbolischen Namen (ARIADNE steht für den roten Faden durch das Labyrinth der interdisziplinären Frauenforschung!). Ein Raum, Möbel, Computer mußten gefunden, die MitarbeiterInnen des Hauses "eingestimmt" werden. Wir nutzten die Institution und ihre Ressourcen, wir fanden Nischen, wir klinkten uns in den Geschäftsgang ein ...

Die Grundidee war, unser bibliothekarisches Wissen für die neuen Anforderungen der Frauenforschung einzusetzen. Wir nahmen uns vor, Literatur unter frauenspezifischer Sichtweise, dem "anderen Blick" zu sammeln, wobei unser Augenmerk vor allem den Austriaca, internationalen Nachschlagewerken, feministischer Grundsatzliteratur, wichtigen englischsprachigen feministischen Zeitschriften und schwer zugänglicher Grauer Literatur gilt. Die Erschließung dieser Literatur sollte nach eigenen formalen und inhaltlichen Kriterien (wie z.B. feministischer Beschlagwortung) geschehen. Außerdem wollten wir eine Serviceeinrichtung sein, die neben der Erweiterung des frauenspezifischen Buchbestandes und dessen dokumentarischer Aufarbeitung auch Hilfestellung bei Literaturrecherchen bietet und mit anderen Einrichtungen kooperiert.

der Tempel der ARIADNE

Folgende drei Säulen sollten unsere Servicestelle tragen:

(1) Literaturdatenbank

Austriaca und internationale Grundsatzliteratur mit besonderer Berücksichtigung der schwer zugänglichen Grauen Literatur, die wir vor allem durch unsere Kontakte zu österreichischen Frauenforscherinnen erhalten, sind die Bausteine unserer Datenbank. Alle aufgenommenen Dokumente gehören zum Bestand der ÖNB, werden mit der entsprechenden Magazin-Signatur versehen und können somit sofort bestellt werden. Zur Zeit können ca. 6.000 Datensätze abgerufen werden und wir bemühen uns um einen Erfassungszeitraum zurück bis 1990. Wir werten nicht nur rein frauenspezifische Sammelwerke und feministische Zeitschriften aus, sondern holen vor allem auch "versteckte" Frauenforschungsliteratur aus dem reichen Fundus an anderen wissenschaftlichen Publikationen heraus. Im Herbst 1995 ist daran gedacht, ein eigenes OPAC-Terminal für ARIADNE-Recherchen im Publikumskatalog der ÖNB aufzustellen.

(2) Informationsvermittlung

Für bibliographische Auskünfte bieten wir Zugang zu speziellen frauenspezifischen Datenbanken. Dafür nutzen wir in immer stärkerem Maße die vielfältigen Möglichkeiten des Internet. Besonders hervorheben möchten wir zwei rein frauenspezifische Datenbanken: "KVINNSAM" in Schweden und "KVINFO" in Kopenhagen. Neben CD-ROMs und Bestandskatalogen berühmter Frauenbibliotheken auf Mikrofiche werden natürlich auch konventionelle Bibliographien in Buchform als Auskunftsmittel zur Verfügung gestellt. Als wahrer "Bestseller" hat sich unser "Newsletter", eine Auswahlliste frauenspezifischer Neuerwerbungen an der ÖNB (versehen mit kurzen Inhaltsangaben), erwiesen. Er erscheint ca. 2-monatlich und ist am Informationsschalter der ÖNB oder als Abonnement erhältlich.

(3) Vernetzung

Der Informationsaustausch zwischen Fachfrauen der autonomen und institutionali-sierten Dokumentationseinrichtungen ist für die Erfüllung unserer Aufgaben beson-ders wichtig und - wie Beispiele aus Deutschland und der einschlägigen Literatur zeigen - nicht selbstverständlich. In Österreich ist es gelungen, eine Zusammenarbeit dieser heterogenen Frauengruppen herbeizuführen: der Verein FRIDA (Verein zur Förderung und Vernetzung frauenspezifischer Informations- und Dokumenta-tionseinrichtungen in Österreich) wurde gegründet. Diese Initiative hilft nicht nur, Überschneidungen und Doppelarbeit zu vermeiden und KlientInnen gezielt weiter-zuvermitteln, es werden in regelmäßigen Treffen auch gemeinsame Strategien und Konzepte entwickelt (wie z.B. Erarbeitung eines feministischen Thesaurus und eines Handbuchs für biographisches Arbeiten). Neben den österreichischen Kontakten pflegt ARIADNE auch Informationsaustausch mit zahlreichen frauenspezifischen Dokumentationseinrichtungen in Europa und Übersee. Durch die Teilnahme an einem Weltkongreß für frauenspezifische Biblio-theken, Archive und Dokumentationsstellen in Cambridge, Mass., im Sommer 1994 wurden diese Kontakte intensiviert. Ab sofort ist ARIADNE auch im World Wide Web: eine eigene Homepage liefert wichtige Informationen an eine globale BenützerInnenschaft.

... und wie geht's weiter

Die Aufbauphase ist vorbei, Routinen stellen sich ein. Um nicht im Alltag festzufahren, denken wir über neue Aufgaben nach. Es gäbe eine Menge davon: Unsere Datenbank muß ins Internet. Spezialbibliographien zu bestimmten Themen, Inhaltsverzeichnisse historischer Frauenzeitschriften könnten erstellt werden. Die in der ÖNB lagernden historischen Schätze zur Frauengeschichte sollen gehoben werden. Wir sind so vermessen zu behaupten, Christine de Pizan würde sich im Cyberspace wohl fühlen.