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Franz Spitaler: Bericht über das Internationale Hermann Bahr-Symposion »Hermann Bahr: Mittler der europäischen Moderne« am Stifterhaus in Linz, 22. bis 24. September 1998 (29. 12. 2001). In: Sichtungen online, PURL: http://purl.org/sichtungen/spitaler-f-1a.html ([aktuelles Datum]). - Auch in: Sichtungen 2 (1999), S. 302-305.

Franz Spitaler
Molkereistraße 38, A-4070 Eferding
Adressinformation zuletzt aktualisiert: 1999

Bericht über das Internationale Hermann Bahr-Symposion »Hermann Bahr: Mittler der europäischen Moderne« am Stifterhaus in Linz, 22. bis 24. September 1998

Franz Spitaler


[2/ S. 302:] Unter dem Generalthema »Hermann Bahr: Mittler der europäischen Moderne« fand vom 22. bis 24. September 1998 im Rahmen einer gleichnamigen Hermann-Bahr-Ausstellung ein wissenschaftliches Symposion in Bahrs Geburtsstadt Linz statt. Fünfzehn Bahr-Spezialisten und Experten der Moderne-Forschung aus sechs Ländern trafen sich im Linzer Stifter-Haus, um über aktuelle Ergebnisse ihrer Forschungstätigkeit zu referieren und neue Impulse zu geben bzw. zu empfangen. Der Tagung kam auch durch die Einbeziehung der neu edierten »Tagebücher, Skizzenbücher und Notizhefte« Hermann Bahrs innovative Bedeutung für die Bahr-Forschung zu.

Am Vorabend des Symposions wurde das neue Standardwerk zu Hauptzentren der Moderne um 1900, »Berliner und Wiener Moderne« von Peter Sprengel und Gregor Streim, von den Verfassern dem Fachpublikum und der interessierten Öffentlichkeit im Stifter-Haus präsentiert.

Donald G. Daviau (Riverside, USA) wies in seinem Eröffnungsreferat »Der Austropäer Hermann Bahr als Anreger und Vermittler der Moderne im europäischen Kontext« vor allem auf die Tatsache hin, daß Bahr neben seiner bekannten internationalen Mittlertätigkeit durch sein Manifest »Die Entdeckung der Provinz« auch den Regionalismus förderte. Diese Idee sei vergleichbar mit aktuellen Überlegungen der Europäischen Union. Bahrs Wiederentdeckung stehe noch aus und wird möglicherweise durch die Freigabe der Rechte für seine Werke 2004 angeregt werden.

Der Doyen der Fin de siècle-Forschung, Roger Bauer (München), betonte in seinem Vortrag »Der Pariser Hintergrund von Bahrs ›Überwindung der Décadence‹« Bahrs Fähigkeit, die ›littérature de décadence‹ zu vermitteln. In seinen Aufsätzen und in seinen Tagebüchern, die [2/ S. 303:] durch die neue Edition zugänglich sind, skizziere Bahr eine Geschichte der Bewegung, die noch einer genauen literaturhistorischen Aufarbeitung bedürfe.

Peter Sprengel (Berlin) legte mit »Der ›Einzige‹ und die anderen - Hermann Bahrs Roman ›Die gute Schule‹ (1890), genetisch betrachtet« die Entstehungsgeschichte von Bahrs Roman unter besonderer Berücksichtigung der Tage- und Skizzenbücher dar. Dabei wurde nachgewiesen, wie Bahr die inhaltlichen Akzente des Romans im Lauf des künstlerischen Schaffenprozesses verschob.

In seinem Vortrag »Hermann Bahrs kulturkritische Revision der Moderne in seinem essayistischen und literarischen Werk der Jahre 1904 bis 1906« vertrat Dieter W. Adolphs (Houghton, USA) die These, daß es Bahrs Bedürfnis nach kultureller Erneuerung entsprach, sich als schaffender Künstler sowie als Essayist zu betätigen. Adolphs untermauerte seine Ansicht anhand der Essays »Dialog vom Tragischen« und »Dialog vom Marsyas« sowie der Dramen »Der Meister«, »Sanna« und »Die Andere«.

Gregor Streim (Berlin) bot in seinem Referat »Vom ›unrettbaren Ich‹ zur ›europäischen Idee‹ - Zum Verhältnis von Ästhetik und Politik bei Hermann Bahr« einen Überblick über Bahrs ideologische Wandlung vom deutschnationalen Burschenschafter zum Propagandisten einer ›österreichischen‹ bzw. ›europäischen Idee‹.

Gotthart Wunberg (Wien, Tübingen) stellte die provokante Frage, ob »Hermann Bahr - ein Fall für die Kulturwissenschaft?« sei. Ausgehend von der These, daß Bahr als Schriftsteller qualitativ zu schlecht sei, daß sich die Germanistik mit ihm befasse, aber als Mittler wiederum zu wichtig, um ihn ausschließlich der Germanistik zu überlassen, wurde die Forderung erhoben, Bahr einer interdisziplinären Kulturwissenschaft zu übergeben. Diese hätte auch die Methoden und Werkzeuge, ihm seiner Bedeutung entsprechend gerecht zu werden.

Alfred Doppler (Innsbruck) stellte in seinem Vortrag »Arthur Schnitzler und Hermann Bahr« die persönliche Beziehung der beiden Schriftsteller, mit Schwerpunkt auf die Perspektive Schnitzlers, dar. Spätestens mit Bahrs Hinwendung zum Katholizismus, die von Schnitzler nicht goutiert wurde, kühlte sich das Verhältnis ab.

Durch einige bislang unveröffentlichte Stellen aus Bahrs Tagebüchern erfaßte Lukas Mayerhofers (Wien) Überblicksdarstellung »Hermann Bahr und Henrik Ibsen« die Beziehung zwischen beiden Autoren adäquater als die bisherige Forschung. Vor allem Bahrs Inszenierungen von Ibsens Werken wurden hervorgehoben und entsprechend gewürdigt.

[2/ S. 304:] Anton Mayers (Wien) Referat »Hermann Bahr und der Dichterkreis Jung Wien - Die Überwindung von Naturalismus und Décadence« zeigte die Bedeutung Bahrs als Mittler ausländischer Literatur für die Vertreter des Jungen Wien und die individuelle Rezeption der vermittelten ausländischen Schriftsteller in Wien durch Mitglieder des Kreises.

Marcus Meier (Locarno) ging in seinem Vortrag »›Der eigene Hamlet, Faust, Don Juan‹ - literaturpsychologische Überlegungen zum Zusammenspiel von europäischer Kultur und ›persönlichem Mythos‹ in Hermann Bahrs literarischem Werk« von einer Tagebuchnotiz aus, in der Bahr skizziert, wie dem Zuschauer Urtypen des europäischen Dramas als Projektionsfläche eigener Konflikte dienen und so zu einem phantasierten »eigenen Hamlet, Faust, Don Juan« führen. Unter Verwendung einer interdisziplinären Methodenkombination von aktueller Literaturpsychologie Freudscher Prägung und Gérard Genettes Arbeiten zur Intertextualität wurde dargestellt, in welchem Spannungsfeld von Werken europäischer Literatur und den von Charles Mauron »persönlicher Mythos« genannten Kernphantasien Bahrs literarische Werke stehen.

In »Hermann Bahr und das Judentum« wies Konstanze Fliedl (Wien) nach, daß Bahr in bezug auf das Judentum trotz einer zeitweisen aufgeklärten Haltung ein Kind seiner Zeit war. Vor allem nach seiner Hinwendung zum Katholizismus bediente Bahr in seinem Werk latent antisemitische Vorurteile durch einschlägige Figurenzeichnung auf subtile Art und Weise.

Norbert Bachleitner (Wien) betonte in »Hermann Bahr und die französische Literatur« vor allem die journalistische Tätigkeit Bahrs, durch die er zum Mittler französischer Autoren wurde. Bei der Entdeckung neuer, ihm unbekannter Schriftsteller spielte auch eine gewisse Zufälligkeit mit, denn Bahrs Kenntnisse der französischen Literaturszene waren gerade am Anfang seines Pariser Aufenthalts nicht sehr umfassend.

Alexej Žerebin (St. Petersburg) stellte in seinem Referat »Hermann Bahrs ›Russische Reise‹ als Petersburger Text« fest, daß die »Russische Reise« einer jener Essays war, die in gegenseitiger Wechselwirkung am literarischen Mythos »Petersburg« mitschrieben.

Kurt Ifkovits! (Wien) »Hermann Bahrs Rezeption der ›Insel‹ und die Rezeption Bahrs in der ›Insel‹« belegte die Bedeutung der Zeitschrift für die Entwicklung der Moderne und wies auf die gegenseitigen befruchtenden Wechselwirkungen hin.

Den Abschluß bildeten Vorträge über die Wirkungsgeschichte der Wiener Moderne im Ausland. Neben allgemeinen Ausführungen zur Ent- [2/ S. 305:] stehung der Kroatischen Moderne legte Eugenija Ehgartner-Jovinac (Wien) in ihrem Vortrag »Hermann Bahrs kulturelle Beziehungen zu Kroatien« einen Schwerpunkt auf die Rezeption von Bahrs Reisebuch »Dalmatinische Reise« und des Essaybandes »Austriaca« in Kroatien und führte die Bedeutung Bahrs für die kroatischen Intellektuellen aus.

Jadvyga Bajaruniene (Vilnius) schließlich gab in ihrem Vortrag über »Auswirkungen der österreichischen Moderne und Hermann Bahrs auf die litauische Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts« einen Überblick über die Rezeption österreichischer Schriftsteller der Jahrhundertwende mit Schwerpunkt Rilkes und Bahrs.

Das Rahmenprogramm der Tagung umfaßte neben der Buchpräsentation einen Lese- und Rezitationsabend mit Ausschnitten aus Bahrs »Konzert« und »Selbstbildnis« durch Romuald Pekny und Adelheid Picha sowie ein Pressegespräch.

Franz Spitaler




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