85 Jahre allgemeines Frauenwahlrecht in Österreich
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III. Der Blick in die Welt - Internationales
Zum Beispiel: Schweiz
Emilie Kempin-Spiry
Die Eidgenossen als europäische Nachzügler

Bild: Emilie Kempin-Spiry, Schweizer Juristin und Frauenrechtlerin

Einer der Gründe, warum das Wahlrecht für Frauen erst so spät, nämlich 1971, eingeführt wurde, ist das politische System der Schweiz, das bei Gesetzesänderungen die Zustimmung der Mehrheit der stimmberechtigten Bürger, vor 1971 der männlichen Bevölkerung, erforderte.
Dabei durften die Frauen bereits 1848 auf ihre politische Gleichberechtigung hoffen: In der Verfassung, die damals erlassen wurde, stand: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Dass das jedoch nur für Männer galt, mussten die Frauen bald merken.
Bereits in den Jahren 1860 bis 1874 organisierten sich die Schweizerinnen, um ihre Gleichberechtigung einzufordern. 1886 reichten sie die erste Petition an das Parlament ein, in der Marie Goegg-Pouchlin, die Pionierin der Schweizer Frauenstimmrechtsbewegung, sich im Namen ihrer Mitstreiterinnen auf die Menschenrechte berief. Es sollte nicht die letzte Petition sein, die im Laufe der Jahre abschlägig behandelt wurde. So wurden die Anliegen einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Im gleichen Jahr forderte Emilie Kempin-Spiry (1853 Altstetten - 1901 Basel), die als erste Frau in der Schweiz das juristische Studium abgeschlossen hatte, die Zulassung, Anwältin zu werden. Trotz der Gleichwertigkeit ihrer Ausbildung wurde ihr diese Erlaubnis vom Bundesgericht verweigert.
1896 fand in Genf der Erste Nationale Frauenkongress statt, der der Öffentlichkeit die Ernsthaftigkeit der Frauenwahlrechtsbewegung vor Augen führte und auch unter einigen Männern Zustimmung fand. Im folgenden Jahr veröffentlichte der Berner Professor Carl Hilty einen Artikel für das Frauenstimmrecht. In den nächsten Jahren bildeten sich zahlreiche Frauenorganisationen zu diesem Thema, doch gab es darunter auch Vereine, in denen sich Frauen gegen ihr politisches Recht einsetzten. Nach dem Ersten Weltkrieg traten selbst im Nationalrat vereinzelte Männer auf, die das Stimmrecht der Frauen forderten, auch reichten zahlreiche Frauenverbände gemeinsam eine Petition ein. Diese wanderte in die Schublade des Bundesrates.
Die Argumente gegen das Frauenstimmrecht waren vielfältig und befremdlich. So wurde behauptet, dass die Schweizerinnen gar keine Gleichberechtigung wollten, dass Frauen von Politik nichts verstehen würden und die Frau ins Haus und nicht in die Politik gehöre, dass die Frauen ihr Stimmrecht über ihre Ehemänner ausüben könnten, dass es nicht zu den Schweizer Gewohnheiten gehöre und die Frauen durch den Besitz politischer Rechte ihre Weiblichkeit verlieren würden.
Die erste Volksabstimmung 1959 zum Frauenstimmrecht wurde abschlägig behandelt. Protestaktionen und Streiks in der ganzen Schweiz waren die Folge. Im gleichen Jahr erzielten die Frauen jedoch den ersten Erfolg: Im Kanton Neuenburg wurde das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene eingeführt.
Als die Schweiz 1965 der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten wollte, wurde die Frage der Gleichberechtigung der Frauen dringlich. Trotzdem spielte der Bundesrat immer noch auf Zeit. Das Jahr 1968 brachte die neue politische Protestbewegung auch in die Schweiz. Feministinnen kritisierten die behäbigen Methoden der bisherigen Frauenrechtsvereine und organisierten Demonstrationen, eine in der Schweiz bis dahin unübliche Form demokratischer Meinungsäußerung. Auch mit Hausbesetzungen und kämpferischen Protestaktionen machte die Frauenbefreiungsbewegung FBB von sich reden. Derart unter Druck gesetzt, begannen Bundesrat, Nationalrat und Ständerat eine Gesetzesvorlage zu verhandeln. Schließlich wurde am 7. Februar 1971 das Frauenstimmrecht mit 65,7 Prozent der - männlichen - Stimmen angenommen. Das Fürstentum Liechtenstein zog erst 1984 nach.
Doch nicht auf allen Ebenen hatten die Frauen in der Schweiz damit politische Rechte: Erst Ende 1990 erhielten die Frauen des Kantons Appenzell Innerrhoden das kantonale Stimmrecht – nicht durch Abstimmung sondern durch eine Verordnung des Bundesgerichts.
Schweizer Frauen mit Plakaten 1971 Schweizerinnen vor der Abstimmung
Zeitungsfoto: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 34, 5.2.1971 S. 35

Am 7. Februar. 1971 waren die Schweizerinnen endlich am Ziel: Sie erhielten das aktive und passive Wahlrecht.