Entstehungsgeschichte der Arbeiterinnen-Zeitung

Auszug aus:

Popp, Adelheid: Der Weg zur Höhe. Wien, 1929, S. 23 ff.

Auf dem Parteitag 1891 im "Hotel Union" hatten die weiblichen Delegierten den Antrag auf Herausgabe einer Frauenzeitung gestellt. Der Antrag war der Parteileitung zugewiesen worden. Am 2. Oktober 1891 erschien in der "Arbeiter-Zeitung" der (...) Aufruf.
Von den unterzeichneten Genossinnen schieden die meisten aus der Agitation bald wieder aus. Neben dem Redaktionskomitee, das aus den unterzeichneten Genossinnen bestand und das anfangs allmonatlich in der Redaktion der "Arbeiter-Zeitung" eine Sitzung abhielt, bestand schon ein Organisationskomitee, dem Genossinnen aus den meisten Bezirken angehörten. Auch dieses Komitee hielt monatlich eine Sitzung ab. Am 1. Jänner 1892 erschien die erste Nummer der "Arbeiterinnen-Zeitung", redigiert von den Redakteueren der "Arbeiter-Zeitung". Nur der erste Artikel "Zur Einführung" war mit Adelheid Dworak gezeichnet. Nach und nach steuerten alle Genossinnen des Komitees Beiträge über die Erfahrungen bei, die sie in ihrem Beruf gesammelt hatten. Aus dem Ausland waren ständige Mitarbeiterinnen die Genossinnen Luise Kautsky-Freiberger, die Sekretärin von Friedrich Engels, Eleanor Marx-Aveling, die Tochter von Karl Marx, Laura Lafargue, ebenfalls eine Tochter von Karl Marx, und Frieda Bebel, die Tochter von August Bebel und noch andere. Die Wiener Genossinnen wurden aber bald unzufrieden. Sie fanden, daß das Blatt zu wenig lebendig sei und einen zu männlichen charakter habe. Schon dem Parteitag, der zu Pfingsten 1892 in den "Drei-Engel-Sälen" in Wien stattfand, lag der Antrag der Genossinnen vor, eine selbständige weibliche Redaktion einzusetzen, Die drei weiblichen Delegierten, es waren wieder Viktoria Kofler, dann Marie Grubinger und Adelheid Dworak, begründeten den Antrag. Von Parteitagsdelegierten wurde eingewendet, es gebe noch keine Genossin, die den Befähigungsnachweis zur Redakteurin erbracht hätte. Wir fragten die Genossen, die aus Arbeiterkreisen kamen und Redakteure von Parteiblättern waren, wie sie den Befähigungsnachweis erbracht hätten, ehe ihnen Gelegenheit gegeben war, bei solcher Arbeit tätig zu sein. Viktor Adler sagte, die Ausführungen der weiblichen Delegierten seien der beste Befähigungsnachweis. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
In einer Plenarversammlung der Wiener Genossinnen wurde mir die Schriftleitung übertragen. Am 15. Oktober 1892 sollte ich meine neue Tätigkeit aufnehmen. Ich hatte acht Jahre in ein und derselben Fabrik gearbeitet und mir dort einigermaßen Ansehen, nicht nur unter den Kollegen und Kolleginnen, sondern auch bei dem Chef erworben. Jetzt verließ ich diese Fabrik, um einem doch etwas ungewissen Schicksal entgegenzugehen. Niemand konnte voraussehen, daß die "Arbeiterinnen-Zeitung" Fortschritte machen werde, es galt unbebauten Boden zu bearbeiten.
Ich könnte nicht behaupten, daß mir die ersten Schritte in die Redaktion der "Arbeiter-Zeitung" in der Amerlingstraße leicht gefallen sind. Obwohl ich in der Öffentlichkeit mutig und energisch erschien, besonders wenn ich es mit überwachenden Polizeikommissären zu tun hatte, war mir innerlich nicht so zumute. Bangigkeit, Schüchternheit, Herzklopfen erfüllten mich unter scheinbar ruhiger Außenseite. Die Genossen Bretschneider und Reumann, die damals als Redakteure und Sekretäre tätig waren, nahmen mich zwar freundlich und liebenswürdig auf und wiesen mir meinen Platz am Sitzungstisch in der Mitte des Zimmers an. Für einen dritten Schreibtisch in Fensternähe wäre in dem einen Zimmer, aus welchem Redaktion und Sekretariat bestanden, nicht Platz gewesen. Es war ein ungemütlicher Oktobertag, deer 15., an welchem ich in der Redaktion zu arbeiten begann. Die Genossen rieben sich fröstelnd die Hände.
Ich fror auch und hätte gern meine Kunst im Feuermachen gezeigt, aber eines stand mir vor Augen: daß es wichtig sei, den Genossen gleichwertig zu erscheinen. Dazu mußte ich alles unterlassen, was mich zur "weiblichen Hilfskraft" gestempelt hätte. Damals betrachtete man ja die Frauen im allgemeinen als nur für häusliche Arbeiten bestimmt, und diese schätzte man gering ein, obwohl man sie zur Bequemlichkeit nicht entbehren konnte. Ich hatte Angst, schließlich als "Mädchen für alles" behandelt zu werden und ließ alle Stoßseufzer nach Heizung ungehört. Und schließlich war es der der Frauenbewegung immer wohlgesinnte Genosse Reumann, später der erste sozialdemokratische Bürgermeister Wiens, der ans Werk ging und Feuer machte. Am nächsten Tage tat es der sehr liebenswürdige Genosse Ludwig A. Bretschneider. Dann sagte ich mir, daß mir nun nichts geschehen können, wenn auch ich mich in gleicher Weise betätige.
In einem kleinen Nebenzimmer wohnte der Parteikassier und Administrator deer "Arbeiter-Zeitung", Julius Popp. Er machte den Eindruck großer Kränklichkeit, ich hatte Mitleid mit ihm. Ein grauseidenes Tuch um den Hals, saß er bei seiner Arbeit am Schalter in der Gumpendorferstraße. Als die Kälte immer größer wurde, wartete ich jeden Tag, bis die Genossen fort waren, und übernahm dann die Stelle eines Heinzelmännchens. Ich ging in das Zimmer des Genossen Popp und machte Feuer. Genosse Popp erging sich in Lobeserhebungen für die Bedienerin, die sein Zimmer wohlig und warm machte.

Meine eigentliche Arbeit in der Redaktion war, Notizen und Artikel für die "Arbeiterinnen-Zeitung" zu schreiben. Sowohl Viktor Adler als auch Jakob Reumann boten mir in zartester Weise ihre Hilfe an. Sie lasen meine Korrekturen, lehrten mich die Satzzeichen unterscheiden, wann ich ein einfaches und wann ein doppeltes s anzuwenden hätte, und sie taten es so, daß ich niemals das Gefühl der Demütigung hatte. Beide Genossen waren von dem Gedanken geleitet, der Bewegung eine brauchbare Kraft zu erziehen.

(...)

Zur Propaganda für die "Arbeiterinnen-Zeitung" hatten Genosse Dr. Schacherl, der immer ein Freund der Arbeiterinnenbewegung war, und ich den Plan gefaßt, eine eigene Nummer in Miniaturformat herauszugeben. Das Frauenorganisationskomitee billigte diesen Plan und wir ließen in großer Auflage eine Nummeer der "Arbeiterinnen-Zeitung" erscheinen. Das Format war fast nicht größer als unsere heutigen Parteimitgliedsbücher.
Genosse Schacherl und ich schrieben die Artikel. Der Staatsanwalt konfiszierte einen großen Teil des Inhalts, und ich als die verantwortliche Redakteurin meldete Berufung gegen die Konfiskation an. Es war im Winter 1893, als ich mit meinem Anwalt Dr. Karl Ornstein vor dem berüchtigten Holzinger als Vertreterin des Einspruchs erschien. Es war für das Gericht ein Ereignis, ein Mädchen am Verteidigertisch und nicht auf der Anklagebank vor dem Gerichtshof zu erblicken. Immer wenn ich Dr. Ornstein zufällig irgendwo traf, versetzte er sich in die damalige Zeit und erzählte mir, welchen Eindruck auf Holzinger das Erscheinen der jungen Einspruchswerberin gemacht habe. Und ich hatte Glück, ich fand Gnade vor den Augen des Holzinger-Senates. Ich setzte auseinandeer, warum ich die konfiszierten Artikel als eine berechtigte Kritik an den bestehenden Gesellschaftszuständen ansehe und ein Teil der konfiszierten Stellen wurde freigegeben.
Diese Miniatur-"Arbeiterinnen-Zeitung" wurde in 20.000 Exemplaren verbreitet, eine für damalige Begriffe schier unerhörte Auflage. Nur der Schwurgerichtsprozeß der "Arbeiterinnen-Zeitung", der 1895 geführt wurde, erreichte in der Broschüre "Freie Liebe und bürgerliche Ehe" eine noch größere Auflage. Die Konfiskation war erfolgt wegen "Aufreizung zum Klassenhaß", wegen "Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung" und wegen "Herabwürdigung der Religion".

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last update: 13.06.2003