[2/ S. 282:] Das Heinrich-Heine-Institut führt seit August 1998 ein zunächst auf zwei Jahre angelegtes Projekt durch, das vom Landschaftsverband
Rheinland finanziert wird. Das Projekt dient der Einrichtung einer biobibliographischen Datenbank, die die literarische Szene
des Rheinlandes zwischen Reichsgründung und Jahrtausendfeier (1871-1925) beschreiben soll. Die ehemalige Landes- und Stadtbibliothek
Düsseldorf, aus deren Neuerer Handschriftenabteilung das Heine-Institut hervorgegangen ist, sammelte seit Ende des 19. Jahrhunderts
systematisch Nachlässe und anderes handschriftliches Material mit regionalem Bezug. Das Heine-Institut, das seit seiner Verselbständigung
diesen Schwerpunkt durch Neuerwerbungen weiter ausführt, ist mit seinem somit traditionellen Sammelauftrag für Stadt und Region
prädestiniert für die Durchführung einer solche Aufgabe, bei der Archivbestände in hohem, wenn nicht gar bestimmenden Maß
in die Konzeption einfließen sollen.
Trotz der teilweise überregionalen oder sogar übernationalen Rhein-Konzepte in der Literatur- und Kulturszene des zu behandelnden
Zeitraums erscheint es sinnvoll - gerade da die Forschung zur Literatur im Rheinland noch in den Anfängen steckt -, mit dem
Projekt zunächst einen Schwerpunkt auf denjenigen Teil der ehemaligen Rheinprovinz zu legen, der heute zu Nordrhein-Westfalen
gehört. Es kann pragmatisch entschieden werden, wann und in welchem Umfang diese Konzeption überschritten wird. Der Schwerpunkt-Raum
ist bereits in sich heterogen genug und erfordert eine intensive Grundlagenarbeit.
Die Datenbank soll eine Zusammenstellung von Primär- und Sekundärliteratur sowie weiteren ungedruckten Materialien zur literarischen
Kultur im Rheinland sein. Da der literarische Aspekt im Mittelpunkt steht, umfaßt dies zunächst eine Autorendokumentation.
Die Sammlung soll aber darüber hinaus gehen und möglichst vielgestaltige Informationen über das literarische Umfeld, die zeitgeschichtlichen
Bezüge und Aspekte der Rezeption umfassen, etwa zu Verlagen, literarischen Gesellschaften, Ereignissen (z. B. Gründungen von
literarischen Vereinigungen, Lesereisen, Festspielen), Literaturpreisen, Buchhandlungen, Stiftungen, Illustratoren und Mäzenen.
Gleichzeitig sollen aber auch interdisziplinäre Ansätze geboten werden, d. h. Material aus verwandten und historisch grundlegenden
Gebieten ermit- [2/ S. 283:] telt, dokumentiert und damit wissenschaftlich zugänglich gemacht werden.
Konzeptionell muß das Projekt eine Kombination von Archivarbeit und bibliographischer Recherche in wissenschaftlichen Bibliotheken
darstellen. In einer ersten Phase steht die Ermittlung von einschlägigen Autoren im Vordergrund. Hierbei konnte auf einige
wenige Vorarbeiten zurückgegriffen werden (so auf die Liste der für Nordrhein-Westfalen relevanten Autoren aus: Literatur
von nebenan. 1900-1945. 60 Portraits von Autoren aus dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen. Hg. von Bernd Kortländer.
Bielefeld: Aisthesis 1995). Weitere Schriftsteller lassen sich durch die systematische Auswertung von Literaturlexika sowie
von Primär- und Sekundärliteratur eruieren, vor allem von zeitgenössischen Anthologien und Darstellungen rheinischer Literatur
durch die Jahrzehnte bis hin zu gegenwärtigen germanistischen Forschungsarbeiten. Als Fundgrube erwies sich außerdem ein alter,
beinahe vergessener systematischer Zettelkatalog der ehemaligen Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf.
Darüber hinaus kann auf Materialien aus Archivbeständen zurückgegriffen werden. Das Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf als
größtes literarisches Archiv der Region verfügt über eine Vielzahl von literarischen Nachlässen, Teilnachlässen und Sammlungen
mit rheinischem Bezug. Weitere Aufbewahrungsorte von Nachlässen, die für die literarische Szene im Rheinland aufschlußreich
sein könnten, lassen sich beispielsweise über das Bestandsverzeichnis »Literarische Nachlässe in Nordrhein-Westfalen« (bearb.
von Dagmar Rohnke-Rostalski. Wiesbaden: Reichert 1995 [= Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf 24])
ermitteln, das allerdings vom Aufbewahrungsort Nordrhein-Westfalen ausging. Die Nachlässe von aus dem Rheinland stammenden
Autoren werden freilich auch außerhalb dieser heutigen Verwaltungsgrenzen aufbewahrt.
Ausgewertet werden kann zunächst das zum Nachlaß gehörende gedruckte Material, etwa die Nachlaßbibliotheken, die bei Nachlassern
mit einem regionalen Interessensgebiet Publikationen aus dem Umfeld der rheinischen Literatur enthalten, z. B. Monographien
rheinischer Autoren, aber auch Anthologien und Zeitschriften. Dabei können Widmungsexemplare Aufschluß über persönliche Beziehungen
geben. Außerdem können Zeitungsausschnittsammlungen weiteres - üblicherweise schwierig zu recherchierendes - Material liefern.
So findet sich beispielsweise im Nachlaß von Dettmar Heinrich Sarnetzki im Heine-Institut eine vom Nachlasser angelegte Zeitungsausschnittsammlung
zu rheinischen Autoren. Ließen sich diese gedruckten Materialien auch über die üblichen bibliographischen Recherchen in [2/ S. 284:] einer wissenschaftlichen Bibliothek ermitteln, so liefern ungedruckte Materialien eine unschätzbare Fundgrube für die literarhistorische
Forschung. Besonders wichtig sind die Korrespondenzen von Persönlichkeiten mit Bezug zur rheinischen Literaturlandschaft.
Insgesamt stellt die Einbeziehung von Archivbeständen einen entscheidenden Schritt zur Aufarbeitung von bisher nicht erforschtem
und ohnehin schwierig zu erforschendem literarhistorischen Material dar - eine Kleinarbeit, die erforderlich ist, um ein zusammenhängendes
Bild der literarischen Kultur einer Region zeichnen zu können. Vor allem die Briefwechsel rheinischer Autoren dürften Aufschlüsse
über Zusammenhänge zwischen einzelnen Persönlichkeiten der literarischen und kulturellen Szene und weitergehende Einblicke
in das Selbstverständnis von Schriftstellern und Künstlern geben, als es literarische Texte von sich aus erlauben. Beziehungen
zwischen Kunstproduktion, -verbreitung und -rezeption dürften ebenso ans Tageslicht treten wie für die interdisziplinäre regionalgeschichtliche
Kulturforschung aufschlußreiche Verbindungen von politischer Geschichte, zeitgenössischer Kunst und sozialer Befindlichkeit.
Unabhängig von der Datenbank, die voraussichtlich nur in Einzelfällen (z. B. bei Rara) oder lediglich für den internen Gebrauch
Standortnachweise (z. B. Signaturen des Heine-Instituts oder der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf) bietet, wird
angestrebt, zumindest für den literarischen Komplex im Rheinischen Literatur-Archiv des Heinrich-Heine-Institutes gleichzeitig
eine Dokumentation anzulegen, die den Benutzern zur Verfügung gestellt wird. Es sollen aber natürlich auch Titel in die Anwendung
eingespeist werden, die nicht in dieser Sammlung vorhanden sind. Grundsätzlich wird aber Autopsie angestrebt.
Außerdem wird im Rheinischen Literatur-Archiv aus den Beständen der Nachlaßbibliotheken des Heine-Instituts derzeit ein Handapparat
eingerichtet, im dem hauptsächlich Primärliteratur (auch Anthologien), aber auch Sekundärtexte, Zeitschriften und Zeitungsausschnittsammlungen
aus den Nachlässen sowie - in Zusammenarbeit mit der im gleichen Haus befindlichen Bibliothek des Heinrich-Heine-Instituts
- allgemeine Nachschlagewerke und weiterführende Literatur aus den genannten Gebieten bereitgestellt werden. Daneben werden
nach Möglichkeit sämtliche ausgewerteten Texte in Kopie abgelegt. Dieser Handapparat und die Dokumentation werden bereits
rege von Studenten der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität genutzt, die Seminar-, Magister- und Doktorarbeiten zum Themenkomplex
der rheinischen Literaturszene anfertigen. Das Heinrich-Heine-Institut beteiligt sich somit am universitären Diskurs, ist
Mitveranstalter von [2/ S. 285:] Seminaren und Einführungen in die praktische Archivarbeit. Das Projekt versteht sich auch als Dienstleister und Anlaufstelle
für forschungsinitiierende und -fördernde Benutzerarbeit.
Ideale Publikationsform für ein solches Projekt ist nicht der bisher übliche Druck, der sich wegen der Vielzahl von Registern
als unübersichtlich und unhandlich erweisen würde; ideal ist vielmehr die Katalogisierung in einer Datenbank. Durch die vielfältigen
Ebenen und Verknüpfungen bot sich die Realisierung in einem relationalen Datenbankmodell an. Grundlage ist das windowsbasierte
kommerzielle Archivierungs- und Retrieval-System LARS, das mit seiner Flexibilität individuelle Lösungen der spezifischen
Probleme ermöglicht. Die gewünschten Kategorien für die Datenbank können selbst definiert werden; LARS generiert automatisch
Tabellen, Indices und Reports. Außerdem bietet das Programm mehrere Retrievalwege an. Üblicherweise besteht eine mit LARS
erstellte Datenbank aus einer Hauptdatenbank und mehreren, relational miteinander verknüpften Unterdatenbanken. Für die Suche
mußte eine Lösung gefunden werden, die dem Benutzer die Sicherheit gibt, mit einem einzigen Suchwort alle relevanten Treffer
zu erzielen, auch wenn die gewünschte Information erst in einer Unterdatenbank zu finden ist.
Ziel der Anwendung sollte es einerseits sein, dem interessierten Laien (etwa über den Zugriff via Internet) die Möglichkeit
eines Einblicks in die vielfältige literarische Landschaft des Rheinlandes in dem Zeitraum zwischen Reichsgründung und Jahrtausendfeier
1925 zu geben. Vor allem aber ist die Datenbank als Pool für den wissenschaftlichen Benutzer gedacht - gleich, ob er sich
schon mit der literarischen Kultur im Rheinland beschäftigt hat oder sich Forschungsanregungen erst holen möchte. Dies ist
ein wichtiges oder sogar das wichtigste Anliegen der Datenbank zur literarischen Kultur im Rheinland: sie möchte forschungsinitiativ
wirken. Sie kann sicherlich nur in Einzelfällen einem Forscher, der sich schon intensiv z. B. mit einem rheinischen Schriftsteller
befaßt hat, neue Quellen aus der Primär- und Sekundärliteratur bieten. Für auch nur annähernd vollständige Personalbibliographien
sämtlicher einschlägiger Schriftsteller benötigte man ein Vielfaches an personellen und zeitlichen Ressourcen. Die Datenbank
kann aber sicherlich Verknüpfungen bieten, die dem Forscher bisher entgangen sind. Gerade durch die Auswertung von Archivmaterialien,
etwa durch die Verzeichnung von Korrespondenzen, können neue personelle und institutionelle Beziehungen einzelner rheinischer
Schriftsteller aufgezeigt werden.
Ferner bietet LARS unter anderem die Möglichkeit, Dokumente einzuscannen und somit Abbildungen ins Netz zu stellen, die entweder
der [2/ S. 286:] weitergehenden Information dienen (z. B. Fotografien der Schriftsteller, Unterschriftsproben) oder aber schlecht zugänglich
sind (selten in Bibliotheken nachgewiesene Materialien, aufwendige Fernleihen) oder bei stärkerer Benutzung leiden könnten
bzw. schon gelitten haben. Solche Archivmaterialien können durch einmaliges Einscannen letztlich geschont, insgesamt gesichert
und weltweit dem interessierten Benutzerkreis zur Verfügung gestellt werden, eventuell mit Kostenabrechnungsverfahren (Archivmaterialien).
Ziel der Datenbank ist es letztlich, eine Verbindung zwischen Benutzer und Archiv herzustellen, den Zugang zu Archivmaterialien
zu erleichtern und die Benutzung von Nachlässen anzuregen. Dafür sollte in einer späteren Phase der Zeitraum in beide Richtungen
ausgeweitet werden. Langfristig gesehen soll die Datenbank zur literarischen Kultur im Rheinland integraler Bestandteil und
zentrale Informationsquelle des Rheinischen Literatur-Archivs im Heinrich-Heine-Institut werden.
Ulrike Hollender
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