Bleistiftmanuskripte

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Eine der »Urszenen« des Bleistifts bei Peter Handke ist in einem Notizbucheintrag vom 24. Jänner 1980 beschrieben, in der er über seine Tochter schreibt: »A.'s Bleistiftzeichnen X; man kann "stärker" und "weicher" sein (anders als bei den Wasserfarben). Bleistiftzeichnen ist überhaupt das Liebste! ("Jubeln")«. Bezogen auf sein eigenes Schreiben äußert Handke in seinem Journal Die Geschichte des Bleistifts (1982) erstmals seine offene Anerkennung dieses Schreibgerätes, indem er notiert: »Was entspricht mir als Werkzeug? Nicht die Kamera, auch nicht die Schreibmaschine (und nicht die Füllfeder oder der Pinsel). Aber was entspricht mir als Werkzeug? Der Bleistift.« Erst zehn Jahre, nachdem er diese Vorliebe bekundete, begann er Anfang der 1990er-Jahre mit seinen drei Versuchen Versuch über die Müdigkeit (1990), Versuch über die Jukebox (1991) und Versuch über den geglückten Tag (1992) zuerst Essays, dann immer längere Erzählungen im Umfang von bis zu 1000 Seiten (Der Bildverlust, Die morawische Nacht) ausschließlich mit Bleistift zu schreiben und behielt diese Schreibpraxis bis heute bei. Seine Theaterstücke tippte er noch längere Zeit parallel zu den Manuskripten mit der Schreibmaschine ab, erst nach Spuren der Verirrten (2006) wurden auch diese Abschriften nicht mehr von Handke selbst angefertigt. Handkes Übergang zum Bleistift als Schreibgerät bewirkte, dass er von seinen Werken jeweils nur mehr eine einzige erste und zugleich letzte Textfassung herstellt, die er dem Verlag zukommen lässt.

Im Vorlassbestand des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek sind Peter Handkes Bleistiftmanuskripte beginnend mit Versuch über den geglückten Tag bis Die Morawische Nacht im sogenannten »Chaville-Bestand« enthalten. Werke jüngeren Datums sind noch im Besitz des Autors oder in Privatbesitz.

Die Bleistiftmanuskripte sind gut lesbar und mit großer Regelmäßigkeit geschrieben. Auffällig ist die formale Einheitlichkeit, die Handke in allen Bleistiftmanuskripten beibehält: Titelblatt (mitunter illustriert wie bei Rund um das Große Tribunal), täglich datierter und paginierter Text, Abschluss mit Angabe von Ort und Datum des Arbeitsendes. Die Manuskripte enthalten kaum Streichungen, Einfügungen oder Korrekturen, nur kleine Sofortkorrekturen (Ausradieren oder Einfügen von Wörtern) sind auf den Bleistiftmanuskripten als Eingriffe erkennbar. Der tägliche Schreibfortschritt ist mit Datumseinträgen am linken Seitenrand vermerkt. Für die Konzeption und Vorbereitung der einzelnen Schreibetappen oder auch für das Erproben von Begriffen oder Formulierungen verwendet Handke – wie auch schon bei seinen Typoskripten – separate Beiblätter, die nur zum Teil erhalten sind. Größere Überarbeitungen (entsprechend den früheren zweiten Textfassungen) und Verbesserungen, beispielsweise nachträgliche Ergänzungen ganzer Textpassagen, unternimmt er erst wieder in der Verlagsabschrift, in den Umbruchseiten oder in sogenannten »Vor-Umbrüchen« (im Computer simulierte Pseudo-Druckfahnen), und nicht zuletzt in den Druckfahnen selbst. (ck)

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