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Dies soll vor allem durch zwei Forschungsprojekte des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ermöglicht werden, die der Vorbereitung einer kritischen Werkedition dienen (Laufzeiten 1995 bis 1997 und 1998 bis 2000) und zwei regionale Literaturarchive in enger Kooperation vereinen: zum einen das Brenner-Archiv der Universität Innsbruck und das Robert-Musil-In-
Bei aller formalen und inhaltlichen Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit der vorliegenden Bücher, lassen sich doch gewisse Grundsätzlichkeiten feststellen, auf denen Christine Lavants Poetik aufbaut: So waren ihre Texte meist für bestimmte Personen gedacht, nicht für eine anonyme Leserschaft; oder sie gab sie am liebsten erst aus der Hand, wenn eine persönliche Widmung damit verbunden war. Lavant ist niemals Schriftstellerin im eigentlichen Sinn gewesen und hat unter den Bedingungen des Marktes gelitten. Schreiben war für sie unmittelbar mit der Hinwendung an Menschen verbunden; oft fungierte Geschriebenes für sie daher als ein Geschenk oder als Abgeltung für ihr gegenüber erbrachte Wohltaten und Zuwendungen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte Lavant, die ihr Leben großteils im sozio-kulturellen Abseits des Kärntner Lavanttals zubrachte, bei den Veröffentlichungen ihrer Werke von Anfang an nicht nur besondere äußere Probleme wie etwa die der Verlagswahl zu bewältigen, sondern auch zutiefst empfundene innere Probleme der Selbstüberwindung, der Selbstentäußerung, der Selbstzerstreuung. Sogar noch ihre Lyrik, geschweige denn ihre Prosa erhalten dadurch einen (im weitesten Sinn) briefähnlichen Charakter, der zu einer für Lavant typischen Mischung fiktiver und faktischer Elemente geführt hat. Auch die auffälligen Schwierigkeiten und Irritationen von Literaturwissenschaftlern und -kritikern bei der gattungsmäßigen Klassifizierung insbesondere der »Schönen im Mohnkleid« hängen damit zusammen, sind doch die zwei nachträglich vom Verlag erst unter diesem gemeinsamen Titel zusammengefaßten, 1948 entstandenen Briefe (an die Schriftstellerin Ingeborg Teuffenbach [1914-1992]), die Erzählerisches, Liebeserklärungen, Beschwörungen, religiöse, poetologische und psychologische Reflexionen sowie Teile einer Autobiographie enthalten, eben nicht einfach auf einen theoretisch begründeten Begriff zu bringen.
Ob also Gedichte oder Erzählungen, gleichermaßen durchdrungen sind alle von der Sehnsucht nach einem Mitmenschen - dem anderen, der man sich letztlich auch selber ist. Eine der eindrucksvollsten und spannendsten Textstellen, die das zum Ausdruck bringen, findet sich in einer Traumpassage zu Beginn der »Schönen im Mohnkleid« (S. 16-22), in der »sie [Christine Lavant] sich einerseits im Bett liegend erlebt und andererseits wilde Orchideen suchend ausschwärmt in den Wald.« (Werner Thuswaldner: Werben um eine Freundin. Bisher unbekannte Prosa von Christine Lavant. In: Salzburger Nachrichten, 11. 5. 1996) Distanz und Nähe sind überhaupt die zentralen Kategorien, aus denen die Spannung des Buchs resultiert. Denn die Autorin versucht sowohl gleich zu Beginn ihrer näheren Bekanntschaft, eine möglichst intensive Zuneigung von seiten der gesellschaftlich viel höher gestellten Ingeborg Teuffenbach zu erringen, als auch sich und der Adressatin ständig bewußt zu halten, daß sie selbst infolge ihrer Herkunft aus einer Bergarbeiterfamilie, der unvorstellbaren Armut, die dort herrschte, und der Krankheiten, unter denen sie seit frühester Kindheit litt, zum ›Anderssein‹ gezwungen, aber auch berufen sei. Wann immer Lavant die narrative Ebene verläßt, um die autobiographisch fundierten
So entspricht die wundersame, aus dem Kontext willkürlich herausgelöste Formulierung von der »Schönen im Mohnkleid« letztlich dem Spiel mit poetischen Verkleidungen, Rollenverhältnissen und Zeitsphären, das von Lavant metaphorisch facettenreich gestaltet wird (»Ich werde dann wieder einmal aus einer Kindheit - o, es gibt deren immer wieder welche! - erwachsen werden.«, S. 109): Sie bezieht sich nämlich zunächst auf eine neue Lehrerin, die geradezu angehimmelt wurde und der zuliebe das Volksschulkind Christine (geb. Thonhauser) den allerersten literarischen Text verfaßte - unbedankt und unverstanden, wie sich die Schreiberin später erinnert. Doch immerhin galt das Mädchen von da an innerhalb der Familie als diejenige, die den »Geist« besaß (der Inspiration?, der Kontemplation?, der Entrückbarkeit?; vgl. S. 81ff.). Da Ingeborg Teuffenbach, die durch die Briefe ebenfalls beschenkt und vereinnamt werden soll, in einer Art Wiederholung des nur scheinbar längst Vergangenen in eine ganz ähnliche Situation wie ehedem die Lehrerin versetzt wird, erfolgt auch ein Transfer der emotionalen, idealisierenden, motivischen Projektionen auf ihre Person. Zugleich kreiert Lavant ein schillerndes, wie aus einer fotografischen Mehrfachbelichtung hervorgegangenes Selbstbild, in dem die ›reale‹, 33jährige Christine, mittlerweile verh. Habernig, sich und ihre pseudonyme Identität spiegeln läßt.
Den weiteren Fortgang der hier mitunter allzu überschwänglich initiierten Beziehung skizziert »Herz auf dem Sprung«. Der Band beinhaltet 42 Schreiben Christine Lavants; das ist der (leider nur einseitig und offensichtlich nicht vollständig erhaltene) Rest des im Nachlaß Ingeborg Teuffenbachs gefundenen Briefwechsels zwischen den beiden Frauen aus der Zeit von 1948 bis 1964. »Der Grad der Selbsterkenntnis und Selbsteinschätzung ist auch in diesen Briefen hoch anzusetzen«, meinte Beatrice Eichmann-Leutenegger dazu. »So ist angesichts all der eminenten Gefährdungen die Balance dieser Frauenfreundschaft delikat. Das schwebende Gleichgewicht wird einerseits immer wieder hergestellt durch die starke Präsenz Ingeborg Teuffenbachs als Helfende, Vermittelnde, Tröstende, andrerseits durch die rührende Anhänglichkeit der Dichterin. Sie zeigt sich allerdings in diesen Briefen nicht nur von ihrer Nachtseite, sondern durchaus auch mit ihrem listigen Humor, welcher sich in trefflichen Beschreibungen komischer Situationen gefällt.« (In: Orientierung 62/1998, Nr. 3, S. 31f.) Trotz alledem liegt der Hauptwert dieser Texte nicht im Literarischen, waren sie doch nicht zur Veröffentlichung bestimmt und erfuhren dementsprechend (bis auf ein paar Gedichte, die auch zu der Korrespondenz gehören) wohl auch kaum stilistische Überformung. Von Interesse sind diese
»Das Wechselbälgchen« schließlich gehört zu jenen literarischen Werken, denen der Literaturbetrieb viel zu lange jenen Rang vorenthalten hat, der ihnen gebührt. Im aktuellen Fall handelt es sich um eine bis vor kurzem als verschollen geltende Erzählung, deren Überlieferungsträger (ein Typoskript und eine Druckfahne!) in Wahrheit von privater und sogar Verlegerseite einfach in Vergessenheit geraten waren. Aber gerade noch rechtzeitig im Lauf des Gedenkjahres anläßlich des 25. Todestags Christine Lavants hat der Otto Müller Verlag ein 50jähriges Versäumnis wieder gut gemacht und konfrontiert die Leser nun mit einer Erzählung, deren Lektüre »nicht mehr unter dem Zwang [steht], sie unbedingt einem Lager, jenem der Antimodernen oder Modernen, zurechnen zu müssen«. (Werner Thuswaldner: Von existenzieller Not. In: Salzburger Nachrichten, 5. 12. 1998) Die Geschichte versetzt uns ohne Umschweife in eine ländliche Zwischenkriegswelt, die - zumindest literaturgeschichtlich betrachtet - praktisch unbekannt ist, zugleich verdrängt und ignoriert von einer idyllisierenden Blut- und Bodendichtung. Lavant zeichnet die Mägde, Knechte, Keuschler, Weiddirnen, Bauern, Pfarrer, Kinder und Kleinstbürger von einem Standpunkt direktester Betroffenheit aus, die man im allgemeinen erst in den 70er Jahren an Anti-Heimat-Literaten wie Josef Winkler zu bewundern bereit war. Es geht um ein uneheliches, geistig zurückgebliebenes Mädchen, dem die abergläubischen Leute nachsagen, es sei der einäugigen Mutter bei der Geburt vom Teufel und seinen Helfershelfern untergeschoben worden, eben ein »Wechselbalg«. Zitha heißt das Kind, kann nicht sprechen, sondern höchstens ein paar Laute stammeln, die wie »Um!« (S. 21) oder »Ibillimutter« (S. 32) klingen. Das müßte eigentlich gut in eine Gesellschaft passen, die - isoliert und als ganze an den Rand der Zivilisation verbannt - sich selber kirre macht mit Zaubersprüchen, Verwünschungen, einem animistischen Naturverständnis, katholischen Riten und Glauben an Gespenster und Wiedergänger. Dennoch verheddert sich Zithas Schicksalsfaden unweigerlich in den fatalen Mechanismen, denen ein in sozialen und (sexual)moralischen Dingen so widersprüchlich und hierarchisch organisiertes Gefüge wie das geschilderte unterliegt.
Es ist faszinierend, wie genau, sensibel, mitunter ironisch Christine Lavant formuliert, ohne jemals irgendeine der Figuren zu denunzieren. Sie kennt deren Sprache mit ihrer eigentümlichen Idiomatik bis in die alltäglichsten, scheinbar selbstverständlichsten Wendungen hinein, und ist in der Lage, sie nicht nur in den Dialogpartien authentisch einzusetzen, sondern auch für den Erzählertext
Arno Rußegger