http://purl.org/sichtungen/kastberger-k-1a.xml
Copyright (C) 2001-2002 by Sichtungen online
Für den Einsatz im Schulunterricht sind beide Bände gleichermaßen geeignet, ja es fällt fast ein bißchen schwer, in den jeweiligen Kommentarteilen außer dem quantitativen noch einen anderen Unterschied zu sehen. Die Bearbeiterin des Suhrkamp-Bandes, Elisabeth Tworek, legt einen etwas stärkeren Akzent auf die lokalgeschichtlichen Bezüge des Romans. Für dieses Thema, die Verbindung Horváths mit seiner bayrischen Elternstadt Murnau, ist Tworek die anerkannte Instanz. Auch im Fall von »Jugend ohne Gott« sprießt unerschöpflich Material aus den regionalen Chroniken: So weiß die Autorin von einem tatsächlichen Zeltlager der Hitlerjugend in der Gegend von Murnau ebenso zu berichten wie von realen Personen, die für Horváth zum Ausgangspunkt seiner Figuren geworden sind, etwa ein Pfarrer namens Karl Bögner, der für den Romangeistlichen Pate gestanden haben soll und dessen Lebensweg dann auch luzide nachgezeichnet wird.
Der Reclam-Band von Norbert Keufgens holt etwas weiter aus. Dokumente zur Werk- und Wirkungsgeschichte des Romans werden ausführlich zitiert, gegenüber dem Suhrkamp-Produkt dominiert der Charakter eines Arbeitsbuches, in dem man nicht alles interpretativ vorgekaut bekommt und die Ambivalenzen des Textes nicht von vornherein auf Null herunterdidaktisiert wurden. Der Leser wird bei Keufgens zu mehr Eigenständigkeit aufgerufen, die angeführten Dokumente wollen ja eigenständig bewertet und gewichtet sein.
Dabei hält sich Keufgens mit eigenen Bewertungen zurück, was grundsätzlich richtig, nur überall dort schade ist, wo in den zitierten Quellen gegen Horváth und das Buch etwas kritischere Töne angeschlagen werden. Diese Töne hätte man allein schon deshalb stärken müssen, weil sie sich in der Forschung zum Spätwerk Horváths zuse-
Das Kapitel ›Horváth für die Schule‹ ist auch deshalb so verdrießlich, weil in ihm nach wie vor ein sakrosanktes Bild des Autors gezeichnet und eine auf die gute Moral reduzierte Lesart seiner Werke vermittelt wird. Die Leistung der beiden Materialienbände ist es, solid im Feld dieser Vorgaben geblieben zu sein. Ihr Versäumnis aber besteht darin, daran nichts geändert zu haben, obwohl sich mit »Jugend ohne Gott« eine hervorragende (und nunmehr doppelt verpaßte) Gelegenheit geboten hat.
Klaus Kastberger