Die Vorzeitformen (Textfassung 1)

Typoskript 1-zeilig, 52 Blatt, [14.10.1978 bis] 06.01.1979

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Bei der ersten Textfassung von Peter Handkes Erzählung Langsame Heimkehr handelt es sich um die Kopie eines einzeilig bis knapp an den Rand getippten Typoskripts mit dem Titel »Die Vorzeitformen« (Bl. I). Das Original befindet sich im Privatbesitz des mit Peter Handke befreundeten Verlegers Hubert Burda und ist der Öffentlichkeit derzeit nicht zugänglich. Es konnte aber für die vorliegende Beschreibung gesichtet werden. Die Typoskriptkopie wurde vom Büro Hubert Burda angefertigt und gelangte mit Handkes »Chaville-Bestand« an das Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Sie besteht größtenteils aus Schwarzweißkopien, 20 Blätter wurden jedoch farbkopiert, um das von Handke verwendete farbige Papier (Bl. 31-41) bzw. die farbigen Schreibstifte zu dokumentieren, sodass man auch anhand der Kopie einen relativ guten Eindruck vom Aussehen der einzelnen Typoskriptblätter und von Handkes Arbeitsweise gewinnen kann. Den Text schrieb Handke auf Papier im US-Letter-Format, das etwas kürzer und breiter als europäisches DIN-A4-Papier ist, weshalb in den Kopien immer der rechte oder linke Rand seitlich abgeschnitten ist. 25 Blatt wurden doppelt kopiert, um die von Handke am linken Blattrand notierten Anmerkungen und Texteinfügungen lesen zu können. Die Kopie zählt daher 77 Blatt. Das Originaltyposkript umfasst 52 Blatt, die nach einem unpaginierten Titelblatt mit einer Seitenzählung von 1-51 versehen sind. Die letzten beiden Blätter des Originals (Bl. 50 und 51) waren ursprünglich im DIN-A4-Format, sie sind daher etwas schmaler und länger als die übrigen Blätter und wurden deshalb von Handke am unteren Rand leicht gekürzt.

Titelblatt

Das von Handkes selbst gestaltete Titelblatt besteht thematisch passend aus einem A4-großen Ausschnitt seiner Alaska-Landkarte, die sich im Bestand der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich befindet (ÖLA SPH/LW/W14). Auf den Kartenausschnitt ist wiederum ein kleines (5,3 x 6 cm), schwarz-graues Rechteck, vermutlich ein aus einer Zeitung oder Zeitschrift ausgeschnittenes Bild von Mark Rothko, angebracht, denn auf der Rückseite sind Teile eines Textes über Rothkos Arbeit und »Rothko's breakthrough« (Bl. I) zu erkennen. Oberhalb des Rechtecks tippte Handke in Versalien direkt auf die Landkarte den Titel »DIE VORZEITFORMEN« (Bl. I) und ergänzte daneben handschriftlich die Gattungsbezeichnung »Erzählung«, strich diese aber wieder. Den Titel »Die Vorzeitformen« (Bl. 1) tippte er auch über den Textanfang auf der nächsten Seite. In der veröffentlichten Fassung bezeichnete dieser Titel dann das erste Kapitel.

Motto

Auf die Rückseite des Titelblattes schrieb Handke mit schwarzer Tinte das Motto: »"Dann, als ich kopfüber den Pfad hinunterstolperte, war da plötzlich eine Form ..." [/] Die göttliche Komödie« (Bl. Iv). Er wiederholte das Dante-Zitat über dem Anfang der Erzählung am rechten oberen Blattrand des ersten Typoskriptblatts (Bl. 1). Es wurde später als Motto in das veröffentlichte Buch übernommen, allerdings ohne Quellenangabe. Auf dem letzten Blatt unter dem Ende der Erzählung vermerkte er ein weiteres Zitat, das bisher keinem Werk zugeordnet werden konnte und von Handke auch wieder gestrichen wurde. Es lautet: »"Im Augenblick, da ich aufhöre an ihn zu glauben, verschwindet" Averroes' [/] langsame Welt« (Bl. 51). Ob der Satz ebenfalls als Motto gedacht war oder nicht, geht aus den Materialien nicht hervor.

Kapiteleinteilung

Wie man an diesem Typoskript erkennen kann, hatte Handke beim Schreiben der ersten Textfassung noch keine Kapiteleinteilung vorgesehen, sie wurde von ihm erst bei der nachträglichen Überarbeitung vorgenommen. Dabei gliederte er die Erzählung in vier Abschnitte, die nur durch handschriftlich eingefügte Zahlen markiert sind – die Kapitel haben noch keine Titel. Das erste Kapitel wurde von Handke etwa rechts vor dem Textanfang durch die eingeklammerte Zahl »(I)« (Bl. 1) markiert. Der Anfang des zweiten Kapitels wurde nach dem Satz »(In der Stadt an der Westküste des Kontinents, wo er seit ein paar Jahren lebte, gab es zum Beispiel eine sehr breite, vor allem von Tankstellen und Einkaufszentren gesäumte Strasse, die "Northern Light Boulevard" hiess.)« durch die eingeklammerte Zahl »(2)« gekennzeichnet und beginnt folglich mit dem Satz: »Es war \dort/ eine andere Zeitzone, und Valentin Sorger kam in der Dunkelheit an.« (Bl. 22). Den Anfang des zweiten Kapitels schrieb Handke später beim Korrigieren der Druckfahnen völlig neu. In dieser ersten Textfassung endet der zweite Teil mit der Erdbebenparkszene, in welcher Sorger den beiden Frauen begegnet (Bl. 35ff.); sie wurde von ihm im Zuge einer weiteren Überarbeitung an den Anfang des zweiten Kapitels vorgezogen (LH 115-119).

Das dritte Kapitel wurde von Handke nach den letzten Sätzen der Erdbebenparkszene auf Seite 36 eingefügt und beginnt mit Sorgers Flug nach Denver: »Das Licht drüben im Fenster des Kinderzimmers bildete ein gelbes Zelt, in dem ein schwarzes Spielzeugpferd stand, über dem Meer war ein tintiger Horizontstreifen: dort zitterten noch die geschlossenen Augen der beiden Frauen, ihre Gesichter glätteten sich wie in einem Hauch, und ihre \unschuldigen/ Schreie erfüllten erst jetzt die leeren Räume \(und jetzt erst erlebte er die Nacktheit ihrer Körper innersten Körper)/.\(3)/ Todesferne im Flugzeug: \wie/ leicht fiel es zu sprechen; wie leicht war überhaupt das Leben. Heimisch bei Plastik, umworben von Zellophan, das sich an die Finger schmiegte. Das Essen: "heiss" das einzig Wahrnehmbare daran – doch selbst das Heisse war \s/ein Geschmack.« (Bl. 36) Dieses Kapitel erzählt von Sorgers Zwischenstopp in Denver, wo er einen als Schilehrer arbeitenden Schulfreund besuchen möchte, der jedoch kurz zuvor gestorben ist. Auch dieser Kapitelanfang wurde von Handke in den Druckfahnen neu geschrieben. Das vierte Kapitel beginnt mit der Landung in New York – die Markierung des Kapitelanfangs wurde von Handke zwischen zwei Sätze gesetzt, die beide diese Landung beschreiben: »Als die Räder die Piste berührten, gingen in der Kabine die Lichter an, und hinter den Lehnen wurde laut geklatscht; der Landung oder der Stadt? \(4)/ Daran erfuhr Sorger jedenfalls, dass er nicht allein unterwegs gewesen war.« (Bl. 39; vgl. LH 169) Das dritte Kapitel ist kurz, es umfasst nur drei Typoskriptblätter und wurde vielleicht deshalb in der zweiten Textfassung mit dem vierten Kapitel vereint.

Korrekturen und Randnotizen

Das Typoskript enthält etliche mit verschiedenen Stiften geschriebene oder mit Maschine über einzelne Wörter getippte kleinere Korrekturen sowie Streichungen mit dicken, schwarzen Filzstiftbalken. In der Kopie sind die gestrichenen Wörter und Satzteile größtenteils nicht mehr zu entziffern, im Original sind sie aber, da der Filzstift ausgebleicht ist, oftmals noch rekonstruierbar. Am linken Blattrand, zum Teil aber auch am oberen oder unteren Rand findet man zahlreiche, meist mit Bleistift oder schwarzer Tinte geschriebene Anmerkungen und Textergänzungen (z.B. Bl. 17, 21). Sie dürften bei der Überarbeitung der ersten zur zweiten Textfassung entstanden sein. (In der Kopie sind die Anmerkungen leider kaum zu entziffern.) Eine längere seitlich notierte Einfügung lautet etwa: »x Immer werde ich in der Tiefe dieser Landschaft nachschwingen und -beben, auch nach meinem Tod allen Menschen und er empfand nicht Glück, sondern Glückseligkeit, und sein Gesicht wurde zu einer Maske, die das Glück darstellte«. Ein zweites »x« markiert im Text die Stelle der Einfügung nach »die von der Sonne gewärmten Blechfässer tönten«. (vgl. LH 72) Beispiele für Handkes Überarbeitungskommentare wären etwa die Randnotizen: »S.'s Zusammenbruch« (Bl. 31); »Unwirklichkeitsschwindel« (Bl. 31); »S.'s Katastrophe« (Bl. 31) oder »richtige Bergbesteigung von S., bis er auf Paß nach Osten kommt (ausführlicher alles)« (Bl. 38); »die Toten lachen über ihn« (Bl. 38); »der erotische Schnee« (Bl. 38). Bei einer anderen Notiz auf diesem Blatt dürfte es sich um einen Verweis auf sein Notizbuch handeln: »Nb S 13« (Bl. 38), eventuell auch bei der Notiz »(S. 11)« (Bl. 36). Eine Anmerkung weist dabei eine Verbindung auf zur Fortsetzung von Langsame Heimkehr in Die Lehre der Sainte-Victoire – die Identifikation von Sorger mit Cézannes Mann mit den gekreuzten Armen; sie lautet: »S. the unknown sitter  l'homme aux brus [bras] croises [/] Pornokino [/] sein wissenschaftlicher Blick in der Nacktbar (Lust zur Hingabe ergriff die Frauen) als ob dabei zugleich die Geschlechtsteile aller erkalteten« (Bl. 28).

Datierung

In diesem Typoskript fehlen die für erste Textfassungen bei Handke üblichen seitlichen Datierungen der täglichen Schreibabschnitte, sodass sich der Enstehungsverlauf nicht eruieren lässt. Das Abweichen von seiner gewohnten Arbeitsweise lässt sich vielleicht mit dem von Handke als krisenhaft empfundenen Schreiben erklären. Der Schreibbeginn lässt sich jedenfalls nur indirekt durch eine Notiz auf der für seine Titelblattgestaltung verwendeten Alaska-Landkarte (ÖLA/SPH/LW/W14) erschließen. Demnach begann Handke am 14. Oktober 1978 in New York mit der Arbeit am Typoskript dieser ersten Textfassung. Zwei kleine Randnotizen, die durch Notizbucheinträge bestätigt werden, dokumentieren am 12./13. Dezember 1978 den Ortswechsel von New York nach Madrid (Bl. 43). Handke beendete die Arbeit am »6. Januar 1979« in »München« (Bl. 51), wo er bei dem befreundeten Ehepaar Hanne und Hermann Lenz wohnte. (kp)

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Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorlage): 

DIE VORZEITFORMEN [/] Erzählung

Entstehungsdatum (laut Vorlage):  12.12. [Bl. 43]; 13.12. [Bl. 43]; 6. Januar 1979 [Bl. 51]
Datum normiert:  [14.10.1978 bis] 06.01.1979
Entstehungsorte (laut Vorlage): 

N.Y. [New York; Bl. 43], Madrid [Bl. 43], München [Bl. 51]

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Privatbesitz Hubert Burda
Art, Umfang, Anzahl: 

Typoskript 1-zeilig, 52 Blatt, I, pag. 1-51; Bl. 31-41 sind auf grünem Papier geschrieben

Format:  US-Letter und A4
Schreibstoff:  Tinte (schwarz), Kugelschreiber (schwarz, blau), Fineliner (orange, rot, schwarz und grün), Bleistift