Frauenliteratur der österreichischen Moderne

 

Else Jerusalem (1877 - 1942?)

ein Skandalbuch wird zum Bestseller

Biographie


E. J. (geb. Kotányi), geb. am 23. November 1876 in Wien, stammt aus bürgerlich-jüdischer Familie ungarischer Herkunft. Sie genießt eine höhere Bildung und gehört zu den ersten außerordentlichen Hörerinnen der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. Anschließend betätigt sie sich als „Vortragskünstlerin“ und Schriftstellerin. Bereits in jungen Jahren widmet sie sich dem brisanten Thema der weiblichen Sexualität („Venus am Kreuz“, „Komödie der Sinne“). Die 1902 erscheinende Broschüre „Gebt uns die Wahrheit“ beschäftigt sich mit der Vorbereitung junger Mädchen auf die Ehe, wobei E. J. vehement für sexuelle Aufklärung eintritt. 1909 erscheint ihr fast 700 Seiten starker Bestseller-Roman "Der heilige Skarabäus". Sein Inhalt ist für eine Schriftstellerin der Jahrhundertwende skandalös und ein Tabu-Bruch: er handelt im Bordell-Milieu. 1901 heiratet sie in erster Ehe den Fabrikanten Alfred Jerusalem, mit dem sie zwei Kinder hat. Nach der Scheidung geht sie eine zweite Ehe mit Viktor Widakowich ein und geht mit ihm nach Argentinien, wo sie ethnologische Studien betreibt und vermutlich 1942 stirbt. Über ihr Leben nach der Emigration ist leider sehr wenig bekannt.

Werke online

Der heilige Skarabäus. Roman. 4. Aufl. - Berlin : Fischer, 1909


E. J. greift in diesem Roman eines der strittigsten und drängendsten sozialen Probleme ihrer Zeit auf: die Prostitutionsfrage. Milada, die Heldin des Romans, wird ins Dirnen-Milieu hineingeboren und von ihrer Mutter zur Prostituierten erzogen. Durch ihren Bildungshunger und die Entwicklung (klein)bürgerlicher Tugenden, wie Ordnungssinn, Arbeitsdrang und Sparsamkeit, gelingt es ihr, sich zur Wirtschafterin des Etablissements emporzuarbeiten. Sie entsagt schließlich der Liebe zu einem Studenten und gründet in den Bergen ein Heim für verwahrloste Kinder. Von der männlichen Leserschaft überwiegend enthusiastisch gefeiert, stehen Exponentinnen der bürgerlichen Frauenbewegung dem Werk reserviert gegenüber: Es würden nur „Krankheitssymptome“ eines gestörten Geschlechterverhältnisses und dessen fatale Auswirkungen dargestellt, die Ursachen (die bürgerliche Gesellschaft mit ihren patriarchalen Strukturen und ihrer Doppelmoral) blieben jedoch unterbelichtet. Außerdem sei der Schluss idealisierend und wenig plausibel. Das Buch hatte dennoch durchschlagenden Erfolg und verkauft sich insgesamt über 40.000 Mal, davon die Hälfte allein im ersten Jahr nach dem Erscheinen. 1928 wird es unter dem Titel "Die Rothausgasse" (Regie: Richard Oswald) als Stummfilm in Berlin uraufgeführt.

Weitere Werke

  • Venus am Kreuz : drei Novellen. – Leipzig : Meyer, 1899
    Signatur: kein Bestand an der ÖNB

  • Gebt uns die Wahrheit! : ein Beitrag zu unsrer Erziehung zur Ehe. - Leipzig : Seemann, 1902
    Signatur: 1681567-B.Neu
    Online bei ALO

  • Steinigung in Sakya : ein Schauspiel in 3 Akten. - Berlin : Reiss, 1928
    Signatur: 572576-B.Neu

  • Die Dreieinigkeit der menschlichen Grundkräfte. - Zürich : Die Gestaltung, 1939
    Signatur: 598531-B.Neu

Weiterführende Literatur

  • Borst, Eva: Ichlosigkeit als Paradigma weiblichen Daseins : Prostitution bei Margarete Böhme und Else Jerusalem. - In: Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de Siècle / Hrsg.: Tebben, Karin. - Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de siècle / hrsg. von Karin Tebben. - Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1999, S. 114 - 137
    Signatur: 1585477-B.Neu
  • Borst, Eva : Über jede Scham erhaben : das Problem der Prostitution im literarischen Werk von Else Jerusalem, Margarete Böhme und Ilse Frapan unter besonderer Berücksichtigung der Sittlichkeits- und Sexualreformbewegung der Jahrhundertwende. - Frankfurt am Main ; Wien [u.a.] : Lang , 1993 . - 232 S. - Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 1992
    Signatur: 1259090-B.24.Per
  • Fraisl, Bettina: Der weibliche Körper als Ort von Identitätskonstruktionen in der Moderne. - In: Kultur - Identität - Differenz. Innsbruck ; Wien [u.a.], 2004, S. 255 – 290
    Signatur: 1671045-B.Per.4
  • Gürtler, Christa: Eigensinn und Widerstand : Schriftstellerinnen der Habsburgermonarchie / Sigrid Schmid-Bortenschlager. - Wien, 1998
    Signatur: 1539407-B.Neu
  • Hofmann-Weinberger, Helga und Christa Bittermann-Wille: Erstklassige Schriftstellerinnen zweiter Güte? : literarische Bestseller österreichischer Autorinnen vom 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg. - In: Biblos 54 (2005) 1, S. 19 - 39
    Signatur: 812716-B.Neu-Kat
  • Jusek, Karin J.: Ein Wiener Bordellroman: Else Jerusalems "Heiliger Skarabäus". - In: "Das Weib existiert nicht für sich" : Geschlechterbeziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft / hrsg. von Heide Dienst und Edith Saurer. - Wien : Verlag für Gesellschaftskritik, 1990, S. 139 - 147
    Signatur: 1180381-B.Neu-Per.48
  • Schwaha, Maria: Die Darstellung der Prostitution in der Literatur um 1900 unter besonderer Berücksichtigung des sozialhistorischen Kontexts : Else Jerusalem: Der heilige Skarabäus ; Margarete Böhme: Tagebuch einer Verlorenen - von einer Toten ; Arthur Schnitzler: Die Braut ; Felix Salten: Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer Wiener Dirne, erzählt von ihr selbst. - Salzburg, Univ., Dipl.-Arb., 2001
    Signatur: 1639990-C
  • Spreitzer, Brigitte: "Ich bin ja nur ein Stück Weiberfleisch" : die Auslöschung der "Kleinigkeit Ich" bei Else Kotanyi-Jerusalem / Brigitte Spreitzer. - In: Texturen : die österreichische Moderne der Frauen. - Wien : Passagen, 1999, S. 84 - 87
    Signatur: 1477776-B.Neu-Per.8
  • Unterwurzacher, Adelheid: Das Problem der Prostitution im deutschen Frauenroman der Jahrhundertwende : "Der heilige Skarabäus" und "Tagebuch einer Verlorenen". - Salzburg, 1981. - Hausarbeit
    Signatur: kein Bestand an der ÖNB