Frauenliteratur der österreichischen Moderne
Ada Christen (Ps. f. Christiane von Brenden) (1839 - 1901)
Soziale Anklage und Resignation
Biographie
Als Christine von Frederik geboren, stammt sie aus einer verarmten Wiener Kaufmannsfamilie (der Vater verliert wegen seiner Teilnahme an der 48er Revolution sein Vermögen und stirbt früh). Sie geht mit 15 Jahren zu einer Wander-Schauspieltruppe. Ihr erster Mann (der ungarische Großgrundbesitzer Siegmund von Neupauer) stirbt bereits nach zwei Jahren Ehe. Sie beginnt zu schreiben und lebt in dürftigen Verhältnissen, bis ihr die zweite Ehe 1873 mit dem Offizier und Militärschriftsteller Adalmar von Breden finanzielle Sicherheit bringt. Ihr erster Gedichtband "Lieder einer Verlorenen" (über Vermittlung von Ferdinand von Saar 1868 in Hamburg erschienen) erregt wegen seiner erotischen und sozialen Thematik großes Aufsehen. Es folgen neben Gedichten und Erzählungen auch Bühnenstücke. Sie wird zur gefeierten Dichterin, führt einen Literatursalon und beeinflußt mit ihren gesellschaftskritischen Werken die frühen Naturalisten.
Werke online
Der mittellose Kunsttischler Heinrich Warren verführt die 16-jährige Arbeiterin Liese und verlässt sie, um eine andere zu heiraten. Er nimmt dennoch den unehelichen Sohn gleich nach der Geburt zu sich und lässt Liese mitteilen, dieser sei gestorben. Bald darauf entwickelt sich Liese zur gefeierten und umschwärmten Sängerin Faustina. Ihr einziger Gedanke bleibt jedoch: sich für Warrens Treulosigkeit zu rächen. Sie nimmt Jahre später eine Einladung in das Haus des zu Wohlstand gekommenen Witwers an, zur Unterhaltung der Gäste aufzutreten, ohne dass dieser sie wiedererkennt. Mit Hilfe von Charles de Norrant, der bei Warren logiert, spinnt sie eine Intrige gegen Heinrich, den gemeinsamen Sohn. Dieser verfällt in der Folge in ein unheilbares Nervenfieber. Faustina fühlt sich schuldig und will Heinrich im Haus von Warren pflegen. Am Krakenlager erkennt Warren in ihr schließlich Liese, Heinrichs Mutter. Als er ihr die Wahrheit eröffnet, stirbt sie, von Selbstvorwürfen überwältigt.
Anders, als der Titel vermuten lässt, handelt es sich bei "Faustina" nicht um eine konsequente weibliche Faust-Figur. Die Motive des Faust-Stoffes werden höchstens angedeutet, wobei Norrant als Mephisto-Figur gedeutet werden kann. Allenfalls sind geschlechterkritische Umkehrungen tradierter Muster erkennbar, ohne daß diese psychologisch ausgearbeitet werden. Das Stück kann somit der Gattung des Intrigendramas mit tragödienhaftem Ausgang zugerechnet werden.
Der junge Soldat Leopold Weis kehrt zu seiner Pflegemutter Johanna Walter in ein ärmliches Mietshaus am Stadtrand von Wien zurück. Anläßlich seines 25. Geburtstages gibt ihm seine Pflegemutter eine "Chronik" über das Haus und seine Bewohner, in der auch ihre Geschichte und die von Leopolds wirklichen Eltern enthalten ist. Durch die Lektüre erfährt Leopold von der heimlichen Liebe Johannas zu seinem Vater, der jedoch ihre schöne, egozentrische Freundin Magdalena heiratet. Magdalena will sich nach der Geburt des Sohnes mit den ärmlichen Verhältnissen und der Rolle der Hausfrau zufrieden geben und verläßt die Familie. Johanna zieht nun in den Haushalt, um für beide zu sorgen - was in der Hausgemeinschaft zu falschen Gerüchten über eine angebliche "wilde Ehe" der beiden führt. Als Leopolds Vater klar wird, daß Magdalena nicht mehr zurückkehren wird, ersticht er sich - sterbend nimmt der Magdalena das Versprechen ab, den Sohn von Johanna erziehen zu lassen. Nach der Lektüre der "Chronik" gibt Leopold seiner leiblichen Mutter die Schuld am Selbstmord des Vaters und will keinerlei Kontakt mehr mit ihr haben.
Die menschlichen Konflikte dieser naturalistisch gefärbten Erzählung werden vor dem Hintergrund der sozialen Sphäre der Wiener Vorstadt abgehandelt. Die Binnenhandlung ("Chronik") wird durch eine schmale Rahmenhandlung eingerahmt, die Hauptfiguren (Johanna und Magdalena) werden in krassem Gegensatz gezeichnet: in der nach Autonomie strebenden Figur Magdalenas wird die zeitgenössische Problematik der Emanzipationsbestrebungen angedeutet, währen Johanna als "Jungfer Mutter" im Spannungsfeld unerfüllter Sexualität, selbstloser Liebe und sozialer Verantwortung steht.
Weitere Werke
- Aus der Asche : neue Gedichte. - Hamburg : Hoffmann & Campe 1870
Signatur: 716.963-A
Online bei ANNO
Online bei WIKISOURCE
- Lieder einer Verlorenen. 3. Aufl. - Hamburg : Hoffmann & Campe, 1873
Signatur: 414.872-A
Online bei WIKISOURCE (Ausgabe 1868)
- Vom Wege : Skizzen. - Hamburg : Hoffmann & Campe, 1874
Signatur: 673.173-A
Online bei ANNO
- Aus dem Leben : Skizzen. - Leipzig : Ernst Julius Günther, 1876
Signatur: 83.214-A
- Aus der Tiefe : neue Gedichte. - Hamburg : Hoffmann & Campe, 1878
Signatur: 697.714-A und 716.962-B
- Unsere Nachbarn : neue Skizzen. - Dresden (usw.) : Minden, 1884
Signatur: 727.749-B
- Ausgewählte Werke. - Wien, 1911
Signatur: 459.650-A.Per.29
- Geschichten aus dem Haus "zur blauen Gans". - Wien, 1929
Signatur: 538.673-B.Per.188
Weiterführende Literatur
- Anders, Petra: Eine vergessene Wiener Vorstadtgeschichte : Ada Christen: "Jungfer Mutter". - Univ. Göttingen, Hausarbeit, 1998
Bestand: Herzogin-Amalia-Bibl. Weimar
- Behr, Emilie (Mila): Ada Christen : ihr Leben und ihre Werke. - Wien, 1922. - Diss.
Signatur: Univ. Bibl. Wien D-15164
- Beutner, Eduard: Widerstand und Resignation : zur Lyrik der österreichischen Schriftstellerin Ada Christen. - In: Unterdrückung und Emanzipation : Festschrift für Erika Weinzierl zum 60. Geburtstag / hrsg. von Rudolf G. Ardelt, Wolfgang Huber, Anton Staudinger. - Wien [u.a.] : Geyer-Edition, 1985, S. 15 - 38
Signatur: 1253222-B
- Anfänge der sozialen Erzählung in Österreich / hrsg. u. eingeleitet von Burkhart Bittrich. - Salzburg : Pustet, 1979
Signatur: 1163802-B
- Gronemann, Hubert: Ada Christen : eine österreichische Volksdichterin ; Leben und Wirken. - Wien : Bellaria Verlag, um 1950
Signatur: 1282896-B
- Gürtler, Christa: Eigensinn und Widerstand : Schriftstellerinnen der Habsburgermonarchie / Sigrid Schmid-Bortenschlager. - Wien, 1998
Signatur: 1539407-B.Neu
- Kerekes, Amália: Physiognomie des Korrespondentinnenwesens : Ada Christens "Wiener Plaudereien" im "Ungarischen Lloyd" (1873). - In: Frauenbilder, feministische Praxis und nationales Bewusstsein in Österreich-Ungarn 1867-1918 / hrsg. von Waltraud Heindl ... - Tübingen [u.a.] : Francke, 2006, S. 53 - 60
Signatur: 1820132-B.Neu
- Lebner, Melanie: Ada Christen : eine Monographie. - Wien, 1933. - Diss.
Signatur: Univ. Bibliothek Wien D-3274
- Lukas, Marianne: Aus der Tiefe : Ada Christens Lebensroman. - Wien : Volksbuchverlag, 1952
Signatur: 815641-B
- Pattiss, Julia:
Die Prosa Ada Christens : Themen - Stil.
Innsbruck, Univ., Dipl.-Arb., 1991
Signatur: 1398348-C.Neu
- Rabitsch, Margarethe: Ada Christen. - Wien, 1939. - Diss.
Signatur: kein Bestand an der ÖNB
- Rathner, Ingrid: Zwischen Provokation und Resignation : Lyrik und ausgewählte Prosawerke der österreichischen Schriftstellerin Ada
Christen. - Salzburg, 1992. - Diplomarbeit
Signatur: 1380464-C.Neu
- Schmid-Bortenschlager, Sigrid: Ada Christen (1839-1901). - In: Literatur und Kritik : österreichische Monatsschrift (1996) 307/308, S. 103 - 108
Signatur: 1011876-B.Neu-Per
- Seel, Doris: Ich kann die Menschen nicht besser machen als sie sind : Ada Christen - eine unterschätzte Vertreterin des österreichischen Spätrealismus. - Graz, Univ., Dipl.-Arb., 2001
Signatur: 1644694-C