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Sichtungen. Archiv - Bibliothek - Literaturwissenschaft ISSN: 1680-8975
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Heinrich Böll an Hilde Spiel (1973)

Ingrid Schramm

Kommentar

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[1/ S. 102:] Zur nächsten SeiteHEINRICH BÖLL
5 KÖLN 15
HÜLCHRATHER STRASSE 7
28.I.73

Liebe Hilde Spiel,

ich hoffe doch sehr, dass Sie via »writers in prison« weiterhin zu den internationalen Treffen kommen, denn Sie sind doch wohl nicht als austrisches PEN Mitglied, sondern als Person Mitglied dieser Kommission. Ich bin (wir sind -- Annemarie auch) noch ganz benommen von Frau Baldners Tod, können es nicht fassen und können noch immer nicht den Tod meiner Schwester fassen, die vor 7 Monaten starb. Es nahm mich damals viel mehr mit als die ganze Kampagne -- und natürlich hats niemand bemerkt oder bemerken wollen, dass der Tod meiner Schwester mich mehr traf -- das waren ja »Emotionen« und die gelten wohl nicht; ein gut Teil meiner »Weinerlichkeit« ging drauf zurück, wem konnte ich das schon öffentlich erklären -- und wir hatten mit meiner Schwester den ganzen Krieg und die Nachkriegszeit gemeinsam erlebt. Mir gehts ähnlich wie wohl Ihnen -- ich bin ein wenig PEN-überdrüssig, fast apathisch, und werde froh sein, wenn ich im Herbst in Israel mein Amt abgeben kann, und halbwegs -- sagen wir --nicht-unehrenhaft. Ich dachte an Wästberg als Nachfolger, was meinen Sie dazu?

Ich kann einfach keine weitere term machen, selbst wenn es statutengemäss ginge. Es kostet mich zuviel, und vielleicht wars doch zu früh einen Deutschen zu wählen, weil der nolens volens in alle innenpolitischen Auseinandersetzungen hineinvehikelt wird.

Ich hoffe sehr, wir sehen uns noch in Schweden im Mai und können ein wenig miteinander sprechen. Ich bin müde, auch krank, muss mich immer wieder langwierigen und -weiligen Zucker- und Lebertests unterziehen.

Es ist elend, dass die österreichische Neuwahl so ausgegangen ist und auch Milo »weich« geworden ist. Ich denke, Sie bleiben wenigstens bei »writers in prison«.

Sehr herzlich, mit Grüssen von Annemarie und an Hans Flesch

Ihr Heinrich B



Nachlaß Hilde Spiel (ohne Sign.) -Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Erbengemeinschaft Heinrich Böll und des Verlags Kiepenheuer & Witsch, Köln.


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Kommentar

Der Beginn der Bekanntschaft zwischen Hilde Spiel (1911-1990; vgl. S. 75) und Heinrich Böll (1917-1985) ist nicht genau dokumentiert. Noch in Juni 1967 schrieb Spiel in einem Brief an Marcel Reich-Ranicki, daß Böll bei ihr »eine Bildungslücke« sei, die sie »errötend eingestehen« müsse (vgl. Hilde Spiel: Briefwechsel. Hg. von Hans A. Neunzig. München, Leipzig: List 1995, S. 243f.). In ihrer Autobiographie notiert sie, daß sie die Begegnung mit dem deutschen Schriftsteller dem Internationalen P.E.N.-Club - an dessen Sitzungen sie ab Beginn der 40er Jahre teilgenommen hatte -»zu verdanken« habe. Diese Bekanntschaft habe sich im Jahr 1972 vertieft (Hilde Spiel: Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946-1989. München, Leipzig: List 1990, S. 254f.). Zu diesem Zeitpunkt setzt auch die durch den Nachlaß Hilde Spiels belegte Korrespondenz ein, in der überwiegend Themen rund um den P.E.N. behandelt werden.

Am Anfang steht ein Schreiben Spiels vom 31. Dezember 1972, in dem sie Böll über die neuesten Ereignisse im Österreichischen P.E.N. berichtet (vgl. Spiel, Briefwechsel, S. 355f.): Alexander Lernet-Holenia war im Oktober 1972 aus Protest gegen die Verleihung des Literaturnobelpreises an Heinrich Böll von seinem Präsidentenamt zurückgetreten. Aber bereits ein paar Monate vorher, kurz nach der Wahl Bölls zum Vorsitzenden des Internationalen P.E.N. im September 1971, war es im Vorstand des Österreichischen Clubs zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten gekommen. Anlaß dafür war ein Artikel Bölls im »Spiegel« vom 10. Januar 1972. Böll hatte darin die falsche Berichterstattung der »Bild-Zeitung« über die Baader-Meinhof-Gruppe mit dem Vorwurf versehen, Lynch-Justiz zu betreiben. In der Folge wurde Böll beschuldigt, ›Sympathisant‹ der Terroristen zu sein. Auch Schriftsteller fanden sich im Lager seiner Gegner, in Deutschland etwa Hans Habe, in Österreich Alexander Lernet-Holenia und Friedrich Torberg. Hilde Spiel versuchte erfolglos, die im österreichischen P.E.N. entfachte Diskussion zu entschärfen. Nach seiner Wahl zum internationalen P.E.N.-Präsidenten hat sich Heinrich Böll »in erhöhtem Maß« dem Komitee »Writers in Prison« - einer 1960 mit dem Ziel, sich für inhaftierte Schriftsteller in aller Welt einzusetzen, ins Leben gerufene P.E.N.-Unterorganisation - zugewendet. Auch in diesem Kontext betonte Hilde Spiel erneut, ab 1972 immer öfter die Gelegenheit gehabt zu haben, »in die Nähe dieses großen und guten Mannes« zu gelangen (Spiel, Welche Welt, S. 254f.).

Trotz der Gegensätzlichkeit ihrer Standpunkte schlug Lernet-Holenia Hilde Spiel, die damalige Vizepräsidentin des Österreichischen P.E.N., als seine Nachfolgerin vor. Ihre Wahl wurde allerdings durch eine Gruppe um Torberg verhindert, der auch der in Bölls Brief angesprochene Milo Dor angehörte. Hilde Spiel unterlag Ernst Schönwiese.

Heinrich Bölls Sorge galt ihrem Verbleib im Komitee »Writers in Prison«. Seine Frage, ob sie einander im Mai sehen würden, bezieht sich auf eine Tagung des Internationalen Exekutivausschusses des P.E.N.-Clubs, bei der Spiel einen Bericht über die aktuelle Entwicklung des Komitees abgeben sollte. Böll selbst spricht über seine eigene P.E.N.-Überdrüssigkeit und nennt private Ereignisse,Zur vorigen Seite [1/ S. 103:] die ihn und seine Frau Annemarie emotional schwer getroffen hätten: den Tod seiner Schwester Mechthild Böll im Juni 1972 und einer gemeinsamen Bekannten. Statutengemäß hätte Böll nach seiner dreijährigen Amtsperiode für weitere drei Jahre gewählt werden können, kündigte aber an, »keine weitere term« zu übernehmen.

Der von Böll genannte schwedische Schriftsteller Per Wästberg, an den er als seinen Nachfolger als Präsident des Internationalen P.E.N. gedacht hatte, übernahm dieses Amt erst 1979 und hielt es bis 1985 inne. Beim Internationalen P.E.N.-Kongreß in Israel 1974 wurde V. S. Pritchett als Bölls unmittelbarer Nachfolger gewählt.

Die Grüße zum Abschluß des Briefes richten sich an den österreichischen Schriftsteller Hans Flesch-Brunningen, Hilde Spiels zweiten Ehemann.

Ingrid Schramm

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Ingrid Schramm
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