Konvolut aus Korrekturen und Textergänzungen (zu den Druckfahnen)

Bei diesem insgesamt 14 Blätter umfassenden Konvolut handelt es sich um fünf unterschiedlich lange, handgeschriebene Listen Peter Handkes mit Korrekturen und Texteinfügungen zu den Druckfahnen von Der Große Fall. Sie sind insofern interessant, als sie Hinweise auf Handkes Vorgehensweise bei der Überarbeitung enthalten. Handke dürfte seine Ideen zu Textergänzungen, die er vermutlich zuerst in seinen Notizbüchern vermerkt hat, in einer ersten Liste gesammelt haben. Diese Liste mit der Überschrift »Varianten / Einfügungen [/] zum GROSSEN FALL« (Liste 1, Bl. I) umfasst sechs Seiten, die ab dem zweiten Blatt von 2-6 paginiert sind. Die einzelnen Notizen oder Sätze wurden von Handke mit einer durchlaufenden Nummerierung von 1-114 versehen, wahrscheinlich um das Zu- oder Umordnen zu erleichtern. Die ersten drei Einträge dieser ersten Liste lauten etwa: »1 Erg Die Könige haben nicht gelernt... : Aber vielleicht waren das die falschen Könige. Jener Ludwig, lange vor dem m. d. Sohne Prahlende, ging rückwärts, er war ein wahrer König [/] 2 König Rückwärtsgeher [/] 3 Es war die Stadt der guten Wege. Von welcher Stadt {konnte man das [Steno]} sagen?« (Liste 1, Bl. I).

In weiteren Arbeitsschritten dürfte Handke die Notizen selektiert und thematisch gruppiert in neue Listen übertragen haben. So findet man etliche Einträge inhaltlich leicht variiert und unterschiedlich gereiht auf mehreren Listen. Zum Beispiel übernahm Handke einige Notizen von der ersten Seite der ersten Liste in etwas anderer Reihung auf die zweite, mit 2. Feburar 2011 datierte Liste, die aus nur einem Blatt mit 14 nummerierten Notizen besteht. Bei längeren Einträgen wie der 15. Notiz der ersten Liste »15 Frau: Mit dir öffnet sich in mir ein Flügel, der da war, aber verborgen. Mit dir finde ich Zeit für meine perpléxité. Zum ersten mal in der Liebe bin ich ohne Erwartung« (Liste 1, Bl. I) verwies Handke bei der Übertragung auf die zweite Liste nur mehr auf die Nummer. Dort lautet der zehnte Eintrag: »10 Frau (→ 15 alte Liste)« (Liste 2). Diese Notiz wiederholte Handke dann noch einmal auf der dritten Liste: »6 Frau: Mit ihr öffnet sich in mir ein Flügel, von dem ich nicht wußte, daß er da war. ... Zeit für meine perpléxité. Erstmals in d. Liebe bin ich ohne Erwartung« (Liste 3, Bl. 1). Die »3. Liste GF« mit insgesamt 42 »Varianten/Erg.« (Liste 3, Bl. 1) ist undatiert. Sie umfasst zwei paginierte Blätter. Die Notizen der ersten Hälfte des ersten Blatts dieser Liste wiederholen die Einträge der zweiten Liste; die folgenden Notizen stammen von der zweiten bis vierten Seite der ersten Liste. Die auf 4. Februar 2011 datierte »4. Liste GF Erg/Var GF« (Liste 4) besteht wiederum aus nur einem Blatt mit neun Notizen. Darauf folgt noch eine »"Allerletzte" (?) Liste Korr/Ergänzungen GF«. Sie hat einen Umfang von vier Blättern, auf denen insgesamt 70 Einträge gesammelt sind, und enthält drei Datierungen vom 15., 16. und 25. Februar 2011 (Liste 5, Bl. I, 3, 4).

Manche Einträge wurden von Handke, vermutlich nach ihrer Verarbeitung oder Übertragung, durchgestrichen oder abgehakt; manche wurden weiter ergänzt oder mit einem zusätzlichen Kommentar versehen, zum Beispiel schrieb Handke neben die elfte Notiz der ersten Liste: »11 Métro: Ein Neugeborenes, sein Geschrei« die Frage »was geht in ihm vor?« (Liste 1, Bl. I). Diese Notiz wurde dann in der zweiten Liste zu: »8 Neugeborenes/Métro/Geschrei. Was geht in ihm vor? (2, 3 Sätze kurz)« (Liste 2) und wieder leicht variiert in der dritten Liste zu: »5 METRO: Neugeborenes, Geschrei. Was erlebt es? / 2 Sätze (geht in ihm vor?)« (Liste 3, Bl. 1) bis die Frage in der Notiz auf der vierten Liste schließlich beantwortet wurde: »5 Metro: War Vater \Vater/, warum hast du mich verlassen« (Liste 4). Im gedruckten Buch heißt es dann: »Daneben in einem Körbchen ein Neugeborenes, das zu ihm heraufschaute und ihm bedeutete: "Vater, warum hast du mich verlassen?".« (DGF 233)

Die auf den Listen skizzierten Textergänzungen wurden von Handke im ersten Lauf der Druckfahnen umgesetzt: Zum Beispiel wurde die Notiz »6 Die Trampelpfade mitten in der Stadt (keine Endzeit)« (Liste 1; vgl. Nr. 3, Liste 2; 1, Liste 3) in den Fahnen mit folgendem Wortlaut eingefügt: »Hast du Worte! Der Andrang wurde sogar größer und größer. "Endzeit"? Schau die Trampelpfade, noch und noch, vorher auch mitten in der Kapitale, hatten das Lügen gestraft.« (Druckfahnen 1. Lauf, Privatarchiv Hans Widrich, S. 251; DGF 246f.) Mitunter notierte Handke neben den Skizzen auch die Szene, das Kapitel oder die Seite, wo die Korrektur oder Einfügung realisiert werden sollte wie etwa auf der vierten Liste »8 1. Seite: mächtiger Donnerschlag (statt gewaltiger)« (Liste 4; vgl. Druckfahnen S. 7). Nicht überprüft werden konnte bislang, ob die am 25. Februar entstandenen Notizen der fünften Liste nicht erst im zweiten Lauf der Druckfahnen eingearbeitet worden sind, da die im Suhrkamp Verlag Berlin aufbewahrten Materialien noch nicht gesichtet werden konnten. (kp)

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