[1/ S. 165:] Im Unterschied zu den wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs können die Literaturarchive und die Institutionen, die handschriftliche
Dokumente verwalten, nicht auf der Basis eines nationalen Datenverbunds agieren. Bislang erfolgte die Erschließung und Verzeichnung
der Nachlässe und literaturarchivalischen Dokumente in traditionellen Karteisystemen oder institutsintern individuell auf
PC, mit Ausnahme des Forschungsinstituts Brenner-Archiv in Innsbruck, das seine Daten in den österreichischen Verbund wissenschaftlicher
Bibliotheken einspielt.
Die Erfassung der handschriftlichen Dokumente richtet sich dabei derzeit österreichweit nach unterschiedlichen Richtlinien:
So wird teilweise nach den von Christoph König erarbeiteten Regeln (Verwaltung und wissenschaftliche Erschließung von Nachlässen
in Literaturarchiven, 1988) erschlossen. Wegen ihrer stark theoretischen Ausrichtung waren jedoch Vereinfachungen für die
Praxis notwendig, die wiederum nicht einheitlich durchgeführt wurden. Weitere Archive orientieren sich am Prinzip der »Regeln
zur Erschließung von Nachlässen und Autographen« (RNA, 1997). Auch die RNA werden vor allem hinsichtlich ihrer zahlreichen
fakultativen Kategorien stark modifiziert eingesetzt. Schließlich entwickelten einige Archive hausinterne Richtlinien, ohne
sie mit allgemeinverbindlichen Standards abzustimmen.
Neben dieser inkohärenten Regelorientierung erfolgt auch die EDV-gestützte Aufnahme der Nachlässe uneinheitlich. Die wenigen
Archive, die bereits Datenbanken einsetzen, verwenden unterschiedliche, in der Regel nicht kompatible Systeme. An der Mehrzahl
der österreichischen Literaturarchive wird der Bestand allerdings noch in Karteien aufgenommen. Ein bedeutender Teil dieser
Institutionen [1/ S. 166:] steht aber kurz vor der EDV-Implementierung und ist folglich von einer Datenbank-Koordination unmittelbar betroffen.
Das Ziel des vom Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten in Auftrag gegebenen Projekts besteht darin,
die Datenkoordination zwischen den Literaturarchiven Österreichs vorzubereiten. Das seit 1. März 1997 laufende Projekt steht
unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Wendelin Schmidt-Dengler und wird von Mag. Andreas Brandtner durchgeführt. Zu diesem
Zweck sind erstens die unterschiedlichen Erschließungsmodi insofern anzugleichen, als ein breiter Konsens für die Kriterien
einer Minimalaufnahme von Archivdaten herbeizuführen ist. Diese Verständigung auf eine österreichweit verbindliche Minimalaufnahme
kann von den obligatorischen Kategorien der RNA ausgehen, da dieser knappe Regelbestand eine eindeutige Identifizierung der
Archivalien garantiert. Zweitens sind die technischen Bedingungen für eine EDV-Vernetzung der Datenbestände zu definieren,
um einen österreichweiten Einstieg zum Nachweis der Dokumente zu ermöglichen. Die erstellten Voraussetzungen sollen auch für
eine weitere Entwicklung hinsichtlich internationaler Standards, der multimedialen Wiedergabe und der Verbindung zu diversen
Normdateien - die Gemeinsame Körperschaftsdatei (GKD), die Personennamendatei (PND), die (Österreichische) Schlagwortnormdatei
(SWD / ÖSWD) und die (Österreichische) Zeitschriftendatenbank (ZDB / ÖZDB) - offenstehen.
Während einerseits die Ansprüche, die an die EDV-Unterstützung einer Nachlaßerschließung zu stellen sind, präzise bestimmt
werden müssen, ist andererseits zu prüfen, inwieweit die unterschiedlichen Datenbankparameter Minimalaufnahmen einheitlich
wiedergeben können. Zu diesem Zweck werden im Rahmen des Projekts literaturarchivalisch repräsentative Testnachlässe ausgewählt
und datenmäßig erfaßt. Diese Nachlässe weisen strukturell sämtliche Schwierigkeiten auf, die für die Prüfung einer Datenbank
geeignet sind (mehrere Textstufen einer Werkgruppe, Korrespondenzen mit schwierig zu ermittelnden Absendern, Lebensdokumente
auf verschiedenen Materialträgern, Sammlungen mit unterschiedlicher medientypologischer Relevanz etc.). Die ausgewählten Testnachlässe
werden vorerst in die Datenbank allegro-HANS, die speziell für die Aufnahme von literarischen Nachlässen entwickelt wurde,
eingegeben. Zu beachten bleibt, daß die Minimaldaten auf konvertierbaren Parametern gespeichert und somit in die gebräuchlichen
Datenformate überführbar sind, um ihre ortsunabhängige Darstellung zu sichern; alle weiteren Parameter werden von den einzelnen
Archiven nach deren Bedarf selbständig definiert und sind vom Netz aus nicht zugänglich.
[1/ S. 167:] Schließlich wird in Kooperation mit Univ.-Doz. Dr. Gerhard Budin (Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung
der Universität Wien) eine Normierung der datenrelevanten Begriffe in Form eines Thesaurus erarbeitet, da die Königschen Richtlinien
und die RNA verschiedene Begrifflichkeiten anwenden und keine einheitliche Objektterminologie vorliegt. Dabei werden die verwendeten
objektspezifischen Bezeichnungen, die relevanten literaturwissenschaftlichen Termini und die Parameter der Suchbegriffe über
eine standardisierte Terminologie bzw. eine computermäßige Zusammenführung der Abweichungen vereinheitlicht.
Andreas Brandtner
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